Die Irrtümer des II. Vatikanums und ihre Überwindung durch die Erkenntnis Christi als Sohn Gottes
von Eberhard Heller
Die Absicht der nachfolgenden Abhandlung ist es, die Beschlüsse des II. Vatikanums und deren Umsetzung kritisch zu analysieren, um zum umfassenden Prinzip dieser Reformen vorzudringen. Falls sich zeigen sollte, daß die Ergebnisse mit der bisherigen Lehre der Kirche nicht übereinstimmen sollten - was wir bisher immer behauptet haben -, dann werde ich versuchen, Möglichkeiten zu präsentieren, wie dieser derzeitigen Krise grundsätzlich begegnet werden kann. Also einer Diagnose soll - wenn nötig - ein Therapieangebot folgen.
Angeregt zu dieser Untersuchung wurde ich durch einen Aufsatz von dem verstorbenen Prof. Leo Scheffczyk, einem sicherlich unverdächtigen Zeugen, der sich nicht als unser Parteigänger begriffen hat, der aber eine ganze Reihe Phänomene ähnlich beurteilte wie wir. So sieht er in dem Gnostizismus des II. Jahrhunderts zu Recht Parallelen zu heutigen Entwicklungen. In der UNA VOCE KORRESPONDENZ Nov./Dez. 1982, S. 381, schrieb er: "Es gibt in der Geschichte ein klassisches Beispiel für die Überwindung einer lebensbedrohlichen Krise, deren Stil- und Geistverwandtschaft mit der heutigen Glaubensnot in die Augen fällt. Der im zweiten Jahrhundert aufgebrochene Gnostizismus schickte sich an, die christliche Heilslehre in die damals moderne Weltweisheit einzuschmelzen, um sie so angeblich auf den Stand ihrer Eigentlichkeit zu bringen. Damals wie heute wurde die Überführung des Glaubens in eine angeblich höhere Vernunft propagiert, es dominierte die synkretistische Verbrämung der Offenbarung mit Ersatzstücken der Zeitphilosophie (...). Die Kirche setzte dieser Suggestion des Fortschrittlichen drei schlichte Grundsätze entgegen: der Faszination der geistreichen gnostischen Literatur begegnete sie mit der Aufstellung des Kanons der biblischen Schriften, der willkürlichen Berufung auf subjektive Offenbarungen und Sonderlehren mit der Hervorhebung des objektiven Traditionsprinzips, dem spiritualistischen Schwärmertum mit dem "monarchischen" Episkopat. Damit aber erreichte sie nicht nur ein kümmerliches Überleben, sondern eröffnete sich den Weg in die Weite der antiken Welt."
Es gilt also - neben einer Analyse der Krise -, Prinzipien aufzuzeigen, mit denen die heutige Krise nicht nur bekämpft, sondern - wie oben aufgeführt - auch überwunden werden kann.
Wie sich zeigen wird, spielt dabei die Frage nach der Aufgabe und dem Wesen der Kirche die entscheidende Rolle. Wir hatten die Frage nach dem Hauptirrtum des II. Vatikanums bereits vor genau zehn Jahren einmal zur Diskussion gestellt (vgl. EINSICHT vom Sept. 2003, Nr. 7). Mehr oder weniger übereinstimmend haben die verschiedenen Autoren - Ohnheiser, Kabath, Lang, De Moustier und ich - festgestellt, daß die Relativierung bzw. Verfälschung des Kirchenbegriffes der Irrtum ist, auf dem alle anderen Irrtümer basieren. Das Problem einer Überwindung der Krise wurde damals nicht thematisiert.
Um aber einen leichteren Zugang zu unserer Problematik zu finden und um zu einem abgewogenen Urteil zu gelangen, von dem wir sagen, daß es theologisch fundiert ist, muß ich ein wenig ausholen. Die Beschlüsse, wie sie dann auf dem vatikanischen Konzil verfaßt und umgesetzt wurden, lassen sich nur verstehen, wenn man auch die Situation beschreibt, in der sie entstanden sind.
Seit Luther gibt es nicht nur in den deutschsprachigen Ländern, sondern weltweit, Religionsgemeinschaften, die sich etabliert haben und so in Konkurrenz zur katholischen Kirche standen und noch immer stehen (heute sind weitere Religionen dazugekommen, die sich auch als Heilswege präsentieren).
Die Erschütterung des Lehrgebäudes, die damals durch die Revolution Luthers verursacht worden war, betraf nicht nur einzelne dogmatische Positionen, sondern die gesamte Lehre der Kirche. Wenn man einmal einen Kontrovers-Katechismus durcharbeitet, wird man feststellen, daß außer dem Satz "Christus ist Gottes Sohn" alle anderen Glaubensfragen unterschiedlich beantwortet werden. Allein die Frage nach dem Fundament, auf dem die Kirche ruht, zeigt die Unvereinbarkeit der beiden Positionen. Nach katholischer Lehre steht die Kirche auf den Säulen Tradition und Schrift, nach Luther gibt es nur die Schrift als Basis (sola scriptura). Wenn man nun weiter aufzeigt, daß die Schrift Produkt der Tradition ist - die Hl. Schrift wurde von den Evangelisten und Aposteln unter dem Beistand des Hl. Geistes nach Christi Himmelfahrt verfaßt (von Christus selbst gibt es keine Aufzeichnung seiner Lehre) -, dann fällt sehr bald die Unhaltbarkeit von Luthers sola-scriptura-Lehre auf.
Auf Luthers Herausforderung mußte die Kirche reagieren und sie tat es auf dem Konzil von Trient. Das Tridentinum begegnete diesen konzentrierten lutherischen Irrlehren durch präzise dogmatische Festlegungen, die erstaunlicherweise den bisherigen thomistischen Begriffsapparat weit überflügelten. Die Canones, die in Trient formuliert wurden, betrafen vornehmlich Lehraussagen für den Bereich der Sakramente. Eine lehramtliche Entscheidung über das Wesen der Kirche wurde wegen der divergierenden Auffassungen damals nicht gefunden. "Das Trienter Konzil hatte dadurch, daß seine Dekrete als Glaubens- und Rechtsnormen das kirchliche Leben durch drei Jahrhunderte formten, ein "tridentinisches Zeitalter der Kirche" heraufgeführt." (Hubert Jedin: "Kleine Konzilsgeschichte - Mit einem Bericht über das Zweite Vatikanische Konzil" Herder, Freiburg im Breisgau 1969, S. 127.)
Wenn man zum anderen die Entwicklung der Kirche - neben der Abgrenzung bzw. ihrem Selbstverständnis gegenüber dem Protestantismus - im Verhältnis zur "Welt" (schon lange vor Beginn des II. Vatikanums) betrachtet, so muß man feststellen, daß sich auf der einen Seite die Welt schon vor der Französischen Revolution immer stärker säkularisiert, aber auf der anderen Seite die Kirche immer mehr Felder aufgegeben hatte, auf denen sie bis zum Beginn des 19. Jahrhundert Ton angebend war. So hat sie ihre Führungsposition im Bereich der Kunst mit dem Ende des Rokoko verloren. Man stelle sich den Barock vor ohne die Sakralbauten, ohne die herrlichen Deckengemälde in den Kirchen, ohne die überquellenden Stuckarbeiten. Die Antwort auf die neuen Stilrichtungen wie z.B. die Romantik, den Im- und Expressionismus war der Rekurs auf frühere Epochen. Man denke nur im Bereich der Architektur an die neo-romanischen bzw. neo-gotischen Kirchen. Im Bereich der bildenden Kunst setzte sich das akademistische Nazarenertum durch.
