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Warum kein islamischer Religionsunterricht
 
Warum kein islamischer Religionsunterricht
an öffentlichen und privaten Schulen?


von
Christoph Heger

Sehe nicht ein, warum ich, der Einfalt der andern wegen,
Respekt vor Lug und Trug haben sollte.

Arthur Schopenhauer

Zusammenfassung

Freiheitlicher Verfassungsstaat und Islam in seiner realen historischen Verfestigung stehen in kontradiktorischem Gegensatz zueinander. Dieser Widerspruch kommt zuerst und nachhaltig im Bereich der öffentlichen Schule zum Ausdruck. Er kann nicht auf Dauer verborgen gehalten werden. Welche von beiden einander widerstreitenden Konzeptionen sich in diesem Bereich durchsetzen wird – freiheitlicher Rechtsstaat oder Islam –, wird unausweichlich Folgerungen in anderen Bereichen von Recht und Gesellschaft nach sich ziehen. Es ist verfehlt, die unausweichliche Auseinandersetzung jetzt zu scheuen und unter Vergewaltigung des Grundgesetzes und des deutschen ordre public islamischen Religionsunterricht in öffentlichen Schulen einzuführen oder auch nur zuzulassen. Der dieser Auffassung entgegengehaltenen Gefahr eines sich der staatlichen Schulaufsicht entziehenden „wilden“ Schulsystems unter dem Einfluß fremder Staaten oder verfassungsfeindlicher Organisationen muß mit anderen Mitteln entgegengewirkt werden.

1 Grundzüge des freiheitlichen Verfassungsstaates und seines Schulsystems 1)  

1.1 Weltanschauliche Neutralität und inhaltliche Rechtsbindung

Auch der moderne Verfassungsstaat, wie er im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland dem deutschen Volk als dessen Souverän zugesagt ist, ruht auf einem gesellschaftlichen, politischen und moralischen Grundkonsens (ordre public 2), der diesem Staat vorausgeht, die Verfassung hervorgebracht hat, ihr Verständnis prägt und von dem dieser Staat abhängig ist – und zwar sowohl auf Gedeih als auch auf Verderb. Dieser Grundkonsens besteht im Falle der Bundesrepublik Deutschland vor allem in der Anerkennung der Würde des Menschen als Individuum und Rechtspersönlichkeit und in der Geltung des Rechts.

Aus dieser Anerkennung abgeleitet wird der Grundsatz der Neutralität, das heißt der Nichtidentifikation des Staates mit Religions- und weltanschaulichen Positionen seiner Bürger, zur Wahrung des inneren Friedens bei vorhandenen Differenzen in solchen Positionen. In der Bindung an das Recht, das nach der Erfahrung der national-sozialistischen Diktatur in scharfem Gegensatz zu zeitweilig vertretenen Auffassungen gerade nicht mehr als rein positives Recht verstanden wird, bleibt aber auch dem liberalen Verfassungsstaat ein – möglicher- und unglücklicherweise mit der Zeit schwindender – Restbestand der Rückbindung an einen inhaltlichen Begriff des Rechts, der über bloße Neutralität oder auch nur Toleranz hinausträgt.

Solche inhaltlichen Bestimmungen des Rechts, gelegentlich „Grundwerte“ geheißen, sind dem Souverän der Bundesrepublik Deutschland, dem deutschen Volk, gewärtig aus der Geschichte, genauer: aus den in der Vergangenheit gemeinsam vollzogenen Werthaltungen, die diese Gemeinsamkeit des deutschen Volkes überhaupt erst begründet haben.

Diese Geschichte ist also grundlegend die des christlichen Abendlandes – allerdings in einer charak-teristischen und auch spannungsreichen Alteration 3) durch neuzeitliche Aufklärung und Humanismus. Ihren bestimmten Ausdruck finden diese „Grundwerte“ in den Menschenrechten, die im Grund-gesetz der Bundesrepublik Deutschland auch positiv-rechtlich festgelegt sind, und zwar mit unmittel-barer Gesetzeswirkung. 4)

Es versteht sich danach von selbst, daß die Rechts-, Friedens- und Freiheitsordnung auch des säkularen Verfassungsstaates zerbricht, wenn in ihm Mächte aufkommen, die nicht mehr zurückgebunden werden können an den Konsens über die Aufgabe des Staates zur Wahrung von Recht und Frieden durch sowohl Bindung an vorgegebenes Recht, insbesondere Menschenrechte, als auch durch Neutralität gegenüber insoweit nicht entschiedenen weltanschaulichen Differenzen. Nun scheint in der politischen Klasse Deutschlands die „multikulturelle Gesellschaft“ ernsthaft zum Leitbild der Politik zu werden, also die Ersetzung des deutschen Volkes des Grundgesetzes durch das Nebeneinander sich mißtrauisch beäugender Parallelgesellschaften mit kontradiktorisch einander gegenüberstehenden Traditionen und Vorstellungen über den im Staat zur Geltung zu bringenden ordre public. Über die damit zwangsläufig eintretende Infragestellung des Verfassungsstaates können den Bürger auf Dauer weder penetrante Aufforderungen zu „mehr Toleranz“ noch leerformelhafte Verheißungen von „Integration“ hinwegtäuschen. 5)

1.2 Schule als Erziehung durch den Staat

Das Grundgesetz bestimmt in Artikel 7 Absatz 1, daß die Schulaufsicht dem Staat zukommt. Die ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und die unangefochtene Praxis verstehen als Schulaufsicht die Trägerschaft und inhaltliche Gestaltungshoheit des Staates über das von ihm vorgehaltene Schulwesen. 6) Das gilt mutatis mutandis nicht nur für das ganz überwiegend in öffentlicher Trägerschaft stehende Schulsystem, sondern auch für die in privater Trägerschaft befindlichen Schulen. Der Staat ist mithin verantwortlich für die und keineswegs neutral gegenüber der schulischen Erziehung. Hier muß er sich zu Werten, zu einem Menschenbild, ja letztlich zu weltanschauungs- und religionsgegebenen Positionen bekennen. Erziehung durch den „neutralen“ Staat ist ein Widerspruch in sich, zumindest hier muß auch der moderne Staat seinen säkularen Charakter hintanstellen.

Diesen Widerspruch weniger auszugleichen als vielmehr auszuhalten hat der Verfassungsgeber Wege gewiesen und Institutionen geschaffen:

• die Gewährleistung privater Schulen unter Bedingungen;
• die Gewährleistung des Religionsunterrichts als staatlichen Unterrichts an staatlichen Schulen in Übereinstimmung mit den jeweiligen Konfessionen, die ihrerseits durch ihre organisatorische Verfaßtheit in der Lage sind, eine angemessene Katechese und Religionsdidaktik anzubieten;
• Toleranzgebot und Diskriminierungsverbot bei Konflikten zwischen dem Recht auf Bekenntnisakte und dem des Schutzes vor solchen Akten;
• das Rechtsinstitut des „Gesetzesvorbehalts“, nach welchem alle wesentlichen Entscheidungen des Staates, das Schulsystem betreffend, einer ausdrücklichen gesetzlichen Grundlage bedürfen und nicht durch bloß administrative Direktionsgewalt getroffen werden können.

1.3 Gesellschaftliche Einflüsse auf die Schule

Die Schule, auch da wo sie in direkter staatlicher Trägerschaft besteht, ist nicht allein aus ihren recht-lichen Vorgaben zu verstehen. Sie wird auch vom Lebensgefühl der Zeit, von gesellschaftlichen Erwartungen und Rollenverständnissen, von öffentlichen Werthaltungen und auch wissenschaftlichen Ansprüchen geprägt. Solche Prägungen seien hier in Stichworten genannt:

• Die rechtlich geforderte Gleichberechtigung der Geschlechter wird fast ausnahmslos in koedukativem Unterricht verwirklicht, überliefertes Rollenverständnis der Geschlechter wird emphatisch abgelehnt.
• Der Abbau überlieferter Autorität geht nicht selten bis zur Grenze, wo die Schuldisziplin nicht mehr gewahrt werden kann.
• Praktisch durchgängig ist das Leitbild einer säkularen, emanzipatorischen Erziehung mit einem deutlich individualistischen Kern.
• Die moderne Schule ist auf Wissenschaft rückbezogen.

