VI. KAPITEL
DIE GLEICHNISSE, DIE AUF DIE ESCHATOLOGISCHEN REDEN FOLGEN,
VON DEN MODERNISTEN ABER MISSVERSTANDEN WERDEN.
Unsere Erklärung der Reden Jesu über das Ende der Welt und seine
Wiederkunft in "Macht und Herrlichkeit" wäre unvollständig, wenn wir
die beiden Gleichnisse von den zehn Jungfrauen und den Talenten
übergehen würden, die dem hl. Matthäus als Epilog dienen (Matth.
25,1-30) Es ist offenkundig, daß diese beiden Gleichnisse zur
Gesamtkonzeption des 24. Kapitels dazu gehören, ja, daß sie direkt das
bildhaft erläutern, was in der eschatologischen Weissagung angekündigt
wurde.
Wir gehen zunächst auf das Gleichnis von den zehn Jungfrauen ein. Der
Herr entlehnt dieses Gleichnis den Gebräuchen, die damals herrschten
und wie sie heute noch im Orient Praxis sind. Wenn nämlich die Braut
anläßlich ihrer Vermählung von einem Ort zum andern zieht, dann geben
ihr die jungen Mädchen ihres Heimatortes das Ehrengeleit und führen sie
festlich geschmückt dem Bräutigam zu, welcher seinerseits der Braut
entgegengeht, um sie in sein Haus zu führen, jedoch zunächst in den
Festsaal, wo die hochzeitliche Feier stattfindet. Übrigens geschah dies
während der ersten Stunde der Nacht, in der sich diese Zeremonie
abspielte. Daher die Fackeln, die angezündeten Lampen in den Händen der
Brautjungfern, daher auch die Finsternis draußen, in die jener Mann
gestoßen wird, der kein hochzeitliches Gewand anhatte. Dies
kennzeichnet die Verdammung der Seele, die vom himmlischen
Hochzeitsmahl, welches die Glorie Gottes erleuchtet und dessen Licht
das Lamm ist, ausgeschlossen wird. (Vgl. Apg. 26,23)
In den Bildern eines Hochzeitsfestes wird uns das Geheimnis vom
Himmelreich im Hinblick auf die Parusie beschrieben. Der erwartete
Bräutigam ist Christus bei seiner zweiten Ankunft, wie er sie selbst
ankündigt: um die Toten aus ihren Gräbern zu rufen (Joh. 5,28), um nach
der allgemeinen Auferstehung, dem allgemeinen Gericht, seine Braut, die
nun triumphierende Kirche, die ohne Flecken und Runzeln ist, zur ewigen
Hochzeit zu führen. Die zehn Jungfrauen, die dem Bräutigam
entgegengehen, stehen für die Gesamtheit der Gläubiger, die durch ihr
Bekenntnis des christlichen Glaubens auch an die Wiederkunft Christi
glauben. Und daran glauben heißt, sie erwarten. Was ist das anders, als
"ihm im Geiste und in Gedanken entgegengehen", fragt der hl.
Augustinus: "Quid est ire obviam sponso? Corde ire, exspectare ejus
adventum." ("Was bedeutet das, entgegenzugehen? Mit dem Herzen gehen,
seine Ankunft erwarten.") Wer sich also wirklich als Christ bekennt,
geht dem unsterblichen Christus entgegen, unserem Gott und Erlöser, dem
Urheber und Vollender unseres Glaubens, und seiner glorreichen
Wiederkunft am Ende der Zeiten.