Im Bereich der Philosophie hatte man die Entwicklung, die mit Descartes einsetzte und über Kant, Reinhold und Fichte weitergeführt und die bestimmt worden war durch die Frage, wie Wissen als Wissen möglich ist und wie es sich begründen läßt, in der es um eine absolute Begründung des Wissens - und nicht des Seins - ging, völlig verschlafen. Lediglich im Prämonstratenser-Kloster Polling in Oberbayern hatte man sich um 1790 mit den Schriften von Kant beschäftigt. Zu sehr vertraute man auf den - in sich zerstrittenen - Thomismus als gesichertes philosophisches Fundament. Dieser hat gerade im religions-philosophischen Bereich nicht einmal einen klaren Begriff von Gott hervorgebracht, denn die sog. "Quinque viae", die sog. Gottesbeweise von Thomas stellen - philosophisch gesehen - nur Tautologien dar, die eben nichts beweisen. (N.b. diese Entfremdung von Mitgliedern der Kirche, besonders der Theologen von der allgemeinen wissenschaftlichen Entwicklung der Wissenschaften hat bei etlichen einen Minderwertigkeitskomplex ausgelöst. Nicht umsonst! Einer der Gründe, warum die theologischen Positionen der Modernisten so gerne, aber auch unkritisch übernommen wurden, war begründet in ihrer Adaption moderner philosophischer (hegelscher) Theoreme.)
Anlaß, über das Verhältnis der Kirche zu einer säkularisierten, d.h. zu einer immer stärker entgöttlichten Welt, nachzudenken, gab es genug. Die Kirche mußte sich in ihrem Selbstverständnis und ihren Aufgaben in der Welt neu aufstellen, da sie nicht mehr wie im Mittelalter die geistige Hoheit über die Politik ausübte, die inzwischen auf ihre Autonomie pochte. Sie konnte ihren historischen Kontext nicht einfach ignorieren. Wie sollte der Auftrag Christi an Petrus "Weide meine Schafe" (Joh. 21, 17) unter den veränderten historischen Umständen erfüllt werden?
„Dieses nach innen gerichtete Ringen um ein neues, tieferes Selbstverständnis der Kirche war aber nur eine Seite einer noch umfassenderen Neuorientierung nach außen, im Verhältnis zur ‚Welt’. Als sich das Trienter Konzil versammelte, gab es noch eine Christenheit und eine christlich-abendländische Kultur; das Erste Vatikanische Konzil stand bereits einer nicht mehr durch das Christentum geprägten, zunächst noch europäischen Kultur gegenüber, gegen die sich Papst Pius IX. im Syllabus scharf abgesetzt hatte." (Hubert Jedin a.a.O., S. 129) Die 10 Vorlagen zum Wesen und der Aufgabe der Kirche, die dem I. Vatikanischen Konzil zur Abstimmung vorlagen, kamen wegen des Ausbruchs des Deutsch-Französischen Krieges 1870 nicht mehr zur Abstimmung. Man hatte zu lange über die Unfehlbarkeit des Papstes diskutiert. Weil die Franzosen ihre Truppen aus dem Kirchenstaat, den sie bis dahin geschützt hatten, abzogen, konnte Italien den Kirchenstaat fast ohne Kämpfe erobern und am 20. September annektieren.
"Es [das Erste Vatikanische Konzil] hatte darauf verzichtet, durch disziplinäre Dekrete Glaubensverkündigung und Gottesdienst, Seelsorge und Organisation der Kirche den durch die Industrialisierung völlig veränderten Verhältnissen anzupassen, und nur in einer Hinsicht hatte es eine Lücke in den Trienter Entscheidungen geschlossen, indem es den päpstlichen Primat und die amtliche Lehrunfehlbarkeit des Papstes definierte. Aber auch diese Definitionen waren nur ein Segment der ursprünglich geplanten Konstitution über die Kirche, auf die man in Trient hatte verzichten müssen, weil damals die Auffassungen der Theologen und Kanonisten über Wesen und Struktur der Kirche noch zu weit auseinandergingen." (Hubert Jedin a.a.O., S. 127)
Um dieses Vakuum auszufüllen, veröffentlichte Pius XII. am 29.6.1943 die Enzyklika Mystici corporis Christi, worin der Papst ausführte, daß der mystische Leib Christi und die römisch-katholische Kirche identisch sind. Die Enzyklika stellt das wichtigste Dokument der Kirche in der Entwicklung der Lehre über sich selbst, d.i. der Ekklesiologie seit 1800 dar. (Vgl. auch EINSICHT Nr. 2 vom Februar 2004)
Über den Begriff der Kirche und ihre Position nachzudenken, trat im Dritten Reich und nach dem II. Weltkrieg noch ein weiterer Aspekt hinzu, nämlich wie sollte man das Verhältnis zu anderen Bekenntnissen, zu anderen Religionen gestalten? Im Dritten Reich gab es im Kampf gegen den Nationalsozialismus Felder, auf denen die kath. Kirche und die lutherischen Bekenntnisse gemeinsam operierten. Nach dem Krieg gab es deshalb Bemühungen, die Möglichkeit eine Reunierung auszuloten, wobei die Devise galt, die "Einheit in der Wahrheit" aufzufinden - und nicht die "Einheit ohne die Wahrheit". Einer ihrer Vertreter war der bedeutende lutherische Theologe Hermann Otto Erich Sasse (1895-1976), der 1948 aus Protest gegen die Gründung der EKD, insbesondere gegen den Beitritt der Bayerischen Landeskirche, zur Evangelisch-lutherischen (altlutherischen) Kirche übertrat und 1949 die Berufung der Lutherischen Kirche Australiens annahm und emigrierte.
Auf diesem historischen Hintergrund darf es nicht wundern, wenn auf dem II. Vatikanum das Thema der Ekklesiologie erneut wichtig war und zentrale Bedeutung erlangte.
Papst Pius XI. hatte zwar an eine Fortführung des abgebrochenen I. Vatikanums gedacht, aber er schreibt in seiner ersten Enzyklika "Ubi arcano dei consilio" vom 23. Dezember 1922, Nr. 51: „Wir wagen es jedoch nicht, sofort die Wiederaufnahme des ökumenischen Konzils anzuordnen, das, wie Uns noch aus Unserer Kindheit erinnerlich ist, durch den seligen Papst Pius IX. eröffnet wurde, aber nur einen, wenn auch bedeutenden, Teil seines Programms erledigt hat. Wir möchten lieber noch zuwarten und, wie der berühmte Führer der Israeliten, beten, dass der gütige und barmherzige Gott Uns seinen Willen klarer zu erkennen gebe".
"Die Berufung des Zweiten Vatikanischen Konzils war die höchstpersönliche Tat Johannes XXIII. Wohl war der ehemalige Professor der Kirchengeschichte mit der Bedeutung der allgemeinen Konzilien vertraut, wohl kannte er durch seinen langen Aufenthalt in Sofia und Konstantinopel das Synodalleben der Ostkirchen; dennoch führte er, als er am 25. Januar 1959 nach dem Stationsgottesdienst in St. Paul den Kardinälen die Einberufung einer römischen Diözesansynode und eines "ökumenischen Konzils" ankündigte, nicht einen lange gehegten und wohlbedachten Plan aus; er folgte, wie er zu wiederholten Malen versichert hat, einer plötzlichen Eingebung von oben." (Hubert Jedin a.a.O., S. 131)
In der ersten Sitzung der am 17. 5. 1959 gebildeten Kommission zur Vorbereitung des Konzils (der Commissio antepreparatoria) erklärte er (am 30. 6. 1959), die Kirche trachte danach, "getreu den heiligen Grundsätzen, auf die sie sich stützt, und der unwandelbaren Lehre, die der göttliche Gründer ihr anvertraut hat, ... mit herzhaftem Schwunge ihr Leben und ihren Zusammenhalt wieder zu stärken, auch im Hinblick auf Gegebenheiten und Anforderungen des Tages". Der Slogan vom "Aggiornamento" war kreiert. Zur Durchführung wurden zehn Kommissionen einberufen, zu denen noch das "Sekretariat für die Einheit der Christen" unter Kardinal Bea hinzukam.