Es ist zu bemerken, daß diese Charakteristika für gewöhnlich als mehr oder weniger „selbstver-ständlich“ angesehen werden, obwohl sie so nicht aus gesetzlichen oder gar grundgesetzlichen Maßgaben abgeleitet werden können. Dem Leitbild säkularer, emanzipatorischer Erziehung stehen sogar in den Landesverfassungen festgeschriebene Erziehungsziele mehr christlichen Inhalts zum Teil klar entgegen, wenn dies auch zu keinen Folgerungen seitens der Kultusbehörden führt.

1.4 Praktische Lösungen für „klassische“ religiöse Minderheiten

Die vom deutschen ordre public überwölbte Spannung zwischen der Neutralität des Staates und der von ihm beanspruchten Verantwortung für das schulische Erziehungssystem mußte vor allem mit dissentierenden Minderheiten zu Konflikten führen. Solche Konflikte mit „klassischen“ religiösen Minderheiten konnten aber entschärft werden, z. B.:

• Der israelitische Religionsunterricht konnte in Verbindung mit der wohlorganisierten jüdischen Gemeinde und deren religionspädagogischer Kompetenz gewährleistet werden, unter Umständen als ein zentraler externer Unterricht für Schüler mehrerer Schulen. Ähnliches gilt für andere religiöse Minderheiten.
• Bei Ablehnung jeglichen Religionsunterrichts kann ersatzweise staatlicher Ethik- oder Philosophieunterricht vorgeschrieben werden.

Unvermeidlich steht im Schulalltag nicht selten das Recht auf Akte des persönlichen Bekenntnisses gegen das Recht auf Freiheit vor solchen aufdringlichen Bekundungen. In solchen Fällen gilt die Kompromißmaxime „praktischer Konkordanz“.

Die Unmöglichkeit von Kompromissen oder auch die Unfähigkeit, solche anzunehmen, ist charakteristisch im Verhältnis zu religiösen und weltanschaulichen Gruppen, die man – im Hinblick auf ihre große Unterschiedlichkeit zweifellos sachlich nicht befriedigend – sich angewöhnt hat, „Fundamentalisten“ zu nennen 7). Wo Kompromisse nicht möglich sind oder nicht akzeptiert werden, greift das Prinzip der „partiellen Entpflichtung“: Befreiung vom Unterricht an staatlich nicht beachteten Feiertagen des eigenen Bekenntnisses, Befreiung vom Schwimmen ohne Geschlechtertrennung usw.

Wenn schon die Konflikte im Falle der Unmöglichkeit des Kompromisses nicht zu lösen, höchstens im menschlichen Umgang zu entschärfen sind, so stellten sie doch wegen der extremen Minderheitsposition der Dissentierenden das beschriebene öffentliche Schulsystem mit seiner Wertbindung nicht wirklich infrage. Dies ist heute radikal anders im Falle des Islams, zu dem heute in Deutschland etwa drei Millionen gezählt werden – eine Zahl, die sich mit der unter allen Vorwänden geförderten Einwanderung gerade aus den Ländern des islamischen Orients schnell erhöhen dürfte.

2 Der Fundamentaldissens des Islams

2.1 Was ist der Islam?

Worum geht es, wenn vom „Islam“ die Rede ist? Zwar gibt es auch im Islam verschiedene „Konfes-sionen“, die einander für irrgläubig halten. Dies ist aber kein Grund, über dem vernebelnden Gerede, es gebe nicht den Islam, zu verkennen: Solche Konfessionsunterschiede sind für den Außenstehenden in der Regel unerheblich, und was die Spaltung zwischen sunnitischem und schiitischem Islam angeht, so umfaßt die sunnitische Richtung fast 90 Prozent aller Muslime. Für die hier anstehende Frage reicht im ersten Ansatz der Blick auf den sunnitischen Islam aus 8).

Dieser traditionelle sunnitische Islam stellt sich dar als ein mit rationalen Argumenten abgesichertes Gefüge von Glaubenssätzen und Verhaltensnormen, deren Inhalt sich aus dem Wort Allahs und der normsetzenden Gewohnheit (sunnah) des Propheten herleitet. Die Beurteilung jeglicher Erscheinung des alltäglichen Lebens und Kultus wird mit Hilfe eines ausgeklügelten Gefüges von Verfahren auf Koran und sunnah zurückgeführt. Bewahrt, ausgelegt und auf die Wechselfälle des Daseins angewandt wird dieser Islam in den Kompendien der alten Autoritäten und von einer Gelehrtenschicht, die deren Autorität verteidigt und die in vielfältiger, nicht konfliktfreier Weise mit den Trägern politischer Macht verbunden ist  9). Es gibt die im Amt des qâdî gipfelnden Institutionen der Rechtsprechung und die von den Herrschern zu Rate gezogenen Gutachter (muftî), die entscheiden, welche Handlungsweise als islamisch angezeigt ist. Auch der gemeine Mann kann und soll in Zweifelsfällen deren Anweisungen einholen und befolgen. So offenbart im täglich zu vollziehenden Ritus und in der das ganze Leben des Menschen regelnden sarî‘ah sich der Islam einem jeden Gläubigen als die eine machtvolle Gegebenheit, auf die er zählen muß und darf, um schließlich das Heil zu erlangen.

Im Ergebnis haben wir im sunnitischen Islam vier althergebrachte Rechtsschulen (madhab, Plural madhâhib), die sich gegenseitig als rechtgläubig anerkennen. Gemeinsam ist ihnen die Lehre von den fünf „Pfeilern des Islams“, nämlich den Pflichten, die die einzelnen Gläubigen haben: das Bekenntnis des Glaubens, das rituelle Gebet, die Fasten, die Almosensteuer und – nach Möglichkeit – die Wallfahrt nach Mekka einmal im Leben. Dazu kommt als Pflicht der muslimischen Gemeinschaft insgesamt der Glaubenskrieg (gihâd): Zwischen dem „Haus des Islams“ und dem „Haus des Krieges“, nämlich der Welt, in der das Gesetz des Islams nicht gilt, kann es bestenfalls Waffenstillstände geben, nie jedoch Frieden. An wenigstens einer Grenze soll zu jeder Zeit das Haus des Islams ausgedehnt werden, wenn nötig mit Krieg. Und Krieg ist allemal dann nötig, wenn ein Gebiet dem „Haus des Islams“ wieder verloren gehen sollte. Bei Eingliederung in das „Haus des Islams“ sind „Heiden“ vor die Wahl „Tod oder Annahme des Islams“ zu stellen, den „Leuten des Buches (Bibel)“, ahl al-kitâb, also Juden und Christen, kann ein Unterwerfungsvertrag angeboten werden, der sie in rechtlich gedrückter Stellung im islamischen Staat weiter bestehen läßt.

Es erhellt schon aus dem Vorstehenden und bestätigt sich bei näherer Betrachtung, daß selbstverständliche Voraussetzung des Islams – oder im wesentlichen gleichbedeutend: des islamischen Gesetzes – ist, daß das Volk der Muslime, die ummah, idealtypisch in dem einen und einzigen islamischen Staat, wenigstens aber in einem islamischen Staat lebt. Dessen Legitimität erwächst ihm daraus, daß er das göttlich geoffenbarte islamische Gesetz durchsetzt, so wie Allah im Koran sagt: „Ihr seid das beste Volk, das je unter den Menschen hervorgebracht wurde. Ihr gebietet das Rechte und verbietet das Verwerfliche und glaubt an Allah.“ 10) Dem entspricht die traditionelle Vorstellung, daß der Muslim nicht auf Dauer in einem nicht-islamischen Land leben sollte, weil er dort seinen Religionspflichten nicht vollständig genügen kann.

Nun müssen heute und mußten auch schon im Laufe der Geschichte große muslimische Bevölkerungsgruppen in nicht islamisch beherrschten Staaten leben. Für solche Situationen ist von der isla-mischen Kanonistik die Theorie entwickelt worden, daß unter Gefahr für das Leben oder unter be-sonders harten Bedingungen der Bedrückung, der Mißhandlung, der Bedrohung des Lebensunter-halts oder auch der Schädigung des Ansehens das an sich Verbotene (harâm) zulässig (halâl) wird.11)  Es handelt sich dabei aber keineswegs um eine grundsätzliche Zurücknahme islamischer Ansprüche an die Rechtsordnung, etwa aus Erwägungen der Billigkeit um einer gemeinsam tragbaren Rechtsordnung willen, sondern lediglich um ein Nachgeben aus Notwendigkeit, das bei Wegfall der Notwendigkeit wieder zurückgenommen werden muß.

