54. Jahrgang Nr. 3 / März 2024
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1. Mitteilungen der Redaktion
2. Meine Begegnung mit S.E. Erzbischof Pierre Martin Ngô-dinh-Thuc
3. My Time with His Excellency, Archbishop Pierre Martin Ngô-dinh-Thuc
4. Ma rencontre avec S.E. Mgr. Pierre Martin Ngô-dinh-Thuc
5. Mi encuentro con Su Excelentísimo y Reverendísimo Arzobispo Pierre Martin Ngô-dinh-Thuc
6. Il mio incontro con S.E. l´Arcivescovo Pierre Martin Ngô-dinh-Thuc
7. DECLARATIO
Vererbung, Eugenik und schmerzlose Geburt
 
Vererbung, Eugenik und schmerzlose Geburt

von
Pius XII.


FÜR UNS MENSCHEN sind die Gesetze der Vererbung von hoher Bedeutung. Die Erstzelle des neuen Menschen ist schon im ersten Augenblick und Stadium ihres Daseins von einem wundervollen Bau und einer unglaublich reichen Spezifizierung der Anlagen. Sie ist voll teleologischer Dynamik, die gesteuert wird von den Genen, und in diesen Genen liegt so viel Glück oder Unglück, Lebensfrische oder Siechtum, Können oder Versagen begründet. Diese Einsicht macht es verständlich, daß die Erforschung der Vererbung immer mehr Beachtung und Verwendung findet. Man sucht das Wertvolle und Gute zu wahren, zu sichern, zu fördern und zu vervollkommnen. Schädigungen der Erbanlage sollen verhütet, das in ihnen bereits vorhandene Negative nach Möglichkeit eingedämmt werden; soweit es geht, soll verhütet werden, daß minderwertige Erbanlage noch verschlimmert werde durch Verschmelzung mit der gleichgerichteten minderwertigen Erbanlage des anderen Partners. Umgekehrt soll gesorgt werden, daß hochwertige positive Anlagen zur Verschmelzung mit hochwertigem Erbgut eines andern Partners gelänge.

Die praktische Bedeutung der Genetik

Die Genetik hat neben der theoretischen eine eminent praktische Bedeutung. Sie stellt sich die Aufgabe, dem Wohl des einzelnen wie der Gemeinschaft, dem Gemeinwohl, zu dienen. Sie will diese Aufgabe erfüllen hauptsächlich auf zwei Betätigungsgebieten, dem der Genetikphysiologie und jenem der Genetikpathologie.

Es ist eine Erfahrungstatsache, daß die natürlichen Anlagen, die guten wie die mangelhaften, die Erziehung des Menschen wie sein späteres Verhalten sehr stark beeinflussen. Gewiß ist der Leib mit seinen Organen und Anlagen nur das Instrument, gewiß kann die Seele des Künstlers, der es spielt, durch seine Fertigkeit manche Mängel des Instrumentes ausgleichen; aber besser und leichter spielt es sich auf einem vollkommenen Instrument; und wenn dessen Güte unter einer bestimmten Linie liegt, läßt sich auf ihm überhaupt nicht mehr spielen - ganz abgesehen davon, daß über jeden Vergleich hinweg Seele und Leib, Materie und Geist im Menschen zur substantiellen Einheit verbunden sind.

Um jedoch bei jenem Vergleich zu bleiben: Die Genetik lehrt uns das Instrument in seinem Bau und in seinen Schwingungen besser verstehen und zweckentsprechender zum Ziel herrichten. Aus der Abstammung eines Menschen läßt sich innerhalb gewisser Grenzen eine Diagnose anstellen über seine mit dem Erbgut empfangenen Anlagen, und auch eine Prognose, welche ererbten Merkmale in Erscheinung treten werden, gute oder, was von noch größerer Bedeutung ist, auch jene, die eine erbliche Belastung darstellen.

