PREDIGT AUF DAS WEIHNACHTSFEST
vom
hl. Leo dem Großen, Papst von 440-461
Geliebteste!
1. Gottes Güte hat schon immer auf verschiedene Art und Weise,
durch mancherlei Maßregeln für das Menschengeschlecht gesorgt und voll
Gnade alle verflossenen Jahrhunderten die Gaben ihrer Vorsehung in
reichstem Maße zuteil werden lassen. In jüngster Zeit aber ist sie über
all die überreichen Spenden ihres bisher gezeigten Wohlwollens noch
weit hinausgegangen, als in Christus die Barmherzigkeit selbst zu denen
herabstieg, die in Sünden lebten, die Wahrheit zu denen, die auf
Irrwegen wandelten, und das Leben zu denen, die gestorben waren.
Dadurch hat jenes Wort, das ebenso ewig wie der Vater und ihm
wesensgleich ist, unsere niedrige Natur mit seiner Gottheit vereint.
Dadurch ist jener, der als Gott von Gott geboren war, auch als Mensch
vom Menschen geboren worden. Es war dies zwar seit Erschaffung der Welt
verheißen und durch zahlreiche Vorbilder in Wort und Werk
vorherverkündigt worden, allein welch geringen Teil nur der Menschen
könnten jene Symbole und in Dunkel gehüllten Geheimnisse erretten, wenn
nicht Christus das, was schon lange im Verborgenen in Aussicht gestellt
war, durch seine Ankunft verwirklichen würde, wenn nicht ein Ereignis,
das - solange es noch bevorstand - nur jenen wenigen Nutzen brachte,
die daran glaubten, nunmehr - nachdem es Wirklichkeit geworden -
unzähligen Gläubigen von Nutzen wäre? Wir werden also nicht mehr durch
Zeichen oder Vorbilder dem Glauben zugeführt. Nein, durch die
Evangeliengeschichte aufs bestimmteste belehrt, beten wir an, woran wir
als Tatsache glauben.
Dazu kommen noch zu unserer Unterweisung die Zeugnisse der Propheten,
so daß wir nicht im geringsten über das im Zweifel sein können, was,
wie wir wissen, durch so viele Weissagungen vorherverkündet wurde.
Gehört doch zu diesen Prophezeiungen, was der Herr zu Abraham sagt: "In
deinem Samen sollen gesegnet werden alle Völker!" In diesem Sinne
besingt David prophetischen Geistes die Verheißung Gottes mit den
Worten: "Geschworen hat der Herr dem David getreue Ver-heißung, und er
wird nicht davon abgehen: Von deines Leibes Frucht will ich setzen auf
deinen Thron." In diesem Sinne spricht der Herr an einer an deren
Stelle durch den Mund des Isaias: "Siehe, eine Jungfrau wird in ihrem
Schoße empfangen und einen Sohn gebären, und sie werden ihm den Namen
Emanuel geben,was verdolmetscht heißt: Gott mit uns!" Und wieder an
einer anderen Stelle: "Hervorsprießen wird ein Reis aus der Wurzel
Jesses und eine Blume aufgehen aus seiner Wurzel." In diesem Reise ist
ohne Zweifel in prophetischer Weise auf die selige Jungfrau Maria
hingewiesen, die - aus dem Stamme Jesses und Davids hervorgegangen und
vom Heiligen Geiste befruchtet - jene neue Blume menschlichen Fleisches
aus ihrem mütterlichen, aber jungfräulichen Schoße zur Welt brachte.
2. Frohlocken mögen also im Herrn die Gerechten, frohlocken zum
Preise Gottes die Herzen der Gläubigen! Und dankbar mögen die
Menschenkinder seine Wundertaten anerkennen! Ersieht doch gerade aus
diesem Werke Gottes unsere Niedrigkeit, in welch großem Ansehen sie bei
ihrem Schöpfer stand. Obwohl er nämlich dem Menschen bei seiner
Erschaffung viel gab, indem er uns nach seinem Bildnisse formte, so tat
er doch noch weit mehr für unsere Erlösung, indem der Herr selbst sich
in Knechtsgestalt hüllte. Denn mag auch alles, was der Schöpfer seinem
Geschöpfe zuwendet, in ein und derselben Liebe seinen Ursprung haben,
so ist es doch weniger wunderbar, wenn der Mensch sich zu Göttlichem
aufschwingt, als wenn Gott sich zu Menschlichem herabläßt. Würde aber
der allmächtige Gott in seiner Gnade dies nicht tun, so könnte keine
Art der Gerechtigkeit, keine Form der Weisheit irgend jemand aus der
Gefangenschaft des Satans und den Abgründen des ewigen Todes befreien.
