WEIHNACHTEN!
von
S.E. Mgr. Moises Carmona
übers. von Heinrich Beckmann
Weihnachten! Dein Name trägt Entzücken, das uns fortreißt und die Welt
erschauern macht vor Freude. Und wie sollte es nicht so sein, wenn Du
im weißen Kleid die Erinnerung an ein Versprechen bringst, das dem
Menschen gegeben und nun erfüllt wurde! Wie sollten wir uns aber in das
tiefe Meer Deiner Süßigkeit versenken, ohne das andere Meer der
Unglückseligkeit zu durchschreiten, in das die ganze Menschheit
eingehüllt ist? Adam, unser Urvater, was war geschehen? Was machtest du
aus den Gaben, mit denen Gott dich ausgestattet hatte, als er dich ins
Paradies setzte? Wo ist die göttliche Gnade, mit der du am göttlichen
Leben teilnahmst, die dich Ihm ähnlich machte und dich und deine
Nachkommenschaft zu Erben des Himmelreiches erwählte? Du glaubtest der
diabolischen Schlange, zweifeltest an deinem Gott und übertratest Sein
Gebot. Du wolltest so groß sein wie Gott... und siehe: du bist all
deiner Herrlichkeit entkleidet worden, zu der Gott dich ohne dein
Verdienst erhoben hatte. All deine Kinder hast du so zugrunde
gerichtet. Du solltest ihnen die Unsterblichkeit, die Leidlosigkeit,
die eingegossene Gnade, die Lauterkeit und vor allem die heiligmachende
Gnade vererben, durch die alle Kinder Gottes und Erben Seiner Glorie
sein sollten. Aber du sündigtest und verlorst alles. Du ließest alle
deine Kinder in ein fürchterliches Elend und die Versklavung dessen
fallen, der dich in Größenwahn wiegte. Du hattest die Stirn, deinen
Schöpfer herauszufordern, deine Sünde wiegt schwer. Gott, der den
sündigen Engeln nicht verzieh und sie in den Abgrund stürzte, sollte an
dir Barmherzigkeit üben? Er sollte sich deiner Nachkommenschaft
erbarmen, der du nichts als das Stigma deiner Schuld vererben konntest?
Gewiß, diese würde nicht persönlich dadurch sündigen, da sie noch nicht
geboren war. Aber wir Menschen stammen alle von dir ab und sind den
Folgen deines verhängnisvollen Falles unterworfen. Die Erbsünde wird
nun das Stigma der Schande, mit der unsere Seelen gezeichnet sind.
Zittre Adam, erschrick Eva, denn Gott verlangt Wiedergutmachung! Kannst
du Ihm die geschuldete Wiedergutmachung leisten? Auch wenn du ein Engel
wärest und dich als Opfer darbötest, niemals würdest du Gott die
Wiedergutmachung leisten können, die Er für deine Sünde verlangen
müßte.
Gott läßt nicht auf sich warten. Zuerst richtet Er sich an den Vater
des ganzen menschlichen Geschlechtes: "Du wirst dein Brot im Schweiße
deines Angesichtes essen." Dann wendet Er sich an das Weib: "Du wirst
deine Kinder in Schmerzen gebären." Dann an die verfluchte Schlange:
"Feindschaft will ich setzen zwischen dir und dem Weibe, zwischen
deinem Sproß und ihrem Sproß. Der wird dir den Kopf zertreten."
Gerettet ist die Nachkommenschaft Adams, denn in diesen Worten ist ein
tröstendes Versprechen enthalten, die Verheißung eines Erlösers, der
Gott die verlangte Wiedergutmachung leisten wird, die der Mensch selbst
nicht bieten kann. Dieser verheißene Erlöser ist, den wir benötigen,
Gott und Mensch zugleich: Mensch, um sich Gott zum Opfer für die Sünde
anzubieten, und Gott, um diesem Opfer den geforderten unendlichen Wert
zu verleihen, damit Gott die gebotene Wiedergutmachung für die Sünde
des Menschen erhalte.
Wann soll dieser verheißene Erlöser kommen? Das hat Gott nicht gesagt. Aber Gott ist seinen Versprechungen treu.
Verstoßen aus dem Paradiese, begann der Vater des Menschengeschlechtes
das Gewicht seiner Schuld zu spüren. Die Geschöpfe lehnten sich gegen
ihn auf. Die Peitschenhiebe des Leides verwandelten sich in
angsterfülltes Stöhnen. Im unschuldigen Abel sah er die unersetzlichen
Verwüstungen des Todes. Was ihn aber am meisten quälte, war der Verlust
der Freundschaft Gottes.
So vergingen viele Jahre. Unterdessen vermehrte sich die
Nachkommenschaft Adams: Generation folgte auf Generation, Familien
wurden zu Stämmen, Stämme zu Völkern, Völker zu staatlichen Gebilden.
Aber die Menschen hatten den wahren Gott vergessen und machten sich
ihre eigenen Götter, blutrünstige Gottheiten, denen sie Menschenopfer
darbrachten oder in deren Feuerleibern unschuldige Kinder den Tod
fanden. Die Menschen fielen von Abgrund zu Abgrund - und der Erlöser
nahte immer noch nicht. Sollte Gott sein Versprechen vergessen haben?
Um sein Kommen einzuleiten, erwählte er den Ihm am wohlgefälligsten
Menschen, dem er den Erlöser versprach, Abraham: "Weil du geglaubt hast
unddeines einzigen Sohnes nicht geschont hast, will ich dich segnen mit
reichem Segen und will deine Nachkommenschaft so zahlreich werden
lassen wie die Sterne des Himmels und der Sand am Gestade des Meeres,
und deine Nachommen sollen das Tor ihrer Feinde in Besitz nehmen. Alle
Völker der Erde sollen durch deine Nachkommenschaft gesegnet werden."
