DIE SCHLACHT VOR WIEN AM 12. SEPTEMBER 1683
von
Wilhelm Kisch
(aus: "Die alten Straßen und Plätze von Wien's Vorstädten" Nr.7, Wien 1884.)
Die Schlacht vom 12. September war eine jener Schicksalsschlachten, in
welcher um die Zukunft zweier Weltteile gewürfelt wurde. Es konnte
schon dem äußeren Anscheine nach erkennbar sein, daß hier die Zukunft
sich gegen die Vergangenheit rüste, daß sich hier zwei Welten
gegenüberstehen. In der Tat, es mußte ein unvergeßliches Schauspiel
gewesen sein, die bunten beweglichen Scharen des Islams, wo alles in
Gold und Seide glänzte, und die steifen reglementsmäßig zugestutzten
Truppen des heiligen römischen Reiches mit Zopf und Allongeperrücke von
derselben Sonne beschienen zu sehen. Gewiß war dieser Tag einer der
großartigsten Momente der Weltgeschichte, und sich desselben zu
erinnern, sich seiner Tragweite voll bewußt zu werden, ist Pflicht
eines jeden Wieners. Es war daher nicht mehr als recht und billig, daß
die Wiener zur zweihundertjährigen Gedächtnisfeier den 12. September
1883 am Kahlenberge festlich begingen und dort eine Gedenktafel
errichteten, welche diesen Tag fortan als einen der glänzendsten
vaterländischen Siegestage verewigen soll.
Über die Frage aber: "Wem wohl der Ruhm, Wien aus der Türkennot
errettet zu haben gebührt?", wurde und wird noch gerade in neuester
Zeit so viel gestritten, daß es wohl an der Zeit wäre, gegen die
Ungerechtigkeit einer Geschichtsdarstellung zu protestieren, welche
gemeinsame Verdienste zu Gunsten eines einzelnen für sich in Anspruch
nehmen will.
Die Polen schreiben noch heute den Sieg ihrem Könige Sobieski zu und
wußten diesen Wunderglauben auch in allen Ländern gehörig an den Mann
zu bringen; dagegen lehrt uns die unparteiische Geschichtsforschung,
daß die Seele jenes welterlösenden Befreiungskampfes niemand anderer
als Carl von Lothringen gewesen sei.
In der Legende erscheint wohl Johann Sobieski als ein Held in
schimmernder Rüstung, der mit dem flammenden Schwerte eines Cherub
hinter den fliehenden Osmanen einherjagt, ein selbstloser Streiter des
Herrn, der aus frommem Eifer, aus religiöser Eingebung, für das
bedrohte Kreuz, hinauszieht, um der Christenheit zu dienen. In
Wirklichkeit aber war er der schlau berechnende Geschäftsmann, der sein
Profitchen im vorhinein genau berechnete und seiner Wirtschaft aufhalf,
indem er dem Nachbarn zu Hilfe eilte. Herzog Carl von Lothringen
dagegen war ein uneigennütziger, selbstloser Charakter, eine edle
Menschenseele mit warmem aufopferndem Herzen, ein Held, dem es wirklich
um die Sache zu tun war, und der auch alles aufbot, um den seinen zum
Siege zu verhelfen.
