54. Jahrgang Nr. 3 / März 2024
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1. Anmerkungen zur Fastenzeit 2009
2. Die Reinheit
3. Visionen über die Endzeit und den Antichrist
4. Dogmatische Konstitution Pastor aeternus
5. Der Präzedenzfall Talleyrand
6. Die Erfassung der Einheit (des Wesens) Gottes
7. Zum 150. Geburtstag des Wüstenheiligen Charles de Foucauld
8. Bedenke das Ende ... - Betrachtungen über den Tod
9. Von der Anarchie zur Imitatio Christi
10. Der verschollene Ruf der Mutter
11. Nachrichten, Nachrichten, Nachrichten
12. Mitteilungen der Redaktion
Visionen über die Endzeit und den Antichrist
 
Visionen über die Endzeit und den Antichrist

von
Hildegard von Bingen

Vorbemerkung der Redaktion:

Am Ende jedes Kirchenjahres, d.i. dem 24. Sonntag nach Pfingsten, werden wir im Evangelium (Matth. 24, 15-35) mit den Prophezeihungen über das Ende der Welt konfrontiert: "In jener Zeit sprach Jesus zu seinen Jüngern: 'Wenn ihr den Greuel der Verwüstung seht, (...) dann flieht (...) Denn es wird alsdann eine so große Bedrängnis sein, wie sie vom Anfang der Welt bis jetzt nicht war, auch fernerhin nicht mehr sein wird". (Matth. 24,15-21) Der hl. Paulus (2 Thess. 2,3) spricht vom "großen Abfall", damit "offenbar werde der Mensch der Gesetztlosigkeit, der Sohn des Verderbens".

Vieles spricht dafür, daß wir uns in dieser eschatologischen Zeit befinden, in den Zeiten der großen Apostasie, die im Gegensatz zur Häresie irreversibel ist (vgl. Hebr. 6,4-6), weshalb es sinnlos ist, die Konzils-'Kirche' bekehren zu wollen.

Im Gegensatz zum Alten Testament, in dem Prophezeihungen bedingungsweise verkündet wurden ("wenn ihr nicht umkehrt, dann folgt die Bestrafung"), haben sie im Neuen Testament deskriptiven Charakter. Sie beschreiben eine Situation, wie sie einmal eintreffen wird.

Neben den biblischen Voraussagen über das Ende der Zeit gibt es auch Seher, denen die Gabe zur Vorausschau geschenkt wurde. Zu ihnen gehört die hl. Hildegard von Bingen (geb. 1098, gestor. 17.9.1179), die auf ihre Visionen folgendermaßen hinweist: "Im dreiundvierzigsten Jahre meines Lebenslaufes schaute ich ein himmliches Gesicht. Zitternd und mit großer Furcht spannte sich ihm mein Geist entgegen." Ihre Visionen und mystischen Schauungen diktierte sie dem Mönch Volmar. Sie nannte ihr erstes Werk "Scivias - wisse die Wege", "weil es auf dem Wege des lebendigen Lichtes, nicht durch irgendwelche andere Belehrung hervorgebracht wurde". In gewaltigen Bildern von apokalyptischer Farbenfülle und Expressivität verkündet Hildegard darin "das feurige Werk der Mensch-Werdung Gottes" bis hin zum "Ende der Zeiten", die hier veröffentlicht werden.

Bei der Interpretation visionärer Gesichte wird häufig der Fehler gemacht, solche Bilder als Versatzstücke für einen Terminkalender zu benutzen. Meistens entstehen dann Horrorszenarien, die an der geistigen Wirklichkeit vorbeigehen und sie nicht treffen. Man darf nicht vergessen, daß - ähnlich bei einem Musiker, der nicht nur die Noten einer Komposition herunterspielen kann, sondern die geistige Gestalt, die der Komponist in seinem Werk gemeint und zum Ausdruck bringen will, aufzuspüren und nachempfinden muß - auch die Interpretation, das richtige Verständnis solcher Gesichte einer visionären Begabung bedarf.
Eberhard Heller

***
Das Ende der Zeiten

ALSDANN SCHAUTE ich nach Nordosten, und siehe, da standen fünf wilde Tiere. Eines von ihnen sah aus wie ein Hund, der feurig glühte, aber nicht brannte, eines wie ein Löwe von gelber Farbe, ein anderes wie ein fahles Pferd, das nächste wie ein schwarzes Schwein und noch eines wie ein grauer Wolf. Sie alle wandten sich nach Westen. Dort tauchte vor ihnen ein Hügel mit fünf Gipfeln auf, und von dem Rachen der einzelnen Tiere streckte sich zu je einem Gipfel eine Schnur hin, alle von schwärzlicher Farbe, ausgenommen die Schnur, die von dem Rachen des Wolfes ausging. Sie war teils schwarz, teils weiß.

