54. Jahrgang Nr. 3 / März 2024
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1. ZUM MAI-MONAT
2. HYMNUS AUF DIE GOTTESMUTTER
3. MGR. LEFEBVRES BRIEF AN MGR. WOJTYLA MIT EINER STELLUNGNAHME DES H.H. GUÉRARD DES LAURIERS
4. DER BUMERANG
5. BRIEF AN EINE ZEITSCHRIFT
6. WENN ICH NICHT AN SEINEN HÄNDEN DAS MAL DER NÄGEL SEHE...
7. INSTAURARE OMNIA IN CHRISTO!
8. QUELLEN DER KIRCHENMUSIK
9. ÜBER DAS WESEN DER EHE
10. DIE KATHOLISCHE JUGENDARBEIT
11. HOLLÄNDISCHE KLÖSTER ALS SEX-KOMMUNEN
12. EINGESTÄNDNISSE DER REFORMER
13. ÜBER DIE 'MESSE' JOH. PAULS II. IN MEXIKO
14. 'BR0T'
15. PARADIES UND SÜNDENFALL
16. DIE LIBERALE NÄCHSTENLIEBE
17. ZUM FERNSEHINTERVIEW DES 'BISCHOFS' ERNST
18. MITTEILUNGEN DER REDAKTION
19. PAS DE FRANC-MAÇONNERIE DANS NOTRE EGLISE!
ÜBER DAS WESEN DER EHE
 
ÜBER DAS WESEN DER EHE

von
Léon Bloy


(Auszüge aus: "Briefe an seine Braut" Salzburg - Leipzig,2 1936, S.119-139)

27. November 1889, vier Uhr morgens.

Würdest Du glauben, Liebste, daß ich für gewöhnlich in Verlegenheit bin, wenn ich Dir schreibe? Und doch ist mein Herz voll von Dir, ich bin in einem unaufhörlichen seelischen Rausch. Ich brauche nur Dein liebes Bild in mir hervorzurufen, so erfüllt mich ein Schwärm göttlicher Gefühle und Gedanken. Aber zu gleicher Zeit sinde ich mich vollkommen unfähig, alledem Ausdruck zu verleihen. Heute morgen bin ich eigens mit der Absicht aufgestanden, Dir einen großen Brief zu schreiben, irgend etwas Großartiges, ein Meisterstück, etwas, was vor Deinen Augen wie Licht und Feuer flammt und mir selber ein inwendiger Trost sein könnte. [...]

Ah, wie gab es mir einen Stoß, als ich Dich traf vorgestern abend. Wie warst Du schön, mein Lieb, wie vornehm im Gang und der großen Haltung einer Lady, und was bin ich stolz, von Dir geliebt zu sein! Du liebfst mich: hinreißender Gedanke, den ich körperlich püre wie eine Stichflamme, die sich in mein Herz hineinfrißt . . . Ich habe einen Augenblick der Freude erlebt, die um so heftiger war, weil ich sie niemals erhoffte, Du hast ja bemerken müssen, daß ich, gleichfsam erstickt von seligem Staunen, gar nicht mehr wußte, was ich Dir sagen sollte. Freilich, daß wir fast im selben Augenblick noch uns trennen mußten, das läßt mich das tiefe Elend unserer Lage grausam spüren. Zwei Menschen, die füreinander geschaffen sind und einander so notwendig brauchen, und jeder geht nach seiner Seite, in die Nacht, in den Regen, in die Kälte, in die Einsamkeit. Wahrhaftig, ich hab' es äußerst notwendig, daß Gott mir seine heilige Geduld schickt, denn ich trage eine schwere Bürde.