Wir sehen wohl viele unter den Christen, die ihr Leben nicht nach dem
Glauben ausrichten, den sie bekennen. Daher die Unterscheidung zwischen
den klugen und den törichten Jungfrauen. Die törichten Jungfrauen
nehmen ihre Lampen mit, aber kein Öl. Die Klugen hingegen nehmen in
ihren Krügen auch Öl für ihre Lampen mit. Das heißt: die törichten
Jungfrauen versäumten es, die notwendigen, Vorbereitungen zu treffen;
die klugen hingegen nahmen alles Nötige für den Hochzeitszug mit. Kurz
gesagt: die Lampen versinnbildlichen den Glauben und das Öl, welches
den törichten Jungfrauen fehlte, die Liebe und die guten Werke, ohne
die die mystische Lampe des Glaubens eine Lampe ist, die qualmt und
dann erlischt. Aber in diesem Gleichnis gibt es noch etwas besonderes:
der Bräutigam bleibt länger aus als erwartet, seine Ankunft verzögert
sich sogar bis Mitternacht. Dies war allerdings eine außergewöhnliche
Verspätung und Verzögerung im Hinblick auf die Bräuche und Gewohnheiten
der damaligen Zeit. Es war eine Verzögerung über alle Maßen, so daß man
nicht erstaunt sein darf, daß alle Jungfrauen einschliefen, auch die
klugen: "Dormitaverunt omnes et dormierunt." ("Alle schlummerten ein
und schliefen.") Dieser Passus des Gleichnisses ist sehr bemerkenswert,
nämlich, daß a l l e schliefen, die Klugen ebenso wie die Törichten.
Dies bedeutet, daß der Schlaf hier nicht im negativen Sinn zu verstehen
ist, nämlich als Nachlässigkeit und Trägheit wie bei Markus 13,36, wo
gesagt wird: "Wachet, damit ihr, wenn der Herr kommt, nicht schlafend
angetroffen werdet." Nein, hier ist nicht der Schlaf der
Pflichtvergessenheit, nicht der Schlaf der Sünde und des Leichtsinns
gemeint. Hier ist ein anderer Schlaf gemeint, dem niemand entgehen und
dem sich niemand entziehen kann: der Schlaf des Todes. Jeder weiß doch,
daß in den Schriften des Neuen Testamentes der Tod immer wieder als
Schlaf apostrophiert wird, daß es geläufig ist, die Toten als
Schlafende, als Entschlafene zu bezeichnen (vgl. Matth. 27,52; Joh.
11,11; 1 Kor. 7,39; 1 Thess. 4,12-14). Darüber gibt es also keinen
Zweifel: mit dem Schlaf, der alle zehn Jungfrauen erfaßt, kann nur der
Schlaf des Todes aller christlichen Generationen, wie sie aufeinander
folgen, gemeint sein. Es sind all jene, die in den Gräbern ruhen,
bis die verzögerte Stunde der Parusie und der Auferstehung
schlägt.
Schließlich heißt es: "Mitten in der Nacht erscholl plötzlich der Ruf:
'Auf, ihm entgegen!'" Das ist jener Ruf, von dem der Apostel Paulus
sagt: "Er selbst, der Herr, wird beim Befehlsruf, wenn die Stimme des
Erzengels und die Posaune Gottes erschallt, herniedersteigen vom
Himmel, und dann werden die Toten auferstehen." (1 Thess. 4,16) Im
gleichen Moment erwachen auch die zehn Jungfrauen; sie erheben sich und
richten ihre Lampen her, um d e m das Ehrengeleit zu geben, der nach so
langer Zeit endlich kommt. Aber die törichten Jungfrauen sehen, wie
ihre Lampen wegen des mangelnden Öls verlöschen. In ihrer Bestürzung
wenden sie sich an die klugen Jungfrauen. Die aber weigern sich, ihnen
Öl zu geben; denn am Ende wird jeder nur für sich einstehen können:
"Nein, für uns und euch zusammen wird es nicht ausreichen. Geht zu dem
Krämer und kauft euch welches." Aber es ist zu spät, die Tür
verschlossen: "Herr, mache uns auf!" Die Antwort Christi: "Ich kenne
euch nicht!" Das ist das Verdammungsurteil. Mit dem Tod ist die
Gnadenzeit endgültig zu Ende. So wie der Baum fällt, bleibt er liegen.
Zum Schluß kommt die Moral der Parabel: "Wachet also, denn ihr kennt
weder den Tag noch die Stunde!"