Sobieski gefiel sich im prunkenden Königsgewand und zog gerne die
Blicke des Volkes auf sich; auch seine polnischen Reiter waren bunt und
prächtig anzuschauen; ihre blanken zum Teil vergoldeten Rüstungen
funkelten, auf den blitzenden Helmen wehten schmucke Reiherbüsche, um
die Schultern flogen Tiger- und Parderfelle und rückwärts rauschten die
auf dem Rücken befestigen "Geierflügel" und gaben ihnen ein gar
seltsames, gespenstisches, überirdisches Aussehen. War es da wohl ein
Wunder, wenn nach erfochtenem Siege die verblüffte Menge nur allein die
polnischen Reiter bewunderte, an Sobieski sich zum Handkusse
herandrängte und in Begeisterung ausbrach, während sie den bescheidenen
Deutschen mit seiner Perrücke und mit seiner philiströsen Uniform
unbeachtet vorbeiziehen ließ? Der Glanz und die Bravour der polnischen
Reiter möge ihnen, den Polen unbestritten bleiben, aber ohne die
Deutschen wären dieselben verloren gewesen. Nun denn, die polnischen
Reiter wurden vollauf bewundert und im Liede besungen, es wäre auch
Zeit, den deutschen Kriegern einige Verslein der Erinnerung zu widmen;
Sobieski wurde vollauf gepriesen, es wäre Zeit, auch den Lothringer zum
populären Helden zu adeln, ihm zum verdienten Ruhme zu verhelfen und
unseren Kindern zu lehren, daß einst das Haus Habsburg vom Hause
Lothringen gerettet wurde, als wollte die Geschichte damals schon das
Glück der beiden Häuser untrennbar und für immer aneinanderketten.
Kara Mustafa hatte törichterweise auf seinem Marsche nach Wien weder
Krems noch Tulln besetzt, ja auf keinem einzigen Punkte ein
"Beobachtungscorps" aufgestellt, daher es dem christlichen Heere schon
am 11. September gelang, ungehindert bis an den Fuß des Kahlenberges
vorzurücken und ganz im Stillen das Gebirge zu ersteigen. Sobieski
übernahm in Abwesenheit des Kaisers, als König den Oberbefehl, denn so
verlangte es die Etiquette, und auch bei Formierung der Schlachtordnung
den "Ehrenplatz" (nämlich den rechten Flügel). Bis Abend waren
sämtliche Truppen auf dem Kamme des Wiener Waldes gelagert, nur fehlten
noch die Polen. Ihre Disziplinlosigkeit und Plünderungssucht war an
dieser Verzögerung Schuld. Von ihren Kanonieren und Fuhrknechten wird
nämlich berichtet, daß sie in einem verlassenen Dorfe einige noch
wohlgefüllte Weinkeller entdeckt hatten und nun nicht mehr von der
Stelle zu bringen waren, bis ein Hauptmann die Fässer einschlug und die
Weine verschüttete. Noch an diesem Abend ließ Sobieski am Leopoldsberg
die weiße Fahne mit dem roten Kreuze als Bundeszeichen entfalten und
mit einbrechender Dunkelheit eine Raketengarbe vom Hermanskogel
aufsteigen, um die Wiener zu benachrichtigen, daß nun die Stunde der
Rettung gekommen sei.
Am anderen Morgen, dem 12. September, begann die Schlacht. Es war ein
Sonntag. Die lieblichste Herbstsonne sandte ihre wärmenden Strahlen
hernieder in die Talebene, wo sich am Fuße des Kahlengebirges neben dem
klaren hellen Wasserstreifen der Donau eine Stadt von Zelten
ausbreitete und in malerischer Farbenpracht Wien zu umklammern schien.
Sobieski begab sich mit dem Herzog von Lothringen, dem Kurfürsten von
Sachsen und Bayern und vielen Truppenführern, worunter sich außer sechs
Fürsten und sieben Herzögen noch der Markgraf von Baden und der
19jährige Prinz Eugen von Savoyen befanden, nach der Kapelle am
Leopoldsberg, um die hl. Messe zu hören und Gott um seinen Beistand
anzuflehen. Das Kirchlein stand bereits offen und vor der.Türe harrte
ihrer der Kapuziner Marco d'Aviano, der vom Papst abgesandt war, um
seinen Segen und den Sündenablaß dem Ersatzheere zu überbringen.