So gering die direkte Beeinflussung des Erbgutes sein mag, so wird die praktische Genetik keineswegs auf rein passives Zuschauen eingeengt. Schon das tägliche Leben zeigt, daß sich ein gewisses Tun der Eltern in der natürlichen Weitergabe des Lebens äußerst schädigend auswirkt. Solch Verhalten mit seinen Intoxikationen und Infektionen ist nach Möglichkeit zu unterbinden, und die Genetik sucht und zeigt Wege zu diesem Ziel. Besonders gibt die Genetik Aufschluß darüber, welche Kombinationen von Erbgut verschiedener Ahnenreihen zu begünstigen sind, welche toleriert werden können, welche unter der Sicht der Genetik und Eugenik widerraten werden müssen. Die Grundtendenz der Genetik und Eugenik, den Erbgang zu beeinflussen, um das Gute zu fördern und das Schädigende auszuschalten - diese Grundtendenz ist vom sittlichen Standpunkt unwidersprochen. Ethisch zu beanstanden sind freilich gewisse Wege zu dem angegebenen Ziel, also bestimmte Abwehrmaßnahmen, und darüber hinaus die unrichtige Bewertung der genetischen und eugenischen Ziele.

Lassen Sie Uns hier die Worte eines der bedeutendsten heutigen Genetiker anführen, der es bedauert, daß die Genetik trotz ihres enormen Fortschrittes "in technischer und analytischer Hinsicht sich verloren hat in vielfachen Lehrirrtümern; dazu gehört der Rassismus, der auf die Phylogenese angewandte Mutationismus, um in modernen Ausdrücken die Darwinische Entwicklungstheorie zu erklären, die Geburtenkontrolle der Belasteten oder der als belastet Angenommenen unter Anwendung von Präventivmitteln und Schwangerschaftsunterbrechung, die Verpflichtung des vorehelichen ärztlichen Zeugnisses usw.".

In der Tat sind es gewisse genetisch-eugenische Abwehrmaßnahmen, auf die - nach der grundsätzlichen Seite wie nach dem praktischen Vorangehen - das gesunde sittliche Empfinden wie vor allem die christliche Ethik mit einem entschiedenen „Nein" antworten.

Eheverbot und Sterilisation

Zu den Maßnahmen, die gegen die Sittenordnung verstoßen, gehört der erwähnte "Rassismus", wie auch die "eugenische Sterilisation“. Unser Vorgänger Pius XI. und Wir selbst haben Uns veranlaßt gesehen, jedwede - nicht nur die eugenische - direkte Sterilisation Schuldloser, ob definitiv oder nur zeitweilig, ob des Mannes oder der Frau, als dem Naturgesetz widersprechend zu erklären. Unsere Stellungnahme gegen die Sterilisation war und bleibt unerschütterlich, weil der Wille und Versuch, sich vermittels der Sterilisation gegen erbkranken Nachwuchs zu schützen, mit dem Ende des "Rassismus" keineswegs verschwunden ist.

Ein anderer Weg zu demselben Ziel: das Verbot der Ehe oder ihre physische Verhinderung durch Internierung des erblich Belasteten ist ebenso abzulehnen. Der angestrebte Zweck ist in sich gut, aber das Mittel zum Zweck verstößt gegen das persönliche Recht auf Eingehung und Gebrauch der Ehe. Wenn ein Erbkranker menschlichen Handelns und damit der Eingehung der Ehe nicht fähig oder wenn er später unfähig geworden ist, das durch eine gültige Ehe erworbene Recht durch freie Willensäußerung geltend zu machen, mag man ihn auf erlaubte Weise an der Betätigung zur Weckung neuen Lebens hindern; sonst ist der aus biologischen, genetischen und eugenischen Gründen vollzogene Ausschluß aus der Ehe und dem ehelichen Verkehr ein Unrecht, gleichgültig, wer diesen Ausschluß vollzieht, ob Private oder die öffentliche Gewalt.