Diese Mahnung zur Wachsamkeit ist wie ein immer wiederkehrender
Refrain. Versteht man unter dem Schlaf der zehn Jungfrauen nicht den
Tod aller und unter der Ankunft des Bräutigams nicht die Wiederkunft
Christi, dann müßte man den Evangelien die gröbsten und unsinnigsten
Widersprüche unterstellen, wie dies die Modernisten tun. Diese
scheinbaren Widersprüche schwinden, sobald man eben unter dem Schlaf
den Tod aller versteht. Für jeden einzelnen ist bei seinem Tod das
Gericht schon vorweggenommen, so daß es bei der Auferstehung der
Gerechten und der Sünder keine Möglichkeit mehr gibt, noch Verdienste
zu sammeln und sein Schicksal zu ändern. Sind diese beiden Punkte
einmal klargestellt, so herrscht eine völlige Harmonie und
Übereinstimmung zwischen dem Gleichnis und der Lehre, die daraus
gezogen werden soll Die Wachsamkeit gilt also für das Leben vor dem
Tode und nicht für die Zeit unmittelbar vor der Ankunft des Herrn, vor
der Ankunft des Bräutigams. Deshalb legt der hl. Chrysostomus die Worte
des Gleichnisses im Sinne der Tradition nach ihrem Wortsinn aus, wenn
er schreibt: "Ihr seht, wie häufig der Herr mit solchen Ermahnungen
("Wachet, denn ihr kennt weder den Tag noch die Stunde!") seine Reden
beendet, indem er uns von daher zeigt, wie nützlich es für uns ist, daß
wir den Tag des Ausganges aus unserem Leben nicht wissen."
Was das zweite Gleichnis von den Talenten betrifft, so ist sein Sinn so
offenkundig, daß es keiner längeren Erklärungen bedarf. Der Mann, der
in die Fremde zog, das ist Christus, der Herr, der bald in den Himmel
auffahren sollte; die Diener sind jene, die im anderen Gleichnis die
Jungfrauen waren. Die anvertrauten Talente sind die Gaben der Natur und
der Gnade, die jedem gegeben werden, damit er sie nutze. Die Rückkehr
des Meisters bedeutet die Wiederkunft Christi am Ende der Jahrhunderte:
Vor ihm muß jeder Rechenschaft über den Gebrauch bzw. Einsatz der
Talente ablegen, die er empfangen hatte. Dies ist dann die Grundlage
für das Urteil, mit dem einem jeden vergolten wird gemäß seinen Werken.
Der Gegenstand des zweiten Gleichnisses entspricht genau dem ersten.
Der einzige Unterschied besteht darin, daß das erste Gleichnis den
Akzent auf die Ungewißheit des Tages und der Stunde legt und deshalb
zur Wachsamkeit mahnt, während das zweite Gleichnis besonders auf die
Strenge der Rechenschaft hinweist, die man ablegen muß und spornt dazu
an, sich beständig zu mühen.
Diese Gleichnisse aber widerlegen zur Genüge die Tollheit der
Behauptungen der Modernisten, die uns ja weismachen wollen, der
Einschätzung Jesu nach wäre die Endkatastrophe nahe bevorgestanden.
Jesus habe sich eben getäuscht. Dann aber könnte er nicht mehr wahrer
Gott sein.
Kommen wir auf die erste Parabel zurück und sehen wir uns einen Passus
genauer an, jene Stelle nämlich, wo es heißt, daß der Bräutigam seine
Ankunft verzögerte: "Moram autem faciente sponso." Er kam erst um
Mitternacht, als die dritte Nachtwache begann, eine ganz ungewöhnliche
Zeit für den Beginn eines Festes, ja, ein Zeitpunkt, zu dem niemand
mehr mit der Rückkehr des Bräutigams rechnen konnte. Auch im Gleichnis,
in dem die Diener ihren Herrn erwarten, heißt es: "... und wenn er in
der zweiten und der dritten Nachtwache kommt...". Dies ist im Gleichnis
kein unwesentlicher, nebensächlicher Aspekt; denn diese so
außergewöhnliche Verzögerung ist hier der Hauptpunkt und das
Charakteristische dieser Parabel. Die Erklärung der Gleichnisse ist
leicht, sobald man erkennt, daß der erwartete Bräutigam Christus bei
seiner Wiederkunft am Ende der Welt ist und daß diese lange auf sich
warten läßt, länger, als man vermuten würde. Es kann also keine Rede
sein von einer nahe bevorstehenden glorreichen Wiederkunft. Das
Gleichnis spricht im Gegenteil von einer beträchtlichen Verzögerung
bezogenauf die Dauer der Weltzeit, bildlich dargestellt in der sehr
späten, lange verzögerten Ankunft des Bräutigams zum Hochzeitsmahle.