Es erhellt weiter, daß jede muslimische Minderheit, die durch die Ungunst der Umstände in einem nicht-islamischen Land leben muß, wenn sie ihren islamischen Charakter bewahren will, nicht nur eine faktische Selbst-Gettoisierung zu betreiben, sondern möglichst auch vom nicht-islamischen Staat zu erreichen sucht, unter ein islamisches Eigenrecht gestellt zu werden, also ein eigenes Per-sonenstandsrecht, ein eigenes Erbrecht, womöglich ein eigenes Strafrecht usw. zugestanden zu bekommen.

Dies ist sogar in Ländern zu beobachten, die wie etwa die Indische Union oder Thailand ihre muslimische Minderheit von der Macht fernhalten, aber mit einem die Rechtseinheit durchbrechenden Partikularrecht ruhigzustellen suchen.

2.2 Islam und Menschenrechte

In Artikel 1 Absatz 2 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland bekennt sich das deutsche Volk zu „unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt“. Dieses „Bekenntnis des deutschen Volkes“ gehört nach Artikel 79 Absatz 3 zu den Verfassungsgrundsätzen, deren Änderung unzulässig ist. Ihm steht der Islam, so wie er sich historisch darstellt und verfestigt hat, grundsätzlich ablehnend gegenüber. Er sieht in ihm eine Art Superreligion, die zur Zeit Staatsreligion der „westlichen“ Staaten ist, aber als solche dem Islam zu weichen hat. Zwar läßt er nach dem oben angeführten Grundsatz 12) zu, sich unter dem Zwang der Umstände dem Gesetz des Landes zu unterwerfen. Aber eine grundsätzliche Unterordnung des islamischen Rechts, der sarî‘ah, als des ein für alle Mal geoffenbarten göttlichen Gesetzes, unter nicht-islamische Rechtsgrundsätze – auch solche einer „Menschenrechtsreligion“ – schließt der Islam auf das bestimmteste aus.

Dies zeigt auch ein Blick auf die Menschenrechtsdiskussion und -publizistik, die dessen ungeachtet in der islamischen Welt zu beobachten ist 13). Von Anfang an hatten diejenigen islamischen Staaten, die als Mitglieder der 1945 gegründeten Vereinten Nationen an der Ausarbeitung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Generalversammlung der Vereinten Nationen vom 19.12.1948 beteiligt waren (Afghanistan, Irak, Pakistan, Saudi-Arabien, Syrien und Ägypten) gegen einige Artikel der Erklärung (Recht auf Religionswechsel, Gleichberechtigung von Mann und Frau) Widerstand geleistet. Auch später machten die islamischen Staaten immer wieder deutlich, daß sie die in der Erklärung enthaltenen Menschenrechte nur so weit als schützenswert betrachten, als diese nicht gegen die sarî‘ah verstoßen. )14 Gleichzeitig wird unentwegt dargelegt, daß der Islam die Menschenrechte seit vielen Jahrhunderten gewährleiste, denn die islamische Lehre enthalte sie von An-fang an und die islamischen Vorschriften stimmten mit den Menschenrechten der Allgemeinen Erklärung überein 15). In den 1980er Jahren ging man von islamischer Seite dazu über, statt schlicht die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte zu übernehmen, Dokumente über die Menschenrechte im Islam zu entwerfen.

Von besonderer Bedeutung – gerade für die Integration der Muslime in den europäischen Nationen oder gar für die Ideen von einem „Euro-Islam“ – ist die vom Conseil Islamique pour l'Europe am 19.01.1981 vorgelegte Allgemeine Islamische Menschenrechtserklärung 16). Auf sie – und bezeichnenderweise nicht auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte – bezieht sich auch die Erklärung der Vertretung des Islamischen Weltkongresses in Deutschland und seiner deutschen Sektion vom 24.09.1989. Diese enthält jedoch wichtigste Menschenrechte wie das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, Religionsfreiheit, Gleichheit der Geschlechter usw. ebensowenig wie andere Menschenrechtserklärungen von islamischer Seite 17), sondern preßt sie unter die Bedingungen des islamischen Rechts. Was dies bedeutet, soll an einigen Menschenrechten gezeigt werden.

2.2.1 Die Erniedrigung der Frau

Zahlreiche Musliminnen, allen voran – in der Regel schlecht unterrichtete – westliche Konvertiten, verkünden öffentlich, ihr rechtlicher Status im Islam sei durchaus gleichberechtigt, und führen zum Beweis gegenüber noch schlechter unterrichteten Andersgläubigen den Koran und sonstige angebliche Aussprüche ihres Propheten an – und nicht die tägliche Gegenwart im Orient, aber auch schon in einigen islamischen „Enklaven“ in europäischen Ländern. 18) Das Auseinanderklaffen zwischen dieser täglichen Realität und jenen frommen Zitaten spiegelt weitgehend die Differenz zwischen dem Koran und dem überlieferten islamischen Recht wieder. Entgegen der dogmatischen Behauptung von islamischer Seite, daß der Koran unbedingt vorrangige Rechtsquelle sei, ist für dieses Recht und die von ihm geprägte alltägliche Wirklichkeit tatsächlich nicht der Koran, sondern die unendliche Fülle der – in ihrer Geltung ewig umstrittenen – Berichte (hadîte) über Taten und Aussprüche des Propheten MUHAMMAD vorrangige Rechtsquelle.19)  Im folgenden soll die islamrechtliche Lage der Frau dargestellt und nur gelegentlich auf die heutige tatsächliche Lage bezug genommen werden, die heute oft günstiger, mitunter aber auch ungünstiger ist als die islamrechtliche.

a) Keine Gleichberechtigung der Frau

Zwar findet sich schon im Koran 20) die Anweisung – und nicht nur die Erlaubnis – für die Männer, ihre „aufsässigen“ Frauen zu schlagen 21), doch lassen sich auch Stellen angeben, die zu liebevoller Behandlung der Frau aufrufen. Die aus den hadîthen entwickelte (besser gesagt: die mit passend erfundenen hadîhen gerechtfertigte) islamrechtliche Lage der Frau ist die einer vielfachen Schlechterstellung: Vor Gericht gelten zwei weibliche Zeugen soviel wie ein männlicher; eine Frau hat den halben Erbanspruch eines Mannes; die Frau hat keine Freiheit in der Wahl ihres Ehepartners, sondern untersteht dabei ihrem walîy („Freund, Schutzherr“; in der Regel nächster männlicher Verwandter); die Ehefrau hat keine Mitsprache, wenn der Mann sich weitere Ehefrauen (oder, wo vorhanden, Sklavinnen-Konkubinen) zulegen möchte; sie kann jederzeit von ihrem Mann verstoßen werden, in welchem Falle sie keinerlei Rechte an ihren Kindern behält usw. 22) Entgegen beschönigenden Darstellungen wird auch die weibliche Beschneidung (hafd) oder, richtiger gesagt, die Verstümmelung des weiblichen Genitales vom islamischen Recht je nach Rechtsschule gefordert oder wenigstens begünstigt. 23)

b) Islamische Ehe als Form der Sklaverei

Eine besondere Betrachtung verdient der islamische Begriff der Ehe, der nicht mit dem – vom Grundgesetz unter den besonderen Schutz des Staates gestellten – des deutschen ordre public zur Harmonie gebracht werden kann. Die islamische Ehe ist das Besitzrecht des Ehemanns an seinen Frauen, insbesondere das Nutzungsrecht und die Verfügungsgewalt über deren Geschlechtlichkeit und Fruchtbarkeit – mit den Worten islamischer Autoritäten: eine Form der Sklaverei.24)

Demgemäß sieht das islamische Recht darin, daß der Bräutigam an die Braut ein Brautgeld (mahr) zahlt, eine unentbehrliche Voraussetzung für das gesetzliche Zustandekommen der Ehe 25) oder - wie der islam-rechtliche Terminus lautet - dafür, daß er sich durch diesen Kauf „deren Genitale rechtmäßig macht“.26)

Einmal verheiratet, ist die islamische Frau idealerweise auf das Haus beschränkt, das sie – vorausgesetzt, der Mann spricht keine Verstoßung (talâq) aus – bis zu ihrem Tode nicht mehr verläßt. Nur in Ausnahmefällen und in Begleitung eines männlichen Verwandten darf sie reisen oder die Pilgerfahrt nach Mekka vollziehen.