Gewiß hat man Grund und meistens auch die Pflicht, die erblich Schwerbelasteten darauf aufmerksam zu machen, welche Bürde sie sich, dem Ehegefährten und der Nachkommenschaft aufzuladen im Begriffe stehen, eine Bürde, die sie später vielleicht unerträglich drückt. Aber Abraten ist kein Verbieten. Es kann andere Gründe, besonders sittlich-persönlicher Natur, geben, die so sehr überwiegen, daß sie das Eingehen und den Gebrauch der Ehe auch unter den bezeichneten Umständen freigeben.

Zur Rechtfertigung der Alternative: direkte eugenische Sterilisierung oder Internierung, führt man an: das Recht zur Ehe und ehelicher Betätigung werde durch die Sterilisation nicht berührt, auch wenn sie vorehelich, total und nicht mehr rückgängig zu machen sei. Dieser Rechtfertigungsversuch ist erfolglos. Ist der besagte Tatbestand für ein verständiges Urteil zweifelhaft, so ist auch die Eheuntauglichkeit zweifelhaft, und es findet der Grundsatz Anwendung, daß das Recht auf die Ehe so lange als vorhanden anzusehen ist, solange das Gegenteil nicht mit Sicherheit bewiesen wird. Darum ist in einem solchen Fall die Ehe zuzulassen, wobei die Frage ihrer objektiven Gültigkeit offenbleibt. Ist jedoch der genannte Tatbestand der Sterilisation unzweifelhaft, so ist die Behauptung, das Recht auf die Ehe werde trotzdem nicht in Frage gestellt, vorschnell und hat jedenfalls die ernstesten Bedenken gegen sich. 1)

Die schmerzlose Geburt

Die Gesetze, die Theorie und Technik der naturgemäßen Niederkunft ohne Schmerzen, sind zweifellos wertvoll, aber sie wurden von Gelehrten erarbeitet, die sich zum guten Teil zu einer materialistischen Weltanschauung bekennen und einer materialistischen Kultur angehören; diese sind nicht deshalb wahr, weil die vorerwähnten wissenschaftlichen Ergebnisse es sind. Es ist noch viel weniger zutreffend, daß die wissenschaftlichen Ergebnisse wahr und als solche erwiesen sind, weil ihre Urheber und die Kulturen, denen sie entstammen, eine materialistische Ausrichtung haben. Der überzeugte Christ findet in seinem Gedankengut und in seiner Kultur nichts, was ihn hindern würde, sich ernsthaft, theoretisch und praktisch, mit der psycho-prophylaktischen Methode zu befassen ...

Zwei Punkte verdienen es, hier hervorgehoben zu werden: das Christentum deutet Leid und Kreuz nicht nur im negativen Sinne. Wenn die neue Technik ihr die Schmerzen der Niederkunft erspart oder sie lindert, kann die Mutter das ohne jedes Gewissensbedenken annehmen, aber sie ist nicht dazu verpflichtet. Im Falle eines halben Erfolgs oder eines Mißerfolgs weiß sie, daß das Leid eine Quelle des Guten werden kann, wenn man es erträgt in Vereinigung mit Gott und aus Gehorsam gegen seinen Willen. Das Leben und das Leiden des Herrn, die Leiden, die so viele große Menschen ertragen und sogar gesucht haben, an denen sie gereift und emporgewachsen sind bis auf die Gipfel des christlichen Heroismus, die alltäglichen Beispiele ergebungsvoller Annahme des Kreuzes, die Wir vor Augen haben: all das offenbart den Sinn des Leidens, der geduldigen Hinnahme des Schmerzes in der gegenwärtigen Heilsordnung während dieser irdischen Lebenszeit. 2)

Anmerkungen:
1) Aus der Ansprache an die Teilnehmer des Primum Symposium Geneticae Medicae, 8. September 1953
2) Aus der Ansprache an eine Gruppe von Ärzten des Internationalen Sekretariats der Katholischen Ärzte und der AMCI, 8. Januar 1956

(aus: „Pius XII. sagt“ Zürich 1956, S. 121-124)
 
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