ÜBER DIE VEREHRUNG DES KREUZES
vom
hl. Cyrillus von Jerusalem
Der katholischen Kirche ist zwar jede Tat Christi Gegenstand des
Ruhmes. Gegenstand höchsten Ruhmes aber ist das Kreuz. In dieser
Erkenntnis sagt Paulus: "Ferne sei es von mir, mich zu rühmen, es sei
denn im Kreuze Christi !" (Gal. 6,14.) Etwas Wunderbares war es, daß
einer, der von Geburt aus blind war, im Teiche Siloa das Augenlicht
erhielt (Joh. 9.7.). Doch was ist der Eine gegen die Blinden der ganzen
Welt? Etwas Großes, Übernatürliches war es, daß Lazarus, der schon den
vierten Tag tot war, von den Toten auferstand (Joh. 11,39 ff.). Doch
nur an ihm hatte sich die Gnade geoffenbart. Was aber ist der eine
Lazarus gegenüber denen, die auf dem Erdkreis durch ihre Sünden
gestorben sind? Es war ein Wunder, daß fünf Brote zur Ernährung von
fünftausend Mann hinreichten (Matth. 14,21.). Doch was sind diese
fünftausend gegenüber denen, welche auf dem ganzen Erdkreis Hunger
leiden, weil sie in Unwissenheit leben? Wunderbar war die Befreiung des
Weibes, welches achtzehn Jahre vom Satan gefesselt war (Luk. 13,11.
13.). Aber was ist dieses eine Weib gegenüber uns allen, welche wir von
den Ketten unserer Sünden gefesselt sind? Der Siegeskranz des Kreuzes
hat den geistig Blinden Licht gebracht, hat alle, die unter der Sünde
darniederlagen, befreit und die ganze Menschenwelt erlöst.
Wundere dich nicht, daß die ganze Welt erlöst wurde! Denn der, welcher
für sie starb, war kein gewöhnlicher Mensch, sondern der eingeborene
Sohn Gottes. Die Sünde eines einzigen Mannes, des Adam, vermochte der
Welt den Tod zu bringen. Wenn aber durch den Fall des einen der Tod zur
Herrschaft in der Welt kam, soll dann nicht noch mehr das Leben zur
Herrschaft gelangen durch die gerechte Tat des Einen? (Vgl. Rom. 5,12
ff.) Wenn seinerzeit die Stammeltern aus dem Paradiese vertrieben
wurden wegen des Holzes, von dem sie gegessen hatten, sollten nicht die
Gläubigen jetzt leicht in das Paradies eintreten wegen des Holzes Jesu?
Wenn der, welcher zuerst aus Erde gebildet worden war, allen den Tod
gebracht hat, sollte dann nicht der, welcher ihn aus Erde gebildet
hatte, ewiges Leben bringen, da er selbst das Leben ist? Wenn Phinees,
welcher in seinem Eifer den Schandbuben getötet hatte, den Zorn Gottes
besänftigte (Num. 25,6 ff.), sollte Jesus, der nicht einem Fremden das
Leben nahm, sondern sich selbst als Lösepreis hingab nicht den Zorn
gegen die Menschen beseitigen?