Bei immerhin doch notwendig werdendem Verlassen des Hauses wird diese Abschließung der Frau vor der Öffentlichkeit durch ihre vollständige oder fast vollständige Verhüllung 27) fortgesetzt.28)

Gegen die Verstoßung (talâq)  durch ihren Ehemann, beschönigend meist „Scheidung“ genannt, ist die Frau islamrechtlich machtlos. Hat der Mann sie dreimal verstoßen, das heißt praktisch: hat er – etwa im Zorn – die Verstoßungsformel dreimal ausgestoßen, kann die Frau, selbst wenn der Mann dazu bereit ist, sich nur über eine unsittliche und erniedrigende Prozedur wieder mit ihrem Mann versöhnen (und so wieder zu ihren Kindern kommen): Sie muß zuvor einen anderen Mann, muhallil, „Legalisierer“ genannt, geheiratet, mit ihm Geschlechtsverkehr gehabt und dann die Verstoßung bekommen haben, bevor sie wieder eine Ehefrau ihres früheren Mannes werden kann.

c) Gehorsamskontrolle oder die Geschlechtlichkeit der Frau als Bedrohung

Die panische Besessenheit, die Frau zu einer austauschbaren Ware mit Geschlechts- und Fortpflanzungsfunktion zu erniedrigen, gründet in einer Tradition, die nach dem Zeugnis überlieferter Aussagen, wenn nicht von Muhammad selbst, so doch spätestens von Umar ibn al-Hattab 29), dem zweiten Kalifen oder Nachfolger Muhammads, und von Alî ibn abî Tâlib 30), dem Schwiegersohn und vierten Nachfolger Muhammads, bestimmt worden zu sein scheint: nämlich in der Frau ein von Begierden getriebenes Wesen teuflischer Versuchungen und Quelle der Verunreinigung zu sehen, die darum von Gesellschaft und Mann unter ständiger Gehorsamskontrolle zu halten ist. 31) Das beginnt mit der – bezeichnenderweise hafd, „Senkung“, nämlich des Geschlechtstriebs – genannten weiblichen Beschneidung und setzt sich im Eheleben fort: „Der Geschlechtsverkehr, der als unrein gilt, wird von Riten und Beschwörungen begleitet, die eine gefühlsmäßige Distanz schaffen und die ge-schlechtliche Befriedigung auf seine elementarsten Funktionen reduzieren.“ 32)

Es handelt sich hierbei nicht um die kulturhistorisch bekannte Vorstellung, daß die Berührung mit Dingen aus dem Umkreis von Sexualität, Fruchtbarkeit und Tod kultisch unrein macht. Kriterium der unrein machenden Berührung ist hier die geschlechtliche Erregung, die beim Objekt männlicher Sexualität ausgelöst wird. Daher hat der Muslim sich nach dem Verkehr mit einer Frau den vorgeschriebenen Waschungen zu unterziehen, nicht aber – wie von der islamischen Tradition ausdrücklich erwähnt – nach Verkehr mit Leichen, Tieren oder Kindern. 33) Die bei der Frau ausgelösten Begierden eröffnen nach diesen Vorstellungen die Möglichkeit der Anwesenheit des Teufels (saitân) und anderer böser Geister (ginn). Deren Wirkung hat der Mann durch die oben genannten beschwörenden Glaubensformeln und nachfolgende Waschungen zu bannen.

d) Das Risiko einer Vergewaltigung

Die Abschließung der Frau vor der Öffentlichkeit im Haus und in verhüllender Kleidung wird von Muslimen oft damit verteidigt, daß solchermaßen die Gefahr einer Vergewaltigung verringert werde. Der darin liegende und für den Nicht-Muslim verblüffende Gedanke, daß dieses Risiko nicht Anlaß gibt, der Frau besonderen Schutz angedeihen zu lassen, sondern ihr schwerwiegende Einschränkungen zuzumuten, beherrscht das islamische Denken durchgängig: Das Risiko einer Vergewaltigung hat die Frau zu tragen. Immer hat sie mit mangelnder islamischer Kleidung oder mit unislamisch freiem Betragen dem Vergewaltiger Anreiz und Gelegenheit gegeben. 34) Und selbst wenn ein solcher Vorwurf einmal gar nicht erhoben werden kann, ist nichts desto weniger die Ehre der Familie beschädigt. Wenn es auch der islamischen Rechtgläubigkeit entgegen ist, die den Selbstmord ablehnt, so ist doch die Erwartung weitverbreitet, daß die Frau diesen Ehrverlust durch Selbsttötung zu verhindern hat.

Der Gedanke, daß das Risiko einer Vergewaltigung von der Frau zu tragen ist, beherrscht auch das islamische Recht. Es kennt praktisch keinen strafrechtlichen Schutz der Frau, da es ihr die untragbare Beweislast auferlegt, vier männliche Zeugen aufzubieten, die nicht nur eine deutliche Gewalteinwirkung, sondern die Penetration gesehen zu haben bezeugen müssen. 35) In Verbindung mit dieser untragbaren Beweislast-Anforderung bringt eine Anzeige die Frau in unmittelbare Gefahr, hat sie doch – zwangsläufig – zugegeben, daß Geschlechtsverkehr mit ihr stattfand. Da sie sich von diesem Delikt nicht durch den Nachweis einer Vergewaltigung entlasten kann, hat sie die Strafe für zinâ’ (Unzucht, Ehebruch) zu gewärtigen: Auspeitschung bei einer Jungfrau, Steinigung bei einer deflorierten Frau. Unter solchen Umständen sind Frauen jederzeit jedem Vergewaltiger preisgegeben.

e) Kopftuchstreit

Aus alledem erhellt, daß der in Westeuropa und auch hierzulande geführte Kopftuchstreit in der Regel nicht den Kern der Frage erfaßt hat. Das Kopftuch ist für den traditionalistischen Islam eben nicht nur eine Frage des ostentativen Bekenntnisses. Ein solches ist im deutschen Schulsystem – anders als im laizistischen Schulsystem Frankreichs – zulässig (s. Abschnitt 1.3). Es ist vielmehr Symbol für den Anspruch einer auf Selbst-Gettoisierung setzenden Minderheit, daß die muslimische Frau auch im demokratischen Verfassungsstaat die Menschen- und Verfassungsrechte nicht soll uneingeschränkt in Anspruch nehmen dürfen. Diese Strategie ist in mehrfacher Hinsicht lohnend. Das muslimische Mädchen, dem die freie Wahl des Berufs, des Wohnorts und vor allem des Ehepartners vorenthalten wird, ist wegen ihres Aufenthaltsrechts in Deutschland eine „gute Partie“ für zuzugs- und zahlungswillige Bewerber. Ihre Bindung an das Haus erhöht erfahrungsgemäß die Geburtenfreudigkeit der Familie.

Bemerkenswerterweise findet diese Strategie, sich von der Geltung der Menschenrechte auszunehmen, auch Unterstützung seitens nichtislamischer Kreise, die die Verpönung „kulturverändernder“ Eingriffe in fremde Gesellschaften als eurozentrischen „Menschenrechtsfundamentalismus“ auch auf sich in westlichen Staaten etablierende Parallelgesellschaften ausdehnen möchten. Solchen Bestrebungen muß entschieden widersprochen werden. 36)

2.2.2 Keine Religionsfreiheit im Islam

Das Menschenrecht der Religionsfreiheit ist dem Islam seit je fremd. Der häufig zu hörende Widerspruch mit Hinweis auf Sure 2, Vers 256 „Kein Zwang [soll sein] in der Religion“, komme er subjektiv ehrlich von schlecht Unterrichteten oder auch in täuschender Absicht, 37) ist irreführend. Man braucht kein Arabist zu sein und braucht die Willkür des eingeschobenen Prädikats „soll sein“ statt eines vielleicht richtigeren „kann sein“, also die Willkür der Deutung im Sinne einer Aufforderung zur Toleranz statt eines Ausdrucks der Resignation nicht zu erkennen 38). Es genügt, neben einem unverstellten Blick auf die historische wie auch die heutige Realität islamischer Gesellschaften, zu wissen, daß dieser Vers niemals von der islamischen Rechtstheorie und -praxis im Sinne neuzeitlicher Glaubensfreiheit verstanden worden ist. Er gilt der islamischen Doktrin vielmehr sowohl theoretisch wie vor allem auch praktisch als von Allah durch später geoffenbarte Verse zurückgenommen (abrogiert).39)

