NUR NOCH AUSLAUFMODELL?
von
Eberhard Heller
EINLEITUNG
Die Überschrift wurde in Anlehnung an einen Untertitel eines Artikels
von Elmar zur Bonsen in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG vom 5./6.3.94 gewählt
("Auf dem Weg in ein neues Heidentum - Sind die traditionellen Kirchen
in Deutschland nur noch Auslaufmodelle?"), in dem der Autor zwar wenig
zur eigentlichen Krise des christlichen Glaubens zu sagen hat, aber
dennoch eine Reihe von Beobachtungen im geistig-sozialen Bereich
skizziert, die mit dem Fortbestand der Institutionen zu tun haben, die
er global als "traditionelle Kirchen" bezeichnet. Normalerweise mag ich
die Fragezeichen in Überschriften nicht, da sie häufig signalisieren,
Behauptetes zugleich wieder zurücknehmen zu wollen, weil der Mut zur
klaren Aussage fehlt. Im Falle des vorgenannten Artikels ist es aber
nicht fehlender Mut des Autors zur Eindeutigkeit, sondern die Hoffnung,
daß das, was er als Tendenz eruiert hat, die 'Kirchen' würden als
Institutionen "auslaufen", letztendlich doch nicht eintreffen sollte.
Eine ähnliche Intention liegt auch meinen nachfolgenden Ausführungen
zugrunde.
Wenn ich nun versuche, die heutige geistige Situation zu beschreiben
und die glaubensmäßigen Voraussetzungen aufzuzeigen, auf denen das
religiöse Leben basiert, d.h. die Situation zu skizzieren, in der
sich der christliche Glaube heute befindet - um dabei vorrangig auf den
wirklichen und/oder vorgeblichen Widerstand gegen die häretischen
Reformen der Konzils-'Kirche' einzugehen -, dann soll das Fragezeichen
hinter dem Titel nicht nur die Hoffnung darauf bezeichnen, daß der
beschriebene - um es vorwegzusagen: düstere - Zustand nicht das Ende
der Kirche bedeuten möge. Es soll auch anzeigen, daß trotz der in der
Tat düsteren Lage selbst die scheinbar finsterste geistige Nacht
hinterfragbar bleibt auf ein neues Morgen, ja aufgehoben wird auf
bzw. durch das - uns vielleicht im Augenblick verborgene - stets
wachende Licht. Denn Gott hat uns ja verheißen, "die Pforten der Hölle
werden sie (d.i. die Kirche) nicht überwältigen" (Mt. XVI, 18), obwohl
die Katastrophe so groß ist, daß nach menschlichem Ermessen - d.h. nach
Sichtung des weltweiten religiös-kirchlichen Engagements der sich als
orthodox einstufenden Gläubigen - eine Salvierung ausgeschlossen
erscheint.
In der Tat halte ich es hinsichtlich einer geistigen Topographie und
zur allgemeinen Orientierung für erforderlich, einen Lagebericht
abzugeben, um diese Momentaufnahme mit dem vergleichen zu können, was
uns durch die Kirche zu glauben vorgestellt wurde, da sich die
Situation rasant verschlechtert hat und die Gläubigen immer eher bereit
sind, sich mit den 'realen', d.h. den ungeheuerlichen Gegebenheiten
abzufinden und sie als normal anzusehen und sich mit ihnen zufrieden zu
geben. Um der Scheidung und der Entscheidung der Geister und zur
Bewahrung des Glaubens darf und soll aber gerade das nicht geschehen,
darf diese langsame Mutation nicht eintreten.
Diese Einstellung des einfachen Hinnehmens birgt zugleich die Gefahr in
sich, daß diejenigen, die meinen, noch immer rechtgläubige katholische
Christen zu sein, langsam die Glaubensinhalte - vielleicht nicht ihren
Glauben! - verlieren. Dieser Prozeß wird schließlich noch dadurch
forciert, daß der Berg unbearbeiteter Glaubensprobleme, deren Lösung
heute nicht mehr an die einstigen Autoritäten - diese stehen in
der Regel nicht mehr zur Verfügung - delegiert werden kann, sondern von
jedem einzelnen angestrebt werden muß, immer erdrückender wird.
Außer dieser Zustandsbeschreibung sei mir, der für die Redaktion der
EINSICHT über 20 Jahre verantwortlich zeichnet, gestattet, auch auf die
exponierte Rolle einzugehen, die die vom Freundeskreis herausgegebene
Zeitschrift seit ihrem Erscheinen in dieser geistig-existentiellen
Auseinandersetzung gespielt hat und weiterhin einzunehmen gedenkt.
Nicht nur, daß wir immer versucht haben, die Probleme stets sachlich
und grundsätzlich zu lösen und uns nicht im propagandistischen oder
ideologischen Windschatten anderer (publikumswirksamerer)
Organisationen getummelt haben. Festzuhalten ist auch, daß wir uns nie
gescheut haben, massive Fehlentwicklungen in den angeblich eigenen
Reihen nicht nur nicht zu vertuschen, sondern darzustellen... mit dem
Ergebnis, häufig alleine oder in entscheidenden Phasen ohne
Unterstützung dagestanden zu sein.
RÜCKBLICK
Wenn man die Gründe für den durchschlagenden Erfolg der angeblichen
Reformen im Zuge des "II. Vatikanischen Konzils" sowohl beim Klerus als
auch bei den Gläubigen - und das weltweit! - analysiert, wird man
folgende Momente festhalten:
1.
Der scheinbar so gefestigte monolitische Block der römisch-katholischen
Kirche war in sich längst nicht mehr so gefestigt, wie es nach außen
hin schien. Viele sind leider nur allzu bereit, Vergangenes zu
vergessen oder zu verharmlosen. Man denke nur an die Kritik, die die
Mutter Gottes in ihrer Botschaft von La Salette bereits 1846 an den
Klerikern geübt hatte! Moderne Vorstellungen, die mit dogmatisch
fixierten Glaubenspositionen nicht vereinbar waren, hatten Eingang auch
in die Köpfe von Theologen gefunden und Zweifel genährt. Nicht umsonst
hatte Papst Pius X. im "Syllabus" und in der Enzyklika "Pascendi"
von 1907 den Modernismus als das "Sammelbecken aller Häresien"
bezeichnet und den Priestern die Ablegung des Antimodernisteneides
auferlegt. Das geistige Leben in den Gemeinden war verflacht und nicht
mehr von der Unbedingtheit getragen, die die Anforderungen Gottes an
sie stellten. Vielfach wurde der Liturgie nur noch der Stellenwert
folkloristischer Veranstaltungen beigemessen. Die Kirche schaltete man
häufig schon nur noch ein bei Taufen, Hochzeiten, Beerdigungen. Sie
stellte so eine Art metaphysische Rückversicherung dar.
2.
Etwa seit Beginn des 19. Jahrhunderts hatte die katholische Kirche in
ihrer Gesamtheit ihre allenfalls ehemalige Rolle im Bereich der
Wissenschaft und der Kunst verloren, u.a. deshalb, weil sie geistig
träge geworden war und nicht versuchte, neue Probleme durch
grundsätzliche Erörterungen, sondern eher durch (jesuitische) Kasuistik
zu lösen.1) Dadurch hatten sich auch eine Reihe von Fehlvorstellungen
und Einseitigkeiten festgesetzt, die zu Fehlverhalten im religiösen und
moralischen Leben führten. Ich greife hier willkürlich die Vorstellung
von der Ehe heraus, die auf eine vornehmlich rechtliche Institution
reduziert war mit den bekannten Ehezwecken und ihr den Anstrich einer
biologischen Zuchtanstalt gab. Das Ausblenden der Ehe als primär
moralischer Einrichtung, in der sich Mann und Frau in Liebe gegenseitig
hingeben und schenken, um eine geistige, vernünftige (Willens)Einheit
zu bilden, hatte schon bitter, ja sarkastisch Léon Bloy zu Beginn
dieses Jahrhunderts beklagt.
Man denke auch an den unklaren und verstümmelten Begriff der Kirche:
für viele sah es doch so aus, als ob es in ihr bloß eine Klerikerkaste
gab. Die Vorstellung der Kirche als eines Sozialkörpers z.B. war völlig
unterbelichtet. Man hatte (scheinbar alles fest in der hand ohne
Anstrengung und mußte nichts mehr erringen, um keine Position kämpfen.
Wie bei den "HB-Männchen" aus der bekannten Zigarettenreklame ging
alles "wie von selbst".
Schädlich war auch ein häufig anzutreffender Triumphalismus: Weil man
die Wahrheit sozusagen 'gepachtet' hatte, stand man auch schon im Heil,
konkret: man brauchte sich nicht mehr anstrengen, besonders, um sich
mit fremden Personen und Ideen auseinanderzusetzen. Ich erwähne hier
auch den falschen Gehorsamsbegriff, der sich primär auf die Amtsträger
als Personen gerichtet hat und nicht auf das Amt, welches ihnen von
Gott zur Verwaltung aufgetragen worden war.