Chrysostomus sagt zu dieser Stelle: "Hier weist der Herr von neuem auf
ein ziemlich großes Zeitintervall hin, in dem er die Jünger von dem
Gedanken abbringen will, daß sein Reich in Kürze kommen werde; denn sie
hatten diese Erwartung, und dies war auch der Grunc warum er sie häufig
davon abbrachte." Und Hieronymus kommentiert die gleiche Stelle so:
"Der Bräutigam blieb länger aus, d.h. nicht nur eine kurze Zeitspanne,
sondern er meint damit die Zeit, die sich erstreckt zwischen der ersten
und der zweiten Ankunft des Herrn! Mehr noch: der Zeitpunkt des Kommens
des Herrn wird gekennzeichnet, wenn man ihn im Zusammenhang des
Gleichnisses von den Knechten sieht (Matth 24,48), von denen einer
seine Pflicht getreu erfüllt, der andere aber mißhandelt seine
Mitgenossen, indem-er mit Leuten ißt und trinkt, die dem Wein ergeben
sind. Er führt also ein ausschweifendes liederliches Leben und schindet
zusätzlich noch seine Untergebenen. Der Grund für sein ungeordnetes
Leben ist die Überlegung: "Mein Meister kommt ja noch lange nicht...".
Diese Begründung ist bemerkenswert und kann nicht zufällig sein. Sie
wäre die Argumentation eines Ungläubigen, der sich über die Parusie
lustig machen wollte und der diese Verzögerung im ironischen Sinn
deuten könnte. Dagegen mußten auch die Apostel die Gläubigen wappnen,
nämlich gegen den Spott, daß der Herr ja noch nicht komme: "In den
letzten Tagen werden Spötter auftreten, die nach ihren eigenen Gelüsten
wandeln, und sagen: Wo ist seine verheißene Ankunft? Denn seitdem die
Väter entschlafen sind, bleibt alles so, wie es zu Anfang der Schöpfung
gewesen ist. (...) Der Herr verzögert die Verheißung nicht, sondern er
ist langmütig gegen euch, da er nicht will, daß jemand verloren gehe,
sondern daß alle zur Umkehr gelangen. Kommen aber wird der Tag des
Herrn wie ein Dieb. Dann werden die Himmel mit reißender
Geschwindigkeit vergehen, die Elemente aber sich in Feuersglut auflösen
und die Erde mitsamt den Werken, die darauf sind, verbrennen." (2 Petr.
3,3-4,9-lo) Jesus wußte beides: er sah die Enttäuschung des einen und
den Spott des anderen voraus.
Das Gleichnis von den Talenten ist dem Gleichnis von den Minen bei
Lukas sehr ähnlich. Jesus fügte ein Gleichnis hinzu, weil er in der
Nähe von Jerusalem war und das Volk annahm, das Reich Gottes würde bald
erscheinen. (Luc. 19,11) Diese falsche Auffassung wollte er
zurückweisen mit folgendem Gleichnis: Jemand zog in ein fremdes Land,
um sich mit der Königswürde bekleiden zu lassen, trotz des Protestes
seiner Bürger ("... wir wollen nicht, daß dieser über uns
herrsche..."). Er rief zehn seiner Diener und gab jedem zehn Minen und
sagte zu ihnen: "Treibt Handel damit, bis ich wiederkomme." Als er
zurückkam, ließ er seine zehn Diener rufen, um zu erfahren, welchen
Gewinn jeder gemacht hätte. Dies alles diente dazu, die Naherwartung
des Volkes zurückzuweisen: das Reich Gottes in Herrlichkeit kommt jetzt
noch nicht. Zuerst muß Jesus in den Himmel auffahren, um dann am Ende
wiederzukommen. In der Zwischenzeit solle man alle Heilsmittel ins Werk
setzen, individuelle und gesellschaftliche, die er uns in die Hände
gegeben hatte.
