Der Prediger von Hormuz
von
Wilhelm Hünermann
Der 2. September 1548 ist für das Sankt-Paulus-Kolleg in Goa ein
Freudentag. Eine portugiesische Karavelle ist in den Hafen eingelaufen
und bringt zehn junge Jesuiten als Rekruten für die Mission. Herzlich
heißen die Mitbrüder, unter ihnen der große Indienapostel Franz Xaver,
der soeben seine Reise nach Japan vorbereitet, die Ankömmlinge
willkommen.
«Gott sei Dank, daß wir endlich wieder festen Boden unter den Füßen
haben!» seufzt Pater Melchior Gonzalez, der Obere der kleinen
Gesellschaft. «Die Seekrankheit hat uns ganz schön mitgenommen. Der
einzige, der davon verschont blieb, war unser Holländer Kaspar Berse.
Hätten wir ihn nicht gehabt, ich weiß nicht, was aus uns geworden wäre.
Er war unser Krankenpfleger, unser Aufwärter, Tröster, Späßemacher und
Koch, alles in einer Person.» «Nun, einer mußte sich schließlich um die
Töpfe kümmern», lacht der flachsblonde, hochgewachsene Mitbruder aus
dem niederländischen Städtchen Goes. «Zum Glück habe ich das
Küchengeschäft im Noviziat zu Coimbra erlernt. Allerdings muß ich
sagen, daß meine lieben Konfratres meine Kochkunst wenig zu schätzen
wußten, da sie doch gleich alles wieder über die Reling
brachten.»
Schmunzelnd betrachtet Franz Xaver die jungen Missionare, die bis auf
den Holländer noch recht elend aussehen. «Trösten Sie sich!» sagt er.
«Mir ging es auf der Reise nach Indien nicht besser als Ihnen. Auch ich
habe den Meeresgöttern gründlich meinen Tribut gezollt. Freut mich
aber, daß wenigstens einer von Ihnen die Fahrt gesund überstanden hat.
Dafür soll der gute Pater Kaspar auch die Ehre haben, am Geburtstag
Unserer Lieben Frau die Festpredigt zu halten.»
Der Holländer macht ein langes Gesicht. «Was, ausgerechnet ich? - Mein
Portugiesisch ist immer noch schauderhaft, und durch meine
Probepredigten habe ich unseren guten Novizenmeister Pater Simon
Rodriguez fast zur Verzweiflung gebracht.» «Ein Grund mehr, daß Sie
sich tüchtig in der Verkündigung des Gotteswortes üben!» «Auf jeden
Fall werde ich eine gute Gelegenheit haben, mich in der Demut zu üben»,
meint Pater Kaspar.
Gewissenhaft bereitet er sich auf die Predigt vor, läuft stundenlang im
Klostergarten memorierend auf und ab und fleht zwischendurch alle
Heiligen um Hilfe an. Als er aber am 8. September auf der Kanzel steht,
um den Lobpreis der Gottesmutter zu verkünden, geht die Sache herzlich
schlecht. Immer wieder verhaspelt er sich, beginnt zu stottern und zu
stammeln und spricht vor lauter Angst so leise, daß ihn kaum jemand
versteht. Mit Mühe unterdrücken die Zuhörer ihr Lachen über den
ungeschickten Prediger, dessen sommersprossiges Gesicht wie eine Tomate
glüht.
«Gar nicht so übel!» tröstet ihn Franz Xaver in der Sakristei. «Ganz
gute Gedanken und tiefe Empfindungen!» «Aus mir wird nie ein
Kanzellicht!» stöhnt der Holländer, den Schweiß von der Stirn wischend.
«Wer weiß, wer weiß! Auch der große Demosthenes war einst ein Stammler,
aber durch seine Willenskraft wurde er schließlich der berühmteste
Redner Griechenlands.»
«Soll ich etwa auch Kieselsteine in den Mund nehmen und gegen die
Brandung des Meeres anschrei-en?» «Das gerade nicht! Aber heute nacht
gehen Sie in die Kirche und wiederholen Ihre Predigt von der Kanzel, so
laut Sie nur können. So festigen Sie Ihre Stimme, und vielleicht geben
Ihnen dann die lieben Heiligen, die von den Altären geduldig zuhören,
das nötige Selbstvertrauen, das Ihnen zu fehlen scheint.» «Ich danke
Ihnen für den guten Rat. Gebe Gott, daß Ihr Rezept hilft!»
