In Kanada wird Sterbehilfe als Lösung bei sozialen Problemen diskutiert
von Thomas Röper im Anti-Spiegel 16. Mai 2023
Was wie eine Geschichte aus einem dystopischen Science-Fiction-Roman klingt, ist in Kanada Realität: "Sterbehilfe" für zur Senkung der Kosten des Gesundheitssystems gibt es dort schon, nun soll "Sterbehilfe" in Kanada vielleicht auch bald soziale Probleme lösen.
Der Stern hat im letzten Jahr unter der Überschrift „KANADA – Haben Sie schon mal über Sterbehilfe nachgedacht? Teure Patienten offenbar zum assistierten Suizid überredet“ über das Sterbehilfe-Gesetz in Kanada und seine Folgen berichtet. „In mehreren Ländern gibt es bereits ein Recht auf Selbsttötung, das alte religiös begründete Tabu wurde aufgehoben. In Kanada zeigt sich nun, dass die schlimmsten Befürchtungen der Kritiker wahr werden, berichtet AP. Dort werden Menschen mit Behinderungen und teure Patienten zur Selbsttötung animiert.“
Der Stern berichtete in seinem Artikel auch über Beispiele dafür: „Alan Nichols litt unter Depressionen. Als der 61-Jährige ins Krankenhaus eingeliefert wurde, stellte er einen Antrag auf Sterbehilfe. Er wurde trotz Bedenken seiner Familie und einer Krankenschwester getötet. Sein Bruder Gary sagt, „er wurde im Grunde hingerichtet.“ Alan sei gar nicht in der Lage gewesen den Prozess und die Entscheidung zu verstehen, auch habe er nicht „unerträglich“ gelitten. Als Grund für den Todeswunsch wurde sein Hörverlust angegeben. Der sei aber nicht irreversibel gewesen, so die Familie. Alan habe nichts hören können, weil er seine Medikamente nicht genommen und weil er ein Implantat nicht verwendet habe. Aber anstatt ihm dabei zu assistieren, habe das Krankenhauspersonal ihm geholfen, um Sterbehilfe zu bitten.“
Das kanadische Gesetz erlaubt es, Menschen mit schweren Behinderungen zu töten, wenn die das wünschen, auch wenn kein weiteres medizinisches Problem vorliegt. Kanada geht damit einen Weg, den ich bisher nur aus dystopischen Science-Fiction-Romanen kenne: Anstatt Menschen, die einfach nur ein wenig Hilfe vom Staat in Form von Sozialarbeitern oder dem Gesundheitssystem brauchen, wird stattdessen die Selbsttötung empfohlen. Das spart Geld.
Die „Lösung“ für Arme: sich einschläfern lassen Anstatt die Leben der Mitbürger zu schützen und ihnen die Hilfe zu geben, die sie für ein Leben zum Beispiel mit einer Behinderung brauchen, wird die Diskussion in Kanada jedoch sogar noch ausgeweitet. Zwei kanadische Bioethikerinnen – Kayla Wiebe, Doktorandin der Philosophie, und die Bioethikerin Amy Mullin, Professorin für Philosophie – haben in einer Denkschrift mit dem Titel „Die Entscheidung für den Tod unter ungerechten Bedingungen: Hoffnung, Autonomie und Schadensbegrenzung“ vorgeschlagen, auch soziale Probleme durch Sterbehilfe zu lösen. Mit anderen Worten: Wer seine Armut nicht mehr erträgt, darf im Krankenhaus um die Giftspritze bitten. Das ist kein Scherz. Für diese Bioethikerinnen ist es ein Ausdruck von „Hoffnung“, „Autonomie“ (also freier Entscheidung) und „Schadensbegrenzung“, wenn arme Menschen, die die Ungerechtigkeit ihrer Existenz in Armut unerträglich finden, im Krankenhaus darum bitten dürfen, von ihrem „Leiden“ erlöst und eingeschläfert zu werden. In dem Papier klingt das so:
„Menschen, die sich bereits in ungerechten sozialen Verhältnissen befinden, zu zwingen, warten zu müssen, bis sich diese sozialen Verhältnisse verbessern, oder auf die Möglichkeit öffentlicher Wohltätigkeit zu warten, die aber unzuverlässig eintritt, wenn besonders leidvolle Fälle bekannt werden, ist inakzeptabel. Ein Konzept der Schadensbegrenzung erkennt an, dass die empfohlene Lösung notwendigerweise unvollkommen ist: ein „kleineres Übel“ zwischen zwei oder mehr weniger idealen Optionen.“