Als am 11. Oktober 1962 unter der Anwesenheit von über 2500 Konzilsvätern schließlich das II. Vatikanum eröffnet wurde, hatte Johannes XXIII. durch die Benennung der Präsidenten zur Leitung der zehn Generalkongregationen bereits richtungsweisend für das Programm des Konzils vorgearbeitet. Sie lag in der ersten Tagungsperiode in den Händen u.a. von den Kardinälen Tisserant, Lienart, Spellman, Frings, Ruffini und Alfrink. Mit Beginn der zweiten Periode übernahmen dieses Amt vier von Paul VI. ernannte Moderatoren, die Kardinäle Agagianian, Döpfner, Lercaro und Suenens.
Als Johannes XXIII. am 3. Juni 1963 starb, wurde das Konzil von Paul VI. weitergeführt, der am 21. Juni 1963 zu seinem Nachfolger gewählt worden war. Man wußte von ihm, daß er neben Kardinal Lercaro die Linie des "Aggiornamento" seines Vorgängers entschieden bejahte.
Es geht mir hier nicht um eine historische Darstellung des Ablaufes des Konzils, das würde für unsere Absicht zu weit gehen - darüber existiert eine umfangreiche Literatur, ich möchte aber noch auf einige Punkte hinweisen, die richtungsweisend für dessen Verlauf wurden.
Paul VI., der für die Leitung der Generalkongregationen drei Kardinäle des progressiven Flügels berufen hatte, „stellte in der Eröffnungsrede am 29. September 1963, präziser als es sein Vorgänger je getan hatte, dem Konzil vier Aufgaben: eine lehramtliche Darlegung des Wesens der Kirche - womit er das Schema De ecclesia an die Spitze rückte, ihre innere Erneuerung, die Förderung der Einheit der Christen und - in dieser Form wiederum neu - das Gespräch Kirche mit der Welt von heute. Für die erste und nunmehrige Hauptaufgabe, das Selbstverständnis der Kirche in einer lehramtlichen Konstitution zusammenzufassen, war eine entscheidende Richtlinie in dem Satz gegeben: "Unbeschadet der dogmatischen Erläuterungen des Ersten Vatikanischen Konzils über den römischen Papst, wird die Lehre vom Episkopat, dessen Aufgaben und dessen notwendige Verbindung mit Petrus zu untersuchen sein. Daraus werden sich auch für Uns Richtlinien ergeben, aus denen Wir in der Ausübung Unserer Apostolischen Sendung lehrhaften und praktischen Nutzen ziehen werden." (Hubert Jedin a.a.O., S. 148)
Wichtig für die nun vorgegebene Richtung waren die Ausführungen von Kard. Lecaro, einem der Progressisten, der am 1.10.1963 in einer Sitzung darauf hinwies, daß der Begriff der Kirche, den Pius XII. in Corpus Christi mysticum grundgelegt hatte, die Realität der sichtbaren Kirche nicht abdecken würde, "weil nach ihm alle Getauften in gewisser Weise zum mystischen Leibe Christi gehören, ohne notwendig Glieder der sichtbaren katholischen Kirche zu sein" (vgl. Jedin, a.a.O., S. 149), wodurch im Prinzip das (häretische) Resultat von „Unitatis redintegratio“ vorweggenommen war.
Das Konzil nahm seinen Verlauf mit den bekannten Ergebnissen, die von uns ausführlich analysiert worden sind (seit dem Erscheinen des ersten Heftes unserer Zeitschrift im April 1971 mit der Veröffentlichung der Bulle "Quo primum" vom hl. Papst Pius V.).
Auch 50 Jahre nach Eröffnung des II. Vatikanums wird über seine Bedeutung für die kirchliche Entwicklung heftig gestritten. "Was die Beurteilung des Zweiten Vatikanischen Konzils betrifft, gehen die Ansichten weit auseinander. Von den einen gepriesen als ein "neues Pfingsten", von den anderen angesehen als eine einzigartige Katastrophe. Von den einen bejubelt als die "Öffnung der Kirche zur Welt", von den anderen gerade deshalb verurteilt als ein furchtbarer Verrat an der Kirche - so schwankt das Charakterbild dieser Bischofsversammlung in der Geschichte der letzten Jahrzehnte." (Wolfgang Schüler: "Pfarrer Hans Milch - Eine große Stimme des katholischen Glaubens - Mit einer Kritik am Zweiten Vatikanischen Konzils" 1. Bd., Action spes unica 2005, S. 469)
Es ist nicht zu übersehen, daß wir zu jener Gruppe gehören, die die Dekrete des II. Vatikanums aus Überzeugung ablehnen. Ihre Umsetzung leitete eine Epoche einer systematisch betriebenen Revolution von oben ein mit dem Ziel einer religiösen Gleichschaltung. Es handelt sich um die Realisierung des freimaurerischen Ideals, nachdem alle Religionen gleich gültig sind, womit Lessings Idee von der Gleichheit von Christentum, Judentum und Islam in seiner Ringparabel (vgl. "Nathan der Weise") Wirklichkeit geworden ist. Nach Beendigung des Konzils wurden wir durch die sog. Reformen, besonders denen in der Liturgie, hellhörig, bis wir durch unsere theologischen Untersuchungen herausfanden, daß es sich um handfeste Abweichungen vom bisherigen Glaubensgut handelte.
Die Reformer könnten einwenden, das Konzil wollte nur pastorale, keineswegs lehramtliche Entscheidungen treffen. Dagegen spricht jedoch, daß sämtliche Beschlüsse und Dekrete von den Reformern gehandelt werden wie Dogmen, von denen ein Abweichen die Zugehörigkeit zur Kirche gefährden würde. In diesem Zusammenhang verweise ich nur auf die neuerlichen Verhandlungen zwischen Econe und dem Vatikan, die daran gescheitert sind, daß Econe nicht einmal eine modifizierte Interpretation des II. Vatikanums zugestanden wurde.
Als Einstiegshilfe zur Beschreibung und einer Beurteilung einer Situation, die nach dem Konzil einsetzte, mögen folgende Beispiele dienen. In der Debatte um die Wiederzulassung der "alten" Messe (in der Version von Johannes XXIII.), die von Ratzinger /Benedikt XVI. befürwortet wurde, gab Zollitsch als Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, die sich gegen Ratzingers Vorhaben stellte, an, die beiden Messen stünden für zwei verschiedene Kirchen. Damit läßt er ungewollt durchblicken, daß es doch zu einem Bruch - und kein Kontinuum - im Selbstverständnis der Kirche gekommen sein muß.
Zum anderen möchte ich auf eine semantische Verschiebung hinweisen, die der Ehebegriff im Laufe der letzten 50 Jahre erfahren hat. Wir wohnen in einem kleinen oberbayerischen Dorf, wo katholische Traditionen noch gepflegt werden. Man geht sonntags in die Kirche, vorwiegend in der Tracht, man betet den Rosenkranz, wenn jemand gestorben ist. Wenn es aber in einer Ehe zu Schwierigkeiten kommt, dann ist es kein Problem, wenn sich die Ehepartner, die noch am Traualtar sich Treue zugesagt hatten, "bis sie der Tod scheidet", nach neuen Partnern umsehen und mit denen leben, als wäre alles in be- ster Ordnung. Die Idee von der Ehe als unauflöslichem Sakrament ist der (lutherischen) Vorstellung gewichen, die Ehe sei ein menschlich Ding.
Nun muß man der Wahrheit willen sagen, daß es kein Konzils-Dekret gibt, in dem die Ehe als Sakrament geleugnet wird. Aber wenn die Mauern einmal eingerissen sind, bleibt kein Stein mehr auf dem anderen. Wer redet nicht immer von der Zulassung zu den Sakramenten für die wiederverheirateten Geschiedenen? Wie kann es sein, daß die Ehe von Funktionären der Reform-Kirche, die mit der Vermittlung von Lehrinhalten betraut waren und deren Ehe zwei Kinder entsprangen, so mir nichts dir nichts annulliert wurde?