Dieses Gleichnis sollte unmittelbar folgendes bewirken: die Juden, die
von einem irdischen Reich des Messias , welches sich bald in der Stadt
Jerusalem verwirklichen würde, träumten, von dieser Idee abzubringen.
Dies sagt das Gleichnis von den Talenten ausdrücklich: "Lange Zeit
danach kam der Herr, der in die Fremde gegangen war, zurück und hielt
Abrechnung mit seinen Dienern über die ihnen anvertrauten Talente."
Dies will sagen: die Zeit zwischen der Himmelfahrt des Herrn und seiner
Wiederkunft ist lang. In drei Gleichnissen sagt dies der Herr:
a) "Mein Meister zögert, zu kommen";
b) "Da der Bräutigam zögerte, zu kommen";
c) "Nach langer Zeit kam der Herr zurück".
Das erinnert an den berühmten Psalm 21, der den Christen eine weite
Ausbreitung unter allen Völkern der Erde verspricht und den der hl.
Augustinus oft den Donatisten entgegenhielt: "Und alle Völker der
Heiden werden vor seinem Antlitz niederfallen. (...) Dem Herrn gehört
das Reich, und er wird herrschen über alle Nationen." Wie soll man aber
diese klaren Aussagen des Herrn und der Apostel mit der Erwartung der
Christen von einer baldigen Wiederkunft des Herrn, die im ersten
Jahrhundert weit verbreitet war, in Einklang bringen? Sie waren traurig
über die schon Verstorbenen, als hätten diese keinen Anteil am Kommen
des Herrn und seinem Triumph, seiner Glorie, so daß der hl. Paulus sie
trösten mußte, indem er ihnen sagte, nicht nur die Lebenden, sondern
auch die bereits Verstorbenen hätten an diesem Triumph teil. ( 1 Thess.
4,13-18) Sie waren also betrübt über diese Verzögerung, und der hl.
Petrus mußte sie stärken mit dem Gedanken, daß für den Herrn ein Tag
wie tausend Jahre und tausend Jahre wie ein Tag seien, 4aß Jesus nicht
zögern würde zu kommen, daß aber Geduld erforderlich sei, weil er
wolle, daß niemand verloren gehe, sondern alle zur Buße und Umkehr
kämen. (Vgl. 2 Petr. 3,8-9)
Diese Anmerkungen über die lange Zeit und die Verzögerung des Kommens
sind nur so nebenbei gesagt, so daß man sie übersehen könnte. Sie
verlieren sich im Dunkel der Gleichnisse und unter dem Schleier der
Allegorie. Sie konntenalso den ersten Lesern des Evangeliums entgangen
sein, so daß sie die Tragweite dieser Worte Christi nicht erfaßten.
Ohne Zweifel muß der Tag des Letzten Gerichtes ganz und gar verborgen
bleiben, wenigstens hinsichtlich des genauen Datums. Es sind aber bei
dieser Prophezeiung indirekte und diskrete Anmerkungen
dazwischengeschoben, die eine Wartezeit für die Welt anzeigen. Solche
prophetischen Hinweise hat uns Jesus nicht vorenthalten, sondern sie
uns in den Gleichnissen selbst gegeben, so z.B. in dem von den zehn
Jungfrauen. Als Jesus das Himmelreich mit zehn Jungfrauen verglich,
verstand er darunter das Reich Gottes, das er auf Erden - in seiner
Kirche - gegründet hatte und für dessen Aufrichtung er seine Predigt
und seine Wunder eingesetzt hatte. Dieses Gottesreich auf Erden
verwirklicht sich in allen christlichen Generationen bis hin zum Ende
der Welt. In den Jungfrauen stellt uns das Gleichnis die Gesamtheit
aller Gläubigen vor Augen. Aber warum unter dem Bilde der Jungfrauen,
die eine nach der anderen im Laufe der langen Wartezeit in Erwartung
des Bräutigams einschlafen? Jesus sagte ja, daß alle, die in den
Gräbern ruhen, die Stimme des Sohnes Gottes hören werden! Damit ist
doch wohl das Signal der Wiederkunft Christi auf den Wolken des Himmels
gemeint.
