54. Jahrgang Nr. 3 / März 2024
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1. Mitteilungen der Redaktion
2. Meine Begegnung mit S.E. Erzbischof Pierre Martin Ngô-dinh-Thuc
3. My Time with His Excellency, Archbishop Pierre Martin Ngô-dinh-Thuc
4. Ma rencontre avec S.E. Mgr. Pierre Martin Ngô-dinh-Thuc
5. Mi encuentro con Su Excelentísimo y Reverendísimo Arzobispo Pierre Martin Ngô-dinh-Thuc
6. Il mio incontro con S.E. l´Arcivescovo Pierre Martin Ngô-dinh-Thuc
7. DECLARATIO
Wie ein Pfahlrost
 
Wie ein Pfahlrost

von
Georg Faber


"Der Herr dort", sagte der Pfarrer und wies mit der Hand durchs Fenster, "der da drüben mit dem grauen Filzhut, hat längst eine kirchliche Auszeichnung verdient." Zwischen den Linden, die den schmalen Platz säumten, ging er sehr langsam und bereits ein wenig gebückt dahin, und wenn er in die Sonne trat, glänzte die Silberkrücke seines Handstockes auf. Ein schwarzer Spitz umtänzelte ihn. "Den Pius-Orden natürlich nicht", scherzte der Pfarrer, "das Verdienstkreuz tut es vollauf. Und auch das würde ihn verlegen machen." Er hatte seine Brille abgenommen, um sie zu putzen, und sein schmales, von zwei Längsfalten durchfurchtes Gesicht erschien nun sehr ernst.

Der alte Herr war unterdessen in ein Haus getreten, über dessen Tür in großen, farbig schattierten Buchstaben ",Möbelmagazin" zu lesen stand, und darunter kleiner: "Eduard Schroedter und Sohn". „Den Namen kennt und achtet jeder in unserer kleinen Stadt", bemerkte der Pfarrer. "Sie werden ihn auch an anderen Häusern lesen. Ein Schneider ist noch da, nebenbei ein maßgebliches Mitglied der Gemeindeverwaltung, dann ein Lebensmittelkaufmann und eben diese Tischlerei, Vater und Sohn, alle miteinander aufrechte Katholiken. Für unsere Diasporagemeinde bedeutet das schon etwas."

„Ob Sie mir´s glauben oder nicht", sagte er dann, „dieser alte Herr holt sich jeden Monat seinen Stoß Zeitschriften und trägt sie, so schlecht er auch zu Fuß sein mag, zu den Lauen und Säumigen. Natürlich soll er darum keinen Orden bekommen, das wird ihm der Herrgott schon lohnen. Auch an seine Geldspenden für unsere Gemeinde denke ich nicht, denn so leicht kann man sich keine Auszeichnung kaufen." Der Pfarrer nahm ein Buch vom Stuhl und legte es zu den übrigen, die in bunter Unordnung, teils geöffnet, teils mit Lesezeichen besteckt, auf dem Tische ausgebreitet lagen. "Die letzten Tage habe ich oft an diese Schroedter gedacht, an den alten Herrn dort drüben, an seinen Vater und vor allem den Großvater Johannes. Ich las, wie man beim Bau der Dome zunächst einmal Eichenpfähle in den sandigen oder sumpfigen Grund hineintrieb und dann auf diesem sogenannten Pfahlrost die massigen Pfeiler, Bogen und Türme errichtete. Das Werk der Baumeister und Steinmetzen bewundern wir, doch an das, was in der Tiefe steckt und doch alles trägt, denkt niemand. Und ein solcher Pfahlrost ist die Familie Schroedter. "

Er nickte, so als wolle er seinem eigenen Vergleiche zustimmen: "Ja, wir brauchen ihn. Denn der Boden in der Diaspora ist ein schlechter Baugrund, er trägt nicht. Wie viele Katholiken sind darin schon versunken?" Er griff einen Band aus dem Stapel heraus, ein altes braunes Buch mit abgewetzten Lederecken, und dies in der Hand haltend, sah er mich durch seine blitzenden Brillengläser beinahe herausfordernd an: „Das ist eine Chronik, wie sie sein soll. Was liest man denn sonst in dergleichen. Immer nur von den Geistlichen, die dies und das getan haben, einen Verein gegründet, eine Kirche gebaut, eine Schule eingeweiht, und was noch geschehen mag. Aber wir sind nicht der Pfahlrost der Gemeinde, wir kommen und gehen. Ich bin seit 1867 der vierzehnte. Und mögen sich meine Vorgänger auch redlich gemüht haben, sie konnten immer nur aufbauen auf dem, was diese Familie Schroedter begonnen hat. Und das hat der Schreiber dieser Chronik im Anfang der achtziger Jahre gewußt, er hat alles, was damals noch zu erfahren war, zusammengetragen, und so wurde der erste Teil dieses Buches beinahe eine Geschichte dieser einen Familie. Es ist interessant zu lesen, und wenn man dabei noch versucht - ganz wird es uns nicht gelingen -, sich in die Denkungsart jener Zeit zu versetzen, wenn man weiß, wie hier jeder Katholik und alles Katholische damals wie ein feindseliger Eindringling betrachtet und oft auch verachtet wurde, dann kann man diesen Johannes Schroedter nur bewundern.  Woher er stammt, ist nicht gesagt. So um 1830 muß er als Handlungsdiener hierhergekommen sein. Warum? Auch darüber schweigt das Buch, jedenfalls ist er ein Faden im großen Gewebe der göttlichen Vorsehung. Immerhin muß er ein bemerkenswerter Mensch gewesen sein, daß er sich hier durchsetzen und sogar ein eigenes Geschäft gründen konnte, und einen Glauben muß er besessen haben, an dem viele Generationen vor ihm geschmiedet und gebetet haben. Denn er blieb bis in den Kern seiner Seele katholisch, und auch unter seinen zahlreichen Nachkommen, von denen der größere Teil in andere Städte verzog, sind nur wenige, ich glaube nur zwei Versager, die ihren Glauben verleugneten. Und zwei wurden Priester, von denen sich einer einen Namen machte. Aber die größten sind sein Sohn Kar! und der Enkel Eduard, der alte Herr, den Sie eben sahen."