Du erzählft mir, was Fräulein X. gefaselt hat. Nun, mein armes Lieb, das gibt Dir einen Vorgeschmack
von den Dummheiten und Blödsinnigkeiten, die Dich erwarten, wenn einmal Deine Liebe zu mir und Deine Heiratsabsichten bekanntssind. Es ist sicher, daß die X. Zuneigung zu uns haben, auf den Kopf gefallen sind sie auch nicht, sie gehören mit zum Besten, was Du hier antreffen wirst. Nach ihnen kannst Du Dir eine Vorstellung von den andern machen. Diese Art Leute wird sich niemals mit usferer geistigen Welt aussöhnen. [...]

Und mein Geschick, glaub es nur, ist ein außerordentliches Geschick. Kluge und weise Leute werden kommen und Dir raten, gescheiter zu sein als nur so. Wäre es nicht unsinnig, in den Gedankengang Ereignisse einzubeziehen, die nicht geschehen sind and darum auch nicht gefchehen k o n n t e n, so könnte ich mir solgendes ja schon vorstellen: Du hättsft anstatt meiner irgendeinen Mann getroffen, der wäre nicht gerade dumm gewesen, nicht gerade übel, nicht gerade arm, nicht gerade unempsindlich gegen den Reiz Deiner Persönlichkeit, dieser Mann also hätte Dir einen hochehrsamen Antrag gemacht, und Du hättest ihn schließlich geheiratet, einfach weil Du das Heiratsgeplänkel satt hast, weil Du irgendwo anständig Unterkommen willst und im eignen Heim Frieden und Ruhe erhoffft.

Und dann hättest Du, verheiratet ohne innern Antrieb, sondern lediglich aus Gehorsam gegen das, was Du für den Willen Gottes hieltest, Deine neuen Pflichten so gut wie möglich, das heißt mit einer innerlich kalten Gewissenhaftigkeit erfüllt - wie hunderttausend andere.

Und was für Pflichten, Jeanne! Die Selbsthingabe ohne Liebe - weißt du, was das bedeutet? Das bedeutet eine fürchterliche Störung der wahren Ordnung.

Über dieses Thema, sag' ich Dir, hab' ich massenhaft Gedanken. Angfterregende Gedanken, die, wie mir scheinen möchte, gar noch keiner vor mir gehabt haben kann. Diese Gedanken werden doch wohl wesentlich von den im Christentum gründenden Sozialgesetzen beeinflußt sein, meinst Du, nicht wahr? Du meinst also: Die Ehe, wie sie nun einmal ist, so wie sie seit Jahrhunderten auf dieser Welt betätigt wird als Institut zur Eindämmung der Ausschweifungen und als Ordnung der Fortpflanzung unseres fluchbeladenen Geschlechts, die Ehe als eine von Gott geheiligte Verbindung zweier Wesen, denen ich sogar den guten Willen nicht abspreche - sie mögen miteinander die adligste Gesinnung und die heldischste Selbstverleugnung mitbringen und dransetzen, um ein gottgegebenes Gesetz zu erfüllen, auch das sei zugegeben -, Du meinst also, diese Ehe müsse mir als eine der ehrwürdigsten und heiligsten Wirklichkeiten erscheinen. Nun wohl, ich sage nein, tausendmal nein, aus meinem innersten Wesen heraus muß ich bekennen, daß diese Ehe, von der F r a u aus gesehen, mir untragbar und ungeheuerlich erscheint, wenn nicht die Liebe dazukommt. Vom Manne aus gesehen, ist es ja ganz anders, das wirst Du schon noch verstehen, Du mußt es verstehen, denn zugleich mit meiner Person wirst Du auch meine Gedanken heiraten müssen.

Was ich Dir hier auf eine sehr flüchtige und durchaus ungenügende Art sage, ist außerordentlich wichtig, es rührt an die göttlichsten und ewigsten Dinge, die es gibt. Nur ein einziges Beispiel: Wenn es nie ein Weib gegeben hätte, das dem H e r r g o t t  i h r e  J u n g f r ä u l i c h k e t   o p f e r t e, so hätte der Welterlöser nicht auf die Welt kommen können.