Es ist nicht das Problem, daß Fragen gestellt werden, sondern wie sie beantwortet werden… nach welchen Kriterien und ob sie im Kontext mit den bisherigen dogmatischen Festlegungen bestehen können oder ob es sich wie im Falle Luthers von Abweichung bzw. Verfälschungen handelte. Dies soll hier untersucht werden.
Auch wenn klar ist, wie die Antwort letztlich ausfallen wird, nämlich ablehnend - wir werden nicht 45 Jahre lang etwas behaupten, um es dann zu verwerfen oder das Gegenteil zu behaupten -, so soll doch der Zugang zu unserer kritischen Position soweit wie möglich für alle verständlich und nachvollziehbar sein.
Wenn man einmal nach den Gründen für diese Krise fragt, so werden häufig folgende Gründe genannt: die Konzilsbeschlüsse seien mißverstanden worden oder der Ökumenismus, die Religionsfreiheit, das gewandelte Kirchenverständnis, die neue Liturgie seien daran schuld.
In der Tat ist die gravierende Umdeutung des Kirchenbegriffes der Vorgang, in dem alle anderen Kritikpunkte festgemacht werden können. Die subsistit-in-Lehre, wie sie in "Lumen gentium", Art. 8 festgeschrieben ist, wonach die katholische Kirche nicht mehr die Kirche Jesu Christi ist, sondern nur an ihr partizipiert, hat den Weg frei gemacht für alle anderen Irrtümer über die Kirche selbst und ihre Aufgabe, über ihr Verhältnis zur Welt, zu anderen Religionen, zur Moral und zur Liturgie (vgl. dazu auch Schüler, a.a.O., 1. Bd., S. 509 ff.)
Die Aufgabe des Absolutheitsanspruchs der Kirche hatte ich bereits vor 10 Jahren beschrieben: "Die Relativierung des Absolutheitsanspruches der Kirche war schon in dem in der Enzyklika "Pascendi dominici gregis" des hl. Pius X. verurteilten Modernismus vorgeformt. Als bestimmendes Moment wird die Aufgabe des Absolutheitsanspruches der Kirche manifestiert in den Dokumenten des II. Vatikanums. In ihnen schlägt diese Auffassung durch, daß die Kirche nicht die allein seligmachende Heilsinstitution ist. So heißt es z.B.: "Mit Hochachtung betrachtet die Kirche auch die Muslime, die den alleinigen Gott anbeten, den lebendigen und in sich seienden, barmherzigen und allmächtigen, den Schöpfer Himmels und der Erde, der zu den Menschen gesprochen hat" ("Nostra Aetate", Art. 3). Ferner: "Der Heilswille umfaßt aber auch die, die den Schöpfer anerkennen, unter ihnen besonders die Muslime, die sich zum Glauben Abrahams bekennen und mit uns den einen Gott anbeten, den barmherzigen, der die Menschen am Jüngsten Tag richten wird" ("Lumen gentium", 16. Kap.) Diese leitende Idee mag nicht immer expressis verbis formuliert worden sein, aber sie zieht sich durch die gesamte nachkonziliare Entwicklung wie ein roter Faden. (…) Diese Religionsrelativierung ging mit einem fortschreitenden Synkretismus weiter und erhielt ihren ersten Höhepunkt im Treffen in Assisi vom 27.10.1986 (dem dann die weiteren sog. interreligiösen Treffen folgten bis hin zu dem Treffen in Aachen im September dieses Jahres [2003]), wo unter Führung dieser Reformer sämtliche Religionsführer (Judentum, Islam, Hinduismus, Buddhismus usw.) unter Betonung ihres Glaubens eingeladen werden, um am Friedensprozeß und der Entfaltung der "Kultur der Liebe" (Johannes Paul II.) am Schicksal der Menschheit mitzuwirken. Man überlege einmal, welch immense Bedeutung man inzwischen dem Buddhismus und seinem Vertreter, dem Dalai Lama, beimißt, der auf keiner dieser interreligiösen Veranstaltungen mehr fehlen darf! (N.b. wie diese "Kultur der Liebe" in concreto ausschaut, kann man an dem unglaublich belasteten Verhältnis der islamischen Welt gegenüber dem angeblich christlichen Westen ablesen.) Die Morde islamischer Fanatiker an Christen "belohnt" Johannes Paul II. damit, daß er den Koran, in dem die Tötung der Christen empfohlen wird, küßt - eine Geste, die jeder Muslim nur als Unterwerfung unter den Vormachts- und Absolutheitsanspruch des Korans verstehen kann. Einen größeren Skandal kann man sich kaum vorstellen! Inzwischen wurde sogar die Eröffnungssure aus dem Koran ins offizielle, modernistische Schott-Meßbuch übernommen: Am Donnerstag der 12. Woche im "Jahreskreis" heißt es dort: "Im Namen Allahs, des Gnädigen, des Barmherzigen. Preis sei Allah, dem Herrn der Welten, dem Gnädigen, dem Barmherzigen, dem Herrn am Tage des Gerichts." (zitiert nach UVK 33. Jahrg. Heft 3, Mai/Juni 2003, S. 186) (…) Die Auffassung der Aufgabe des Absolutheitsanspruches der Kirche kommt auch in folgendem Eingeständnis eines französischen Reformers überdeutlich zum Ausdruck. Pater Claude Geffre OP, Professor am Institut catholique de Paris, Dekan der theologischen Fakultät von Saulchoir, Direktor der Ecole biblique von Jerusalem, schreibt in "Le Monde" vom 25. Januar 2000: "Beim II. Vatikanischen Konzil entdeckte und akzeptierte die katholische Kirche, daß sie nicht das Monopol der Wahrheit besitzt, daß sie ihr Ohr für die Welt öffnen muß, daß sie sich nicht nur durch andere religiöse Traditionen belehren lassen muß, sondern auch durch die Neulesung der grundlegenden Rechte des menschlichen Gewissens. Alle Religionen müssen sich für diesen universellen Konsens öffnen. Alle werden aufgerufen durch das Bewußtsein der Rechte und der Freiheit des Menschen. Jene (Religionen), die sich diesen legitimen Ansprüchen widersetzen, sind dazu verurteilt, sich zu reformieren oder zu verschwinden. Sich zu reformieren bedeutet in diesem Zusammenhang zuzulassen, daß die Öffnung gegen die Forderungen des modernen menschlichen Bewußtseins nicht im Gegensatz steht zur Treue zum Inhalt ihrer Offenbarung". (EINSICHT Nr. 7 vom September 2003)
Die in den Konzilsdokumenten "Lumen gentium" (Konstitution über die Kirche), "Gaudium et spes" (pastorale Konstitution über die Kirche in der Welt), "Nostra aetate" (Verhältnis zu den nicht-christlichen Religionen), Dekret über den Ökumenismus "Unitatis redintegratio", die Erklärung über die Religionsfreiheit "Diginitatis humanae" und der Konstitution über die Liturgie "Sacrosanctum concilium" enthaltenen Häresien wurden in EINSICHT immer wieder aufgezeigt. Dennoch möchte ich an Hand einiger Irrtümer die innewohnende Tendenz sichtbar machen.