Und siehe, jetzt zeigte sich mir im Osten wieder jener Mann, den ich früher über dem Verbindungswinkel der leuchtenden und steinernen Mauer des Gebäudes, in einer Purpurtunika erblickt hatte. Nun aber war mir auch der untere Teil Seiner Gestalt sichtbar. Von der Mitte des Leibes an abwärts bis zur Stelle des männlichen Erkennens leuchtete Er wie das Morgenrot, und darin sah man eine Art Lyra mit ihren Saiten umgekehrt liegen. Weiter nach unten zu bis zu einem Querband von zwei Finger Breite, das oben an die Knöchel grenzte, war Er in Schatten gehüllt, während sich über die Füße ein Glanz, weißer als Milch, ergoß.

Aber auch die weibliche Gestalt, die ich früher vor dem Altare, das heißt vor den Augen Gottes, erblickt hatte, wurde mir wieder gezeigt. Auch sie sah ich nun in ihrem unteren Teile. Von der Mitte des Leibes an abwärts bis zur Stelle des weiblichen Erkennens, hatte sie mannigfaltige schuppenähnliche Flecken. Ein unförmliches, ganz schwarzes Haupt erschien dort. Seine Augen glühten wie Feuer. Es hatte Ohren wie ein Esel, Nase und Maul wie ein Löwe. Klaffend sperrte es sein Maul auf und knirschte und wetzte die eisenähnlichen, schaurigen Zähne. Von diesem Haupt an bis zu den Knien war die Gestalt weiß und rot und erschien wie von heftigem Stoßen verletzt. Von den Knien an abwärts bis zu zwei weißen Querstreifen, die oberhalb von den Knöcheln abgegrenzt wurden, erschien sie blutig.

Und siehe, nun löste sich das unförmliche Haupt mit lautem Krachen von seiner Stelle, so daß dadurch die ganze Gestalt der Jungfrau in all ihren Gliedern erschüttert wurde. Und eine gewaltige Masse von Kot sammelte sich um das Haupt, so daß es sich wie auf einem Berg emporhob und zur Höhe des Himmels aufzusteigen versuchte. Aber da traf plötzlich ein Donnerschlag das Haupt mit solcher Wucht, daß es von dem Berge herabstürzte und seinen Geist im Tode aushauchte. Alsbald umwehte ein übelriechender Nebel den ganzen Berg, und darin lag das Haupt, von solchem Schmutz umhüllt, daß die umstehenden Scharen in den größten Schrecken versetzt wurden. Der Nebel verweilte noch einige Zeit rings um den Berg. Als die anwesenden Leute dies sahen, sprachen sie zueinander, von großer Furcht erschüttert: "Wehe! Wehe! Was ist das? Was soll man da denken? Ach, wir Elenden! Wer wird uns helfen? Wer wird uns befreien? Denn wir wissen nicht, wie wir hintergangen worden sind. O allmächtiger Gott, erbarme Dich unser! Lasset uns umkehren! Kehren wir eiligst zurück zum Zeugnisse des Evangeliums Christi. Denn ach! ach! Bitter sind wir getäuscht worden."

Und siehe, da erschienen die Füße der Jungfrau blendend weiß und gaben einen Glanz, der strahlender leuchtete als der Glanz der Sonne.

Nun hörte ich die Stimme vom Himmel. Sie sprach zu mir:
Alles, was auf Erden ist, geht seinem Ende entgegen. So neigt sich auch die Welt beim Zerfall ihrer Kräfte unter vielen Nöten und Zusammenbrüchen dem Untergange zu. Aber die Braut meines Sohnes wird, obgleich in ihren Kindern stark bedrängt, durch die Vorboten des Sohnes des Verderbens und durch den Verderber selbst nicht zugrunde gehen, wenn sie auch schwere Anfechtungen von ihnen zu erleiden hat. Stärker und kraftvoller wird sie in größerer Schönheit und Herrlichkeit erstehen und so voll Frieden und Wonne in die Umarmung ihres Geliebten eingehen. Das kündet in geheimnisvollem Bilde das Gesicht, das du jetzt schaust.

Du blickst nach Nordosten, und siehe, da stehen fünf wilde Tiere. Sie versinnbilden den wilden, wider sich selber rasenden Lauf von fünf zeitlichen Reichen.

Eines dieser Tiere sieht aus wie ein Hund, der feurig glüht, aber nicht brennt. Menschen von bissigem Charakter werden diesem Zeitenlauf angehören. Sie selber dünken sich feurig, aber in der Gerechtigkeit Gottes brennen sie nicht.