Das Wohl und Wehe der Menscheit ruht ganz und gar auf der Frau. Ein armes Geschöpf, das aus Verzweiflung in den Abgrund der Prostitution hineingerät, verdient grenzenloses Mitleid, aber eine Jungfrau, die sich zu einer V e r n u n f t h e i r a t  hergibt, begeht ein Verbrechien, das sie im Rang unter die Prostituierten stellt, jawohl, klastertief unter die gemeinsten Huren, ein Verbrechen, das die gefallenen Engel erzittern macht.

Dieses leichtfertige, geist- und herzensarme Ding, welches, um dem Familienjoch zu entlaufen, um als Frau Soundso angeredet zu werden oder um seine Kleider und Putz und Schmuck und noch viel jämmerlichere
Dinge leichter zu bekommen, dem ersten besten Kerl, der sich als ihr Gatte betitelt, den m ö g 1 i c h e n Tabernakel eines Gottes ausliefert - dieses Mädchen macht die Dritte göttliche Person weinen, es hält vielleicht für tausend Jahre länger den geduldigen Christusheiland an seinem Kreuze fest, von dem herabzusteigen er sich eben anschickte, es entmutigt die Geister von oben und macht die Geister von unten rasen, es schiebt allen Gefangenen den Riegel vor, vermehrt das Seufzen der Kreatur und bringt die Sterbenden zur Verzweiflung. Ein Glück, daß der zu Tod gemarterte Heiland um Gnade bat für die, die "nicht wissen, was sie tun". Denn wie sollte man sonst die Bitterkeit gewisser Dinge und Gedanken ertragen?

Um ihren wahren Beruf zu erkennen, haben die Frauen nur ein einziges Zeichen, aber ein sehr zuverlässiges. Es ist die Liebe, so wie Du sie für mich empsindest, mein Herz. Durch solch eine Liebe wird alles klar und der Wille Gottes offenkundig. Die Frauen sind sichtlich für die Ehe geschaffen, selbst wenn sie, zu Leidensbräuten bestimmt, den Erwählten ihres Herzens niemals ehelichen könnten.

Alle Frauen, die ich in meiner Heimat habe kennenlernen können, alle ohne Ausnahme haben eine Überzeugung, die wohl allgemein sein muß; die menschliche Natur ist sich überall gleich, sie schöpft überall aus demselben Untergrund von Vorahnungen und lebt vom selben Kapital von Dummheiten. Das ist diese Überzeugung: Sie, die Frauen, hätten ein G e h e i m n i s , das für jeden Mann unfaßbar sei. "In der Frau werden Sie sich niemals auskennen, weil in ihr etwas ist, was Sie nicht greifen und fassen können." Tasfendmal habe ich das hören müssen, und dazu manchmal von recht dummen Frauen. Arme Dinger, die sicherlich in peinliche Verlegenheit kämen, sollten sie über ihr famoses Geheimnis sich selber Rechenschaft geben, es müßte denn sein, daß sie irgendwelche unsauberen oder albernen Geschichten im Kopfe haben, was am wahrscheinlichsten ist. Lächerlich ist das alles, und doch haben sie rech, ohne es zu wissen. Würde aber einer versuchen, das verschlossene und Gott gehörende Geheimnis ihnen zu eröffnen, so würden sie kein Wort davon verstehen und den Rätsellöser als Narren auslachen.

Bossuet, der den Ruhm hat, ein absoluter Geist zu sein, sagt, daß jeder Irrtum eine verderbte Wahrheit ist. Das kommt darauf hinaus, daß kein Gemeinplatz, mag er auch noch so dumm und widrig aussehen, ganz und gar verächtlich ist. Im Anfang dieses Jahrhunderts unterstand sich ein Franzose mit einem großen Namen (er wollte sogar von Karl dem Großen abstammen), der Herzog von Saint-Simon nämlich, eine Sekte, eine R e l i g i o n  zu gründen, die ganz hervorragende Geister verführte und eine ziemlich große Zahl berühmt gewordener Männer zu ihren Anhängern rechnete. Ich möchte keine fünf Minuten für diese Ausgeburt geistigen Hochmuts verlieren, die in einem unaussprechlichen Schmutz aus- und unterging. Aber etwas Erstaunliches war dabei: nämlich der Kult der unbekannten Frau, welche die Welt erlösen sollte und darum von jedermann allüberall gesucht werden mußte. Welch seltsames Zeugnis!