Wirklich schleicht er sich in den folgenden Nächten in die Kirche,
besteigt die Kanzel, läßt im leeren Gotteshaus seine Stimme so kräftig
erschallen, daß die Gewölbe dröhnen, und sicherlich legen die Heiligen
und sein Schutzengel ein gutes Wort für ihn ein, denn als Pater Kaspar
wieder vor der Gemeinde predigt, staunt alles über die Kraft seiner
Worte. «Merkwürdig!» sagt der Pater Rektor zu Franz Xaver. «Als er das
letztemal auf der Kanzel stand, habe ich mich im stillen gefragt, wie
man einen so ungeeigneten Mann ausgerechnet nach Indien schicken
konnte. Jetzt aber hat er mich durch seine feurige Beredsamkeit so sehr
überrascht und ergriffen, daß ich fast an ein Wunder glaube.» «Das
Wunder heißt Willenskraft und Gottes Gnade!» erwidert der Indienapostel
«Ich bin überzeugt, daß unser lieber Mitbruder gerade durch seine
Predigten viel Gutes tun wird.»
Nur zu bald muß Pater Berse von seinem treuen Lehrmeister und Vorbild
Abschied nehmen. Franz Xaver reist nach Japan, während er selbst als
Missionar auf die Insel Hormuz am Eingang des Persischen Meerbusens
geschickt wird. Hormuz ist ein vulkanisches Eiland ohne Baum und
Strauch, ausgedörrt von einer gnadenlosen Sonne, und doch der
Stapelplatz aller Schätze des Orients. Händler aus aller Herren Länder
tauschen hier ihre Waren aus, Russen, Polen, Ungarn, Venetianer,
Portugiesen, Türken, Armenier, Araber, Inder und Abessinier. Man redet
alle Sprachen der Welt, betet zu den Göttern aller Religionen und dient
im Grund doch nur dem einen Götzen, dem goldenen Kalb ungehemmter
Raffgier.
In diese Stadt der großen Geschäftemacher also verschlägt der Wille der
Oberen den armen holländischen Jesuiten, der bald merkt, daß er in ein
rechtes Sodoma und Gomorrha geraten ist. Seine erste Sorge schenkt
Pater Kaspar den Kranken in den Spitälern und den Rudersklaven auf den
Galeeren. So manch junges, blühendes Leben sieht er hinwelken unter der
erbarmungslosen Glut des tropischen Himmels, so manche Christenseele
verderben in Laster und Sünde. Jeder kennt ja nur das eine Ziel:
möglichst schnell reich zu werden und im Rausch und Taumel der Sinne
das Elend des Lebens zu vergessen. Aber der Holländer läßt nicht mit
sich spaßen. Freimütig hält er den Sündern ihre Fehler vor, rüttelt
durch sein mächtiges Wort die schlafenden Gewissen wach, und recht derb
faßt er zu, wenn sich einer widerspenstig zeigt.
Den verstockten Geizhals zwingt er, sein elendes Wuchergeschäft
aufzugeben, den Soldaten und Matrosen, die beim Würfelspiel in den
Hafenkneipen gotteslästerlich fluchen, sagt er gehörig seine Meinung
und fürchtet sich nicht, einen Trunkenbold und Bruder Liederjan, der
gegen ihn aufbegehrt, mit seinen starken Fäusten beim Kragen zu packen
und an die frische Luft zu setzen. Das aber ist genau die Sprache,
welche die rauhen Burschen verstehen, und bald wagt niemand mehr, dem
holländischen Jesuiten den schuldigen Respekt zu verweigern.
So mächtig tönt sein Wort von der Kanzel, so gewaltig weiß er die
Herzen zu erschüttern, daß sich viele schlechte Christen bekehren,
ihren Raub und Wucher zurückerstatten, vom wilden Zechen und Raufen
lassen und sich mit Gott versöhnen.
Besonders zugetan ist der Priester den Kindern. Nach dem Beispiel des
heiligen Franz Xaver zieht er mit einem Glöcklein durch die Straßen,
läutet das kleine Gesindel, das sich überall herumtreibt, zusammen,
zieht wie der sagenhafte Rattenfänger von Hameln mit den Kindern ins
Freie, spielt und singt mit ihnen und unterrichtet sie in der Lehre des
Heiles.