Bei dem neuen Ritus zur Bischofsweihe greift man angeblich auf sakramental-theo-logische Elemente der Ost-Kirche zurück, um eine ökumenische Ausweitung zu erreichen. Im sog. N.O.M. ist die Tendenz, die Messe an die protestantische Mahlfeier anzugleichen ausschlaggebend, daß also eine Assimilierung mit protestantischen Positionen vorliegt, die man auch im neuen Ritus der Priesterweihe feststellen kann, wo vom Prie- ster, der das Opfer feiert, übergegangen wird zu einem (bloßen) Pastor, einem Hirten, der seiner Gemeinde vorsteht. Ja sogar in der gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigung, die am 31. Oktober 1999 (dem Reformationstag) von Kard. Cassidy und dem LWB-Präsidenten Krause in der evang.-lutherischen St. Anna-Kirche in Augsburg unterschrieben wurde, findet sich ein compositum mixtum aus kath. und lutherischen Lehren.
Ein ganz gravierendes Moment der Aufgabe der katholischen, will sagen der wahren Position, findet sich in der bereits erwähnten neuen Lehre über die Kirche, die nicht mehr die Kirche Jesu Christi ist (est), sondern nur an ihr teilhat (subsistit in) - auch wenn man meint "erheblich". Mit diesem "subsistit in" wird die Identität der Kirche als Gründung durch Christus mit ihrem Gründer aufgegeben. So redet Ratzinger von "Polyphonie", wenn er die divergierenden Lehrmeinungen der verschiedenen christlichen Bekenntnisse in einer Sammlung zusammenfassen will.
Zieht man die Tendenzen zusammen, kommt man zu dem Ergebnis, daß die Reform-Kirche sich von ihrer eigentlichen theologischen Festlegung, die vom Lehramt der Kirche garantiert war (bis zum II. Vat.) abgelöst hat und sich auf Konzepte zubewegte, die vom Lehramt direkt als Häresien verurteilt worden waren. (Hierher passen auch die Äußerungen des sog. Kard. Lehmann, der Luther als "Kirchenlehrer" titulierte und die wohlwollenden Äußerungen Ratzingers zu eben diesem Reformator.)
Man übernimmt damit aber nicht nur Fehlpositionen, sondern mit deren Übernahme wird zugleich der Wahrheitsanspruch, der mit der Lehre der Kirche verbunden war, aufgegeben. Die Wahrheit, d.h. der absolute Anspruch, den die Kirche an ihre Lehre seit ihrer Gründung gestellt hat, wird aufgegeben.
Ratzinger würde nicht direkt leugnen, daß Christus Gottes Sohn ist, aber mittelbar, indem er Christus als den definiert, der den Willen des Vaters vollkommen adaptiert, d.h. er ist ein werdender Gott durch Adaption des göttlichen Willens, dem auch andere folgen könnten, wenn sie auch vollkommen Gottes Willen erfüllten. D.h. es könnten neben Christus auch andere Söhne Gottes aufkommen. Damit ist aber die Lehre von der Trinität zerstört.
Diese Abweichungen von der wahren Lehre sind teils deshalb so schwer zu enttarnen, weil unter Beibehaltung der gleichen Termini andere Begriffe unterschoben werden, weshalb der verstorbene Carlos Disandro aus Alta Gracia in Argentinien von einem „semantischen Betrug“ gesprochen hat. Ich greife noch einmal auf das gewandelte Verständnis der Ehe zurück. Für die vorkonziliare Kirche war sie ein unauflösliches Sakrament, welches den Zugang zur Anteilnahme am göttlichen Leben ermöglichte, für die reformerisch geprägte Generation von heute ist sie ein auf Sympathie gegründetes, scheidbares "menschlich Ding".
Wenn es eine Erkenntnis gibt, die sich wie ein roter Faden durch mein Berufsleben als Mitherausgeber und Mitarbeiter an der Karl-Leonhard-Korrespondenz-Ausgabe der Österreichischen Akademie der Wissenschaften zieht und sich im Laufe meiner Recherchen immer mehr verdichtet hat, dann ist es die, daß es seit dem Ende des 18. Jahrhunderts eine Bewegung gab und gibt, die sich massiv gegen die Offenbarung Gottes in Jesus Christus richtet und Seine Gründung, die Kirche. Seit dem Auftreten der Illuminaten, die als Geheimorden von Adam Weishaupt gegründet waren und zunächst die Freimaurerlogen unterwanderten, ging der geistige Kampf gegen Thron und Altar los. Zeugen dieser Subversion waren u.a. Ernst August Anton von Goechhausen, der 1786 die "Enthüllung des Systems der Weltbürger-Republik" herausgab, in denen er die Ziele der Illuminaten bekannt machte (Reprint Januar 1993 als Sonderheft der EINSICHT), der franz. Abbé Augustin Barruel, dessen "Denkwürdigkeiten zur Geschichte des Jakobinismus" in deutscher Übersetzung ab 1800 in vier Bänden in Münster und Leipzig erschienen und das anonym erschienene zweibändige Werk "Der Triumph der Philosophie im Achtzehnten Jahrhundert" von Johann August von Stark (Germantown, bey Eduard Adalbert Rosenblatt 1803), der als evangelischer Theologe eine Professur in Königsberg inne hatte. Alle drei Autoren hatten gleich zu Beginn saubere Aufklärungsarbeit über die wahren Ziele dieses Geheimordens geleistet, der nach jesuitischem Vorbild aufgebaut worden war.
Inzwischen sind über 200 Jahre vergangen und die gesteckten Ziele sind erreicht. Seit dem II. Vatikanum verfolgt nun auch die Hierarchie der abgefallenen katholischen Kirche die Ziele der Ablehnung der Offenbarung, wobei eine direkte, offene Apostasie dadurch kaschiert wird, daß man nicht die Institution Kirche und ihren Gründer ablehnt, sondern ihren absoluten Charakter negiert. Im Endeffekt ist es gleich, ob ich sage: ich bin abgefallen oder die Positionen der Kirche haben nur relative, will sagen nur subjektive Bedeutung. Wenn ich sage, alles ist gleich gültig, dann ist eben alles gleichgültig.
Diese Entwicklung kam plötzlich und hat die Gläubigen weltweit überrascht und unvorhergesehen getroffen, galt doch die Kirche als Garant der Wahrheit, die in Pius XII. noch einen starken Pfeiler besessen hatte. Wie sollte man annehmen, daß bereits sein Nachfolger, Johannes XXIII. und dessen Nachfolger, Paul VI. vom Stuhle Petri aus die subversiven Machenschaften steuerten, nachdem der Plan, Rampolla auf den Sitz Petri zu hieven, im Konklave von 1903 gescheitert war, dessen revolutionäre Ambitionen später aufgedeckt wurden.
Aber dadurch, daß nun die Revolution von oben betrieben wurde, sind viele in den Strudel mitgerissen worden, galt doch die päpstliche Autorität für einen katholischen Christen als unanfechtbar. Viele waren auch einfach einer Papolatrie aufgesessen. (Die Methoden und Vorgehensweise von Paul VI. und seiner Mitstreiter sind ausführlich in unserer Zeitschrift, besonders von S.E. Mgr. Ngô-dinh-Thuc dokumentiert worden.
Wir sind Zeugen dieser Vorgänge geworden, die als Reformen verkauft wurden und sich vor aller Augen öffentlich abgespielt haben. Man hat über alles offen verhandelt, ohne daß jemand ernsthaft und massiv protestiert hätte. Der Unterschied zu früheren Krisen besteht darin, daß der Abfall universal ist und von oben, d.h. von der abgefallenen Hierarchie aus geleitet wurde unter Missbrauch der Autorität, die mit dem Amt verbunden ist.
Wie könnte die Kirchen-Krise überwunden werden? Dazu einige skizzenhafte Anmerkungen:
Wir haben den Hauptirrtum und weitere Häresien aufgezeigt, damit wir auf der Basis dieser Diagnose auch Wege aufzeigen können, wie diese tiefe Krise der Kirchengeschichte zu bekämpfen ist, mit welchen Mitteln, um so zur Gesundung des Glaubenslebens beizutragen. Der eingehenden Diagnose muß also eine Therapie folgen, die nicht nur an den Symptomen laboriert, sondern den Krankheitsherd ausmerzt.