Ja, sie wird seit Jahrhunderten unter einem weltumirrenden Seufzen erwartet, erwartet selbst von denen, die etwas ganz anderes zu erwarten und zu suchen glauben. Die Ersehnte der Völker wird unter allen sinnbildlichen Namen der geheimnisdunklen Begierden angerufen, unter denen die alte Menschenseele taumelt. Im tiefen Grund der Wirklichkeit ist es immer nur sie, die wir selbst unbewußt heraufbeschwören. Der Reichtum, die Freude, der Ruhm, die Macht, die Tugend und auch das Laster, kurz alles, was heiß vom Menschengeschlecht erstrebt werden kann, drückt symbolisch den ewigeinzigen Durst der Kreaturen aus, die zum Zeugen und zum Leiden verurteilt sind.

Nicht der Mensch allein ist gefallen im Paradies. Die ganze Schöpfung, deren Vertreter er war, ist mit ihm gefallen. Darum hat alles Seine Erlösung nötig und ruft auf seine Weise nach dem Befreier. Erinnerst Du Dich an den Psalm 148 und vor allem an das großartige Lied der drei Jünglinge im Feuerofen aus dem Buch Daniel, wo jegliche belebte und unbelebte Kreatur zum Lobpreis Gottes aufgerufen wird?

In der köstlichen Legende des heiligen Kolumban, des Apostels des grünen Irland, wird erzählt, er habe als Jüngling durch die Brandung des Atlantischen Ozeans hindurch von weither die Schreie der kleinen Kinder gehört, die ihn aus dem Mutterleib heraus nach Hibernien riefen. Ich könnte weinen vor Bewunderung, so schön ist das. Müßte man diese Geschichte nicht mit allem Nachdruck auf den Heiligen Geist beziehen, auf den Paraklet, auf dieses unausdenkbare Wesen, das von allem unter ungestümen Seufzern herbeigesehnt wird, weil ihm die Wiederherstellung des Ganzen, die Rettung des Ganzen, die Durchlichtung des Ganzen, die Verherrlichung und Erfüllung des Ganzen obliegt? [...]

Es gibt für die Frau, welche für diese Zeit und  v o r l ä u f i g  der untergeordnete Mensch ist, nur zwei Daseinsmöglichkeiten, die erhabenste Mutterschaft oder die Existenz als Vergnügungsmittel, die reine oder die unreine Liebe. Mit andern Worten: die Heiligkeit oder die Prostitution, das Leben der ersten oder der zweiten Magdalena. Zwischen beiden gibt es nur die  a n s t ä n d i g e  F r a u, das heißt das Weibchen des Bürgers, des heillos Verworfenen, den kein Opfer loskaufen kann. Eine Heilige kann in den Schmutz fallen und die Hure ins Licht steigen, aber dies blöde Viehzeug ohne Hirn und Herr, das man eine "bessere Frau" nennt und das seinerzeit in Bethlehem dem Gottkind die Gastfreundschaft verweigerte, leidet an der ewigen Ohnmacht, seinem Nichts durch Fall oder Aufstieg zu entrinnen. Aber alle haben sie das eine gemeinsam, daß sie ohne weiteres mit einer vorgefaßten, aber selbstsicheren Meinung überzeugt sind von ihrer Würde, die Ausspenderinnen der Freude zu sein. "Causa nostrae laetitiae! Janua coeli!" - "Ursache unserer Freude! Pforte des Himmels!" (Muttergotteslitanei.) Gott allein mag wissen, wie diese heiligen Vorstellungen sich in den nachdenklichen Köpfen der reinsten Frauen spiegeln und was dabei aus ihrer geheimnisvollen Physiologie miteinfließt.