(Gen. 22,17 f.) Hier wird klar ersichtlich, daß der zukünftige Erlöser,
Sohn Gottes und wahrer Gott, von Ewigkeit her bestimmt ist, Mensch zu
werden, wenn die vom Vater bezeichnete Stunde schlägt.
Die Nachkommen Abrahams sind das von Gott erwählte Volk, das keinen
anderen Gott anerkennt als den lebendigen Gott: das jüdische Volk. Es
war der göttlichen Vorsehung vorbehalten, daß aus diesem Volk der
erhoffte Erlöser stammen sollte. Darum umgab Gott dieses Volk mit
liebender Fürsorge, beschützte es und verteidigte es gegen die Angriffe
seiner Feinde, die zahlreich waren und es um jeden Preis zu vernichten
trachteten. Und als dies nicht genügte, erweckte Gott ihm Männer, die
in aller Klarheit die bevorstehenden Ereignisse weissagten: erleuchtete
Propheten, damit das Volk das göttliche Vergessen nicht vergesse. Der
Prophet Isaias verkündete, daß der Erlöser von einer Jungfrau geboren
werde ohne Verletzung ihrer Jungfräulichkeit; Michaeas sagte voraus,
daß er in Bethlehem zur Welt kommen solle; David kündigte an,
orientalische Könige würden ihn aufsuchen, um ihn anzubeten und
Geschenke darzubringen; Malachias prophezeite seinen triumphalen Einzug
in Jerusalem und den Verrat durch Judas Ischariot; David kündigte
seinen Kreuzestod an.
Als die Fülle der Zeit gekommen war, erschien der Sohn Gottes, wahrer
Gott, in allem dem Vater gleich. Er erschien als das, was er (vorher)
nicht war: als Emanuel, d.i. Gott-mit-uns, Mensch wie wir - als
Gottmensch.
Dieser Gottessohn, Mensch geworden, wurde ohne menschliche Mitwirkung,
lediglich als Werk des Heiligen Geistes empfangen. So haben es die
Kirche und die Hl. Schrift gelehrt. Diese Empfängnis, wenn auch
übernatürlich war aber dennoch in all ihren Auswirkungen natürlich,
d.h. wirklich und wahrhaft, da der Leib unseres Herrn ein wirklicher
menschlicher Leib war, gebildet aus dem Blute der reinsten glückseligen
Jungfrau Maria. Die Seele, von Gott erschaffen, um diesen Leib zu
beseelen, war auch eine wahre menschliche Seele, viel vollkommener als
die unsrige, aber von gleicher Natur. Wir glauben, daß dieser Körper
und diese Seele im Augenblick der Erschaffung dem ewigen Wort Gottes
einverleibt worden war, darart, daß, wenn auch verschieden, die
göttliche und menschliche Natur nicht zwei Personen bildeten, sondern
eine einzige, die Person des Gottessohn.
Gott hat sein Versprechen eingelöst, das Versprechen, das er unseren
Voreltern machte. Die Prophezeiungen sind erfüllt: Der Erlöser ist da.
Seine Mutter war eine Jungfrau, die Jungfrau Maria; sie blieb es ohne
Makel ihrer Jungfräulichkeit, wie es vom Propheten Isaias vorhergesagt
war.
Der Sohn Gottes war Mensch geworden, in eine Krippe gebettet, geboren
in einer rauhen Nacht. Wo war das auserwählte Volk, das sich nicht die
Mühe machte, Ihn zu empfangen? Wo ist das Volk, das seufzend und voll
Sehnsucht Sein Kommen erwartet hatte? Wo sind die Kinder Judas? Die
Angehörigen Deines Volkes werden Dich nicht empfangen, denn Du kommst
nicht so, wie sie Dich erwarteten. Wer wird in Dir das ewige Wort
Gottes sehen, so wie Du gebettet bist auf Stroh in einer armseligen
Krippe? Die Kinder Judas werden es niemals ertragen, daß Du ihr Erlöser
sein sollst, so arm und niedrig wie Du gekommen bist.
Andere sind es, Herr, die ihre Arme öffnen, Dich aufzunehmen. Es sind
zwar nicht die Nachkommen Judas, aber die Nachkommen des Menschen, dm
Du mit Deinen göttlichen Händen formtest, des Menschen, der das Gesetz
brach, das Du ihm gabst. Wir, die Enterbten, sind es, die Dich heiß
begehren, und wir tragen in unserer Seele das Gewicht seiner Schuld.
Komm, o Herr!
"Ehre sei Gott in der Höhe und Frieden den Menschen, die guten Willens
sind!" Was in jener Nacht die Engel anstimmten, es werde überall
gehört. Daß alle Menschen es hören würden, daß auch die es hörten, die
sich für groß und mächtig halten: die Lenker der Völker. Daß es die
Reichen und die Armen hörten, daß es bis zu den Tauben vordringe, damit
Rache und Haß verschwinden, daß die Kriege beendet würden und das
Unrecht, welches sie entfesselt. Wir wollen Deinen Frieden, o Herr, den
Du uns brachtest und den die Engel verkündeten. Wir wollen nicht den
Frieden der Versklavten, wollen keinen Frieden, der den Menschen seiner
Würde und Freiheit beraubt, keinen Frieden, der entwürdigt und
erniedrigt. Wir wollen Deinen Frieden, weil er uns adelt und erhöht.
Gib ihn uns, o Herr!
(leicht gekürzt) |