Das nächste Tier erscheint als gelber Löwe. In diesem Zeitalter werden kampfeslustige Menschen leben, die viel Kriegstumult erregen, aber dabei nicht auf die Gerechtigkeit Gottes schauen. Wie in gelber Farbe werden die Reiche dieser Zeiten allmählich verblassen und in Schwäche zerfallen.
Ein fahles Pferd ist das folgende Tier. Diese Zeit wird Menschen zeugen, die sich zuchtlos in eine Flut von Sünden stürzen und in der Raschheit ihrer Begierden über das Wirken der Tugenden hinwegspringen. Doch das Herz dieser Reiche wird in fahle Ruinen zusammenbrechen, weil es die Röte seiner Kraft verloren hat.

Das folgende Tier gleicht einem schwarzen Schwein. Die führenden Menschen jener Zeit werden die tiefe Schwärze der Traurigkeit in sich tragen und sich im Kot der Unreinheit wälzen. Das göttliche Gesetz werden sie auf die Seite schieben, ihm in Unzucht und ähnlichen Abscheulichkeiten vielfach zuwiderhandeln und in heuchlerischer Heiligkeit die Gebote Gottes spalten.

Das letzte Tier ist ein grauer Wolf. Zu jenen Zeiten werden die Menschen untereinander viel Raub verüben, an Machthabern und an anderen, denen das Glück günstig war. Wegen ihrer Verschlagenheit erscheinen sie in diesen Kämpfen nicht schwarz und nicht weiß, sondern grau. Sie stürzen die Häupter der Reiche und teilen ihre Länder auf. Dann wird die Zeit kommen, in der die Seelen vieler irre werden. Der Irrtum türmt sich von der Hölle bis zum Himmel empor. Die Kinder des Lichtes werden in die Kelter des Martyriums geworfen, weil sie den Sohn Gottes nicht verleugnen, aber den Sohn des Verderbens, der mit Teufelskünsten seine Pläne durchzusetzen versucht, verwerfen.

Und diese Tiere wenden sich nach Westen, denn mit der untersinkenden Sonne werden diese sinkenden Zeiten versinken. Wie die Sonne auf- und untergeht, so geschieht es auch mit den Menschen. Der eine wird geboren, der andere stirbt.

Darum taucht dort vor den Tieren ein Hügel mit fünf Gipfeln auf. Das ist die Macht der fleischlichen Begierden, die sich in diesen Ausschreitungen in fünffacher Entwicklung Bahn bricht, und wie die Schnur, die sich von dem Rachen der einzelnen Tiere zu je einem der fünf Gipfel hinstreckt, zieht sich der Faden der Zeitenlänge vom Beginn dieser Zeitalter bis zu ihrer Höchstentwicklung hin. Alle diese Schnüre sind von schwärzlicher Farbe, ausgenommen die eine, die von dem Rachen des Wolfes ausgeht und teils schwarz, teils weiß ist. Denn mannigfaltig sind in der Anmaßung menschlicher Sinnenlust diese Zeitenlängen. Aber die, die in der Gefräßigkeit der Raubsucht steckt, hat Anteil an beiden: an der Schwärze vieler Gottlosigkeiten und an der hellstrahlenden Weiße der Gerechtigkeit. Denn sie bringt auch die Menschen hervor, die sich in brennenden Wunderzeichen dem Sohne des Verderbens entgegenstellen, wie mein Knecht Job von dem gerechten Manne, der Gerechtigkeit übt, erklärt: "Der Unschuldige wird sich wider den Heuchler erheben. Und der Gerechte wird seinen Weg einhalten, und reine Hände werden neue Kraft gewinnen" (Job 17, 8 und 9). Das soll heißen: Wer sich rein hält von Bluttat, Mord, Unzucht und ähnlichen bösen Werken, wird aufblitzen wie sprühender Funke gegen den, der immerdar lügt in seinen Werken, der das Gift, das er verschlingt, als Honig bezeichnet, und den wie einen Feind erwürgt, den er Freund nennt... Wer aber die Rute nimmt und die nichtswürdigen Tiere von sich und seines Herzens geradem Pfad vertreibt, der wandelt auf einer Lichtbahn vor der strahlenden Sonne. Als leuchtender Funke und helles Licht geht er auf in Gott wie eine brennende Fackel. Und da er sich also mit heldenstarken, ganz reinen Werken umkleidet, legt er ihnen einen festen Panzer an und umgürtet sie mit einem schneidenden Schwerte. Er vertreibt die Laster von sich und verbündet sich mit den Tugenden.