Ich, der ich nur an die absoluten Ideen glaube, ich pfeife auf alle bekannten Pfschologien und gehe schnurstracks auf diese ungeheuerliche Behauptung los, die mir alles erklären zu können scheint: Jede Frau ist  b e w u ß t  o d e r   u n b e w u ß t  davon überzeugt, daß ihr Geschlecht das Paradies ist. "Plantaverat autem Dominus Deus paradisum voluptatis a principio . . . " - "Aber Gott der Herr hatte von Anfang an einen Lustgarten gepflanzt" (Gen. 2, 8).1 Kein Gebet, keine Bußübung, kein Martyrium haben genügsam beschwörende Kraft, dieses unschätzbare Kleinod zu erlangen, ein Kleinod, das sich nicht einmal mit dem Diamantengewicht der Nebelflecke bezahlen ließe. Daraus ist zu ermessen, was sie gibt, wenn sie sich gibt, und welchen Gottesraub sie unternimmt, wenn sie sich verkauft. Komisch so eine Idee, so komisch, daß einem davon schiwindlig wird, gewiß. Aber ich möchte daraus einen etwas unerwarteten Schluß ziehen. Nämlich: Die Frau hat recht, solch lächerliche Dinge zu glauben und zu behaupten. Grenzenlos recht hat sie, denn dieser Teil ihres Körpers ist der Tabernakel des lebendigen Gottes gewesen, und niemand ist imstand, dem  s o l i d a r i s c h e n, auf alles Weibtum übergreifenden Charakter dieses bestürzenden Mysteriums Grenzen zu setzen.

Aber jetzt hast Du die Nase voll, nicht wahr? [...] Wann werden wir uns wiedersehen, Du meine Vielgeliebte, meine sanfte Trösterin, Du mein einziger Schatz? Aber ach, ich wage nicht einmal, sehr auf dieser Bitte zu bestehen, denn bald, morgen schon, werde ich mittellos sein wie ein Bettler, und ich weiß nicht, auf welche Weise ich Dich empfangen soll. Und doch hätte ich Dich so bitter nötig, mein guter Engel. Ich drücke Dich in meine Arme.

Léon Bloy.

***

2. Dezember 89.

Meine liebe, goldige Jeanne!

Gott sei's gedankt, daß Du heut abend kommen willst, ich hab' richtiges Heimweh nach Dir. Es war ein trostloser, garstiger Tag gestern. Ich will Dir trotzdem heut morgen noch schreiben, um vor Deiner Ankunft meine Gedanken in Ordnung zu bringen. Es soll zwischen uns keinen ungeklärten Punkt, kein trennendes Mißverständnis geben, und ich glaube mich besser schriftlich als mündlich erklären zu können.

Ich erinnere mich nicht mehr recht meines Briefes, manche Stellen darin sind natürlich zu schnell und zu summarisch geschrieben. Wenn ich von einer Idee erfüllt bin, geschieht es oft, daß ich sie aus mir entwerfe und entrolle mit mehr Leidenschaft als Pädagogik, anders ausgedrückt, daß ich mehr für mich als für andere schreibe und gar nicht bemerke, daß manche Punkte, die mir durchaus klar sind, für andere erst ins Licht gerückt werden müßten.

Jedenfalls muß mir ein Zerstreuungsfehler dieser Art in meinem letzten Schreiben unterlaufen sein, da Du daraus etwas zu entnehmen scheinst, was mir weltweit fernsteht. Da kannst Du aber ganz ruhig sein, Liebste, ich will versuchen, deutlicher zu sein, Du wirst dann sehen, daß  mein  Ideal  durchaus  das  Deine  ist.