P. d'Aviano las die hl. Messe, wobei Sobieski ministrierte und
sämtliche Anwesenden in tiefster Andacht ihr stilles Gebet
verrichteten. Nach dem Gottesdienst erteilte Pater d'Aviano dem König
Sobieski die hl. Kommunion, segnete die Anwesenden und trat aus der
Kirche heraus, wo eine Abteilung des Heeres in einem großen Halbkreise
um die Kapelle herum auf den Knien lag und betete. Es war ein
feierlicher ergreifender Moment. D'Aviano erteilte mit dem
Allerheiligsten den Segen und rief ihnen mit begeisterter Stimme die
Worte zu: "Habt ihr Vertrauen auf Gott, so ist der Sieg euer".
Um sieben Uhr früh wurde das Zeichen zum Aufbruch gegeben, fünf
Kanonenschüsse verkündeten allen HeeresóAbteilungen den Beginn des
Kampfes. Österreicher und Sachsen standen am linken Flügel unter dem
Kommando des Herzogs von Lothringen und waren die ersten, die in die
Schlacht geführt wurden. Leise und langsam stiegen sie vom Kahlenberg
und Leopoldsberg herab, während Kara Mustafa's Schlachtlinie sich eine
Meile weit von Nußdorf bis Breitenfeld ausdehnte. Er selbst hielt mit
seinen Janitscharen das Zentrum und ließ sich in einer rotsamtenen
Senfte tragen. Rechts standen die asiatischen Paschas gegen die
Österreicher und Sachsen und links die europäischen Paschas gegen die
noch unsichtbaren Polen, im ganzen doppelt so viel Streiter als das
christliche Heer zählte.
Schon um neun Uhr entspann sich zwischen dem Krapfenwald und
Heiligenstadt der erbittertste Kampf, von dessen Wut die neuere
Kriegsgeschichte wohl wenige Beispiele kennt. Die wilden Asiaten
kämpften wie Löwen, aber ihr Allahgeheul vermochte nichts gegen die
Ruhe und Standhaftigkeit der deutschen Gegner. Um lo Uhr war der erste
Vorteil errungen. Mittels eines Flankenangriffes des sächsischen
Fußvolkes wurde nämlich der Feind zum Weichen gebracht und endlich aus
Nußdorf und aus den Sandschluchten, wo sie eine "Schanze" errichteten,
bis gegen Döbling zurückgeworfen.
Immer heißer entbrannte der Kampf, aber von den Polen war noch immer
nichts zu sehen; jeder Schritt wurde mit Blut bezahlt, und jedes
einzelne Haus, jeder Keller, jeder Zaun einzeln erstritten und
erkämpft. Die Türken leisteten verzweifelte Gegenwehr; dennoch gelang
es den Österreichern und Sachsen, um die Mittagszeit siegreich
vorzudringen. Gegen 1 Uhr nachmittags war bereits Nußdorf und
Heiligenstadt im Besitz der Deutschen. Die Aufgabe des linken Flügels
war demnach so gut wie gelöst, von den Polen aber war noch immer nichts
zu bemerken. Endlich gegen zwei Uhr nachmittags sah man die Spitze der
polnischen Kavallerie aus dem Dornbacherwald den Berghang herabkommen
und bald warfen sich 4ooo Panzerreiter auf die feindlichen Massen,
gerieten aber, durch eine Scheinflucht irre geführt, auf das ungemein
starke linke Zentrum der Türken. Die Polen wurden zurückgeworfen und
abermals mußte das deutsche Fußvolk neue Beweise seiner Festigkeit
geben: "Es soutenierte die fluchtschwangeren Polen zu dreien malen", so
hieß es in einem gleichzeitigen Berichte. Ohne die Deutschen wären die
Polen diesmal verloren gewesen. Nur mühsam sammelte sich die
geschlagene Reiterei, um dann aufs neue vorzudringen, aber diesmal mit
unwiderstehlicher Sturmesgewalt. Gleich einer fliegenden Mauer stürmten
sie vorwärts, alles unter die Hufe tretend, was ihnen in den Lauf kam.
Die Osmanen flohen, die Schlacht war entschieden und Wien gerettet! |