Eine Einschränkung sollte man noch machen: man muß jene ausnehmen, die
am Ende der Zeiten noch leben wie die Menschen damals, die von der
Sintflut überrascht wurden (vgl. Matth. 24,37; Luc. 21,35). Da stellt
sich nämlich die Frage, ob auch diese letzte Generation noch den Tribut
des Todes zahlen muß, also zuvor sterben muß. Mehrere Väter, die sich
dabei auf Schriftstellen stützen, verneinen diese Frage. Sie denken,
daß die Menschen dieser letzten Generation vom Tode ausgenommen sind,
in der Weise, daß sie von diesem Leben direkt übergehen in das
unvergängliche Leben der zukünftigen Welt. Das ist die Ansicht des hl.
Hieronymus und des hl. Chrysostomus. Sie wurde aber von der
überwiegenden Mehrheit der Theologen zurückgewiesen, und zwar mit
Recht. Denn es ist sicher, daß sie zwar sterben, dann aber sogleich
wieder auferstehen und nicht im Tode verharren wie die übrigen vor
ihnen. Das unterscheidet sie wohl von allen früher Verstorbenen, die
ins Grab stiegen, um dort zu bleiben und zu ruhen, bis die Stunde der
allgemeinen Auferstehung schlägt. Dies genügt auch, um zu erklären, wie
und warum der hl Paulus, wenn er die Ankunft des Herrn in seinem ersten
Brief an die Thessalonicher behandelt, sie von den anderen
unterscheidet (Kap. 4,12-18), die schon (früher) entschlafen sind ("von
denen, die bereits in Christus entschlafen sind" - 4,13} Er bezeichnet
sie ständig als die "Lebenden" im Gegensatz zu denen, die er die
"Toten" nennt (Verse 15 u. 17) in Übereinstimmung mit dem Artikel des
Glaubensbekenntnisses, wo es heißt: "... von dannen er kommen wird zu
richten die Lebenden und Toten...". Es gibt also zwei Kategorien von
Gläubigen: die schon Entschlafenen und die am Ende noch lebende
Generation. Die ersten werden uns vorgestellt unter dem Gleichnis der
zehn schlafenden Jungfrauen - Jesus sah in diesem Gleichnis die
Gläubigen aller Jahrhunderte. Die am Schluß noch lebenden Menschen sind
eine Ausnahme: "Nos, qui residui sumus". Hätte aber Jesus die noch
Lebenden gemeint, so würde das seinem Gleichnis strikt widersprechen.
Nun aber werden unsere Gegner eine andere Stelle ins Feld führen, die
wir bei Matthäus (Kap. 16,28) und dem hl. Lukas (Kap. 8,39) lesen:
"Wahrlich, ich sage euch, einige von den hier Umstehenden werden den
Tod nicht verkosten, ohne den Sohn Gottes in seinem Reiche kommen zu
sehen." Es ist wahr, auf den ersten Blick scheint dieser Text, aus
seinem Zusammenhang gelöst, die These unserer Gegner zu bestätigen.
Schauen wir uns aber den Kontext an, so werden wir feststellen können,
daß es sich hier nicht um die Parusie handelt, sondern um eine Probe
der künftigen Herrlichkeit der Parusie bei der Verklärung Christi auf
dem Berg Tabor: "Und sechs Tage danach", fährt Matthäus fort, "nahm
Jesus den Petrus, den Johannes und den Jakobus mit sich auf einen hohen
Berg, und er ward vor ihnen verklärt." Dasselbe berichtet der hl.
Markus, der noch ausführlicher ist: "Ungefähr sechs Tage danach,
nachdem er diese Worte gesprochen hatte, nahm Jesus den Jakobus, den
Johannes und den Petrus mit sich...". - Matthäus und Markus sprechen
von sechs Tagen, während der hl. Lukas acht Tage zählt. Die beiden
ersten nehmen die Tagedazwischen, während Lukas den Tag des
Versprechens und der Erfüllung hinzufügt. Man kann den Zusammenhang
zwischen dem Versprechen Jesu und der Vision auf dem Berge Tabor nicht
deutlicher aufzeigen! Jesus hatte zuvor gesagt: "Der Menschensohn wird
kommen in der Herrlichkeit seines Vaters mit seinen Engeln, und dann
wird er einem jeden nach seinen Werken vergelten."