Er blätterte in dem Buche eine ganze Zeitlang, und dann, wieder aufschauend, sagte er: "Ja, einen Orden hätten sie verdient, meinetwegen auch den Pius-Orden. Es ist nicht alles aufgeschrieben, und man muß zwischen den Zeilen zu lesen verstehen. Dieser Johannes hat es nicht leicht gehabt. Die nächste katholische Kirche beinahe vierzig Kilometer entfernt, bedenken Sie, es gab weder Fahrrad noch Eisenbahn, und um sich Menschen, die zwar nicht übel wollten, aber so gar kein Verstehen für seine Überzeugung aufbringen konnten. Er stand buchstäblich allein. Aber auch damals, so um die Mitte des Jahrhunderts, kamen, wenn auch sehr selten, Katholiken hierhergezogen, und diese nun, zunächst einen Hutmachergesellen und dann eine ganze Familie, sammelte Johannes Schroedter um sich. Sie hielten, von seinem Glauben gestützt, regelrechte Gebetsgottesdienste in seiner Wohnung und fuhren wohl auch zwei- oder dreimal im Jahre gemeinsam zur hl. Messe in die größere Nachbarstadt. Er sorgte für katholische Bücher und später, als sie mehr und mehr aufkamen, auch für Zeitschriften, und seine Frau, die er sich von auswärts geholt hatte, unterrichtete die Kinder.

Eigentlich war es damals schon eine Gemeinde, eine Zwerggemeinde ohne Priester und Altar, aber so fest und lebendig, daß die später von der wachsenden Industrie Herangezogenen sich angliederten und das Häuflein bald zu groß für Schroedters Haus geworden war. Unterdessen hatte er es auch mit mancherlei Schreiben und Bittgesuchen zuwege gebracht, daß viermal im Jahre ein Priester kam und hier die hl. Messe las. Zuerst mußte Schroedters Wohnung unter Ausnützung aller Zimmer und des Korridors als Kapelle dienen, später stellte ein Fabrikbesitzer einen Raum dafür zur Verfügung. Denn einiges Ansehen hatte sich Johannes durch seine Redlichkeit und sein biederes Wesen bereits erworben und das Mißtrauen gegen die Katholiken zum Schwinden gebracht. Der Kampf mit den Behörden, ein zähes Ringen um Rechte und Bewilligungen begann erst." Der Pfarrer ging zum Aktenschrank und brachte ein dickes, mit einem Bande umschnürtes Bündel zum Tische: „Dies ist nur eines. Im ganzen sind es drei. Ich habe sie nur teilweise gelesen, Eingaben, Ablehnungen, erneute Gesuche, Schreiben an viele kirchliche Stellen um Hilfe. Geldsorgen und immer wieder Geldsorgen, obwohl die kleine Gemeinde und mehr noch Schroedter selbst tat, was aus eigenen Mitteln zu tun ist. Erst wurde der Bauplatz erkämpft, und dann kamen innerhalb von zwei Jahren, 1865 bis 1867, die Kirche, wesentlich kleiner, als sie jetzt steht, und ein bescheidenes Wohnhaus für den Pfarrer. Ich will nicht sagen, daß es der Pfarrer und sein Nachfolger leicht hatten, doch die gröbsten Brocken waren ihnen bereits aus dem Wege geräumt, und was dann noch getan und angeschafft werden mußte, die Schule, das Geläut in dem Turm, die Orgel und auch die Einrichtung von Vereinen und Bruderschaften, immer standen die Schroedter, Johannes, dann Karl und zuletzt Eduard und seine Kinder treu zur Seite. Ein eichener Pfahlrost, ohne den unsere Diasporagemeinden wie im Sande versinken würden. Verdienten sie nicht wirklich eine Auszeichnung?"
(aus: „Auf Gottes Wage – Christen in Glaubensnot und Zerstreuung“, Paderborn 1956, S. 227 ff.)
 
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