Deshalb zeigt sich dir nun im Osten wieder jener Mann, den du früher über dem Verbindungswinkel der leuchtenden und steinernen Mauer des Gebäudes erblickt hast. Das ist der Aufgang der Gerechtigkeit, der Menschensohn, der, wie dir früher gezeigt wurde, in dem Gebäude, das die Güte des himmlischen Vaters errichtet, machtvoll die Mauer der Erkenntnis des Guten und Bösen mit der des menschlichen Wirkens verbindet. Er, der nach dem Willen des Vaters sein Blut für das Heil der Welt vergoß. Nun offenbart Er Sich dir zur Befestigung der Wahrheit wiederum in der gleichen Erhabenheit durch die Geheimnisse seiner Wunder.

Doch wird dir jetzt auch der untere Teil seiner Gestalt sichtbar; denn das Ende der Zeiten naht heran. Sein mystischer Leib wird in kurzem vollendet sein. Nur eine, aber furchtbare Prüfung steht seinen Gliedern noch bevor. Es ist die Anfechtung des Antichrist, der sich als den Mann der Gotteskraft ausgeben und mit der ganzen ihm zu Gebote stehenden Macht der Hölle versuchen wird, die endzeitliche Vollendung der Menschwerdung des Sohnes Gottes zu verhindern. Darum erscheint dieser letzte Zuwachs des geheimnisvollen Leibes des Herrn leuchtend wie das Morgenrot. Das ist der strahlende Glanz der Gerechtigkeit, der bei der grausamen Verfolgung des Mannes der Sünde in den treuen Gliedern Christi aufleuchten wird. Viele werden ihr Blut als Zeugnis für Christus vergießen und in der Freude ihres Herzens Gott den Lobgesang des Martyriums anstimmen. Darum siehst du auch in diesem Morgenrot eine Art Lyra mit ihren Saiten umgekehrt liegen. Das deutet auf das Frohlocken derer, die unter grausamen Qualen ihre Seelen von den Banden des Körpers lösen und zur Ruhe eingehen werden. Doch weiter nach unten zu, bis zu einem Querband von zwei Finger Breite, das oben an die Knöchel grenzt, ist der Leib des Menschensohnes in Schatten gehüllt. Durch die gleißenden Künste und die falschen Wunder des Antichristen betört, werden viele ins Schwanken geraten. Der Glaube wird in ihnen vom Schatten des Zweifels umfinstert, und traurig werden sie fragen: "Was ist's mit dem, was man von Jesus sagt? Ist es Wahrheit oder ist es Trug?" Doch wird der Glaube vieler erstarken, wenn die beiden Gotteszeugen, Henoch und Elias, sich wie zwei leuchtende, nach oben weisende Fackeln erheben und durch die Macht ihrer Worte und Zeichen dem Sohne des Verderbens einen großen Teil seines Anhanges wieder entreißen werden. Dann ergießt sich ein Glanz, weißer als Milch, über die Füße des Menschensohnes. Er wird sich erheben und den Sohn des Teufels zu Fall bringen. Und dann wird sein Leib in der Reinheit des katholischen Glaubens erstrahlen in lichtester Weiße und Schönheit. Alle Wahrheit wird alsdann in Ihm erschaut werden und alle Falschheit auf immer zerstört sein im Sohne des Verderbens.

Aber auch jene weibliche Gestalt, die du früher vor dem Altare, das heißt vor den Augen Gottes erblickt hast, wird dir jetzt wieder gezeigt. Es ist die Braut des Sohnes Gottes, die, wie früher erklärt, in ihren Heiligen dem reinsten Gebete obliegt und es mit tiefster Ehrfurcht dem Blick des Allerhöchsten als Opfergabe darbietet. Jetzt erscheint sie dir zur Bekräftigung der Gerechtigkeit aufs neue, jedoch so, daß du ihre Gestalt nun auch in ihrem unteren Teile schaust. Zur Bewahrung vieler sollen dir die wunderbaren Geheimnisse kundgetan werden, in denen sie durch die Vollausgestaltung ihrer Söhne zur Vollendung gelangen wird. Mannigfaltige, schuppenähnliche Flecken bedecken sie von der Mitte des Leibes an abwärts. Das sind die vielfachen harten Leiden, die sie im Kampfe wider die Laster erdulden wird, wenn der Sohn des Verderbens die Ränke, die der Teufel in das erste Weib gesenkt hat, zur vollen Auswirkung bringen wird. Viele, die sie lieben sollten, werden sie dann heftig verfolgen. Darum erscheint dort ein unförmliches, ganz schwarzes Haupt.