Wie könnte ein Neuanfang aussehen, was wären die wichtigsten Schritte? Ich bitte, die folgenden Ausführungen nur als einen ersten Versuch anzusehen, sich mit der Restituierung der Kirche zu befassen. Wir hatten bereits in einer Erklärung (erschienen in Nr. 3 der EINSICHT vom August 2000) Kriterien einer Restituierung der Kirche aufgezeigt, die ich hier noch einmal vorlegen möchte:
"Christus hat die Kirche aber als Heilsinstitution - und nicht nur als bloße Glaubensgemeinschaft - gegründet, um die unverfälschte Weitergabe seiner Lehre und Gnadenmittel zuverlässig zu gewährleisten. Der Wiederaufbau der Kirche als Heilsinstitution ist darum vom Willen ihres göttlichen Gründers gefordert. Zur Restitution der Kirche als sichtbarer Heilsinstitution gehören: - Sicherung der Gnadenmittel - Bewahrung und Weitergabe der Lehre der Kirche - Sicherung der apostolischen Sukzession - Wiedererrichtung der Gemeinschaft der Gläubigen auf regionaler, überregionaler und gesamtkirchlicher Ebene - Restitution der Hierarchie - Wiedererrichtung des päpstlichen Stuhles (als Prinzip der Einheit) Hier ergibt sich jedoch ein Dilemma. Einerseits fehlt derzeit die zur Erfüllung dieser Aufgaben nötige kirchliche Jurisdiktion, da die Hierarchie abgefallen ist, andererseits ist die Erfüllung dieser Aufgaben die notwendige Voraussetzung der Wiederherstellung eben dieser kirchlichen Autorität. Die Wiederherstellung der kirchlichen Autorität ist aber vom Heilswillen Christi her gefordert. Das Dilemma kann m.E. nur gelöst werden, indem sämtliche bisherigen Aktivitäten nur unter Vorbehalt einer späteren, endgültigen Legitimierung durch die wiederhergestellte Hierarchie stehen. Somit läßt sich z.B. die Meßzelebration und die Spendung der Sakramente einstweilen nur dadurch rechtfertigen, daß sie unter dem Aspekt der Gesamtrestitution der Kirche als Heilsinstitution stehen und sich der späteren Beurteilung durch die wiederhergestellte, legitime Autorität unterwerfen. Spendung und Empfang der Sakramente (einschl. Zelebration und Besuch der hl. Messe) wären somit unerlaubt, wenn sie ohne Bezug auf diese einzig mögliche Rechtfertigung vollzogen würden, unbeschadet ihrer sakramentalen Gültigkeit. Aus diesen Überlegungen läßt sich unter den gegebenen Verhältnissen zugleich die Zugehörigkeit zur wahren Kirche als dem mystischen Leib Christi bestimmen: die von Pius XII. in der Enzyklika "Mystici corporis" vorgelegten vier Kriterien: (1) Empfang der Taufe, (2) Bekenntnis des wahren Glaubens, (3) Unterordnung unter die rechtmäßige kirchliche Autorität und (4) Freiheit von schwersten Kirchenstrafen (DS 3802) müssen im Punkt (3) dahingehend modifiziert werden, daß wegen des Fehlens der rechtmäßigen kirchlichen Autorität vorläufig (d.h. bis zu ihrer vollständigen Wiederherstellung) die Anstrengung zur Restitution der kirchlichen Autorität als Ersatz-Kriterium zu gelten hat."
Diese Punkte sprechen die Verfahrensweisen zur Wiederherstellung der Kirche in einzelnen Schritten dar, hier soll aber noch eingegangen werden auf die allgemeinen Bedingungen, um dieses Ziel zu erreichen. Es handelt sich dabei um einen ersten Versuch und ich bitte die Leser, diese Ausführungen zum Anlaß eigener Anregungen aufzufassen, die ich gerne im nächsten Heft veröffentlichen würde.
1. Da durch die Relativierung des Wesens der Kirche als einzig wahrem Heilsweg, den Christus aufgezeigt hat, der seine Kirche als Heilsinstitution aufgebaut hat, in der alle menschlichen Probleme einer Lösung zugeführt werden können, die absolute Wahrheit über Christi Botschaft verloren gegangen ist, muß zunächst ein klarer Begriff a) von Gott und b) im besonderen von dem Mensch gewordenen Gottes-Sohnes erstellt werden. Voraussetzung dafür ist die philosophische Darstellung einer im Wissen begründeten Religionsphilosophie. 2. Enttarnung des semantischen Betruges, durch den in vorhandene Termini andere Begriffe eingeführt wurden, die den gemeinten Sachverhalt verändert haben. 3. Da die evangelische Botschaft und die Lehre allseits verfälscht wurde, muß durch Katechese eine Neu-Missionierung der Gläubigen erfolgen. 4. Durch ihren Glaubensabfall ist die moderne Hierarchie nicht mehr satisfaktionsfähig, weswegen ein neue Hierarchie aufgebaut werden muß. 5. Darstellung der religiösen Inhalte und Ideen in den verschiedenen Sparten der Kunst.
Was neu sein dürfte, ist der Versuch, die Wissensbedingung der Offenbarung Gottes in Jesus Christus entfalten zu wollen. Ich muß darlegen können, warum ich berechtigt in Christus - und nicht in dem Propheten Mohammed - den sich offenbarenden Gott erkennen kann. Bisher wurde dieser Erkenntnisakt so beschrieben:
„Die Hauptfrage, die nun zu beantworten ist, lautet also: wie gelangt der Mensch zum Besitz der wahren Lehre Christi, oder um uns umfassender und richtiger zugleich auszudrücken: wie gelangt der Mensch zur ungetrübten Kenntnis der uns in Christo Jesu angebotenen Heilsanstalt? Der Protestant sagt, durch die Forschung in der heiligen Schrift, die untrüglich ist; der Katholik dagegen, durch die Kirche, in welcher der Mensch zum Verständnis der heiligen Schrift selbst erst gelangt. In näherer Darlegung seiner Anschauungsweise fährt der Katholik fort: Unstreitig enthält die heilige Schrift göttliche Mitteilungen und darum die lautere Wahrheit; ob alle Wahrheiten, die uns in religiös-kirchlicher Beziehung entweder zu wissen notwendig oder doch sehr nützlich sind, kommt hier noch nicht in Betracht. Also die heilige Schrift ist Gottes untrügliches Wort; inwiefern aber ihr das Prädikat der Irrtumslosigkeit zukommt, sind wir noch nicht irrtumsfrei; vielmehr sind wir dies erst, wenn wir das an sich untrügliche Wort truglos in uns aufgenommen haben. Bei dieser Aufnahme ist menschliche Tätigkeit schlechthin notwendig, die irren kann; auf daß nun bei dem Übergange des Göttlichen der heiligen Schrift in unsern menschlichen Besitz keine schwere Täuschung, oder vielleicht gar eine gänzliche Entstellung stattfinde, wird gelehrt: der göttliche Geist, welchem die Leitung und Belebung der Kirche anvertraut ist, wird in seiner Vereinigung mit dem menschlichen ein eigentümlich christlicher Takt, ein tiefes, sicher führendes Gefühl, das, wie es in der Wahrheit steht, auch aller Wahrheit entgegenleitet.“ (Adam Möhler: „Die Kirche als Lehrerin und Erzieherin“ - http://www.johann-adam-möhler.de/Lehramt/ lehramt.html)
Damit wird das Erkennen auf ein „ein tiefes, sicher führendes Gefühl“ verlagert, welches aber keine Rechtfertigung bedeutet, diesem Gefühl zu vertrauen, gerade nicht in einer Zeit, in der alle auf ihr Gefühl pochen. Darum liefere ich zur Erkenntnis Christi als Gottes-Sohn einige Stichpunkte, die ich hier nur als Forderung erhebe: Ich muß nachweisen, daß es einen berechtigten Grund gibt, die mir via Tradition vermittelte Religion - davon leben auch die anderen Religionen! - als wahr anzuerkennen, d.h. für die christliche Religion zu zeigen, daß ich sagen kann, daß Christus Gottes Sohn ist, daß ich das berechtigt sagen kann, daß er der Erschienene ist, der Fleisch angenommen hat als der inkarnierte Absolute.