Wir wollen uns also nicht des Kreuzes des Erlösers schämen, sondern uns
vielmehr desselben rühmen! Die Kreuzeslehre ist zwar den Juden ein
Ärgernis und den Heiden Torheit, uns jedoch Erlösung; sie ist denen,
die verloren gehen, Torheit, uns aber, die wir erlöst werden, Kraft
Gottes (Vgl. 1. Kor. 1,18. 23.). Denn der für uns gestorben ist, war -
wie gesagt - nicht ein gewöhnlicher Mensch, sondern Gottes Sohn, der
Mensch gewordene Gott. Wenn das Lamm, welches im Auftrage des Moses
geschlachtet wurde, den Verderber fernhielt (Vgl. Exod. 12,23.), sollte
dann nicht vielmehr das Lamm Gottes, das die Sünden der Welt auf sich
nahm, von Sünden befreien? Wenn das Blut des unvernünftigen Lammes Heil
wirkte, soll dann nicht vielmehr das Blut des Eingeborenen Heil
bringen? Wer nicht an die Macht des Gekreuzigten glauben will, möge bei
den Dämonen anfragen! Wer den Worten nicht glauben will, glaube den
offenkundigen Tatsachen! Auf der weiten Welt sind schon viele
gekreuzigt worden, doch vor keinem zittern die Dämonen. Da aber
Christus für uns gekreuzigt worden ist, erschrecken die Dämonen, wenn
sie nur schon das Zeichen des Kreuzes sehen. Während nämlich die einen
sterben mußten wegen ihrer eigenen Sünden, ist er für fremde Sünden
gestorben. "Denn keine Sünde hat er getan, und kein Betrug ist gefunden
worden in seinem Munde" (Is. 53,9; 1 Petr. 2,22.). Nicht Petrus war es,
der diese Worte gesprochen hatte; von ihm könnte man vermuten, daß er
sie aus Schmeichelei gegen seinen Meister gesprochen habe. Isaias hat
sie gesprochen; dem Fleische nach hatte er zwar nicht mit ihm verkehrt,
doch im Geiste hatte er seine Ankunft im Fleische vorhergeschaut. Doch
soll ich jetzt nur einen Propheten als Zeugen zitieren? Auch an Pilatus
hast du einen Zeugen; bei der Verurteilung Jesu hatte er erklärt: "Ich
finde keine Schuld an diesem Menschen" (Luk. 23,14.) - Als er ihn
auslieferte, wusch er seine Hände und sprach: "ich bin unschuldig an
dem Blute dieses Gerechten" (Matth. 27,24.). Noch einer ist Zeuge für
die Sündelosigkeit Jesu, nämlich der Räuber, welcher als erster in das
Paradies einging. Er macht seinem Genossen Vorhalt mit den Worten: "Wir
empfangen, das, was wir für unsere Taten verdienen. Dieser aber hat
nichts Böses getan (Luk. 23,41.); denn wir, ich und du, waren bei der
Gerichtsverhandlung zugegen."
Jesus hat also in Wahrheit für alle Menschen gelitten. Das Kreuz war
kein Wahn, sonst wäre ja auch die Erlösung Wahn. Nicht war der Tod
Einbildung; denn sonst wäre unser Heil Einbildung; dann hätten jene
Recht, die sagten: "Wir erinnerten uns, daß jener Verführer, da er noch
lebte, erklärte: Nach drei Tagen werde ich auferstehen" (Matth.
27,63.). Er hat wahrhaft gelitten, er ist wahrhaft gekreuzigt worden,
und nicht leugne ich es. Vielmehr bin ich stolz darauf, davon zu
sprechen. Wollte ich es jetzt leugnen, so würde mich der Golgatha hier,
in dessen Nähe wir alle weilen, zurechtweisen, zurechtweisen würde mich
das Kreuzesholz, dessen Partikel bereits in der ganzen Welt von hier
aus verbreitet worden sind. Ich bekenne das Kreuz, da ich von der
Auferstehung weiß. Wäre Jesus ein Gekreuzigter geblieben, so hätte ich
mich gewiß nicht zu dem Kreuze bekannt, dann hätte ich es wohl zugleich
mit meinem Lehrmeister verheimlicht. Da aber dem Kreuze die
Auferstehung folgte, so schäme ich mich nicht, von dem Kreuze zu
predigen.
Da Jesus Fleisch geworden und allen Menschen ähnlich ist, ist er
gekreuzigt worden. Nicht jedoch ist er gekreuzigt worden ähnlicher
Sünden wegen. Nicht ist er wegen Habsucht zum Tode geführt worden; war
er ja doch der Lehrer der Armut. Auch wurde er nicht wegen Sinnlichkeit
verurteilt; erklärt er doch ausdrücklich: "Wer eine Frau ansieht, ihrer
zu begehren, hat bereits die Ehe mit ihr gebrochen" (Matth. 5,28.).