Tatsächlich fordert die islamische Doktrin vom Staat die Beobachtung und Durchsetzung der sharî‘ah auch insofern, als er „Heiden“ (Polytheisten, musrikûn) grundsätzlich vor die Wahl „Annahme des Islams oder Hinrichtung“ zu stellen hat. Juden und Christen („Volk des Buches [Bibel], ahl al-kitâb) – später, unter dem Zwang der Umstände, wurden auch andere Religionsgemeinschaften mit einer „heiligen Schrift“ darunter gezählt – kann er jedoch nach ihrer Unterwerfung unter den islamischen Staat und die sarî‘ah Leben, persönliche Freiheit, Eigentum und Kultfreiheit gewähren, und zwar im einzelnen je nach den Umständen ihrer Unterwerfung. Eine spätere Bekehrung dieser „Schutzbürger“ (dimmî) zum Islam ist erwünscht, deren Förderung seitens des Staates – sei es durch öffentliche Bekehrungsaufrufe („Einladung“, da‘wah) und Begünstigung der Neubekehrten, sei es durch steuerliche und sonstige Bedrückung und öffentliche Herabsetzung der Hartnäckigen und ihrer Religion – wird erwartet.

Umgekehrt, beim Abfall eines Muslims vom Islam, verlangt das islamische Recht härteste Bestrafung. Darin stimmen die vier als rechtgläubig geltenden Rechtsschulen des sunnitischen Islams und die Schia überein: Der männliche, volljährige und geistig gesunde Abtrünnige (murtadd) ist hinzurichten. Die malikitische und die schafiitische Schule fordern das auch für die Frau, nach hanafitischer und auch schiitischer Rechtsmeinung ist sie jedoch in Haft zu halten, bis sie den Islam wieder annimmt. Kinder sind in Haft zu halten bis zu ihrer Entscheidung als Volljährige. Uneinheitlich ist die Auffassung, ob Reue und Rückkehr zum Islam angenommen werden können; die häufigste Mei-nung geht dahin, daß für eine strafbefreiende Rückkehr eine Frist von drei Tagen zu gewähren ist.40)  Diese althergebrachten Vorschriften sind mitnichten „Schnee von gestern“. Zahllose Beispiele für das unbeirrte Festhalten der islamischen Rechtslehre an dieser Drohung gegen „Abtrünnige“ können aus jüngster Zeit beigebracht werden.41)

Uneinheitlich sind auch die Auffassungen, wer zur Durchführung der Bestrafung berechtigt ist. Eine zurückhaltende Richtung behält dieses Recht dem Kalifen oder Imam vor, ersatzweise dem – vom Kalifen als beauftragt vorgestellten – Inhaber der politischen Macht. Verbreitet ist jedoch auch die Meinung, daß im Falle des Unvermögens oder mangelnden Willens der Regierung der einzelne Mus-lim im Sinne einer „Ersatzvornahme“ berechtigt und verpflichtet ist, die Durchsetzung des islamischen Rechts in die eigene Hand zu nehmen. 42)

Diesen dogmatischen Vorstellungen kommen die Behörden in islamischen Staaten zwar mit zuweilen notwendig werdender Rücksicht auf die Außenwelt zögernd, aber doch im großen und ganzen bereitwillig nach. der sich laizistisch gebärdenden Türkei. aufzubauen.

2.2.3 Islamisches Strafrecht

Über den besonderen Fall der Todesstrafe für Abgefallene vom Islam hinaus enthält das als göttlich offenbart, insofern für unveränderbar angesehene und als solches in der religiösen Unterweisung der Muslime gelehrte sarî‘ah-Recht Bestimmungen, die in keiner Weise mit den Menschenrechten und damit dem Grundgesetz zur Harmonie gebracht und zur Koexistenz zugelassen werden können. Das betrifft zum einen Straftatbestände und Strafmaße wie Handabtrennen bei (schwerem) Diebstahl, Auspeitschen bei Weingenuß, Steinigung bei Ehebruch, die Todesstrafe bei Blasphemie (einschließlich der Kritik am Propheten Muhammad) usw. Zum anderen betrifft das die dem europäischen Recht fremde Einrichtung des Privaten eingeräumten Wiedervergeltungsrechts bei Totschlags- und Körperverletzungsdelikten. Zum dritten betrifft es das Prozeßverfahrensrecht, das so, wie es im Islam als göttlich festgelegt gilt, in keiner Weise die Rechtsschutz gewährleistende Funktion eines den Menschenrechten gemäßen Verfahrensrechts erfüllen kann.

Diese Unvereinbarkeit ist den führenden Köpfen des Islams in Deutschland und anderen westlichen Ländern wohl bewußt. Sie verfallen gewöhnlich auf die Ausflucht, die vorgeschriebenen Strafen usw. dürften nur in einem islamischen Staat – oder sogar nur in einem „wirklich islamischen“ Staat – angewendet werden, nicht aber zum Beispiel in einer demokratischen Bundesrepublik Deutschland. 47) Da es aber zum Glaubensinhalt des Islams gehört, die Geltung des „göttlich verordneten“ islamischen Rechts letztlich durchzusetzen, ändert eine vorübergehende Bescheidenheit nichts am menschenrechtsfeindlichen und grundgesetzwidrigen Charakter einer Religionsunterweisung, die genau dieses Ziel hat.

2.2.4 Andere Bereiche des islamischen Rechts

Es ist hier nicht der Platz, die Vereinbarkeit des islamischen Rechts mit deutschen Rechtsvorstellun-gen auf anderen Rechtsgebieten zu untersuchen. Offensichtlich grundgesetzwidrig sind, um nur einige spektakuläre Aspekte stichwortartig aufzuzeigen:

•das islamische Erbrecht in seiner Benachteiligung der Frau,
•das islamische Personenstandsrecht in seinem Eheverbot für „Milchgeschwister“, im Verbot der Heirat einer Muslimin mit einem Nicht-Muslim, im Ausschluß des Sorgerechts eines Nicht-Muslims für seine muslimischen Kinder, im Verbot der Adoption usw.,
•das islamische Wirtschaftsrecht in seinem Verbot der Zinswirtschaft,
•die Anwendung des Sachenrechts auf Menschen in der Zulassung und Regelung der Sklaverei.

3 Schlußfolgerung: Kein Verfassungsverrat nach fortgesetztem Hochverrat!

Aus der in Abschnitt 2 stichwortartig gekennzeichneten Doktrin des Islams, wie er sich historisch und tatsächlich versteht und darstellt, ergibt sich unzweideutig, daß sie nach den in Abschnitt 1 dargelegten grundgesetzlichen Prinzipien nicht ohne Verfassungsverrat zum Gegenstand eines Unterrichts in öffentlichen Schulen der Bundesrepublik Deutschland gemacht werden kann. Nach vorliegenden Lehrplanentwürfen scheint die Bestrebung zu bestehen, den islamischen Religionsunterricht von der Befassung mit den menschenrechts- und grundgesetzwidrigen Zügen des islamischen Religionsgesetzes, der sarî‘ah, freizuhalten. Abgesehen davon, daß das kaum in der alltäglichen Wirklichkeit durchzuhalten ist, würde das nichts daran ändern, daß ein weltanschauliches System an öffentlichen Schulen gelehrt würde, das in unlösbar mit ihm verbundenen Aspekten menschenrechts- und grundgesetzwidrig ist. Bleibt das Phantom eines „Euro-Islams“, der von diesen Elementen amputiert wäre. Es ist aber nicht anzunehmen, daß die Muslime in Deutschland sich zu dieser neuen Religion bekehren ließen. Wenn unter diesen Umständen die grundgesetzlich geforderte „Übereinstimmung“ mit der Konfession, deren Religionsunterricht gegeben werden soll, in Verhandlungen mit den Vertretern des Islams – oder der verschiedenen islamischen Religionsgemeinschaften – tat-sächlich erreicht werden sollte, muß man sich fragen, wer wen glaubt betrügen zu können.