Aber er begnügt sich nicht mit den Christen. Auch den Juden, von denen
es in der Stadt wimmelt, schenkt er seine Liebe. Zunächst freilich
stößt er auf heftigen Widerstand. Als er aber eines Tages als wahrer
Samaritan einen kranken Juden, der hilflos auf der Straße liegt, auf
seinen Schultern heimträgt und gesund pflegt, schlägt die Stimmung um.
Zwei Rabbiner erscheinen in seiner Wohnung, ihm für den Liebesdienst an
ihrem Glaubensgenossen zu danken. Es ist gerade der
Dreifaltigkeitssonntag, und Pater Kaspar benutzt die Gelegenheit, das
Hauptgeheimnis des Christentums in seiner tiefen Bedeutung darzulegen.
Er tut das mit solchem Eifer und solcher Überzeugungskraft, daß ihn die
Rabbiner einladen, am folgenden Sabbat in der Synagoge zu sprechen.
Heimlich freilich hoffen sie, den christlichen Priester vor der
versammelten Gemeinde zu widerlegen, aber bei der Disputation treibt
sie Pater Berse so sehr in die Enge, daß sie schließlich nichts mehr zu
sagen wissen. Der Jesuit geht von den Weissagungen des Alten
Testamentes aus und beweist den Juden aus ihren eigenen Büchern, daß
Jesus Christus der von den Propheten verheißene Messias ist, und daß es
höchste Zeit sei, das endlich anzuerkennen. «Sie sind ein gelehrter
Mann, Pater», gestehen die Rabbiner. «Gegen Ihre Gründe wissen wir
nichts mehr vorzubringen, aber es ist die Gelehrsamkeit, die heute
gesiegt hat, und nicht die Wahrheit. Käme einer unserer
Gesetzesmeister, der Sie an Gelehrsamkeit übertrifft, so würden auch
Sie vor ihm verstummen.»
Eine Erklärung, die wenig überzeugt und selbst von den Juden mit
Gelächter aufgenommen wird. Viel kommt bei solchen Streitgesprächen
nicht heraus; die Juden glauben, sich selbst aufgeben zu müssen, wenn
sie ihr Bekenntnis wechseln. Immerhin hat Pater Berse die Freude,
einige von ihnen taufen zu können.
Von den Juden wendet er sich an die Mohammedaner. In der ersten Zeit
kommt es vor, daß die Prophetensöhne nach ihm mit Steinen werfen, wenn
er die Kinder mit seinem Glöckchen herbeilockt, aber durch seine
entwaffnende Güte besiegt er den Haß. Bald wird er auch von den
Sarazenen freundlich gegrüßt, und eines Tages laden sie ihn zu einem
Streitgespräch mit einem ihrer Philosophen ein, der auch als
Sterndeuter und Zauberkünstler bedeutenden Ruf genießt.
Mit brennenden Fackeln geleiten sie den Jesuiten in ihren Tempel, wo
ihn der berühmte Mann erwartet. Der freilich zeigt wenig Lust zu einer
gelehrten Disputation und sagt: «Gott selbst soll in unserer Sache
entscheiden. Ich schlage vor, wir begeben uns beide auf einen der
Salzberge unserer Insel, bleiben dort, ohne zu essen und ohne zu
trinken. Wer es am längsten aushält, dessen Religion soll die wahre
sein.» «So soll deiner Meinung nach also der Magen und nicht der
Verstand über die Wahrheit entscheiden», erwidert der Jesuit lächelnd.
«Nein, mein Freund, so geht das nicht. Doch bin ich jederzeit bereit,
mit den Waffen des Geistes für meinen Glauben zu kämpfen.»
Für diesmal zerschlägt sich die Sache, doch vereinbart man für einen
anderen Tag eine öffentliche Disputation. Eine große Menschenmenge,
unter ihnen der portugiesische Gouverneur, hören dem gelehrten Streit
zu, bei dem der Jesuit so überzeugend über das Geheimnis der
Dreifaltigkeit und der Menschwerdung des göttlichen Wortes spricht, daß
der Philosoph bald nichts mehr vorzubringen weiß. Durch geschickte
Fragen entlockt ihm der Priester ein Zugeständnis nach dem andern, die
er, als Pater Berse darauf die Wahrheit seiner Lehre folgert, im
nächsten Augenblick widerruft. Immer tiefer verwirrt sich der Philosoph
in seine Zugeständnisse und Widerrufe, so daß er schließlich unter dem
unzufriedenen Gemurr seiner Glaubensgenossen und dem lauten Beifall der
Christen völlig verstummt und davonschleicht.