Das ist der Sohn des Verderbens, der mit den Künsten der ersten Verführung in widernatürlichen Schändlichkeiten und schwärzester Bosheit wüten wird. Seine Augen glühen wie Feuer, seine Ohren sind die eines Esels, Nase und Maul wie die eines Löwen. Grimmige Handlungen einer gottlosen Brunst und das schändliche Getöse gottesleugnerischen Widerspruchs wird er den Menschen eingeben und so ihre Sinne mit abscheulichem Geruch umnebeln. Mit der grausamsten Raubgier wird er die kirchlichen Einrichtungen aufzulösen suchen. Klaffend sperrt er sein Maul auf und knirscht und wetzt furchtbar die eisenähnlichen, schaurigen Zähne. Aus dem gierigen Schlund der Laster wird er denen, die ihm anhangen, seine eigene Gewalttätigkeit und Zerstörungswut schändlich mitteilen. Darum ist die Gestalt der Kirche von diesem Haupte an abwärts bis zu den Knien weiß und rot und erscheint wie von heftigem Stoßen verletzt. Angefangen von der schlimmen Gaukelei, durch die der Sohn des Verderbens die Menschen zuerst schmeichelnd und milde zu verführen suchen wird, bis zu dem Zeitpunkt, da er sie durch Grausamkeit zu brechen und zu beugen strebt, wird die Kirche in ihren Kindern die Weiße des wahren Glaubens pflegen, aber gerade deswegen die Bedrängnis blutigen Schreckens und die größten Wehen mannigfaltiger Leiden erdulden. Und von den Knien an abwärts bis zu zwei weißen Querstreifen, die oberhalb von den Knöcheln abgegrenzt werden, erscheint die Gestalt blutig, denn von dem ersten Vorstoß der Vergewaltigung bis zu den beiden Zeugen der Wahrheit [Henoch und Elias], die gegen Ende der Welt den blendend weißen Glanz der Gerechtigkeit und Wahrheit entsenden und dadurch der Kirche starken Halt verleihen werden, wird sie ruchlose Verfolgungen und grausamstes Blutvergießen in denen erleiden, die dem Verderber Trotz bieten. Wenn nämlich der Sohn des Verderbens durch Trug erstarkt ist und mit seiner widersprechenden Lehre sich Vertrauen und Anhang verschafft hat, wird die Kirche bei ihrem Hineilen mit dem edelsten Blute übergossen werden. Aber gerade dadurch wird ihr Ausbau zum himmlischen Zelte vollendet. Denn dann werdet ihr, o Straßen Jerusalems, durch das Blut der Heiligen im kostbarsten Golde aufleuchten. Ausgelöscht wird alsdann der Teufel, weil er die Glieder des höchsten Königs verfolgt hat, und zunichte wird er in der Größe seines Schreckens.

Das Haupt darf nicht ohne den Leib und die Glieder sein. Das Haupt der Kirche ist der Sohn Gottes. Der Leib und die sich anschließenden Glieder sind die Kirche und ihre Söhne. Noch ist die Kirche in ihren Gliedern und Söhnen nicht vollendet. Aber am jüngsten Tage, wenn die Zahl der Auserwählten voll ist, wird auch die Kirche voll ausgestaltet sein. Aber dann wird auch die Ordnung der Welt zerstört werden. Ich, Gott, reinige die vier Elemente und das, was im Fleische des Menschen sterblich ist; und dann wird mit dem Zeitenabschluß die Freude der Kirche über ihre Nachkommenschaft voll sein.