Gegen diese Schlußfolgerung kann nicht vorgebracht werden, das grundgesetzliche Prinzip der frei-en Religionsausübung zwinge dazu, die vorgebrachten Ausschlußgründe trotz ihrer Triftigkeit vom Tisch zu wischen. Umgekehrt zwingen diese Gründe dazu, sich die Frage zu stellen: Was ist überhaupt eine Religion oder eine Weltanschauung im Sinne des Grundgesetzes, daß sie die dort eingeräumten Vorrechte in Anspruch nehmen kann? Das Grundgesetz versucht keine Legaldefinition, setzt vielmehr das im ihm vorgehenden ordre public gegebene Verständnis voraus. Dieses Verständnis geht aber von der abendländischen Erfahrung einer bis zur Trennung gesteigerten Differenz zwischen Religion und Staat aus, verkennt also das Eigentümliche des Islams gründlich. Insofern der Islam zu wissen vorgibt, wie Staat und Gesetz rechtens auszusehen haben, und nicht nur dieses Wissen, sondern vor allem den Willen, dies auch in der Realität durchzusetzen, für die ihm eigentümliche Auszeichnung hält, läßt er sich zutreffender mit den Begriffen einer politischen Partei oder politischen Bewegung erfassen und zwar einer eindeutig verfassungsfeindlichen Partei oder Bewegung.

Das praktische Argument, islamischen Religionsunterricht an öffentlichen Schulen nicht zuzulassen, treibe die Jugend der muslimischen Einwanderer in Hinterhofschulen („Koranschulen“), deren Verfassungstreue überhaupt nicht mehr überwacht werden könne, die vielmehr eine Domäne fremder und extremistischer Einflüsse würden, verweist natürlich auf ein tatsächliches Problem. Es ist aber nicht einzusehen, warum solchen Auswüchsen eines zu duldenden privaten Systems der Religions-unterweisung nicht durch ordnungsrechtliche Maßnahmen gesteuert werden könnte 48) – wie das ja in anderen Zusammenhängen auch geschieht: Ein „Hinterzimmer-Bildungssystem“ rechtsextremistischer oder gar national-sozialistischer Lehrinhalte wird mit polizeilichen Maßnahmen unterbunden und nicht durch Integration in den Unterricht an öffentlichen Schulen überflüssig gemacht.

Der auf einen islamischen Religionsunterricht an öffentlichen Schulen hinwirkende politische Druck ist leicht zu begreifen. Über Jahrzehnte haben tonangebende Kräfte in allen politischen Parteien unter allen möglichen Vorwänden es zugelassen und begünstigt, daß nicht einzelne Hilfesuchende, sondern ganze Völker sich in Deutschland niedergelassen haben. Aus dieser Gewährung leiten dieselben tonangebenden Kräfte – und natürlich die Einwanderer – inzwischen politische Rechte ab nach dem Motto: Jetzt leben sie zwanzig Jahre hier, jetzt wollen sie auch mitbestimmen! Diese Ersetzung des deutschen Volkes als des grundgesetzlichen Souveräns der Bundesrepublik Deutschland durch ein Nebeneinander von sich mißtrauisch verfolgenden Parallelgesellschaften kann nur als ein fortgesetzter Hochverrat bezeichnet werden. Nun im Zuge des zur Beruhigung des Volkes leerformelhaft herausgestellten Zieles einer „Integration“ der Einwanderer islamischen Religionsunterricht an öffentlichen Schulen zuzulassen hieße, dem Hochverrat den Verfassungsverrat folgen zu lassen.