Wenn sich in der heutigen Zeit, d.h. nach dem "II. Vatikanum" die
Gläubigen vor die Wahl gestellt sehen, zwischen der ungeteilten
Wahrheit - aber ohne intakte Institution - und der intakten Institution
- aber mit der verratenen, verfälschten Wahrheit - zu
entscheiden, dann fällt die Wahl nicht schwer. Man zähle die Personen,
die die Konsequenzen gezogen haben, besonders im Klerus!!
3.
Obwohl die Gesellschaft, speziell die kirchlichen Gemeinden, sich
als relativ homogene soziale Gebilde mit enormem Potential darstellten,
empfanden dennoch viele ihre Situation als durch den Glauben
unangemessen eingeschränkt, ja als rückständig gegenüber modernen
Strömungen und Tendenzen außerhalb der Kirche. Und man muß sagen, daß
die geistige Elite sich als unfähig und zu bequem erwiesen hatte,
abgesehen von apologetischen Scharmützeln, die auf die ungeschützten
Gläubigen einprasselnden modernen Theorien tatsächlich aufzuarbeiten
(z.B. Sozialismus, Psychoanalytik). Bis zum "Vatikanum II" gab es z.B.
nicht einmal eine von einem katholischen Christen systematisch
durchgeführte Religionsphilosophie. 2) Darum wurde das Schlagwort vom
"Aggiornamento", von der Anpassung an den Zeitgeist begeistert als
Heilsprogramm aufgenommen und gefeiert: endlich konnte man seine
Komplexe abschütteln!
4.
Im seelsorglichen Bereich kam noch ein Moment hinzu, welches häufig
unerwähnt bleibt: die Überbetonung des 6. Gebotes in der vorkonziliaren
Ära. Wenn man ältere Leute gelegentlich fragt, was sie denn so
engagiert für die Reformen einnimmt und was sie gegen die vorkonziliare
Erscheinungsweise der Kirche einzuwenden haben, dann sind es in der
Regel keine dogmatischen Einwendungen, sondern Vorbehalte gegen
Unverständnis seitens gewisser Kleriker bezüglich der Reglementierung
des ehelichen Lebens. Viele haben ihr Interesse u.a. an der Kirche
deshalb verloren, weil sie in der Beichte Ratschläge erhalten hatten,
mit denen sie nichts anfangen konnten und die von einem krassen
Unverständnis gegenüber den Problemen zeugten, die in einer Ehe
auftauchen können. 3) Bereitwillig und dankbar wurde deshalb das
Verständnis und die Duldung aller möglichen und tatsächlichen
Verfehlungen im sexuellen Bereich durch den nachkonziliaren Klerus
aufgenommen.
5.
All die aufgezählten Momente stellen keine Begründung für die
Reformfreudigkeit dar, sondern sollen nur verständlich machen, warum
die als Reformen verkauften modernen Häresien im großen und ganzen so
bereitwillig aufgenommen wurden - und das auf der ganzen Welt! Sie
waren nämlich als Paket gerechtfertigter Erleichterungen im
moral-theologischen Bereich verabreicht worden und auch als solche
angesehen, wobei die tatsächlichen Häresien im Bereich der
Liturgiereform, hinsichtlich der Konstitution über die Kirche, der
Christologie größtenteils nicht durchschaut wurden... bis heute nicht!
6.
Wenn man einmal ohne Zorn auf die letzten 20, 30 Jahre zurückblickt,
vielleicht den Rückblick beginnen läßt beim Ende des sog. II.
Vatikanums, dann meine ich, daß eines der überraschendsten Momente das
Tempo und der große Anfangserfolg ist , mit dem die Reformer schier
alles zu überrollen drohten, was sich ihnen in den Weg stellte, aber
auch, was sich ihnen zunächst vorbehaltlos öffnete. Wie war so etwas
möglich gewesen? Man war dabei recht geschickt vorgegangen: die
Verfälschungen wurden nicht auf einmal präsentiert, sondern sukzessive
in wohl dosierten Schritten. Sie sickerten unmerklich ein, und der
Abfall vom Glauben erfolgte deshalb schleichend. 4) Dennoch ist und
bleibt dieser universelle Abfall, der von Christus für das Ende der
Zeiten prophezeit war (vgl. Matth. XXIV, 15-35) in der Tat auch ein
wirkliches Geheimnis des Bösen.
Hinweis
Diese relativ ausführliche, aber längst nicht vollständige Auflistung
von Fehlverhalten und Fehlvorstellungen, die zumindest die Reformen
begünstigt haben, ist insofern nötig, weil es bei einem Wiederaufbau
der Kirche nicht bloß darum gehen kann, die unmittelbar behaupteten
Häresien auszuräumen, sondern auch die alten Fehler im theologischen
und wissenschaftlichen, im künstlerischen und pastoralen Bereich zu
korrigieren.
AUFBAU DES WIDERSTANDS - THEOLOGISCHE AUFKLÄRUNG
Nachdem ersichtlich war, daß es sich bei den sog. Reformen des "II.
Vatikanums" in Wahrheit um eine Revolution von oben handelte, durch die
sukzessive zunächst nur heterodoxe, dann aber Positionen eingeführt
wurden, durch die grundsätzliche Glaubensaussagen relativiert,
uminterpretiert und verfälscht wurden - Herr Dr. C.A. Disandro sprach
in diesem Zusammenhang von einem "semantischen Krieg" - und das
religiöse sakramentale Leben zu erlöschen begann, formierte sich erst
langsam, dann allerdings weltweit ein Widerstand, der nur noch auf die
Auswirkungen dieser geistig-religiösen Katastrophe reagieren konnte.
Man kann im nachhinein sagen, daß kaum jemand auf diese Revolution "von
oben" vorbereitet war, weder im Klerus noch bei den Laien. Und wenn man
die Adaption der sog. 'Reformen' auch durch so viele alte Priester
registrieren muß, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, daß
diesen geistlichen Herren eine Fundierung im Glauben sicherlich gefehlt
hatte, daß eine reflexive Aufarbeitung des Depositum nie wirklich ernst
genommen und stattgefunden hatte, weswegen ihnen eine spezifisch
christliche und reflexiv durchvollzogene Glaubensüberzeugung abging. 5)
Bestandsaufnahme
Wenn man nun einmal sein Augenmerk auf das lenkt, was zur Bewältigung
der kontinuierlich vorschreitenden Krise getan wurde, so läßt sich
zumindest eines positiv festhalten: theologisch aufgegriffen und
aufgearbeitet wurden schon kurz nach Beendigung des sog. Vat. II
diejenigen Themenkreise (u.a. Konstitution der Kirche, Reform der
Liturgie), die auf diesem abgehandelt worden waren, um die durch die
Reformer propagierten Irrtümer bzw. Verfälschungen der entsprechenden
kirchlichen Lehraussagen in diesen Bereichen zu entlarven. Auch wenn
die Ansätze bei den weltweit arbeitenden Widerstandgruppen auf
unterschiedlich klarem theologischem Niveau angesiedelt waren, so kam
man im Laufe der Zeit dennoch zu entscheidenden Positionen (zumindest
in den Gruppierungen, die wirklich am Schicksal der Kirche Interesse
hatten - und nicht bloß die große Bandbreite traditionalistischer Ideen
vertraten), die zugleich die Grundlage lieferten für einen - im
nachhinein gesehen - eher dürftigen Widerstand. (Das lag aber nicht an
den theologischen Konzepten, sondern an der Abstinenz, diese auch
umzusetzen.) Es gab und gibt weltweit gute und seriös arbeitende
Zeitschriften, die sich diese Aufklärung zum Ziel gesetzt haben.
1.
Ich kann hier nur aufzählen bzw. rekapitulieren, was an anderer Stelle
breit ausgeführt wurde: So ist weitgehend Einigkeit darüber erzielt
worden, daß z.B. die von "Vat. II" ausgehenden bzw. von ihm initiierten
Reformen der Sakramentsriten in sich ungültig sind: unter anderem der
sog. N.O.M. und der Ritus der neuen Priester- und Bischofsweihe. Allein
dadurch ist die Ader, durch die göttliches Leben diese Erde belebt und
ernährt hat, durchtrennt worden und das geistige Leben fast gänzlich
erloschen! Und nicht nur das: durch die drohende Unterbrechung der
apostolischen Sukzession wäre auch die Chance auf eine eventuelle
Wiederbelebung vertan.
2.
Es wurde aufgezeigt, daß ein in Häresie gefallener Papst ipso facto
aufhört, dieses Amt innezuhaben. Diese Position wurde trotz des
Störfeuers von seiten Mgr. Guérard des Lauriers und seines Anhanges,
von dem heute noch ein kleiner hartnäckiger Kern in Verrua Savoia /
Italien - die Herausgeber der Zeitschrift SODALITIUM - existiert,
inzwischen wieder weltweit vertreten.
3.
Es wurden die Irrtümer in den verschiedensten Lehrauffassungen der
Reformer, die exemplarisch in den Sendschreiben von Paul VI. und Joh.