Postulat: in der Tradition muß ein Moment enthalten sein, ein genetisches, das mir den Zugang zu der absoluten Person weist, die sich dann auch als solche zeigen, sich offenbaren muß. Das Problem der Gottsuche für jede Person ist das: Glaube ist Gnade, die ich ohne das Zutun Gottes nicht erfahren würde. Gott muß sich mir also zeigen, mir das Tor zu sich als Person öffnen, mit dem ich in Verbindung trete, wenn er von sich aus den Kontakt aufnimmt (Johannes-Evangelium).
Durch das genetische Moment in der Tradition der christl. Religion müßte sich zeigen: a) die Einsicht in den absolut heiligen Willen Christi, der uns im Evangelium entgegentritt = Liebe/Sühneliebe. In der historischen Person Christi fällt personale Realität und göttliche Offenbarung in eins: das Absolute in der konkreten personalen Erscheinung; b) die Tradition dieses hl. Willens durch die konkrete Geschichte hindurch durch interpersonale Vermittlung der von Christus ausgehenden Liebe - die Eltern vertreten bei der Erziehung ihrer Kinder Gottes Stelle. Die Heiligen nehmen den Willen Christi besonders ernst und versuchen, einen Teil Seines Lebens besonders intensiv nachzuvollziehen. Die Rolle der Heiligen: sie wirken wie Relaisstationen, die die schwächer gewordenen Signale wieder verstärken und weitersenden.
Wäre das erreicht, könnte 1. die Grundlage für die Ausbildung einer echten Glaubensüberzeugung entstehen, 2. die Basis für den Absolutheitsanspruchs der Kirche gelegt werden, 3. die Heilsangebote andere Religionen aus Überzeugung ausgeschieden werden, denn: "Du sollst keine fremden Götter neben mir haben" (Dekalog), 4. Ende des Dialoges in der bisherigen Form, 5. Konversion durch Umkehr zur Wahrheit der göttlichen Offenbarung, die in der kath. Kirche verankert ist, durch Vermittlung des unverkürzten Glaubens. (EINSICHT vom Sept. 2013, Nr. 3, S. 73-84)
*** Ist Jesus Christus der Sohn Gottes?
Im letzten Heft der EINSICHT hatte ich die Frage nach der Erkennbarkeit Jesu Christi als Sohn Gottes, als das „Wort“, das sich im „Fleische“ niedergelassen, sich darin entäußert hat, das also Mensch geworden ist, schon einmal gestellt. „Et incarnatus est de Spiritu Sancto ex Maria virgine: et homo factus est“, wie uns das Glaubensbekenntnis lehrt.
Um diese aufgestellte Behauptung, die uns durch die Tradition der Kirche – Schrift und Leben der Kirche (Tradition im engeren Sinne) vermittelt wurde, verifizieren zu können, hatte ich folgendes postuliert: „In der Tradition muß ein Moment enthalten sein, ein genetisches, das mir den Zu-gang zu der absoluten Person weist, die sich dann auch als solche zeigen, sich offenbaren muß. Das Problem der Gottsuche für jede Person ist das: Glaube ist Gnade, die ich ohne das Zutun Gottes nicht erfahren würde. Gott muß sich mir also zeigen, mir das Tor zu [sich als] Gott als Person öffnen, mit dem ich in Verbindung trete, wenn er von sich aus den Kontakt aufnimmt (Johannes-Evangelium).“
Wie ist also die Frage nach der Erkennbarkeit Jesu Christi als Sohn Gottes zu beantworten, an welche Bedingungen ist die Erkennbarkeit geknüpft, lassen sich solche Bedingungen aufzeigen? Die Antwort auf diese Frage ist hoch aktuell.
Wenn es eine Entwicklung gibt, die unsere geistig-kulturelle Situation, unsere vollkommen durchgeformte säkulare Welt entscheidend prägt, dann ist es der schleichende Verlust des Glaubens an das „eingefleischte Wort“. Dieser Glaube an Jesus Christus, der immerhin noch die Basis bildete, auf der Luther noch stand, ist verdunstet wie „die Tautropfen in der Morgensonne“... mit all den damit zusammenhängenden Folgen. Um es klar zu machen: Wenn wir die Frage nach der Erkennbarkeit Christi als Gottes-Sohn nicht beantworten (können), haben wir kein Recht, andere Religionen abzulehnen. Denn wenn wir uns nur auf das bloße Tradieren der Glaubensinhalte berufen können, die im Gegensatz zum Islam historisch gesichert sind, während beim Islam die Frage nach der Herkunft des Koran und der Authentizität der Vita Mohammeds ungesichert ist, wie uns Islamgelehrte westlicher Provenienz versichern, müssen wir diesen erlauben, sich eben-falls auf ihre Tradition zu stützen.
Die lapidare Feststellung des hl. Johannes „er kam in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf“ (Joh. 1,11), die er hinsichtlich der Verweigerung der Juden, den Messias anzuerkennen und ihn aufzunehmen als solchen, gemacht hatte, gilt in besonderem Maße für unsere heutige säkularisierte Zeit. Womöglich war auch die mangelnde Glaubensüberzeugung der Grund für die Annahme der häretischen Dokumente „Lumen gentium“, „Dignitas humanae“ und „Unitatis redintegratio“ auf dem II. Vatikanischen Konzil, in denen den anderen Religionen (u.a. Judentum und Islam) ebenso Heilswirksamkeit und Anerkennung zugesprochen wird.
Die Ablehnung Christi als wahrer Gott zeigt sich auch im alltäglichen Leben. Es ist immer weniger auf die Bewältigung geistiger, moralischer Probleme ausgerichtet, sondern auf die Durchführung materieller Interessen, bestenfalls noch auf humane. So verlagert sich der Besuch einer Kirche mehr und mehr auf den Gang in ein teures Restaurant, wo die Genüsse eines „Sterne-Koches“ quasi-liturgischen Charakter annehmen. Auf Bayern übertragen heißt das: Der Besucher des „Heiligen Berges“ in Andechs, des berühmtesten Wallfahrts- und Pilgerortes hier, geht nicht mehr in die Kirche mit den Hostienwundern, sondern bleibt gleich im nächsten Wirtshaus hängen.
Inzwischen ist von einigen Personen die Relevanz der Beantwortung dieser Frage erkannt worden. So äußerte sich der ehemalige Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung Norbert Blüm in einer öffentlichen Talkrunde in der ARD bei dem Moderator Günther Jauch am 14.10.2013 dahin gehend, daß aktuelle, strittige theologische Positionen nur geklärt werden könnten, wenn die entscheidende Frage beantwortet wäre, ob Christus Gottes Sohn ist, ob sich Gott tatsächlich geoffenbart habe.
Inzwischen hat auch die Piusbruderschaft eine Broschüre herausgegeben, die sich eben-falls mit der Frage beschäftigt „Ist Jesus Christus der Sohn Gottes? (pius.info, Stuttgart 2013) und sie dahingehend beantwortet, daß sie einmal die Quellen aufführt, die Christi historische Existenz belegen, daß sie zum anderen die Echtheit der Evangelien aufzeigt. Die Erfüllung der von Christus ausgesagten Prophezeiungen im Alten Testament wird ebenfalls als Beleg für die Wahrheit der göttlichen Offenbarung in Jesus Christus angeführt wie auch die Selbstzeugnisse Christi über seine irdische Mission. Diese Zeugnisse über und von Christus bestätigen aber nur das, was die Tradition als solche bereit hält. Die entscheidende Frage, was mich berechtigt sagen zu können, daß Christus Gottes Sohn ist, wird leider nicht beantwortet.