Anmerkungen:
1) Die in Abschnitt 1 vorgetragenen staatsrechtlichen Überlegungen folgen FRANK J. HENNECKE: Rechtsprobleme religiöser Minderheiten im öffentlichen Schulwesen der Bundesrepublik Deutschland, in: Jahrbuch zur Staats- und Verwaltungswissenschaft, Baden-Baden, Bd. 8/1995, S.83-105
2) Indem Verf. darunter den Inbegriff der grundlegenden Rechtsanschauungen eines Staates sowohl im Verfassungsrecht wie auch im internationalen Privat-, Straf-, Prozeß- und Verwaltungsrecht versteht, folgt er dem Sprachgebrauch der französischen Rechtslehre, von der die arabischen und islamischen Juristen beeinflußt sind. Ein verbreiteter deutscher Gebrauch verwendet ihn einschränkend als einen Begriff des internationalen Privatrechts.
3) Die hier aufscheinende Spannung zwischen liberalem Staatsverständnis und traditionellen katholischen Positionen kann hier nur angedeutet, aber nicht erörtert werden. Sie kann auch unerörtert bleiben, da die katholische Kirche auf dem jüngsten Konzil weitgehend liberale Auffassungen übernommen hat. Weder sind die Widerstand leistenden traditionstreuen Kreise so stark noch scheinen sie darauf aus zu sein, in dieser Spannung mehr als einen theoretischen Dissens zu sehen.
4) Man fragt sich allerdings, was darauf noch zu geben ist, nachdem inzwischen zentrale Menschenrechte gesetzlich ausgehebelt worden sind: das Recht auf Leben durch eine Abtreibungsgesetzgebung, die zum ersten Male in der gesamten Geschichte des deutschen Volkes das Lebensrecht Unschuldiger von Rechts wegen in die Verfügung Dritter stellte; das Recht auf Eigentum durch die Einbehaltung von zum Teil jahrhundertealtem, nach dem Krieg enteignetem Familienbesitz seitens des Staates; das strafrechtliche Rückwirkungsverbot durch nachträgliche Schlechterstellung von Beschuldigten wegen national-sozialisti-scher Straftaten; das Recht der freien Meinungsäußerung durch eine neue Inquisition, die diesmal nicht falsche theologische, sondern falsche historische Behauptungen strafrechtlich verfolgt – und dies mit einem bei anderen Gesetzesverstößen ungewohnten Eifer.
5) Es ist dem hier naheliegenden Mißverständnis zu wehren, der dem grundgesetzlichen Verfassungsstaat vorgegebene deutsche ordre public sei nur vor islamischen Bestrebungen zu schützen. Beispielhaft sei auf die ganz unislamischen Bestrebungen hingewiesen, den grundgesetzlich gebotenen Schutz von Ehe und Familie dadurch in sein Gegenteil zu verkehren, daß man die Begriffe von Ehe und Familie – ent-gegen dem deutschen ordre public – umdeutet.
6) THEODOR MAUNZ, GÜNTER DURIG, ROMAN HERZOG: Grundgesetz, Kommentar, München 1994, Rdnr. 16ff. zu Art. 7.THEODOR MAUNZ, GÜNTER DURIG, ROMAN HERZOG: Grundgesetz, Kommentar, München 1994, Rdnr. 16ff. zu Art. 7.
7) Zum islamischen "Fundamentalismus" und seiner im vorliegenden Zusammenhang nicht weiter inte-ressierenden Unterscheidung vom traditionellen Islam siehe RAINER GLAGOW, HERBERT L. MÜLLER, HANS-PETER RADDATZ, WOLFGANG VON STETTEN, ROLF STOLZ, ULRICH WORONOWICZ: Der fundamentalistische Islam. Wesen – Strategie – Abwehr. – Dokumentation des Studienzentrums Weikersheim Nr. 29, bearbeitet von KLAUS HORNUNG, (Verlag Wolfgang von Stetten) 1999 (ISBN 3-9806529-1-2)
8) Tatsächlich zeigt der schiitische Islam insofern einen im Grundsatz wesentlichen Unterschied zum sunnitischen Islam, als ersterer (dem katholischen Christentum vergleichbar) in etwa ein lebendiges Lehr-amt kennt, das autoritativ den Islam auslegen kann. Dies kann zu einer Anpassung an westliche Vorstellungen führen, muß es aber keineswegs.
9) Hier ergibt sich auch der einzige wesentliche Unterschied zwischen dem jüngeren Islamismus, auch islamischer Fundamentalismus genannt, und dem aus der historischen Entwicklung sich ergebenden "Staatsislam" – ein Unterschied, der für das vorliegende Thema unbedeutend ist. In ihrem Festhalten am islamischen Gesetz unterscheiden sich beide nicht.
10) Sure 3, Vers 110. So jedenfalls das allgemeine Verständnis und die durchgängige Übersetzung. Ich ver-danke GERD-RÜDIGER PUIN, Saarbrücken, jedoch den Hinweis, daß der arabische Text beides nicht zuläßt. Das Prädikat "kuntum" steht im Perfekt und heißt nicht "ihr seid", sondern "ihr wart". Wahr-scheinlich war ursprünglich ein Konditionalsatz beabsichtigt: "Ihr wäret das beste Volk ..., so gebietet das Rechte und verbietet das Verwerfliche ..."
11) Diese Theorie des islamischen Rechts ist unter dem Schlagwort "taklîf mâ lâ yutâq" ("Aufbürden, was nicht getragen werden kann") bekannt und stützt sich auf den Vers 7 von Sure 65: "Allah verlangt von niemand mehr, als was er ihm gegeben hat" (ebenso Sure 23, Vers 62). Sie deutet diesen Vers also gerade nicht apriorisch, gemäß dem bekannten ethischen Satz "Du sollst, also kannst du", sondern emprisch, gemäß seiner Umkehrung: "Du kannst nicht, also sollst du auch nicht", stellt also die Sittlichkeit unter die Bedingung der Empirie – entsprechend der Tatsache, daß es im Islam keinen Begriff von Ethik im eigentlichen Sinne gibt, sondern nur eine Zusammenstellung von positiven, nämlich göttlich geoffenbarten Vorschriften moralischen, juristischen, kultischen und hygienischen (d. h. mitunter auch ganz unhygienischen) Inhalts.
12) Siehe Fußnote 11.
13) Siehe MARTIN FORSTNER: Zur Diskussion über die Menschenrechte in den arabischen Staaten. – in: LUDWIG BERTSCH, HANS MESSER (Hg.): 3. Sankt Georgener Symposion 1992: Christen und Muslime in der Verantwortung für eine Welt- und Friedensordnung. Frankfurt/Main 1992, S. 49-94.
14) Typisches Beispiel ist die Stellungnahme des iranischen Vertreters vor der Generalversammlung der Ver-einten Nationen im November 1982, wiedergegeben in SAMI AWAD ALDEEB ABU-SAHLIEH: La définition internationale des droits de l'homme et l'islam. – in: Revue générale de droit international public 1985, 625-716, hier S. 632.
15) Zahlreiche Belege in MARTIN FORSTNER, s. Fußnote 13.
16) "Déclaration Islamique Universelle des Droits de l'Homme". Eine deutsche Übersetzung des arabischen Textes, die die schwerwiegenden und auf eine Täuschung des der arabischen Sprache und islamischer Vorstellungen Unkundigen hinauslaufenden Abweichungen der offiziellen französischen und englischen Übersetzungen vermeidet, ist MARTIN FORSTNER: Allgemeine Islamische Menschenrechtserklärung, CIBEDO-Dokumentation Nr. 15/16, Frankfurt/Main 1982.
17) Wichtig zu nennen ist insbesondere die Kairoer Erklärung der Menschenrechte im Islam vom 05.06.1990; deutsche Übersetzung in Gewissen und Freiheit 36 (1. Halbjahr 1991), S. 90-98
18) Über die haarsträubenden Zustände im englischen Bradford, zum Beispiel, siehe den Artikel "Forced marriages in the UK" von MARUF KHAWAJA in der Zeitschrift Zameen vom Dezember 1999 (Der Artikel kann vom Verf. bezogen werden.) 
19) Das bekannteste Beispiel dafür ist die islamrechtliche Strafe für Ehebruch: im Koran Auspeitschung, im islamischen Recht aufgrund eines hadîth jedoch die Todesstrafe durch Steinigung – für den, der schon einmal Geschlechtsverkehr in einer Ehe hatte.
20) Sure 4, Vers 34: "Und wenn ihr fürchtet, daß Frauen sich auflehnen, dann vermahnt sie, meidet sie im Ehebett und schlagt sie!" (Übersetzung von RUDI PARET)
21) Im Juli 2000 erregte MOHAMED KAMAL MOSTAFA, der aus Ägypten stammende Imam der schee im süd-spanischen Fuengirola, nahe Malaga, mit seinem Buch "Frauen im Islam" einen Sturm der Entrüstung in Spanien. In ihm führt der Imam aus, wie die Disziplinierung der Ehefrau vorzunehmen ist, damit die Frau keine sichtbaren Spuren der Mißhandlung davonträgt: "Schläge müssen auf bestimmte Körperteile ausgeführt werden, wie Füße und Hände, und mit einem Stock, der nicht zu dick ist, sondern fein und leicht, damit er keine Schrammen und Male am Körper hinterläßt." (BBC World Service 24.07. 2000, 13:24 GMT).Im Juli 2000 erregte MOHAMED KAMAL MOSTAFA, der aus Ägypten stammende Imam der Mo-schee im süd-spanischen Fuengirola, nahe Malaga, mit seinem Buch "Frauen im Islam" einen Sturm der Entrüstung in Spanien. In ihm führt der Imam aus, wie die Disziplinierung der Ehefrau vorzunehmen ist, damit die Frau keine sichtbaren Spuren der Mißhandlung davonträgt: "Schläge müssen auf bestimmte Körperteile ausgeführt werden, wie Füße und Hände, und mit einem Stock, der nicht zu dick ist, sondern fein und leicht, damit er keine Schrammen und Male am Körper hinterläßt." (BBC World Service 24.07. 2000, 13:24 GMT).
22) Diese islamrechtlich niedrige Stellung schließt natürlich nicht aus, daß die verheiratete Frau und Mutter tatsächlich eine starke Stellung in der Familie haben kann. Das ist mitunter sogar recht verbreitet.