Paul II. vertreten wurden, im einzelnen aufgelistet, wobei sich die
Herren Prof. Siebel / Saarbrücken und Prof. Wendland für den
deutschsprachigen Bereich, für Frankreich Sr. Myra Davidoglou und für
den südamerikanischen Raum bis zu ihrem Tod H.H. P. Saenz y
Arriaga und Herr Prof. Disandro besonders über die Jahre bemüht und
verdient gemacht haben. Es wurden die entscheidenden christologischen
Irrtümer aufgezeigt, die die Offenbarung als solche und die Konzeption
der Kirche betreffen und die Ausgangspunkte bildeten für einen offenen
Ökumenismus, der überging in einen anfänglich noch verhohlenen, nun
aber völlig offen vertretenen Synkretismus der verschiedenen
Religionen. Dabei ist nur ein inhaltsleerer "Gott" übriggeblieben,
Chiffre für subjektive Projektionen, wodurch der Name Gottes zur reinen
Worthülse verkümmerte.
4.
Diese immer stärkere Erosion am dogmatischen Gestein der Kirche hat
inzwischen selbst für die Reformer dazu geführt, daß die religiöse
Revolution, die von der abgefallenen Hierarchie eingeleitet wurde,
beginnt, ihre eigenen Kinder zu fressen: ein offenkundig häretischer
'Papst' gilt vielen inzwischen wegen seiner (angeblich orthodoxen)
Haltung in Sachen der Moral wiederum schon als reaktionär, als
Fundamentalist, den es wegen seiner 'Intransingenz' auszuschalten gilt.
Denn die "von oben" ausgegossenen, revolutionären Ideen - d.h. konkret:
die Ablehnung der göttlichen Offenbarung - haben in sich die Tendenz,
"tabula rasa", reinen Tisch zu machen, so lange, bis eben nichts mehr
verbindlich gilt. Man denke hier nur an die uralten häretischen
Forderungen: den Priestern Frauen, die Frauen zum Priesteramt, den
Laien Macht, die heute wieder fröhliche Urständ feiern - man schaue
sich nur die sog. Kirchenbegehren in Österreich und Deutschland an!
Fallen aber noch solche Bastionen - einmal aus der Sicht der Reformer
betrachtet -, dann verdunsten auch die von ihnen bisher noch gehaltenen
Positionen. Was H.H. Prof. Joh. Bökmann von den gesellschaftlichen
Progressisten schreibt, läßt sich auch von den sog. kirchlichen sagen:
"Komisch wirken da unentwegte Fortschrittler, längst müde und fußkrank
geworden vom dauernden Fortschreiten. Sie stolpern jetzt rat- und
orientierungslos zwischen den desaströsen materiellen (hier zu ersetzen
durch: geistigen) und menschlichen Ruinen ihrer Projekte, Experimente
und Artefakte in der selbstverschuldeten Wüste gänglicher Ziellosigkeit
umher." 6)
5.
Ich mache hier eine Anmerkung. Wenn man einmal darauf achtet, wer sich
vorrangig bei der Aufarbeitung des häretischen Materials und der
Aufklärung darüber beteiligt hat, fällt auf, daß der Großteil der
theologischen Arbeit von Laien erbracht wurde. Man denke nur an die mit
unglaublichem Spürsinn bloßgelegten Häresien der anfänglich verdeckt
operierenden Reformer durch Herrn Dr. Kellner / USA oder an die
gründlichen Recherchen eines Herrn Dr. Franz Bader, der sich über Jahre
mit den theologischen Positionen des sog. N.O.M. auseinandergesetzt
hat, die in den ersten Jahren unsere Zeitschrift entscheidend
mitprägten, oder an die souveränen dogmatischen Bestimmungen, die Herr
Dr. Disandro auf dem Hintergrund eines umfassenden Wissens traf, aber
auch an bestimmte Positionspapiere und Programme, die Herr Dr. Lauth
anfänglich eingebracht hat. Dagegen waren und sind die von Klerikern
ausgearbeiteten Beiträge eher spärlich geflossen. Priester/Theologen
wie H.H. Dr. Katzer, Pater Saenz y Arriaga und selbst der nachmalige
Bischof Guérard des Lauriers (obwohl er den Widerstand mit seiner
abwegigen These vom "Papa materialter, non formaliter", dessen
Zustandekommen kaum jemand richtig begriffen hat, erheblich belastet
hat) waren selten. Dagegen berührt es schmerzlich, daß selbst
promovierte Theologen wie z.B. der nachmalige Bischof Dr. Storck sich
nicht an der theologischen Aufarbeitung der anstehenden Probleme
beteiligt hat. 7) Abgesehen davon sollte es doch nachdenklich stimmen,
daß alle theologischen Zeitschriften im deutschsprachigen Raum, die die
oben skizzierten Positionen vertreten - sieht man einmal von dem erst
Anfang der 90iger Jahre an und nur kurze Zeit unter der Ägide von
Bischof Storck herausgegebenen und sich ausschließlich pastoralen
Themen widmenden ATHANASIUS ab, der unter dem Namen "Beiträge..." von
H. Herrn Kaplan Rissling und Herrn Ehrenberger mit der gleichen
Thematik fortgeführt wird - von Laien herausgegeben werden. 8)
6.
Diese Art der Aufklärung und der Information führte zu einer weltweiten
Klärung der grundsätzlichen Positionen. Während anfangs, d.h. Ende der
60er, Anfang der 70er Jahre die meisten Katholiken, die sich der
Tradition verpflichtet fühlten, sich primär auf ihre religiösen
Intuitionen stützten, die ihnen sagten, daß da etwas im Gange war, was
sich gegen zentrale Glaubensinhalte richtete, wurden diese
Anfangszweifel zügig durch theologische Argumente ersetzt - mit einem
erheblichen Effekt auch nach außen. Seit der "Declaratio" von S.E.
Erzbischof Ngô-dinh-Thuc, in der die zwar bekannten Positionen
(Ungültigkeit des N.O.M. , der übrigen Sakramentsriten, Unbesetztheit
des Apostolischen Stuhles wegen Häresie des illegitimen Inhabers) noch
einmal durch einen legitimen Amtsträger der Kirche bekräftigt und die
Sedisvakanz des römischen Stuhles förmlich erklärt wurde, spricht man
weltweit von "Sedisvakantisten". 9) Und man täusche sich nicht! Diese
"Declaratio" hat auf die Reformer wesentlich mehr Eindruck gemacht als
auf die (bornierten, geistig faden) Traditionalisten. Selbst junge
Religionsdiener der Reform-'Kirche' kennen die diesbezüglichen
Sachverhalte recht gut! 10) Man mag sich daran erinnern, daß selbst
führende Reformvertreter, wie z.B. 'Kard.' Höffner aus Köln sich in
halb offiziellem Kreis dahingehend äußerten, man müsse die neuen sog.
Meßbücher wieder einstampfen, oder der damalige Theologie-Professor
Ratzinger, der in Regensburg dozierte, schriftlich verlauten ließ, die
Wandlungsworte seien in der Tat verändert - stellten aber keine Häresie
dar -, weswegen man den Bezug zur Tradition wieder herstellen könne und
müsse. Diese Eingeständnisse massiver theologischer Fehler wurden von
seiten des Widerstandes kaum oder gar nicht registriert, geschweige
denn in der öffentlichen Debatte gegen die Reformer und ihre Reformen
verwandt.
7.
Der Durchsetzung bestimmter Argumente abträglich war auch eine gewisse
"Sprachreglung", die besonders von traditionalistischen - um den Status
des Schwankens auszudrücken - Priestern praktiziert wurde. Ich denke da
u.a. an P. Barbara, der jahrelang auch nur von einer "protestantischen
Messe" - so oder ähnlich - sprach, aber sich nicht zu einer
eindeutigeren Position durchringen konnte. Mentale Barrieren, besonders
was die Beurteilung des Status der Reform-'Kirche' betrifft, gibt es
auch heute noch. Man trifft da auf die kuriosesten Auffassungen. (Es
waren also nicht nur die gern zitierten "bösen Freimaurer" oder der
Diabolos, sondern schlicht eigenes Unvermögen und eigenes Verschulden,
welches die Durchsetzung der eigentlich stringenten Argumente
behinderte.)
8.
Der Vollständigkeit halber will ich noch erwähnen, daß Ecône, auf dem
anfänglich viele Hoffnungen ruhten, sich an dem Aufzeigen und der
theologischen Aufarbeitung der von den Reformern verbreiteten
Verfälschungen - sieht man von ganz zaghaften Versuchen nach dem Todes
ihres Gründers ab - nicht nur nicht beteiligten, sondern sogar noch
alle Positionen bekämpften, die für Eindeutigkeit und Klarheit sorgten.
Mgr. Lefebvre bot nicht präzise theologische Argumente, sondern
Schlagworte: "Modernismus, Liberalismus, Kommunismus"... und Schluß! So
wich er exakter theologischer Darstellung aus, so umgingen seine
Anhänger genaue Festlegungen. 11)
AUFBAU DES WIDERSTANDS - PASTORALE AUFGABEN
Eine ähnliche Lastenverteilung wie bei der theologischen Aufarbeitung
begegnet uns auch bei der Organisation und Durchführung des aktiven
kirchlichen Widerstandes und der praktischen Seelsorge.