In sechs Tagen hat Gott seine Werke vollbracht. Fünf Tage bedeuten die fünf Weltenzahlen. In der sechsten Zahl wurden neue Wunder auf der Erde kund, gleichwie am sechsten Schöpfungstag der erste Mensch gebildet ward. Nun aber ist die sechste Zahl zu Ende und zur siebten Zahl herangereift. In ihr, gleichsam am siebten Tag, dem Tag der Ruhe, bewegt sich nun der Weltenlauf. Denn die Arbeit, die in der Vorzeit den starken Lehrern aus der Unergründlichkeit der heiligen Schriften erwuchs, hat die verschlossenen Siegel gelöst. Offen kann sie jetzt dargeboten werden in leicht verständlichen Worten, wie in diesem Buche hier. Sechs Arbeitstage gibt es, der siebente ist der Tag des Ruhens. Darüber hinaus geht die Zahl der Tage nicht. Was danach kommt, sollst du, o Mensch, nicht wissen. Das liegt im Geheimnis des Vaters. Doch durcheilet ihr Menschen jetzt den Zeitenlauf, der der Ankunft des Mörders vorausgeht, der danach trachten wird, den katholischen Glauben zu stürzen. Von dem, was dann geschehen wird, sollt ihr weder die Zeit noch den Augenblick wissen, wie ihr auch nicht wissen könnt, was nach dem Ende der sieben Weltentage kommen wird. Das weiß allein der Vater, der es in seiner Macht so bestimmt hat. Mehr darfst du, o Mensch, von den sieben Tagen oder Abschnitten der Weltzeiten nicht wissen. Erst nach fünf Weltenzahlen tat Ich der Erde Himmelswunder kund, wie Ich auch den Menschen erst nach der niedrigen Kreatur ins Dasein rief. Ich ließ die Zahl der Ungläubigen und Juden reifen. In mannigfachen Spaltungen schwollen die vielfachen Übel des heidnischen und jüdischen Volkes an. Schon hatten Gesetz und Prophezeiung ihre schwere Arbeit geleistet, und alle Völker Erfahrung gemacht im Guten und Bösen, da erst nahm mein Sohn Fleisch an aus der Jungfrau. Er sollte nicht gesandt werden, bevor all dies vorausgegangen war, damit jegliche Gerechtigkeit sich in Ihm bewähre und jegliche Ungerechtigkeit an Ihm zerschelle. Wäre Er früher gekommen, es wäre, wie wenn ein Mensch unklug seine Früchte vor der Reife sammeln will. Hätte Er aber seine Menschwerdung bis ans Ende der Welt verzögert, dann wäre es, wie wenn ein Vogelfänger die Vögel hinterlistig fängt, so daß sie nicht wissen, wie sie in sein Netz geraten sind. Vielmehr kam mein Sohn gleichsam zu der Zeit, da sich der Tag nach der Non dem Abend zuneigt, wenn es anfangt, kühl zu werden, nachdem die Vollkraft des Tages gewichen ist. Nach Vollendung der fünf Weltenzahlen stieg Er hinab, als die Welt ihrem Untergange zueilte. Und was geschah? Er erschloß das Mark des Gesetzes und verwandelte dadurch das Wasser des Gesetzes in den Wein des Evangeliums und machte Ströme von Kräften fließen. All dies volbrachte Er durch seine Ankunft in der Fülle der Zeit, so daß nun die Kräfte der Kirche, die der Heilige Geist entfachte, in den Menschen Wurzeln faßten und erstarkten, und die Jungfräulichkeit, die Er in Sich selbst gebracht hatte, sich zu hehren Blütenknospen entfaltete.

Doch der wahnwitzige Menschenmörder, der Sohn des Verderbens, wird sehr rasch kommen, wie wenn beim Sonnenuntergang der Tag entweicht, das heißt, wenn die letzte Zeit versinkt und die Welt ihren Halt verliert. So höret dieses Zeugnis, meine Getreuen, höret es, und nehmet es zu eurem Schutze willig in euer Erkennen auf, damit nicht ohne euer Wissen plötzlich der Irrtum dieses Vederbers komme und euch in die Ruine des Unglaubens und der Verderbnis stürze. Waffnet euch und haltet euch, durch diese treuen Schutzwehren gemahnt, zum Entscheidungskampfe bereit. Wenn nämlich die Zeit kommt, in der der verruchte Betrüger unter Schrecken erscheinen soll, so ist die Mutter, die den Gaukler zur Welt bringen wird, von Kindheit an an einem einsamen Orte der Verworfenheit unter den gottlosesten Menschen aufgewachsen. Schon als Mädchen ist sie durch teuflische Ränke der Laster voll. Ohne Wissen ihrer Eltern wird sie dort weilen, und auch die Umwohner werden sie kennen. Denn auf Eingebung des Teufels ist sie dorthin gekommen, der sie betrü-gerisch - als ob er ein heiliger Engel wäre - nach seinem Willen heranbildet. Sie trennt sich also von den Menschen, damit sie um so leichter verborgen bleiben könne. Darauf wird sie sich heimlich in den ruchlosesten Ränken der Unzucht mit einigen wenigen Männern einlassen und mit solcher Glut schändlichen Begehrens sich mit ihnen beflecken, als ob ein heiliger Engel sie dieses gottlose Treiben zu vollführen heiße. Und so empfängt sie in der glühendsten Brunst der Unzucht den Sohn des Verderbens, ohne zu wissen, welcher Mann sein Vater ist. Aber Luzifer, die alte Schlange, weht voll Freude über diese Abscheulichkeit den werdenden Menschen nach meinem gerechten Gerichte mit seinen Ränken an und nimmt ihn ganz und gar mit all seinen Kräften schon im Mutterleib in Besitz. Des teuflischen Geistes voll, geht der Verderber aus dem Schoß seiner Mutter hervor. Sie aber meidet darauf die gewohnte Unzucht und sagt offen dem törichten, einsichtslosen Volke, daß sie keinen Mann habe und einen Vater ihres Kindes nicht kenne. Heilig nennt sie die Unzucht, die sie vollbracht hat, und auch die Leute werden die Mutter für heilig halten und sie heilig nennen.