Ein kanadischer Blog schrieb dazu (Link wie im Original): „Die Horrorgeschichten von Kanadiern, die Sterbehilfe in Anspruch nehmen, weil sie nicht die nötige soziale Unterstützung bekommen, sind „Worst-Case-Szenarien“, schreiben die Bioethikerinnen. „Eine Möglichkeit, auf diese Fälle zu reagieren, ist: Nun, dann sollte ihnen natürlich keine medizinische Sterbehilfe zur Verfügung stehen“, sagte Mullin in einem Interview. „Wir glauben einfach nicht, dass die Tatsache, dass die sozialen Bedingungen dazu beitragen, ihr Leben unerträglich zu machen, bedeutet, dass sie nicht die Mittel haben, diese Entscheidung zu treffen. Die Menschen können selbst entscheiden, ob ihr Leben lebenswert ist, und das sollten wir respektieren.“
Die Logik ist bestechend: Anstatt den Menschen ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen, soll der Staat ihnen die Möglichkeit geben, sich umzubringen. Das ist die Zielgrade des Weges, den auch Deutschland seit 20 Jahren mit dem fortschreitenden Abbau des Sozialstaates geht. Den Menschen wird zuerst die soziale Sicherung genommen, das Gesundheitssystem wird abgebaut und die Inanspruchnahme medizinischer Hilfe wird durch immer neue Zuzahlungen (in Deutschland zum Beispiel „Praxisgebühr“ für Arztbesuche oder „Rezeptgebühr“ für Rezepte für notwendige Medikamente) erschwert. Und wenn die betroffenen Menschen das Elend aus Armut und (wegen Geldmangel) fehlender medizinischer Versorgung nicht mehr ertragen, wird ihnen als „Lösung“ ihrer Probleme die Giftspritze angeboten.
Die kanadischen Bioethikerinnen sind der Meinung, dass die Umstände, die Kanadier in den Selbstmord treiben, unabwendbar sind: Und ihnen zu verweigern, sich auf Wunsch zu töten, „läuft darauf hinaus, ihr Leiden in der Hoffnung fortzusetzen, dass dies letztendlich zu einer besseren, gerechteren Welt führen wird“. Sie meinen, der beste „Ansatz zur Schadensbegrenzung“ würde bedeuten, dass „der am wenigsten schädliche Weg darin besteht“, diesen Menschen „medizinische Sterbehilfe zur Verfügung zu stellen“.
Orwell wird Realität Willkommen im Neusprech aus Orwells „1984“. Worte bekommen eine vollkommen neue Bedeutung: Selbstmord und Giftspritzen sind nach Meinung der Bioethikerinnen „medizinische Hilfe“ und Selbstmord nennen sie sogar „Schadensbegrenzung“. Wiebe sagt: „Alle Optionen, die auf dem Tisch liegen, sind wirklich tragisch. Aber der am wenigsten schädliche Weg ist es, Menschen, die in der Lage sind, Entscheidungen zu treffen, den Zugang zu dieser Wahl zu ermöglichen, auch wenn es eine schreckliche Wahl ist.“ Damit kommen zu Orwells berühmtem Neusprech „Krieg ist Frieden“, was der Westen derzeit mit seinen Waffenlieferungen an Kiew zur neuen Realität erklärt, anstatt auf einen Frieden hinzuwirken, der so einfach zu erreichen wäre, indem man Kiew nur dazu bringen würde, die Rechte der ethnischen Russen nicht anzutasten und die russischen Sicherheitsinteressen genauso zu akzeptieren, wie der Westen will, dass seine eigenen Sicherheitsinteressen akzeptiert werden, neue Neusprech-Varianten hinzu:
Krieg ist Frieden! Freiheit ist Sklaverei! Unwissenheit ist Stärke! Selbstmord ist medizinische Hilfe! Giftspritze ist Schadensbegrenzung! Euthanasie
Ich gehöre zu einer Generation, die noch gelernt hat, dass Euthanasie eines der zentralen Verbrechen der Nazis gewesen ist, denn die Nazis haben „lebensunwertes Leben“ (also Schwerbehinderte) durch Giftspritzen getötet. Auf Wikipedia musste ich bei der Recherche zu diesem Artikel erfahren, wie sehr ich damit in der Vergangenheit lebe. Wer im deutschen Wikipedia „Euthanasie“ sucht, der findet keinen Artikel darüber, sondern nur die Begriffserklärung, in der ich unter anderem erfahren durfte (Hervorhebung durch Anti-Spiegel):
„Euthanasie steht für: veraltet: die systematischen Behinderten- und Krankenmorde in der Zeit des Nationalsozialismus (diente als Euphemismus und Tarnbezeichnung) Was wie eine Geschichte aus einem dystopischen Science-Fiction-Roman klingt, ist in Kanada Realität: "Sterbehilfe" für zur Senkung der Kosten des Gesundheitssystems gibt es dort schon, nun soll "Sterbehilfe" in Kanada vielleicht auch bald soziale Probleme lösen.
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