Er wies also auf das glorreiche Ereignis hin, das dem Letzten Gericht
und der Verteilung von Lohn und Strafe vorausgehen sollte. Aber diese
Herrlichkeit sollte erst im künftigen Leben erscheinen, im Augenblick
der allgemeinen Auferstehung. Davon konnte aber niemand Zeugnis geben.
Also nahm Jesus diese Herrlichkeit für einen kurzen Augenblick in der
Verklärung auf dem Berg Tabor vorweg, damit die Apostel nicht zu sehr
vom Ärgernis des Kreuzes niedergedrückt sein würden. So erfüllte Jesus
sein Versprechen vor privilegierten Zeugen, indem er sich ihnen in
seiner Herrlichkeit zeigte. Der hl. Petrus kommt auf dieses Ereignis
noch am Vorabend seines Martyriums zurück, als er in bewegter
Erinnerung in den letzten Empfehlungen an die Kirche schreibt: "Wir
sind ja keinen ausgeklügelten Fabeln gefolgt, als wir euch die Macht
und die Ankunft Christi, unseres Herrn, kundtaten, sondern wir sind
Augenzeugen seiner Herrlichkeit gewesen. Denn er empfing von Gott, dem
Vater Ehre und Herrlichkeit, da von der hocherhabenen Majestät die
Stimme an ihn erging: Dieser ist mein geliebter Sohn, an dem ich mein
Wohlgefallen habe. Und diese Stimme hörten wir vom Himmel kommen, als
wir mit ihm auf dem heiligen Berg waren." (2 Petr. 1,16-18)
Was soll man noch zu dem Beweis Renans sagen, den er aus den Worten
Jesu entnehmen will, der sagt: "Wenn ihr das Abendrot seht, so wißt
ihr, daß das Wetter gut wird. Wenn ihr das Morgenrot seht, so wißt ihr,
daß es Sturm gibt. Wieso könnt ihr, die ihr die Zeichen des Himmels
deutet, denn nicht die Zeichen der Welt deuten?" Wer kann denn hier,
der die Schrift recht auslegen will, aus dieser Antwort des Herrn
herauslesen, daß er von den Zeichen seiner nahen Ankunft sprechen
würde. Es handelt sich bei dieser Bemerkung um eine Antwort des Herrn
auf die provozierende Forderung der Juden, er solle vor ihnen gleichsam
als Bestätigung seiner Sendung ein Wunder wirken. Er macht ihnen mit
diesen Worten den Vorwurf, nicht erkannt zu haben, daß sich in seiner
Person die Vorhersagen der Propheten erfüllen, vor allem vom Leiden des
Menschensohnes (Is. LI). Niemand sonst würde es einfallen, diese Stelle
auf die letzte Ankunft des Herrn zu beziehen, so klar ist hier der
Kontext und der Zusammenhang. "Und wenn man sagt, er (Christus) sei in
den Gemächern, so glaubt es nicht", dies kann sich doch unmöglich auf
seine letzte Ankunft beziehen; denn diese wird plötzlich und
überraschend geschehen: "Wie ein Blitz aufleuchtet vom Sonnenaufgang
zum Sonnenuntergang, so wird der Menschensohn erscheinen auf Erden!"
Die Modernisten und bloßen Rationalisten reden deshalb darüber so
verächtlich, weil es für sie eine ausgemachte Sache ist, daß das
messianische Ereignis und die Parusie des Herrn ein und dieselbe Sache
sind. Deshalb wenden sie unterschiedslos das, was sich auf das erste
Ereignis bezieht, auf das an, was auf die Parusie zutrifft. Sind sie
nicht vom Geiste des Judaismus verblendet, da ja die Juden nicht
glauben wollen, daß der Messias schon gekommen war, daß Jesus der
Christus ist? |