Nicht wurde er verurteilt, weil er aus Mutwille jemanden geschlagen
oder verwundet hat; hat er doch die andere Wange dem hingeboten, der
ihn geschlagen hatte. Nicht wegen Gesetzesverachtung; denn er hatte das
Gesetz erfüllt. Nicht als ob er einen Propheten gelästert hätte; denn
er war es, der von den Propheten verkündet worden war. Nicht als ob er
sich unrechtmäßigerweise Lohn angeeignet hätte; denn unentgeltlich,
umsonst, hat er die Heilungen vorgenommen. Nicht wurde er verurteilt,
weil er in Wort oder Tat oder durch Begierde gesündigt hätte; "er hat
keine Sünde begangen, und in seinem Munde ist kein Betrug gefunden
worden; als er geschmäht wurde, hat er nicht wiedergeschmäht; als er zu
leiden hatte, hat er nicht gedroht" (1 Petr. 2,22.23.). Nicht wider
seinen Willen, sondern freiwillig ist er in sein Leiden gegangen. Wenn
auch jetzt noch jemand abweisend zu ihm sagen würde: "Herr, ferne sei
es von dir, (daß du leidest)" (Matth. 16,22.), würde er wiederum (wie
dem Petrus) entgegnen: "Weiche von mir, Satan!" (Matth. 16, 23.)
Soll ich dich davon überzeugen, daß Jesus freiwillig in sein Leiden
gegangen ist? Die übrigen Menschen, welche unfreiwillig sterben, wissen
ihren Tod nicht voraus. Jesus aber hat sein Leiden vorausgesagt mit den
Worten: "Siehe, des Menschen Sohn wird ausgeliefert zur Kreuzigung"
(Matth. 26,2.). Weißt du, warum der Freund der Menschen vor dem Tode
nicht geflohen ist? Es sollte die Welt durch ihre Sünden nicht
vollständig zugrunde gehen. "Siehe, wir gehen hinauf nach Jerusalem,
und des Menschen Sohn wird ausgeliefert gekreuzigt werden" (Matth.
2o,18.). Und an anderer Stelle heißt es: "Er richtete sein Angesicht,
um nach Jerusalem zu gehen" (Luk. 9,51.). Willst du es genau wissen, ob
für Jesus das Kreuz eine Ehre ist? Höre auf seine eigenen, nicht auf
meine Worte! Judas wurde undankbar gegen seinen Hausvater und verriet
ihn. Kaum hatte er den Tisch verlassen und den Kelch des Heiles
getrunken, entschloß er sich, für den Trank des Heiles gerechtes Blut
zu vergießen. "Gegen den, dessen Brot er gegessen hatte, erhob er die
Ferse" (Ps. 40,10.). Kaum hatten seine Hände das Abendmahl erhalten, da
bereitete er ihm schon um des Verräterlohnes willen den Tod. Als er
zurechtgewiesen wurde und das Wort hörte: "Du hast es gesagt" (Matth.
26,25.), verließ er den Saal. Da nun sprach Jesus: "Es ist die Stunde
gekommen, daß des Menschen Sohn verherrlicht werde" (Joh. 12,23.). Wie
du sieht, erkannte er im Kreuze seine Herrlichkeit. Wenn Isaias keine
Schande darin sah, daß er zersägt wurde, hätte sich dann Christus
schämen sollen, für die Welt zu sterben? "Jetzt ist des Menschen Sohn
verherrlicht" (Joh. 13,31.). Nicht als ob er zuvor nicht auch schon die
Herrlichkeit gehabt hätte. War er doch verherrlicht durch die
Herrlichkeit, welche er vor Gründung der Welt hatte (Vgl. Joh.
17,5,-24.).
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