So wächst der Sohn des Verderbens unter Teufelsränken bis zu einem kräftigeren Alter heran, stets geheimgehalten vor den Bekannten. Doch zeigt seine Mutter ihn zuweilen unter magischen Künsten dem Volke denen, die Gott ehren, und denen, die Ihn nicht ehren - und erreicht dadurch, daß sie ihn lieben. Ist er dann zum Vollalter gelangt, so wird er allen seine großsprecherische Lehre vortragen und sich dadurch in Widerspruch zu Mir und meinen Auserwählten stellen. So große Kraft wird er erlangen, daß er es in seiner Machtfülle versuchen wird, sich über die Wolken zu erheben. Denn Ich gestatte ihm nach meinem gerechten Gerichte, an verschiedenen Geschöpfen seinen Willen auszulassen. Wie nämlich der Teufel am Anfang sprach: Ich werde dem Allerhöchsten gleich sein" (Is 14, 14), und stürzte, so werde Ich auch zulassen, daß derselbe Teufel in der letzten Zeit in seinem Sohne spricht: "Ich bin der Heiland der Welt!" Aber dann wird er auch in diesem zu Fall kommen. Und wie die ganze Welt der Gläubigen erkannt hat, daß Luzifer ein Lügner war, als er am Anfang Gott gleich sein wollte, so wird auch jeder Gläubige einsehen, daß der Sohn der Bosheit ein Lügner ist, wenn er sich vor dem Jüngsten Tag dem Sohne Gottes gleichmachen will.

Er ist die schlimmste Bestie. Die Menschen, die ihn nicht anerkennen, tötet er. Könige, Herzöge, Fürsten und Reiche wird er sich verbinden, die Demut unterdrücken, den Stolz erheben und sich den Erdkreis mit Teufelslist unterwerfen. Seine Macht erstreckt sich bis auf den Ursprung der Winde, so daß er scheinbar die Luft in Bewegung bringt, Feuer vom Himmel ruft, Blitze, Donner und Hagel herniederfahren läßt. Berge stürzt er zum Scheine, Wasser trocknet er aus, den Wäldern nimmt er das frische Grün und gibt ihnen aufs neue treibenden Saft. Solche Gaukeleien wird er mit den verschiedensten Geschöpfen veranstalten in ihrer Feuchtigkeit, Grüne und Trockenheit. Selbst mit den Menschen wird er sein trügerisches Spiel treiben. Scheinbar macht er die Gesunden krank und die Kranken gesund, treibt Teufel aus und erweckt zuweilen Tote. Wie das? Wenn jemand aus dem Leben geschieden ist, dessen Seele der Teufel in seiner Gewalt hat, so übt er mit meiner Zulassung an der Leiche des Verstorbenen seine Zauberkünste. Er macht, daß sie sich bewegt, als wenn sie lebendig wäre. Aber solches wird ihm nur hie und da, auf kürzeste Zeit und in sehr geringem Ausmaß gestattet, damit durch solche Anmaßung nicht die Ehre Gottes dem Spotte und der Mißachtung preisgegeben werde.

Manche, die solches sehen, werden ihm Vertrauen schenken. Andere wollen zwar ihren früheren Glauben beibehalten, möchten aber doch, daß er ihnen stets gewogen sei. Diesen schickt er Kranheiten, weil er sie nicht schwer schädigen will. Wenn sie dann bei den Ärzten Heilung und Hilfe suchen, aber nicht geheilt werden können, dann werden sie zu ihm ihre Zuflucht nehmen und erproben, ob er sie heilen könne. Sieht er sie dann kommen, so nimmt er das Siechtum, das er selbst ihnen geschickt hat, von ihnen. Dadurch wird er dann ihre Liebe gewinnen, und sie werden an ihn glauben.