Das Verdammungsurteil, das mit der Sünde von einem auf alle überging,
würde fort und fort dauern und unsere durch tödliche Wunde dem
Siechtume verfallene Natur keinerlei Genesung finden, weil sie nicht
imstande wäre, aus eigener Kraft eine Änderung ihrer Lage
herbeizuführen.
Der erste Mensch erhielt die Substanz seines Fleisches aus der Erde und
wurde durch den Odem des Schöpfers mit einem vernunftbegabten Geiste
beseelt, auf daß er nach dem Vorbilde dessen lebe, der ihn erschaffen
hat, und so, wie in einem blinkenden Spiegel, ein Abbild der göttlichen
Güte und Gerechtigkeit in glänzenden Taten der Nacheiferung erkennen
lasse. Wenn er diese so herrliche Würde seiner Natur durch Beobachtung
des gegebenen Gebotes beharrlichen Sinnes gepflegt hätte, so würde sein
unverdorbener Geist auch den seiner Beschaffenheit nach der Erde
entstammenden Leib zu himmlischer Glorie geführt haben. Aber da er
unbesonnener- und unglücklicherweise dem neidischen Betrüger Glauben
schenkte und im Einverständnisse mit dessen überheblichen
Einflü-sterungen den ihm noch vorbehaltenen Zuwachs an Ehre lieber an
sich reißen als verdienen wollte, so bekam nicht allein jener erste
Mensch, sondern in ihm auch seine ganze Nachkommen-schaft die Worte zu
hören: "Erde bist du und zur Erde wirst du gehen." "Wie also der
Irdische, so auch die Irdischen." Niemand ist unsterblich, da niemand
vom Himmel ist.
3. Um also diese Fessel der Sünde und des Todes zu lösen, nahm
der allmächtige Sohn Gottes, der alles erfüllt und alles in sich
schließt, der in allem dem Vater ebenbürtig ist und in ein und
derselben Wesenheit aus ihm und mit ihm gleich ewig ist, die
menschliche Natur in sich auf. Es würdigte sich der Schöpfer und Herr
aller Dinge, einer der Sterblichen zu werden, indem er sich jene zur
Mutter erkor, die er erschaffen hatte. Diese sollte unter Wahrung ihrer
jungfräulichen Keuschheit nur die Geberin seines Leibes sein, auf daß
die Befleckung durch menschlichen Samen wegfiele und so der neue Mensch
rein und wahr zugleich wäre.
So ist also diese Natur in Christus, der aus dem Schoße einer Jungfrau
geboren wurde, nicht etwa deshalb von uns verschieden, weil seine
Geburt ein Wunder ist. Ist ja doch derjenige, der wahrer Gott ist,
zugleich auch wahrer Mensch; findet sich doch in beiden Naturen nicht
das geringste Falsche. "Das Wort ist Fleisch geworden", indem das
Fleisch geehrt, nicht aber die Gottheit selbst versehrt wurde. Diese
brachte ihre Macht und Güte in der Weise in Einklang, daß sie das
Unsrige durch seine Annahme auf eine höhere Stufe hob und das Ihrige
nicht dadurch preisgab, daß sie daran Anteil gewährte. Bei dieser
Geburt Christi "entsprang", gemäß der Prophezeiung Davids, "die
Wahrheit aus der Erde und schaute die Gerechtigkeit vom Himmel herab".
Bei dieser Geburt ging auch das Wort des Isaias in Erfüllung, der da
ausruft: "Die Erde bringe uns den Heiland und lasse ihn hervorsprießen,
und Gerechtigkeit entspringe zugleich!" Brachte doch die Erde des
menschlichen Fleisches, die in dem ersten Übertreter (des göttlichen
Gebotes) verflucht worden war, nur damals, als die selige Jungfrau
gebar, einen gesegneten, von der Stammessünde freien Sproß hervor.
Einem jeden wird solch geistige Geburt zuteil, wenn er wiedergeboren
wird. Und für jeden Menschen, der die Wiedergeburt erlangt, ist das
Wasser der Taufe gleich jenem jungfräulichen Schoße, da der selbe
Heilige Geist, der die Jungfrau befruchtete, auch den Taufquell wirksam
macht, so daß die Sünde, welche dort durch heilige Empfängnis
ferngehalten wurde, hier durch mystische Reinigung getilgt wird.