1.
Als sich zu Beginn der 70er Jahre der Widerstand sukzessive sein
theologisch-kirchliches Selbstverständnis gegeben hatte und sich zu
formieren begann, gab es zunächst noch eine ganze Reihe von Gläubigen
und Klerikern - Kardinäle, Bischöfe, Priester - und sogar eine
Reihe von Personen, die in der Öffentlichkeit standen (Minister
Hundhammer in Bayern, Rundfunkkommentator Martini) und den
wissenschaftlichen Eliten angehörten, die sich für die
theologischen/religiös-kirchlichen Zustände interessierten, und die
sich öffentlich für die Beibehaltung der Tradition einsetzten. Man
erinnere sich, daß Paul VI. von Protestanten, dem orthodoxen
Patriarchen von Konstantinopel und sogar von Juden gebeten worden war,
den alten Ordo Missae ja nicht anzutasten! Allgemein war man allerdings
der Auffassung, daß die Probleme, die durch die Eliminierung der
Tradition und der Liturgie entstanden waren, intern, d.h. im
innerkirchlichen Rahmen zu lösen seien. Als jedoch immer klarer wurde,
daß die Revolution von oben eine andere 'Kirche' anstrebte, daß die
Reformen Häresien beinhalteten, wodurch die Traditionalisten sich vor
die Entscheidung gestellt sahen, entweder der abgefallenen 'Kirche' als
orthodoxe Sekte anzugehören oder diese 'Kirche' zu verlassen, um die
wahre Kirche zu sein, lichteten sich die Reihen erheblich.
2.
Von dem Amtsträgern blieben nur wenige Bischöfe übrig, die offen Paul
VI. widerstanden. Zu diesen gehörte u.a. Erzbischof Lefebvre, auf dem,
nachdem er in Ecône sein sog. Internationales Priesterseminar gegründet
hatte, naturgemäß die Hoffnungen von vielen Gläubiger ruhten:
vordergründig und was die Praxis betraf - war dort alles "wie früher".
Und die Ausbildung junger Priester schien die Garantie zu sein, daß die
Kirche überleben würde. Auch wenn Lefebvre mehrfach versicherte, nicht
der Führer der Traditionalisten sein zu wollen, zugleich aber durch
seine Erpressungen - pastorale Betreuung nur gegen Übergabe der gerade
entstandenen Meßzentren - viele Leute brüskierte und empörte,
verkörperte er wegen seiner Disziplin dennoch die alte Kirche, blieb er
das Firmenzeichen des katholischen Widerstandes, an das sich gerade
Priester anklammerten, auch wenn sie später erfahren mußten, daß das
Ecône-Programm unhaltbar war. Tatsache ist, daß Lefebvre bewußt keine
klaren Positionen bezog, in allem inkonsequent war und statt auf
theologische Auf-klärung auf handfeste egoistische Hausinteressen, d.h.
auf die Mehrung seiner Macht bedacht war - und nicht auf die
religiöse Misere schaute. Er und sein Anhang waren und sind also nur
waschechte Traditionalisten, deren Position als die von schismatischen,
angeblich rechtgläubigen Rebellen innerhalb der apostasierenden
Reform-'Kirche' anzusiedeln ist. 12)
3.
Weil viele Kleriker nicht willens waren, sich selbst zu exponieren
(weil sie den berühmten Rockzipfel nicht missen wollten) oder weil sie
damit spekulierten, aus taktischen Gründen nicht auf Lefebvre
verzichten zu können - bei voller Klarheit über die Defizite der
theologischen Positionen -, haben sie sich und engagierte Laien im
Windschatten von Lefebvre getummelt. Die Folge war klar: Trotz
theoretischer, d.h. theologischer Aufarbeitung und
Positionsbestimmungen, kam es im praktischen, d.h. pastoral-kirchlichen
Bereich nicht zu der erhofften Konzentration und dem Zusammenschluß der
tatsächlich Rechtgläubigen, überredeten doch die sich an Lefebvre
anklammernden Priester ihre Gläubigen, sich gleichfalls unter diesem
'Dach' zu sammeln. (Ich verzichte darauf, Namen zu nennen!)
4.
Viele Kleriker - und das trifft besonders für die deutschen Geistlichen
zu - engagierten sich nur in begrenztem Maße, um ihre materielle
Absicherung durch die Amtskirche nicht zu gefährden, weswegen es sogar
vokommt, daß solch ein Priester noch immer seinen Gläubigen empfiehlt,
Kirchensteuer an die Reform-'Kirche' zu zahlen!!! Anders als in
Frankreich wurden die Meßzentren in Deutschland ausnahmslos von Laien
aufgebaut - sieht man von der Einladung bestimmter Priester an ganz
kleine Kreise von Gläubigen ab, ihren Maßfeiern in privaten
Räumlichkeiten beizuwohnen.
5.
Vielen Gläubigen wurde in den letzten Dekaden klar, daß der weitere
Fortbestand der Kirche vornehmlich abhängt von einer intakten
Hierarchie. Wenn sich diese entweder verweigert oder untereinander
zerstritten ist, führt ein solcher Zustand - theologisch gesprochen
- zu einem latenten Protestantismus, praktisch: zu
sektiererischer Gruppenbildung - ohne verbindende pastorale Aufgaben.
Viele haben das jämmerliche Schauspiel erleben müssen, wie die Hirten
von ihren Schafen geführt wurden. In dieser führungslosen Zeit ist
verständlicherweise auch die Bereitschaft zurückgegangen, sich mit
vollem Einsatz kirchlichen Aktivitäten zu widmen.
STARTZEICHEN ZUR KONZENTRATION: DER 1. FASTENSONNTAG 1976
Trotz dieser ungünstigen Bedingungen führte schließlich das offiziöse
Verbot der hl. Messe zum 1. Fastensonntag 1976 doch zur spontanen
Bildung von relativ großen Solidargemeinschaften zur Bewahrung des hl.
Meßopfers. Es wurden sog. Meßzentren gegründet, die von örtlichen
Gruppen oder Einzelpersonen eingerichtet und unterhalten wurden.
Wiederum war es EcÔne, das den notorischen Mangel an Priestern zum
bekannten Meßzentrumsklau benutzte - nach dem einfachen Schema:
unterstellst du dich nicht, bekommst du keinen Priester, d.h. erhälst
du keine Sakramente. 13)
1.
Durch die Errichtung der Meßzentren bildeten sich Notgemeinden mit
einer sakramentalen und pastoralen Grundversorgung, die bis heute
weiterbesteht. Leider - und man muß dieses "leider" betonen - blieb es
weitgehend bis heute bei dieser Grundeinrichtung ohne Erweiterung in
reale Kirchengemeinden mit dem Ziel einer umfassenden Restitution
- die offiziöse war als Institution längst apostasiert. Schuld an
dieser Stagnation hatten zum einen die heilsegoistischen Laien (nach
dem Motto: "Nur die alte Messe!"), die vergessen oder nie gewußt
hatten, daß die Sakramentenspendung nur innerhalb der intakten, d.h.
der von Christus und Seinen Stellvertreter-Nachfolgern beauftragten
Kirche erlaubtermaßen erfolgen darf, und zum anderen die Kleriker, die
nur oder hauptsächlich ihre Klientel im Auge hatten und sogar die
Konzeption einer Gesamtrestitution kritisierten, u.a. sogar ein
Bischof, wobei er vergaß, daß er doch seine Konsekration nur
einer solchen Bemühung um die Restitution verdankte.
2.
Trotz dieser mentalen Sperren auf der einen Seite und dem
sektiererischen Egoismus auf der anderen, war es uns Anfang der 80iger
Jahre - also gut vier Jahre nach dem Verbot der hl. Messe - gelungen,
nach längeren Debatten über den Zustand der Kirche, an denen u.a. auch
H.H. Dr. Katzer beteiligt war, S.E.Mgr. Ngo-dinh-Thuc für die
Konsekration mehrerer Bischöfe zu gewinnen, um die inzwischen
gefährdete apostolische Sukzession zu bewahren. Denn entweder waren in
der Zwischenzeit die gültig geweihten Bischöfe gestorben oder in
Häresie bzw. Apostasie gefallen oder die nach dem neuen Ritus
'konsekrierten' waren keine Bischöfe geworden, weil dieser Ritus
in sich ungültig ist.
3.