23) Von den vier als rechtgläubig anerkannten Rechtsschulen des sunnitischen Islams hält die sehr verbrei-tete und über die von ihr beherrschte Al-Azhar-Universität in Kairo einflußreiche schafi'itische Rechts-schule die Beschneidung der Frau für Pflicht (wâgib). Eine Minderheit der schafi'itischen Gelehrten und die hanbalitische Rechtsschule sehen sie nicht als strenge Pflicht, aber sehr wohl als verdienstvolle Befolgung des Brauchs (sunnah) des Propheten an. Die hanafitische und die malikitische Schule sehen in ihr ein ehrenvolles Entgegenkommen gegenüber dem Ehemann. Einige Rechtsgelehrte betrachten sie als bloße Sitte in heißen Klimazonen.
24) So die herausragenden Autorität von al-Gazzâlî (+ 1111) – vergleichbar etwa der THOMAS VON AQUINs in der katholischen Kirche –, der in seinem Werk ihya’ ‘ulûm ad-dîn, Beirut (dâr al-kutub al-‘ilmîyah), Band II, kitÁb adab al-nikah, S. 64 bündig schreibt: "Das treffendste und endgültige Wort in der Angelegenheit ist, daß die Ehe eine Form der Sklaverei (riqq) ist. Die Frau ist Sklavin ihres Mannes und ihre Pflicht ist darum absoluter Gehorsam gegen den Ehemann in allem, was er von ihrer Person verlangt."
25) Zum Beispiel: "Gemäß einem von al-Buhârî überlieferten hadît ist der mahr eine wesentliche Voraus-setzung für die Gesetzmäßigkeit der Ehe. 'Jede Ehe ohne mahr ist null und nichtig'" (Encyclopaedia of Islam, Eintrag "mahr").
26) So zum Beipiel in dem hadît "Wer zwei Handvoll Mehl oder Datteln als mahr für seine Frau gibt, hat sich deren Geschlechtsteil legal gemacht" (miskat al-masabîh, Buch II, Abschnitt mahr, hadît Nr. 57).
27) Nach verbreitetster Meinung, natürlich auf einen hadît gestützt, dürfen nur Gesicht und Hände sichtbar sein.
28) ERDMUTE HELLER, HASSOUNA MOSBAHI (Hg.): "Hinter den Schleiern des Islam. Erotik und Sexualität in der arabischen Kultur". – München (Beck) 11993, 21994 (ISBN 3-406-37607-x), Taschen-buchausgabe München (Deutscher Taschenbuch-Verlag) 1997 (ISBN 3-423-04712-7); siehe insbesondere Seite 112ff.
29) "Die Rede der Verschleierten ist ebenso wie sie selbst etwas, das man schamhaft verhüllen muß..." (HELLER, MOSBAHI: "Hinter den Schleiern ...", Fn. 28, S. 81)
30) "Wenn sie [die Frauen] sich selbst überlassen sind, so kennen sie keine Religion. Sie sind ohne Tugend und ohne Erbarmen, wenn es um ihre fleischlichen Begierden geht..." (HELLER, MOSBAHI: "Hinter den Schleiern ...", Fn. 28, S. 81); Alî wird auch folgendes Gedicht zugeschrieben, das im nahg al-bala-ga, einer bekannten Sammlung von (angeblichen) Reden, Briefen und Aussprüchen Alîs enthalten ist, die im schiitischen Islam hochangesehen ist und zum Beispiel nach dem Urteil des Testaments des persschen Revolutionsführers und Theologen (Ayatollâh) Rûdollâh Komainî, herausgegeben vom Islamischen Zentrum Hamburg, an Zuverlässigkeit nur dem Koran nachsteht:
al-mar'atu sarrun kulluhâDie Frau ist schlecht ganz und gar.
wa-sarru mâ fîhâUnd das Schlechteste an ihr ist,
anna lâ budda minhâdaß es ohne sie nicht geht.
Verf. dankt Herrn ANDREAS ISMAIL MOHR, Köln, für den Hinweis auf dieses Gedicht.
31) HANS-PETER RADDATZ: Von Gott zu Allah? Christentum und Islam in der liberalen Fortschrittsge-sellschaft. München (Herbig) 2001 (ISBN 3-7766-2212-1), S. 274ff.; WIEBKE WALTHER: "Die Frau im Islam" – in: PETER ANTES, KHALID DURAN, TILMAN NAGEL, WIEBKE WALTHER: Der Islam. Religion – Ethik – Politik. – Stuttgart (Verlag Kohlhammer) 1991 (ISBN 3-17-011737-8), S. 100 ff.
32) So die marokkanische Soziologin FATIMA MERNISSI in ihrem Buch "Beyond the Veil" 2nd revised edition (Saqi Books) 1985 (ISBN 086356030X), "Beyond the Veil. Male-Female Dynamics in a Modern Muslim Society" Revised (Indiana University Press) 1987(ISBN 0253204232), hier zitiert in der Überset-zung von HELLER und MOSBAHI, Fn. 28, S. 45; vgl. auch FATIMA MERNISSI: The Veil and the Male Elite. A Feminist Interpretation of  Women's Rights in Islam. übersetzt von MARY JO LAKE-LAND – Reprint (Addison Wesley Publishing Company) 1992 (ISBN 0201632217)
33) HELLER und MOSBAHI, s. Fn. 28, S. 103.
34) srâr Ahmad, Chefideologe zur Zeit des später durch Flugzeugabsturz umgekommenen pakistanischen Präsidenten Zia al-Haqq, verkündete im Fernsehen, daß niemand wegen Vergewaltigung verurteilt wden könne, solange noch Frauen in der pakistanischen Gesellschaft sichtbar seien (HANS-PETER RADDATZ: Von Gott zu Allah? ..., S. 274, s. Fn. 31.
35) "Wie die Feder in das Tintenfaß taucht", lautet der Anspruch der geschmackvollen Beweislastregel.
36) Vgl. dazu besonders FORSTNER: "Zur Diskussion über die Menschenrechte", Fn. 13, vor allem S. 67ff.
37) So zum Beispiel MUHAMMAD SALIM ABDULLAH (alias HERBERT KRAHWINKEL): "Was will der Islam in Deutschland?" – Gütersloh (Verlagshaus Gerd Mohn) 1993 (ISBN 3-579-00797-1), der auf S. 124 mit Hinweis auf diese Koranstelle unverfroren behauptet: "Im Koran sind die Glaubens-, Gewissens- und Meinungsfreiheit eindeutig garantiert."
38) So mit Verweis auf die Parallelstellen 10:99f., 12:103 und 16:37 RUDI PARET: Der Koran. Band 1: Übersetzung. – Stuttgart etc. (Kohlhammer) 1966, Anmerkung 277 auf S. 38; derselbe: Der Koran. [Band 2:] Kommentar und Konkordanz. – Stuttgart etc. (Kohlhammer) 1971, S.54f. Zum Ganzen: derselbe: "Sure 2,256: lâ ikrâha fî dîni. Toleranz oder Resignation?" in: Der Islam 45 (1969), S. 299f.
39) Diese dem außerislamischen Verständnis von göttlicher Wahrheit und Offenbarung fremde Lehre von der Aufhebung (Abrogation, nash) von Koranversen durch andere eröffnet auch sonst reiche Möglichkeiten der Irreführung des unwissenden Partners im "ökumenischen" Gespräch. Im vorliegenden Falle werden unterschiedliche Verse als die aufhebenden (abrogierenden, nâsih) genannt, durch die Vers 2:256 als aufgehoben (abrogiert, mansûh) gilt.
40) Für Genaueres wird verwiesen auf JOSEPH SCHACHT: An Introduction to Islamic Law, Oxford 1964.
41) So verlangte Gadd al-Haqq, der inzwischen verstorbene Groß-Imam der in der arabischen Welt hochangesehenen Al-Azhar-Hochschule, in einem Beitrag der Kairoer Tageszeitung Garîdat al-Ahbâr vom 12.06.1995 unter der Überschrift "Wer sich vom Islam abwendet, erhebt sich gegen die allgemeine Ordnung des Staates" Abtrünnige als Hochverräter zu behandeln. Verf. liegt die Kopie eines (religionsgesetzlichen) Rechtsgutachtens (fatwâ) vor, in dem das (sunnitische) "Haus für Rechtsgutachten in der Republik Libanon, dâr al-fatwâ fî gumhûrîyat al-lubnânîyah", also das Büro des muftî des Libanons, auf die Anfrage einer Familie in Deutschland (!) unter dem 13.11.1989 unzweideutig erklärt, daß zumindest der männliche Renegat nach islamischem Recht hinzurichten ist.
42) So z. B. in Abd al-Qâdir ‘Auda: at-tasrî al-ginâ’î al-islâmî muqâranan bi-l-qânûn al-wad‘î (Das islamische Strafrecht im Vergleich mit dem positiven Recht). – 3. Aufl. Kairo 1977, Band I, S. 336f. Dieses anerkannte zweibändige Handbuch des islamischen Strafrechts erklärt den Abtrünnigen für vogelfrei.
43) Offizielle Todesurteile wegen Apostasie sind in den letzten Jahren aus Iran, Sudan und Jemen bekannt geworden. Im Iran und im Sudan sind solche Todesurteile auch vollstreckt worden.
44) Vgl. die an rechtlichen und tatsächlichen Feststellungen reiche Darstellung von MARTIN FORSTNER: "Das Menschenrecht der Religionsfreiheit und des Religionswechsels als Problem islamischer Staaten". – in: Kanon. Kirche und Staat im christlichen Osten. Jahrbuch der Gesellschaft für das Recht der Ostkirchen, Wien, Band 10 (1991), S. 105-186.
45) Immerhin aber Mauretanien, dessen Strafgesetzbuch in § 306 bestimmt: "Jeder Muslim, der sich unver-hohlen und offen durch Wort oder Tat des Verbrechens der Apostasie schuldig macht, muß aufgefordert werden, innerhalb von drei Tagen sein Verbrechen zu bereuen. Zeigt er innerhalb der Frist keine Reue, wird er als Abtrünniger verurteilt und sein Vermögen fällt der Staatskasse anheim...", in: Gewissen und Freiheit 36 (1991), S.12. Saudi-Arabien hat kein Strafgesetzbuch, sondern wendet unmittelbar die sarî‘ah an.
46) Bekannt ist der Fall des ägyptischen Korangelehrten Nasr Abû Zaid, dessen Ehe wegen angeblicher Apo-stasie zwangsweise geschieden wurde. Hier wurde also in einer Nebensache, dem eherechtlichen Status des der Apostasie Beschuldigten, über die Hauptsache, seine angebliche Apostasie, entschieden, obwohl letztere strafrechtlich nicht normiert ist.
47) So zum Beispiel der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland, NADEEM ELYAS, in einem der Frankfurter Rundschau gegebenen Interview, ebenso in seinem Interview in der Süddeutschen Zeitung vom 10.12.2001 unter der Überschrift "'Es muß einen Islam deutscher Prägung geben' – Nadeem Elyas vom Zentralrat der Muslime fordert die Öffnung zur Gesellschaft und verteidigt die drakonischen Strafen der Scharia".
48) Es ist zum Beispiel nicht einzusehen, wieso die Leitung von Moscheen – wie zum mindesten in der Vergangenheit geschehen – von Agenten des türkischen Religionsministeriums mit saudi-arabischem Geld sollte übernommen werden dürfen. 


 
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