4. Diesem Geheimnisse, Geliebteste, steht die wahnwitzige
Irrlehre der Manichäer fern. Auch haben diejenigen keinen Anteil an der
Wiedergeburt durch Christus, die seine körperliche Geburt aus der
Jungfrau Maria in Abrede stellen, so daß sie bei dem kein wahres Leiden
annehmen, an dessen wirkliche Geburt sie nicht glauben und die
wahrhafte Auferstehung desjenigen leugnen, dessen wirkliches Begräbnis
sie nicht gelten lassen. Denn da sie einmal den abschüssigen Weg
fluchwürdiger Lehre betreten haben, auf dem alles in Finsternis gehüllt
und alles trügerisch ist, stürzen sie durch die jähen Abgründe falschen
Glaubens in die Tiefen des Todes. Auch finden jene keinerlei Stütze, an
welche sie sich anklammern könnten, die zu all den Schändlichkeiten
teuflischen Werkes gerade an dem wichtigsten Feste ihres Gottesdienstes
- wie dies unlängst durch ihr eigenes Geständnis an den Tag kam - an
Dingen sich ergötzen, die ebenso Leib wie Seele beflecken, die weder
Reinheit des Glaubens noch Züchtigkeit kennen, so daß sie in ihren
Dogmen gottlos und in ihren religiösen Gebräuchen obszön erscheinen.
5. Mögen auch, Geliebteste, alle Häresien in ihren
widersprechenden Lehren mit Fug und Recht verdammungswürdig sein, so
weist doch jede andere Irrlehre (als die der Manichäer) in irgendeinem
Teile (ihrer Dogmen) etwas Wahres auf: So hat sich zwar Arius in großer
Frevelhaftigkeit zugrunde gerichtet, indem er die Behauptung
aufstellte, daß der Sohn Gottes geringer als der Vater und sein
Geschöpf sei, indem er außerdem der Meinung war, daß von ebendemselben
(Vater) unter allem anderen auch der Heilige Geist geschaffen worden
sei; aber er leugnete doch wenigstens nicht in dem Wesen des Vaters
jene ewige und unveränderliche Gottheit, die er in der Einheit der
Trinität nicht sah. - Macedonius, der dem Lichte der Wahrheit ferne
stand, erkannte zwar nicht die Göttlichkeit des Heiligen Geistes an,
gab aber doch zu, daß im Vater und im Sohne ein und dieselbe Macht, ein
und dieselbe Natur sei.
Sabellius, der sich in unlösbaren Irrtum verrannt hatte, war sich
bewußt, daß die Wesenseinheit im Vater, im Sohne und im Heiligen Geiste
unzertrennlich sei, wies jedoch der "Einheit" zu, was er der
"Gleichheit" hätte zuweisen müssen. Und da er die wahre Dreieinigkeit
nicht zu fassen vermochte, so glaubte er nur an ein und dieselbe Person
unter dreifacher Benennung.
Photinus, dessen Geist mit Blindheit geschlagen war, erkannte in
Christus einen wahren, uns wesensgleichen Menschen an, glaubte jedoch
nicht, daß er vor aller Zeit als Gott von Gott erzeugt worden sei.
Apollinaris, der der Festigkeit im Glauben verlustig gegangen war,
meinte, der Sohn Gottes habe in der Weise die wahre Natur des
menschlichen Leibes angenommen, daß nach seiner Behauptung in jenem
Körper keine Seele gewohnt habe, da die Gottheit selbst an ihre Stelle
getreten sei. Wenn man auf diese Weise all die Irrlehren, welche der
katholische Glaube verdammt hat, von neuem betrach-tet, so wird man in
der einen wie in der anderen etwas finden, was von dem, was zu
verwerfen ist, ausgenommen werden kann. In der so frevelhaften
Lehre der Manichäer aber findet sich auch nicht das Geringste, das in
irgendwelcher Beziehung als erträglich angesehen werden könnte.