Trotz dieser mutigen Tat zur Rettung der Kirche, die für
Erzbischof Ngô-dingh-Thuc zur Folge hatte, daß er bis zu seinem
Lebensende ständig auf der Flucht sein mußte und trotz eindringlicher
Ermahnungen an die neu geweihten Bischöfe in Button Rouge / USA, sein
Werk fortzusetzen, waren die Reaktionen darauf so denkwürdig, daß sie
hier nicht unerwähnt bleiben sollen: Anstatt eng zusammenzuarbeiten,
begannen die neu geweihten Bischöfe bald darauf, ihre theologischen und
persönlichen Differenzen offen auszutragen oder Sondermeinungen zu
produzieren wie Mgr. Guérard des Lauriers, der die These vom"Papa
materialiter, non formaliter" erfand, die er kurz vor seinem Tode fast
gänzlich widerrief. Diese Querelen haben im Lager der Sedisvakantisten
für erhebliche Irritation gesorgt, ja dieses Lager sogar zeitweise
wiederum gespalten. Noch heute vertreten die Kleriker von Verrua Savoia
in Italien - ehemalige Ecônisten - mit Vehemenz diese unsinnige
Position, ja sie haben sie sogar zum festen Inventar ihres 'Depositum'
gemacht. 14) Wegen der Vorbehalte gegen die Person von S.E. Mgr.
Ngô-dinh-huc - nach den Weihen von Palmar de Troya vielen suspekt
geworden (zu Unrecht!, wie sich bei nüchterner Betrachtung
herausstellte! - lehnten andererseits eine ganze Reihe von sog.
führenden 'Traditionalisten' 15) diese Konsekrationen ab. Ich denke da
nur an die häßlichen Kampagnen von Père Barbara, der inzwischen seine
Haltung jedoch revidiert hat. Außerdem - und das ist unverzeihlich! -
konsekrierten die neuen Bischöfe ohne gegenseitige Absprache und
Konsultation! Es wurden Bischofsweihen an Personen gespendet, die für
dieses Amt nicht qualifiziert oder durch Hindernisse belastet waren.
Einige von ihnen kann man mit Léon Bloy getrost als "Mitrenständer"
bezeichnen. Diese Disziplinlosigkeit, die eine Konsolidierung nahezu
verhinderte, wurde komplettiert dadurch, daß sich schlichte Sektierer
bzw. Schismatiker, besonders Kleriker, die ihre Sukzession von der
Utrechter Union herleiten bzw. herzuleiten versuchen, und sonstige in
der Tat völlig dubiose Gestalten den Meßzentren erfolgreich als
Kleriker präsentierten und auch aufgenommen wurden.
4.
So kam es, daß sich Clerici vagantes (schlicht: Sektierer) mit den
teilweise geistig spärlich bemittelten oder defizienten Klerikern
eigentlich rechtgläubiger Provenienz, die allerdings wegen ihrer
skurrilen Einstellungen immer am Rande der Häresie und des
Sektierertums dahintrieben, mischten, und in eine diffuse Klerisei
mündeten. Die Grenzen zwischen Sektierern und sog. Rechtgläubigen wurde
immer verschwommener, klare Konturen wurden verwischt. Ich denke da an
die Münchner Verhältnisse im Zentrum des verstorbenen Bischofs Storck,
wo neben einem kopflosen, aber rechtgläubigen Fr. Baird ein Abbé
Cloquel als Seelsorger und Priester eingesetzt ist (mittlerweile
allerdings herausgekündigt von Herrn Filser), dessen kirchlicher Status
unbestimmt und dessen Weihe hinsichtlich ihrer Gültigkeit fraglich ist.
Das Fatale dabei ist, daß die Gläubigen - obwohl sie um die Probleme
wissen - an einer Klärung nicht interessiert zu sein scheinen.
Zusammenfassung
Abschließend muß man sagen: die erwartete Konsolidierung des
sedisvakantistischen Lagers blieb aus. Der einzige Bischof, der trotz
all dieser Querelen noch für das Gesamtwohl der Kirche Sorge trug und
dafür arbeitete - trotz ständiger Bedrohung seines Lebens! - und
überall konsequent unsere Position vertrat, war Mgr. Carmona, der
leider Ende 1991 bei einem Autounfall ums Leben kam. Jemanden, der ihn
ersetzen könnte, sehe ich nicht.
Angesichts dieser dünnen Personaldecke und der latent sektiererischen
Mentalität vieler traditionalistischer Kleriker, die kein oder kaum
Interesse zeigen, auf kirchlicher Ebene zusammenzuarbeiten, ist es
verständlich, weswegen die in unseren Reihen ausgearbeiteten
gründlichen, theologischen Positionen und klaren Programme auf
praktischem Gebiet nicht zu einem Ausbau der Gemeinden und einem
größeren Zusammenschluß führten. (Zum anderen ist gerade der desolate
Zustand im Bereich der praktischen Seelsorge schuld daran, daß viele
Gläubige resigniert haben und in die innere Immigration gegangen sind.)
Ich erwähne noch die beiden Abenteuer einer sog.' Papstwahl' von Herrn
Bawden und Frau Gerstner, die aber weniger Schaden angerichtet haben,
als manche befürchtet hatten. Beide Unternehmungen mußten scheitern,
weil diese Aktionen theologisch wenig durchdacht waren. (Eine sinnvolle
Durchführung erscheint mir zur Zeit auch wegen theoretischer,
personeller und organisatorischer Probleme nicht möglich zu sein.) Aber
dies als Bemerkung ins Stammbuch all derjenigen, die das Problem der
Restitution der Kirche als Bastelei an den Organisationsformen abtun:
sie wollen nicht wahrhaben, daß die Kirche von Christus als
Heils-Institution geschaffen wurde, durch welche legitimerweise
eine Heilsvermittlung überhaupt erst laufen kann. 16)
AUFGABEN UND ZIELE UNSERER ZEITSCHRIFT
Welche Rolle spielte und spielt die vom Freundeskreis herausgegebene
Zeitschrift, welche Aufgaben hatten dessen Mitglieder in der gesamten
Auseinandersetzung gespielt? Die Gründung der EINSICHT war 1971
erforderlich geworden, nachdem DAS ZEICHEN MARIENS, welches bis dahin
zum Organ der wirklich orthodoxen Gegener des aufstrebenden
nachkonziliaren Reformismus im deutschsprachigen Raum geworden war -
u.a. waren darin einige richtungsweisende Beiträge von Herrn Dr. Lauth
erschienen - nach dem Erhalt einer immensen Spende ( ca 1/2 Millionen
DM) von Baron S.N. seinen orthodoxen Kurs aufgab und zum
Apparitionisten-Blättchen degradierte. (Ich verzichte darauf, den
Zusammenhang zwischen Spende und Kursänderung kausal zu rekonstru-ieren
und zeichne mit der temproären Beziehung nur das zeitliche Nacheinander
auf.)
1.
Nach dieser "Ernüchterung", die nicht nur einen erheblichen Rückschlag
darstellte, sondern zugleich signalisierte, daß an der Beseitigung
eines qualifizierten Widerstandes recht 'flüssige' Kräfte wirkten, war
zur Fortführung der Aufklärung gegen die Reformer ein Kampfblatt nötig
geworden, welches von der inhaltlichen Seite gezielt und theologisch
präzise recherchierte, ohne Rücksicht auf Personen und ohne Angst
vor eventuellen Sanktionen, zum anderen aber von der Organisationsform
her finanziell möglichst unabhängig, d.h. nicht 'anfällig' für den
Bedarf größerer finanzieller Mittel sein sollte. So erschien die
EINSICHT in ihrer äußeren Aufmachung eher bescheiden, inhaltlich aber
war sie hoch brisant. Es wurden Themen und Probleme aufgegriffen und
einer Lösung zugeführt, die von den meisten anderen Gruppen erst
Jahre später behandelt wurden: Verhältnis von Dogma und Kirchenrecht,
Verhältnis von Glaube und Vernunft, Meßfrage, Sedisvakanz, Ungültigkeit
der neuen sog. Sakramentsriten, Kritik am und Abrücken vom
Lefebvrismus, Restitution der Kirche als Heilsinstitution, pastorale
Hilfen für die spezifischen Situationen und Vertiefung des
Glaubensgutes durch katechetische Unterweisungen. Es ist klar, daß man
in dieser exponierten Stellung nur mit wenigen Freunden rechnen
kann: man wird sowohl von Progressisten wie von Traditionalisten als
Störenfried betrachtet, der "lieblos" - eine gern benützte
Unterstellung, wenn wir Kritik an häretischen Klerikern übten -,
"anmaßend und arrogant" als Schreibtischtäter sein Unwesen treibt.
2.