Das ist auch weiter nicht verwunderlich, denn mit diesem Problem betreten wir mehr oder weniger religions-philosophisches Neuland. Und ich bitte darum, daß meine Ausführungen zu diesem Problem nur als Versuch anzusehen sind, um schrittweise zu einer Lösung zu gelangen. Ich bin offen für jeden Einwurf, der hoffentlich zu einer weiteren Klärung der Frage nach Gottes irdischem Auftreten führt.
Das (bloß) Tradierte – Schrift und Tradition – liefern zwar ein umfassendes Wissen über die Person Jesu Christi und von ihr – ähnlich wie andere historische Zeugnisse ebenfalls, legen aber aus sich keine Basis, aus Überzeugung sagen zu können, daß er das „Fleisch gewordene Wort“ (Johannes 1, 1 ff.) ist.
Wenn sich aber dennoch die Behauptung von der Inkarnation im Erkennen begründen lassen sollte, dann muß in dem tradierten Material ein Moment enthalten sein, welches so beschaffen ist, daß sich diese Behauptung begründen lassen kann bzw. für deren Beantwortung Gründe anführen lassen. Ich habe dieses Moment bereits als das „genetische“ bezeichnet. Dieses muß einerseits in der Tradition verankert sein, zum anderen aber diese überragen. Es muß seine eigene Dignität aus sich heraus als absolut gültig zeigen, formal wie inhaltlich.
Auf der einen Seite wird es als Moment der Tradition weitergegeben – von Person zu Person, auf der anderen Seite muß aber jeder für sich dieses Aufleuchten des genetischen Momentes, d.i. des göttlichen Seins erfahren. Im Alten Testament wird vom Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs geredet. D.h. nun nicht, daß von drei Götter – für jeden einen – die Rede ist, sondern davon, daß jeder dieser Personen seine Gotteserfahrung machte.
Dieses Moment muß – formal gesehen -, da es die Ebene des bloß behaupteten Gott-Seins überschreiten soll/muß, nicht von außen bzw. von etwas anderem herangetragen werden, sondern muß sich selbst bezeugen. Da es sich bei Gott nicht um ein bloßes Sein handelt, sondern um eine absolute Sollens-Forderung, die ihrerseits ihre absolute Erfüllung fordert, also ein Soll, das auch sein Soll-Sein verlangt. Es muß in seinem Sich-Bezeugen erscheinen als das, was es soll und es soll, was es ist. Im Alten Testament bezeugt sich Gott mit der Aussage: „Ich bin der, der ich bin.“ „Ego sum, qui sum.“(Ex. 3,14)
Um diese formale Struktur inhaltlich zu füllen, müssen wir auf das zurückgreifen, was uns dann in den tradierten Zeugnissen entgegentritt: der Wille Christi, der den Menschen nicht nur seine Liebe als Willen zur Liebes-Union, d.i. in einem gemeinsamen Willensschluß entgegenbringt, sondern der uns durch seinen Sühnetod aus unserer sündhaften Verstrickung herausholen will und uns wieder bundesfähig mit ihm machen will - wenn wir nur sein Angebot annehmen. D.h. wir erfahren von Gottes Liebe und seiner Überliebe, wobei er sich die Sünden der Menschen als die seinen auflud. „Christus ward für uns zur Sünde.“ (2 Kor. 5,21)
Was muß nun geschehen, daß ich in dieser Vita den Aufstieg zur Einsicht bekomme, daß sich darin nun tatsächlich Gott zeigt, der so handelt und nicht nur eine heiligmäßige (irdische) Person? Wenn ich z.B. die Biographie des hl. Franziskus studiere, erschließt sich mir sein heiligmäßiges Handeln, aber deswegen rede ich nicht von ihm als Gott. Das gleiche gilt für alle Heiligen, für den hl. Pfarrer von Ars wie auch für den hl. Don Bosco, der in meinen Augen eines der größten pädagogischen Genies war. Wo liegt der Unterschied in den willentlichen, heiligmäßigen Bezeugen der Angeführten zu Christus? Formal gesehen darin, daß sich diese Personen im Bemühen um ein heiligmäßiges Leben nicht auf sich selbst als Grund ihres Handeln berufen, sondern auf das Beispiel, auf das Vorbild Christi, in dessen Nachfolge, in der Imitatio Christi sie sich sehen. Sie versuchen, ihren Willen mit dem Christi zu einen, sich mit diesem gleichförmig zu machen. Das wäre der eine Punkt, daß sich heiligmäßige Personen nicht aus sich heraus verheiligen, sondern auf die Berufung auf Jesus Christus.
Inhaltlich muß es aber so sein, daß ich in Christi Willen das absolut heilige Tun sehe, welches sich mir in seiner Vita erschließt, d.h. im Studium der hl. Schrift oder in der Liebe einer anderen Person, die mich auf den Grund von dessen Liebe führt. Wenn also mein Wissen über Christus das des historischen Horizonts übersteigen soll, daß ich also in ihm nicht eine besonders hl. Person sehe, wie es Arius getan hat, dann muß mir in dem und aus dem, wie Christus in den Quellen (der Tradition) dargestellt wird, etwas aufleuchten, worin ich Christus als Prinzip der absoluten Heiligkeit erkenne, worin sich eben Christus als Gott zeigt und sich als solchen bezeugt. Wenn diese Einsicht vollzogen wird, dann erscheint Christus als Gott, wie er ist, und er ist, wie er erscheint: als die absolute Liebe, die in der Sühne-Liebe ihre eigene Überhöhung leistet und die nun auch in mir, in meinem Herzen brennt.
Damit wäre die eingangs gestellte Frage „Ist Christus Gottes Sohn?“ zumindest in groben Zügen beantwortet.
Ich werfe noch einmal einen Blick auf die Heiligen. Diese haben sich in ihrem Leben um Vervollkommnung bemüht, also sind von Punkt A nach B vorangeschritten, aus einem unheiligen Leben (hl. Franziskus) zu einem sich verheiligenden Leben. Gott dagegen muß erscheinen, muß sich bezeugen als das absolute Prinzip dieser Liebe, die kein Werden kennt.
N.b. ich merke hier an, daß Prof. Ratzinger in seiner Christologie von Christus redet als Gottes Sohn, weil er den Willen des Vaters vollkommen adaptiert hat. Damit wird aber der prinzipielle Unterschied zwischen der Erfüllung von Gottes Wille, wie sie die Heiligen leisten, und der Offenbarung der absoluten Liebe durch und in Jesus Christus aufgehoben und Christus als ein werdender Gott vorgestellt, wodurch sich Ratzinger zumindest als Semi-Arianer präsentiert (vgl. auch Wigand Siebel: „Zur theologischen Position von Kardinal Ratzinger - Ist Ratzinger ein Arianer?“ in EINSICHT Nr. 6 vom Okt. 2005) .
Die Identität von Sein und Erscheinen als formale Bedingung der angestrebten Einsicht in das göttliche Sein Christi wird inhaltlich eingeholt durch die Ansichtigkeit des absoluten Solls, das sich selbst bezeugt und das sich mir anschaulich (einschaubar) offenbart. Hier wird auch klar, warum der Glaube auch immer ein Akt der Gnade ist, d.i. die freie Gabe Gottes, sein Geschenk, das er denen verleiht, die sich zu ihm aufmachen.
Diese Einsicht fordert zugleich ihre Anerkennung als gültig, aus der heraus die Glaubensüberzeugung hervorgehen soll und aus der heraus ich aufgefordert bin, mein Leben zu gestalten. (EINSICHT, vom Dez. 2013; Nr. 4, S. 114-117)
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