6. Ihr, Geliebteste, für die ich keine würdigere Anrede finde als
die des seligen Apostels Petrus: "ihr, ein auserwähltes Geschlecht, ein
königliches Priestertum, ein heiliger Stamm, das Volk der Erwerbung",
die ihr zum Fundament Christus, den unverletzbaren Felsen habt, die ihr
mit dem Herrn, unserm Erlöser selbst, dadurch daß er das wahre Fleisch
des Menschen annahm, auf's innigste verbunden seid, bleibet standhaft
in dem Glauben, zu dem ihr euch vor vielen Zeugen bekannt habt und in
welchem ihr - wiedergeboren durch das Wasser und den Heiligen Geist -
die Salbung des Heils und das Zeichen des ewigen Lebens erhieltet.
"Wenn aber jemand euch etwas anderes verkündigt, als ihr gelernt habt,
so sei er ausgestoßen!" Gebt nicht gottlosen Fabeleien den Vorzug vor
der so lichtvollen Wahrheit! Haltet alles, was ihr etwa zufällig gegen
die aufgestellte Regel des katholischen und apostolischen
Glaubensbekenntnisses lesen oder hören solltet, durchweg für
todbringend und teuflisch! Laßt euch nicht fangen durch die
trügerischen Fallstricke eines unwahren und geheuchelten Fastens, das
nicht zur Reinigung der Seelen, sondern zu ihrem Verderben führt!
Freilich geben sie sich den Anschein eines frommen und keuschen Lebens,
allein unter diesem Deckmantel verbergen sie nur ihre sittenlosen
Handlungen. Unter ihm entsenden sie aus den verstecktesten Winkeln
ihres ruchlosen Herzens die Geschosse, mit denen die Einfältigen
verwundet werden sollen, "um", wie der Prophet sagt, "auf die zu
schießen, die aufrichtigen Herzens sind". Eine mächtige Schutzwehr ist
ein Glaube, der rein, ein Glaube, der wahr ist, zu dem niemand etwas
hinzufügen, von dem niemand etwas wegnehmen kann. Bleibt der Glaube
nicht ein- und derselbe, so ist das kein Glaube nach den Worten des
Apostels: "Ein Herr, ein Glaube, eine Taufe; ein Gott und Vater aller,
der da ist über allen und durch alles und in uns allen."
An dieser Einheit, Geliebteste, haltet unerschütterlichen Sinnes fest!
In ihr erstrebet euere ganze Heiligung! In ihr befolget die Gebote des
Herrn! "Ist es doch ohne Glauben unmöglich, Gott zu gefallen". Nichts
ist ohne ihn heilig, nichts keusch, nichts lebendig: "Lebt ja der
Gerechte aus dem Glauben". Wer diesen durch die Arglist des Satans
verloren hat, ist tot, obgleich er lebt. Wie man durch den Glauben
Gerechtigkeit erlangt, so wird man auch durch den wahren Glauben des
ewigen Lebens teilhaftig, nach dem Ausspruche des Herrn, unseres
Erlösers: "Das aber ist das ewige Leben, daß sie dich, den allein
wahren Gott erkennen, und den du gesandt hast, Jesus Christus."
Dieser aber möge euch Fortschritt und Ausdauer verleihen bis ans Ende,
er, der mit dem Vater und dem Heiligen Geiste lebt und waltet in
Ewigkeit. Amen.
(aus: "Biblothek der Kirchenväter", Bd. 54, S. 93-101, Sermo XXIV)
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Über den hl. Pius X.
Es machte ihm - Don Giuseppe Sarto - nichts aus, daß er, um die Armut
und Not seiner Pfarrkinder lindern zu können, auch die notwendigsten
Anschaffungen für sich selbst unterlassen mußte. Manches Mal klagten
seine Schwestern, er habe keine Strümpfe mehr. "Stopft die alten",
sagte er. "Der Talar bedeckt alles." Er hatte keine Strümpfe, weil er
mehr an die Armen dachte als an sich selber. Er hatte keine Kleider,
weil er "alles weggab", weil er sich auch des Notwendigsten beraubte,
sogar seiner eigenen Hemden und seiner Schuhe. Ihm genügte die Freude,
die alles gibt und nichts verlangt; ihm genügte es, geängstigte
Menschen zu beruhigen, Unglückliche zu trösten, Leiden zu lin-dern und
zu spüren, daß die Armen dadurch ihm näher kamen, aber auch Gott. Wer
ihm riet, er möge ein wenig an sich selber denken, erhielt die von dem
sieghaften Glauben der Heiligen inspirierte Antwort, die er schon in
Tombolo so oft gegeben hatte: "Der Herr wird für alles sorgen." (aus:
Dal Gal, Hieronymus: "Pius X." Freiburg/Schweiz 1952, S. 57.)
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