Die teils gehässigen Kampagnen, die gegen die in der EINSICHT
vorgetragenen Thesen entfacht wurden, konnten eines nicht verhindern:
daß sich nämlich die bezogenen Positionen - von anderen Kreisen
mittlerweile mitgetragen - allmählich weltweit durchsetzten. Und das
war und ist eigentlich immer das Entscheidende für uns und unsere
Arbeit gewesen: das Sich-Durchsetzen der Argumente! Wenn ich noch eine
Bemerkung zu meiner inzwischen über 20-jährigen Zeit als Redakteur
machen darf: ich war eigentlich voller Hoffnung auf eine Besserung der
kirchlichen Zustände, nachdem S.E. Mgr. Ngô-dinh-Thuc die ersten
Bischöfe geweiht hatte. Leider trat die erwartete Salvierung der
Verhältnisse aus den vorher geschilderten Gründen nicht ein. Nachdem
ich dieser Selbstzerfleischung mehr oder weniger ohnmächtig zusehen
mußte, habe ich mich mehr und mehr darauf konzentriert, aus einer
sachlichen Differenz das Handeln der Kleriker zu betrachten, nüchtern
zu beurteilen und - wenn nötig - auch zu kritisieren. Denn ich konnte
und kann meine Aufgabe des Redakteurs einer religiösen Kampfschrift
(mit pastoraler Frontbetreuung) nicht darin sehen, Lächerlichkeiten,
Absurditäten, Amts- und Sakramentsmißbrauch und Ungeheuerlichkeiten zu
decken, nur weil sie von Personen begangen werden, die angeblich im
eigenen Lager stehen, in der Hoffnung, so größeres Unheil für die
Kirche, für unsere eigenen Anstrengungen, die Gott uns tun läßt, zu
verhindern. Wenn darin gewisse Kleriker vielleicht ein den
Gewerkschaften ähnliches Verhalten erblicken, so sollen sie wissen, daß
sie da so falsch nicht liegen.
3.
Vor einiger Zeit erhielt ich von einem Leser einen Brief, in dem er
vorwurfsvoll fragte, warum wir denn solch kritische Stellungnahmen, die
nur die Betreffenden brüskierten, veröffentlichen würden. "Jahrelang",
so tadelte er, "wettern Sie nun schon gegen Preister, Bischöfe,
Meßzentren, gegen Laien und gegen was weiß ich wen alles. Das Dumme
dabei ist, daß keine dieser Personen sich von Ihnen etwas sagen lassen
will! (...) Wahrhaftig, Sie sind nicht beliebt bei den Klerikern und
den Verantwortlichen der Meßzentren." Man kann die Vorwürfe auch
dahingehend zusammenfassen: die EINSICHT und ihr verantwortlicher
Redakteur betreiben Nestbeschmutzung. Dazu ist zu sagen: Eine solche
Interpretation, eine solche Sichtweise hieße, die Dinge auf den Kopf zu
stellen: das Nest ist nicht schmutzig, weil die EINSICHT darüber
berichtet, sondern sie berichtet, weil es schmutzig ist. Wenn schon auf
vorhandene Schandflecken hingewiesen wird, dann doch nur deswegen, um
die Beschmutzer auf die nötigen Aufräumarbeiten hinzuweisen. Ich weiß
nicht, worin der Briefschreiber die Rolle eines kritischen Journals
sieht. Es ist wenig sinnvoll und hilfreich, aus lauter Parteilichkeit
die Augen vor dem Versagen im eigenen Lager zu verschließen und es
zu verschwei-gen, denn diese bewußte Blindheit, dieses
Sich-Verschließen vor der häßlichen Wirklichkeit, dieses beliebte
Verdrängen begünstigt nur noch größere Verfehlungen und Entgleisungen,
die schließlich die Basis für unseren Glaubenseinsatz zerstören würden.
Und ich sehe keinen Grund, von diesem Konzept abzurücken, nur damit ein
altes Tantchen, pardon ein junger, eingebildeter, arroganter
Traditionalist ungestört bei einem ausgewiesenen Sektierer oder
dubiosen Priester (oder 'Priester') seinem Heilsegoismus ungestört
frönen kann. Episteln wie die zitierte lese ich mit viel Geduld!
ZUSAMMENFASSUNG
Wenn wir uns am Schluß dieser unfreudlichen Betrachtungen nicht einfach
in den Sessel fallen lassen wollen und uns fatalisTisch mit den Worten
Christi begnügen wollen, daß nämlich "die Pforten der Hölle die Kirche
nicht überwältigen" ("non praevalebunt" - Matth. XVI, 18), denn als
Beruhigungspille und als Anweisung zur selbstgenügsamen Apathie wurde
uns diese Prophezeiung nicht gegeben! - noch einmal auf unser
Thema der Bewahrung der Kirche - der wahren wohlgemerkt!, die wir ja
nicht als "Auslaufmodell" betrachten wollen - zurückkommen, dann heißt
das unter den geschilderten Umständen:
1.
Wir alle müssen enorme geistige Anstrengungen vollbringen, da die
Auseinandersetzung, in der wir uns befinden, eine vornehmlich geistige
ist, ein geistiger Kampf, den der verstorbene Herr Dr. Disandro als
"semantischen Krieg" bezeichnete, in dem die bekannten rechtgläubigen
Glaubensvorstellungen terminologisch - d.h. unter Beibehaltung der
gleichen Termini - mit anderen begrifflichen Inhalten besetzt werden,
um so unsere Vorstellung von Gott, von seiner Offenbarung zu
verfälschen. Und diese Auseinandersetzung ist deshalb vornehmlich mit
Argumenten zu führen. D.h. negativ gesprochen (um ein plastisches
Beispiel zu gebrauchen) es nutzt nichts, wenn wir sozusagen Johannes
Paul II. von seinem römischen Sitz stoßen, um dort einen Linus II. zu
plazieren. Mit einer solchen Aktion - per impossibilem gesprochen -
wäre nichts gewonnen. Sondern: wir müssen daraufhin arbeiten, daß sich
durch unsere Aufklärungsarbeit einerseits die Auffassung vom
Glaubensabfall der Hierarchie durchsetzt und zum anderen Aktionen
hinsichtlich einer eventuellen Papstwahl vorher gründlich
recherchieren.Wir müssen uns zum einen besonders in Fragen der
christlichen Lehre weiterbilden, um dieses Wissen lebendig an andere
weitergeben zu können. D.h. wir müssen unser Wissen leben, damit
Christi Wille in unserem Tun sichtbar wird, d.h. zum anderen: wir
sollen missionarisch wirken, Propaganda machen für Christi Lehre, für
Seine Kirche, Seine Heilseinrichtungen. Wir sollen also unter diesen
heutigen Umständen, die von uns etwas mehr fordern als nur die
Erfüllung unserer sprichwörtlichen Christenpflicht, in Geduld
festhalten an der ewigen Offenbarungswahrheit und für diese lebendige
Wahrheit Zeugnis ablegen.
Auch wenn der Gedanke vielen fremd sein dürfte: wir sollten unseren
Mitmenschen als Verkörperung eines bestimmten Prinzips gelten.
Solschenizyn beschreibt einmal die Geschichte einer russischen Bäuerin,
die schließlich bei einem tragischen Unfall ums Leben kommt. Nach ihrem
Tod merken die Menschen im Dorf, was diese ältere Frau für sie
verkörperte: die Gerechtigkeit: Ähnlich sollten unsere
Mitmenschen erfahren, für welches christliche Prinzip jeder einzelne
von uns nach seinen jeweiligen Kräften und Möglichkeiten steht: für
lebendige Glaubensüberzeugung, für Mitgefühl, für Güte, für
Barmherzigkeit.
Manche machen einen recht bedrückten Eindruck ob der Aussichtslosigkeit
auf Erfolg. Wenn man nur darauf schaut, muß man sagen, Christi
Erdenleben war - gemessen an den Kriterien des meßbaren Erfolges -
anscheinend doch eher ohne große Resultate: bei seiner Festnahme
verließen ihn die letzten Getreuen, dann noch die Verleumdung durch
Petrus... Ich meine, man kann Erfolg in dem Sinne nie manipulieren, er
hängt von so vielen Faktoren ab, die wir nicht im Griff haben. Aber wir
können Verkörperung meinetwegen der Barmherzigkeit, besser noch der
Demut sein, einer wahrhaft christlichen Tugend! Und wir sollten
Vertrauen darin haben, daß diese durch uns für andere aufgeht wie ein
Samenkorn und wir so Frucht bringen. Vielleicht sind wir schon dadurch
unseren Mitmenschen eine Hilfe, daß sie sehen, wie wir unbeirrt mit
Geduld und Gleichmut auch gegen die Meinung der ganzen Welt an unserer
Glaubens-Position in aller Bescheidenheit festhalten, obwohl sie sie
vorerst nicht teilen.
2.
Abgesehen von diesen Aufgaben und Zielen, die mehr den persönlichen
Bereich betreffen, gilt es nach wie vor an der theoretischen
Aufbereitung der gesamten theologischen und kirchlichen Misere zu
arbeiten, um klare Sachverhalte aufzustellen und die
Glaubenswahrheiten, die vom vielen Geschwätz, von Arroganz und Ignoranz
besudelt sind, wieder klar erstrahlen zu lassen. Es gibt noch eine
ganze Reihe von Problemen zu lösen: die Konstitution der Kirche als
sichtbare Heilsinstitution, ihre Restitution, Erarbeitung
religionsphilosophischer Grundlagen - auch zur eigenen Aufklärung,
ständige Auffrischung und Durchdringung der dogmatischen
Glaubenswahrheiten, Eingehen auf die zeitgenössischen Strömungen und
Theoreme.
3.