Heimlich verläßt er die Insel, während seine Frau und seine Tochter in
Hormuz bleiben, die den Jesuiten um Unterricht bitten und sich
schließlich taufen lassen. Viele Mohammedaner folgen ihrem Beispiel.
Man überläßt dem Priester schließlich sogar eine Moschee für den
christlichen Gottesdienst, die ihm freilich fanatische Moslime streitig
zu machen suchen.
Auch die Brahmanen sucht der Jesuit in ihren Tempeln und Klöstern auf,
erklärt ihnen die christliche Lehre und bekehrt einige von
ihnen.
Weit mehr freilich als durch gelehrte Streitgespräche erreicht Pater
Kaspar durch seine Güte, Hilfsbereitschaft und Menschenliebe. In allem
sucht er die Mahnung zu befolgen, die ihm der erfahrene Missionar Franz
Xaver in einem Schreiben gibt: «Sprechen Sie mit den Sündern über ihre
Vergehungen unter vier Augen! Reden Sie stets mit lachendem Gesicht,
ohne Heftigkeit, in liebendem und freundlichem Ton! Je nachdem, wen Sie
vor sich haben, werden Sie den einen umarmen und sich vor dem anderen
demütigen müssen. Wenn Sie in Ihrer Seele und in der Seele des Nächsten
gute Früchte erzielen wollen, dann gehen Sie mit den Sündern stets so
um, daß sie Vertrauen gewinnen und Ihnen ihr Herz öffnen. Das sind die
lebendigen Bücher, die beredter sind als alle toten Bücher, und in
denen Sie studieren müssen.»
Die Kaufleute von Hormuz tragen den Ruf des Jesuiten in alle Welt, und
eines Tages erscheint auf der Insel eine arabische Gesandtschaft, die
ihn bittet, in ihr Heimatland zu kommen, um auch dort seine Lehre zu
verkünden.
Der Herzschlag stockt dem Missionar vor Freude über diese Botschaft.
Was kann er sehnlicher wünschen, als das Licht des Evangeliums über dem
Land des Propheten, über den Städten Mekka und Medina aufgehen zu
lassen! Vorher aber will er die Insel im Persischen Meerbusen zum
Zentrum einer groß angelegten Mission machen. Er träumt davon, ein
Jesuitenkolleg zu gründen, von hier aus seine Ordensbrüder als
Missionare nach Arabien, Persien, Armenien und Georgien zu schicken und
so den ganzen Vorderen Orient für Christus zu erobern.
Mitten in solch kühnen Hoffnungen und Entwürfen aber erhält er einen
Brief seiner Oberen, die ihn nach Goa zurückrufen. Schweren Herzens
bringt er das Opfer des Gehorsams und verläßt die Stadt, die er in drei
Jahren völlig umgewandelt hat.
Da ihn die Christen mit Gewalt in Hormuz zurückhalten wollen, stiehlt
er sich heimlich auf ein Schiff und segelt davon. In Goa trifft er zu
seiner unbeschreiblichen Freude im Februar 1552 Franz Xaver, der sich
anschickt, nach China zu reisen, um das gewaltige Reich der Mitte für
Christus zu gewinnen. Flehentlich bittet er den Freund, ihn mitzunehmen
oder ihn, wie er es einst geplant, nach Japan zu schicken. Aber Franz
Xaver hat andere Pläne mit dem tüchtigen Mann.
Auf seinen Vorschlag ernennt ihn der Orden zum Leiter des Kollegs in
Goa und zum Provinzial für Indien und Japan. Wiederum fügt sich Pater
Berse in heiligem Gehorsam. Doch bleibt ihm, der den Keim einer
schweren Krankheit aus Persien mitgebracht hat, nur noch kurze Zeit für
seine neue Tätigkeit.
Am 6. Oktober 1553 predigt er in der Kathedrale über die Parabel vom
König, der mit seinen Knechten abrechnet, als er plötzlich auf der
Kanzel zusammenbricht. Bestürzt trägt man ihn ins Kolleg und bettet ihn
auf sein Lager. Der große Missionar erholt sich nicht mehr. Am 18.
Oktober stirbt er still und gottergeben in den Armen seiner Mitbrüder.
(aus: Wilhelm Hünermann "Geschichte der Weltmission" 2. Bd., Luzern/München 1960, S. 7 ff.)
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