Ja, ich erinnere mich, in der Tat gesagt zu haben, daß, vom Manne aus gesehn, die Sache sich grundverschieden darstelle. Ich hab' es gesagt und sage es noch einmal, unbedenklich. Nur ist da, Geliebte, eine Verwirrung entstanden, an der zweifelsohne die allzu große Flüchtigkeit meines Gedankenausdrucks schuld ist. Ich habe gar nicht sagen wollen, daß der Mann, wenn er ohne Liebe heiratet, keine häßliche, keine scheußliche Tat begeht. Ich denke im Gegenteil, daß man sich nicht leicht einen entehrenderen und niederträchtigeren Handel vorstellen kann.

Ich habe in meinem Brief nicht eigentlich die Ehe im Auge gehabt. Diese ist ein hocherhabenes Sakrament, dessen tiefer Sinn auf eines der Mysterien der Dreieinigkeit hindeutet, ist ein Geheimnis, das ohne fürchterliches Sakrileg seiner nicht spotten läßt. Der peinliche Irrtum, der Dich in meinen Worten an eine andere Theorie glauben ließ, kommt halt daher, daß ich mit einem so reinen Mädchen wie Du nicht bis ans Ende meiner Gedanken gehen wollte . . .

Jenes echt  w e i b l i c h e G e f ü h l, das man die Scham nennt, ist der Frau in besondrer Weise zugeeignet, so wie das Gefühl der Unabhängigkeit und Freiheit die eigentliche Wesensgabe des Mannes ist. Das Schamgefühl der Frau ist gleichsam der Widerhall der mannestümlichen Freiheit, aber ein Widerhall, der durch ihr Geschlecht hindurchgegangen ist . . .

Als ich schrieb, das sei für den Mann nicht von derselben Bedeutung, da konnte ich in der Logik des Gedankenzusammenhangs lediglich den physiologischen Akt im Auge haben, wie ihn die Selbsthingabe bedingt auch außerhalb der Ehe; und was Dich auf die rechte Spur hätte bringen sollen, ist das Wort "Prostitution", das in meinem Brief ständig wiederkehrt. Wenn die Frau die Selbsthingabe ohne Liebe in der Ehe vollzieht, so ist das eine so gottesschänderische Abscheulichkeit und Ekelhaftigkeit, daß im Vergleich mit ihr der Zustand der Prostituierten aus Not und Verzweiflung schon eher der Heiligkeit der himmlischen Heerscharen ähnelt - und das ist alles, was darüber gesagt werden kann und muß. Tut es der Mann, so ist und bleibt das immer noch eine Ruchlosigkeit, welche die Sterne aufheulen machen müßte. Nur ist das Attentat in diesem Fall von andrer Art, weil Frau und Mann nicht dieselbe Sache zu geben und zu verlieren haben.

Aber noch einmal, ich hatte nicht die göttliche Einrichtung der Ehe im Auge. Ich betrachtete ganz einfach in einer von jeder sakramentalen Idee absehenden Weise  i n   s i c h  einen Akt, dem in der Menschheit eine ungeheure Bedeutung zukommt, und ich sagte oder wollte sagen, daß der Geschlechtsakt an sich den Mann und die Frau sehr unterschiedlich angehe und interessiere. [...]

Und jetzt muß ich Dich lassen, um mein Feuer anzuzünden. Ich bin ganz erfroren, und ich fühle, daß mich die Kälte gehindert hat, Dir so gut zu schreiben, wie ich gewollt hätte - obwohl mich dieser Brief schon mehrere Stunden gekostet hat.

Auf heute abend, und das wird ja bald sein.

Dein Léon Bloy.

Anm. d. Red.: Léon Bloy heiratete seine Jeanne (Molbech) im Frühjahr 1890. Eine seiner Töchter war mit Prof. Othon Tichy, einem bedeutenden tschechischen Komponisten verheiratet, dem Prof. Lauth in EINSICHT III (8)28f einen schönen Nachruf widmete. H.H. Dr. Katzer war mit ihm eng befreundet.
 
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