Darüber hinaus geht es darum, an der Restitution der Kirche als
Heilsinstitution weiterzuarbeiten. Einen eventuellen Heilsegoismus, der
nur danach trachtet, wie er mit Sakramenten versorgt wird, d.h. wie er
sich Heilsmittel billig aneignen kann, sollten wir schnellstens
verabschieden. Es wurde bereits ausgeführt, daß der Sakramentenempfang
legitimerweise nur innerhalb der von Christus gestifteten Kirche
gestattet ist. Auch wenn heute vieles innerhalb der (Rest)Kirche
desolat ist und so schnell auch keine Aussicht auf eine Behebung
bestimmter Mängel vorhanden ist (z.B. auf die Wiederbesetzung des
päpstlichen Stuhles - die diesbezüglichen gräßlichen Abenteuer sind
hinlänglich bekannt), so können wir doch hoffend eine Restitution
antizipieren und zum anderen auch durchführen (wollen), wenn sich eine
Gelegenheit dazu bietet. So kann z.B. ein Priester in dieser
Sedisvakanz die hl. Messe legitimerweise feiern, wenn er die
Restitution der Kirche antizipiert. Er würde sie aber unerlaubterweise
feiern, wenn er sich nicht als Glied der Kirche, sondern sich nur als
Privatperson sehen würde im Besitz der Macht, die Wandlung zu
vollziehen. Ein Gläubiger darf nur bei einem Priester die Sakramente
empfangen, der die Restitution antizipiert, ohne Gefahr zu laufen, als
Sektierer angesehen zu werden, wenn er selbst ebenso die Restitution
der Kirche im Auge hat und daran arbeitet bzw. Aktivitäten, die in
diese Richtung gehen, unterstützt. 17)
4.
Schließlich müssen wir auch daran denken, daß wir nicht bloß nach innen
hin wieder ein Haus aufbauen, sondern auch Fassaden errichten - um es
bildhaft darzustellen - gegenüber dem gesellschaftlichen Raum, in dem
wir leben, und unsere Identität in der Gesellschaft definieren.Um das
Problem zu skizzieren: Wie wollen wir uns auf öffentlichen Behörden und
Institutionen als röm.-kath. Christen ausweisen? Wenn wir keine
Kirchensteuer zahlen, gelten wir als a-religiös, als bekenntnislos.
Zahlen wir aber Kirchensteuer, haben wir zwar das Ettiket eines
röm.-kath. Christen, gehören aber dann in Wahrheit der abtrünnigen sog.
Reform-'Kirche' an! 18) Und niemand - kein Richter, kein Finanzbeamter
- wird den Unterschied und die Abgrenzung in dogmatischen Fragen
verstehen oder darauf eingehen. Es gibt nur eine Lösung, wie wir aus
diesem Dilemma herauskommen können: Wir müssen auch eine eigene
Rechtsidentität, einen eigenen rechtlich fixierten Status qua
Kirchengemeinschaft als Abgrenzung nach außen finden, d.h. wir müssen
aufhören, "stumme Hunde" zu sein. Als wahre Christengemeinschaft müssen
wir uns auch eine Rechtsform zulegen. 19)
NACHTRAG
Noch ein Wort an die Kleriker - in aller Zurückhaltung (von jemandem,
der in den letzten Jahrzehnten viel mit ihnen zusammengearbeitet hat
und der unverdientermaßen das Glück hatte, daß großartige Priestern und
Bischöfen mit ihm zusammenarbeiteten). Sie sollten sich gelegentlich
daran erinnern, daß die Mutter Gottes in La Salette als einzigen Stand
den der Priester mit deutlichen Worten kritisiert hat. Auch sollten sie
nicht vergessen, daß der jetzige Abfall eingeleitet wurde durch eine
"Revolution von oben". D.h. wenn sie sich an den derzeitigen
Auseinandersetzungen im Sinn der Bewahrung der Glaubensgüter beteiligen
wollen, sie auch immer daran denken sollten, das Ansehen ihres Standes
als Priester wieder zu rehabilitieren. Der hl. Papst Gregor d. Gr.
schreibt in seinen "Pastoralregeln": "Niemand maßt sich an, eine Kunst
zu lehren, bevor er dieselbe mit aufmerksamer Sorgfalt erlernt hat. Wie
groß ist also die Verwegenheit jener, die unerfahren und ununterrichtet
ein Hirtenamt übernehmen, da die Seelenleitung die größte Kunst, die
Kunst der Künste ist! Denn wer wüßte nicht, daß die Seelenwunden tiefer
liegen als die Wunden des Leibes? Und doch gibt es viele, welche die
Gesetze des Geistes gar nicht kennen, sich aber trotzdem nicht scheuen,
für Seelenärzte sich auszugeben, während sie sich schämen würden, für
leibliche Ärzte zu gelten, ohne die Kraft der Arzneien zu kennen." (1.
Kapitel). An einer anderen Stelle mahnt er: "Darum klagt der Herr durch
den Propheten über die bejammerswerte Wissenschaft der Hirten: 'Nachdem
ihr das klarste Wasser getrunken, habt ihr, was übrig blieb, mit euren
Füßen getrübt. So hatten meine Schafe zur Weide, was eure Füße
zertraten, und was eure Füße trübten, das tranken sie' (Ez 34,18 f.)
Das reinste Wasser trinken die Hirten, wenn sie die Ströme der Wahrheit
in richtigem Verständnis in sich aufnehmen - sie 'trüben jedoch dieses
Wasser mit den Füßen', wenn sie die Erkenntnisse heiliger Betrachtung
durch ein schlechtes Leben zu Grunde richten. Die Schafe aber, d.i. die
Untergebenen, 'trinken das durch die Füße der Vorgesetzten getrübte
Wasser', indem sie nicht den Worten folgen, die sie hören, sondern nur
die schlechten Beispiele nachahmen, die sie sehen." 20)
In der heutigen Situation kann sich kein Priester mehr erlauben,
gegenüber den Gläubigen die sprichwörtliche klerikale arrogante Haltung
einzunehmen, um selbst abgehoben in irgendwelchen Wolken zu schweben -
weit weg von den peinlichen Realitäten, mit denen sich die Laien
beschäftigen sollten. Es klang in diesen Ausführungen schon an, daß der
Großteil der bisherigen Widerstandesarbeit von Laien geleistet wurde.
Es wäre endlich an der Zeit, daß sich die Priester und Bischöfe
untereinander verständigten, ihre Zurückhaltung und Abstinenz aufgäben
und sich in der theologischen Auseinandersetzung und dem Wiederaufbau
führend engagieren würden, d.h. sich u.a. auch mit den konkreten
Problemen dieser Zeit, mit den Nöten der Menschen beschäftigen würden.
Das Tragen einer Soutane ist weder Ersatz für fehlende Argumente
noch für fehlendes Mitleid, Barmherzigkeit oder Güte. Denn würde dieses
Engagement fehlen, herrschte immer noch diese alte Überheblichkeit vor,
dann würde das Tragen einer priesterlichen Kleidung nicht als Bekennen
des Glaubens und des Standes in der Öffentlichkeit gewertet, sondern
wäre ein Ärgernis und würde als Symbol der Überheblichkeit erscheinen.
Die Kleriker sollten sich m.E. um eine wirkliche, auch reflexiv
aufgearbeitete Glaubensüberzeugung bemühen und den Glauben nicht bloß
als aufgebürdetes Traditionsgepäck betrachten, in das man keine
Einsicht genommen hat und welches es nun einmal mitzuschleppen gilt.
Sie sollten versuchen, sich den realen Gefahren zu stellen und sie zu
bewältigen versuchen, wobei sie durchaus die Zusammenarbeit mit den
Laien suchen sollten. Der geistig-moralische Hort, den die Kirche den
Gläubigen einmal bot, fehlt weitgehend oder ist nur noch in Ansätzen
vorhanden, die kaum Zuversicht einflößen. Die Gläubigen, aber auch die
Menschen unserer Zeit, die zwar weniger aufmerksam die Wegwanderung von
Gott verfolgen, aber dennoch auch von den Folgen betroffen sind,
vereinsamen oder resignieren ebenso. Auch sie sehen sich ständig mit
Problemen konfrontiert, zu deren Lösung sie sich häufig außerstande
sehen: die Sachverhalte zu komplex, die Hintergründe undurchschaubar!
Man muß hier auch auf die verachtete Jugend hinweisen, die mit leeren
Taschen dasteht und häufig, anstatt Nestwärme von den Eltern erfahren
zu haben, vom Fernsehen 'erzogen' wurde. Die Anfechtungen durch
vehemente, aggressive Ideologien (z.B. New Age) - durch
geschickt manipulierte Propaganda als das eigentliche
Christentum vorgestellt - sind für uns alle sehr groß. Wenn die
Priester den Gläubigen in diesen Bereichen einmal Sicherheit verleihen
könnten, Zuversicht ausstrahlten, daß aus dem Glauben heraus
tatsächlich die entscheidenden Probleme des Lebens zu meistern sind,
dann wäre schon viel gewonnen und ein erster Schritt in Richtung einer
pastoralen Konsolidierung getan.
Anmerkungen:
1) Wenn die heutigen Kleriker und Gläubigen mit ihrer religiösen und
moralischen Einstellung und ihrem Engagement die Geschicke der Kirche,
auch in dem kleinen Kreis, den man als Rest-Kirche bezeichnen kann,
führen sollten, dann wäre sie nach 10 oder 20 Jahren in der Tat ein
Auslaufmodell. Soviel Irrsinn und Aberwitz wie heute - im sog.
Widerstand - gibt es sonstwo nicht: Kampf gegen die Leute, die führend
die Positionen formuliert haben, die man aber der Untreue gegen die
Kirche bezichtigt, weil sie eine wissenschaftliche Philosophie
vertreten.
2) Ich erinnere hier nur an das Verhalten von sog. konservativen,
aufgehetzten, teilweise auch akademisch gebildeten Gläubigen, selbst
von Lesern dieser Zeitschrift, die die Durchformung der Philosopie seit
Descartes, Kant und Fichte als Ketzerei abtun, ohne je eine einzige
Zeile dieser Autoren gelesen zu haben.
3) Ich darf hier anmerken, daß es einer erheblichen Korrekturarbeit
bedurfte, um Fehlvorstellungen dieser Art, die den Gläubigen wiederum
in der Beichte unterbreitet wurden, die sie bei sog. Ecôneisten
ablegten, wieder auszuräumen.
4) An früherer Stelle hatte ich bereits das Beispiel (das eigentlich
das Verhalten der Amerikaner in wirtschaftlichen Prozessen schildern
sollte, welches aber auch auf unsere Situation anwendbar ist) von einem
Frosch gebracht, der in einem Topf mit Wasser sitzt: würde man das
(kalte) Wasser langsam erhitzen, würde der Frosch nicht merken, wann es
für ihn zu heiß wird, er würde in dem siedenden Topf umkommen. Würde
man den aber den Frosch in den Topf mit heißem Wasser werfen, würde er
sofort wieder herausspringen. So ergeht es auch vielen Zeitgenossen:
sie merken nicht, daß bereits größte Düsterkeit um sie herrscht, weil
das "Licht" unmerklich verlosch.
5) N.b. heute, d.h. in einer Zeit konkurrierender Religionen und
Weltanschauungen, wird wiederum übersehen, daß es allein schon aus
religionspädagogischen Gründen für jeden angehenden Kleriker dringend
erforderlich ist, sich um eine systematisch abgeklärte und
wissenschaftlich fundierte Religionsphilosophie bemühen zu müssen, um
entsprechende Fragen nach der Wahrheit des christlichen Glaubens
überhaupt adäquat beantworten zu können. Die philosophischen
Anstrengungen sind nicht eine Sache der persönlichen Neigungen, sondern
eine absolut notwendige Pflichterfüllung und eine Angelegenheit des
religiösen Überlebens!!
6) "Thelogisches", Okt. 95, p. 456. - N.b. dieser Auflösungsprozeß im
Lager der Reformer, diese innere Selbstzerstörung kann für uns kein
Grund zur Freude oder Genugtung sein, denn hinsichtlich einer möglichen
Re-Christianisierung von Personen, deren vormals christlicher
Glaubensinhalt systematisch pervertiert wurde, wird das Trümmerfeld,
welches es aufzuräumen gilt, immer größer.
7) N.b. von Storck existiert nicht einmal ein einziges
Positionspapier - ähnlich der "Declaratio" von S.E. Mrg.
Ngô-dinh-Thuc, der sich die amerikanischen und südamerikanischen
Bischöfe anschlossen - , auf welches sich die von ihm geweihten
Priester beziehen können, um ihre pastoralen Aktivitäten in
theologischer und kirchenrechtlicher Hinsicht legitimieren zu können.
8) Es wird sich zeigen, daß sich diese klerikale Abstinenz bei der Problembewältigung auf praktischem Gebiet fortsetzt.
9) Auch wenn diese "Declaratio" nicht ex officio, sondern ex caritate
abgegeben wurde, hat sie dennoch öffentlich-verbindlichen Charakter für
die Gläubigen... und natürlich auch für die zensierten Personen.
10) Wenn nicht aus anderen Gründen, auf die ich noch zu sprechen komme,
wiederum diese Sedisvakantisten sich selbst zur Unbedeutsamkeit selbst
verstümmelt hätten, hätte diese Position zu der führenden der heutigen
Gegen-Reform werden können.
11) Der Kampf gegen die Wahrheit ging bei Lefebvre so weit, daß er
diejenigen, die sich zu einer Überzeugung durch-gerungen hatten, mit
seinem ganzen Haß verfolgte, wobei er nicht davor zurückschreckte, auch
die physische Existenz der Betroffenen zu tangieren oder zu bedrohen.
Prominentestes Opfer dieser Art der Verfolgung der angeblichen
Glau-bensbrüder war H.H. Dr. Katzer.
12) Was wir als wahre Kirche von dieser Organisation lernen könnten: eine straffe Führung und Unterordnung, Kooperation.
13) Ich erinnere an diese weltweit betriebenen Erpressungsversuche -
vielfach 'erfolgreich' - , um noch einmal zu belegen, daß es Ecône
nicht primär um Religion, sondern um Machtentfaltung ging. Lefebvre
hatte dafür in der Person von Schmidberger, einem ehemaligen
Mitstreiter dieser Zeitschrift, ein mehr als nur willfähriges
Instrument.
14) Diese Gruppe ist deswegen für eine Lösung der kirchlichen Situation unzugänglich.
15) Manche Traditionalisten verwechseln Glaubenstreue mit geistiger
Faulheit. Man gewinnt den Eindruck, daß sie nicht aus Überzeugung an
der Tradition festhalten, sondern weil sie unfähig sind, die modernen
(in der Tat: häretischen) Positionen überhaupt zu begreifen. Ihre
Intransingenz bezieht sich nicht auf die Unveränderlichkeit des
Glaubensin-haltes, sondern auf eine (meist historisch) festgelegte Form
oder Ausprägung. Auch sie tragen ihr gerütteltes Maß an Schuld am
Untergang mit, weil sie nicht geistige Lebendigkeit vermitteln, sondern
Starre, den geistigen Tod.
16) N.b. in diesem Zusammenhang war auch die Einführung der
theologischen Begriffe der "missio" (Verbreitung des Evangeliums) und
der "sessio" (Amtssitz) durch S.E. Mgr. Guérard des Lauriers als bloßes
Gegensatzpaar zur Ermittlung der erlaubterweise durchzuführenden
Aufgaben für einen Priester oder einen Bischof unter den gegebenen
Umständen wenig hilfreich: die Durchführung der "missio" kann nämlich
legitimerweise auch nur Aufgabe eines Priesters sein, der im Auftrag
der Kirche als Institution (sessio) handelt - wobei das Problem der
Amtsinhabe unter den heutigen Bedingungen noch einer eigenen Erklärung
bedarf. Trennt man die missio von der sessio, landet man eo ipso im
Sektierertum.
17) Ein Priester würde ohne diese ausdrückliche Intention dem Sektierertum verfallen und die Gläubigen ebenso.
18) Es soll hier keine Kirchensteuerdebatte geführt werden. Natürlich
zahlen wir keine, weil wir uns nicht noch mit unseren Gütern am Ruin
beteiligen wollen. Aber man muß zugeben, daß es nicht leicht ist, aus
dem Dilemma von öffentlicher Anerkennung und eigener
Glaubensüberzeugung herauszukommen.
19) Wir arbeiten gerade daran, wie diese aussehen könnte. Das Ergebnis
werden wir Ihnen vorlegen. Allerdings werden wir den Status einer
Körperschaft des öffentlichen Rechts, wie ihn die sog. 'Konzils-Kirche'
besitzt, so schnell nicht erhalten.
20) Vgl. "Des hl. Papstes Gregorius des Großen Pastoral-Regel" hrsg.
und kommentiert von Dr. Benediktus Sauter O.S.B., Freiburg 1904, S. 6
u.10 f.
***
Über den hl. Pius X.
Aus einem Brief vom 10.7.1913:
"Ein anderer Schmerz, der mich viel mehr erregt und mich in Angst
versetzt, ist die erschreckende Verbreitung des Modernismus, besonders
bei den Welt- und Ordensgeistlichen. Bei den wenigsten handelt es sich
um theoretischen, bei den meisten aber um den praktischen Modernismus,
der dieselben Folgen wie der erstere nach sich zieht: Schwächung und
schließlich völliger Verlust des Glaubens. Oh! dies ist der
schrecklichste Gegner, welcher der Kirche und dem Papst zusetzt. Die
Gutgesinnten müssen ihn bekämpfen, um das Glaubensgut rein zu bewahren
und so viele Seelen, die in ihr Verderben rennen, zu retten. Bitten wir
den Herrn, Er möge Seiner Kirche bessere Zeiten gewähren."
(aus: Nello Vian: "Briefe des heiligen Pius X." Freiburg 1960, S. 241.)
***
Gebet
von Kardinal Newman
Mein Gott und mein Heiland, bleibe mir! Wenn Du ferne sein wolltest,
müßte ich welken und verdorren. Ich kann Dich nicht halten; nur bitten
kann ich Dich, daß |