So werden viele getäuscht werden. Sie umwölken sich selbst ihre inneren Augen. Auf Mich sollten sie schauen, sie aber wollen durch das Grübeln Ihres Geistes gleichsam in neuer Erkenntnis die Dinge erschauen, die sie mit den äußeren Augen sehen und mit den Händen betasten. Sie verachten das Unsichtbare, das ewig in Mir ist und nur durch wahren Glauben begriffen werden kann. Denn sterbliche Augen können Mich nicht sehen. Umschattet zeige Ich meine Wunder denen, die Ich erwähle. Mich selbst jedoch wird niemand sehen, solange er im sterblichen Leibe weilt, es sei denn in der Umschattung meiner Geheimnisse, wie Ich zu meinem Knechte Moses gesprochen habe: "Mein Mensch sieht Mich und bleibt am Leben" (Exod 33, 20). Das heißt: Nicht wird der Sterbliche den Blick seiner Sterblichkeit auf die Klarheit meiner Gottheit richten ... Wie die Mücke nicht leben kann, wenn sie sich in die Feuerflamme stürzt, so könnte der sterbliche Mensch nicht bestehen, wenn er das Blitzesleuchten meiner Gottheit schaute. Doch zeige Ich Mich umschattet den sterblichen Menschen, solange sie mit der Last der Sterblichkeit beschwert sind, wie ein Maler in seinen Kunstwerken den Menschen das darstellt, was sie nicht sehen. Wenn du, o Mensch, Mich liebst, werde Ich dich umfangen und dich mit der Glut des Heiligen Geistes erwärmen. Wenn du mit gutem Willen auf Mich schaust, so wirst du Mich in deinem Glauben erkennen, und Ich werde mit dir sein. Die Mich aber verachten, die wenden sich dem Teufel zu, weil sie Mich nicht kennen wollen. Daher gebe auch Ich sie preis. Dann treibt der Teufel sein Spiel mit ihnen und betrügt sie, wie immer es ihm gefällt, so daß sie alles für wahr halten, was er ihnen zeigt. Und diese Kunst der Täuschung gießt er dann auch denen ein, die auf ihn vertrauen, so daß auch sie durch diese Begabung mit mannigfachen Zeichen an den Geschöpfen, ganz wie sie wollen, die Menschen blenden. Doch können sie weder die Elemente noch die übrigen Geschöpfe, die von Gott ins Dasein gerufen sind, in ihrem Sein verwandeln. Sie lassen nur durch Täuschung seltsame Erscheinungen wie Nebelgebilde vor ihren Anhängern auftauchen. Adam verlor die Ehre des Paradieses, weil er mehr suchte, als er haben sollte. So verlieren diese das Gesicht und Gehör des innern Menschen, weil sie Gott verlassen und dem Teufel Ehre erweisen.

Auf diese Weise wirkt der Sohn des Verderbens die Betrügereien seiner Künste in den Elementen. In Schönheit, Süßigkeit und Anmut läßt er sie erscheinen, je nach dem Willen der Menschen, die er hintergeht. Diese Macht ist ihm gestattet, damit die Gläubigen in rechtem Glauben sehen, daß der Teufel keine Macht wider die Guten hat, sondern nur wider die Bösen, die dem ewigen Tode verfallen sind. Alles nämlich, was der Sohn der Bosheit tut, das vollbringt er mit Gewalt, Stolz und Grausamkeit. Barmherzigkeit, Demut und Diskretion besitzt er nicht, sondern mit Befehlen und barschem Auftreten fährt er die Menschen an, daß sie ihm folgen sollen. Sehr viele gewinnt er dadurch, daß er sie auffordert, frei nach ihrem Willen zu handeln. Sie möchten, sagt er ihnen, sich doch nicht mit Wachen und Fasten Gewalt antun, sondern sie sollten nur ihren Gott, als den er sich selber hinstellt, lieben. Dann würden sie vor der Hölle bewahrt bleiben und zum Leben gelangen. Viele lassen sich dadurch täuschen und sagen: unglücklich waren doch die Menschen, die sich in den vergangenen Zeiten mit harten Peinigungen das Leben schwer machten, weil sie, ach! die Güte unseres Gottes nicht kannten." Er zeigt ihnen nämlich Schätze und Reichtümer und gestattet ihnen Schmausereien, soviel sie wollen, und bekräftigt durch trügerische Zeichen seine Lehre. So halten sie es nicht für nötig, ihren Leib zu bändigen und in Zucht zu nehmen. Doch befiehlt er ihnen, die Beschneidung und das Judentum nach den Gebräuchen der Juden zu beobachten, während er die kraftvolleren Vorschriften des Gesetzes, die das Evangelium unter entsprechender Bußgesinnung in Gnade umgewandelt hat, nach ihrem Willen für sie erleichtert. Er spricht: "Wer sich zu mir bekehrt, dessen Sünden werden getilgt und er wird mit mir leben in Ewigkeit." Auch die Taufe und das Evangelium meines Sohnes verwirft er, und alle Vorschriften, die der Kirche übertragen sind, verspottet er. Und wiederum sagt er mit teuflischem Hohne zu denen, die ihm dienen: "Sehet, was das für ein Wahnwitziger war, der durch seine Lügen dem einfältigen Volke solche Verpflichtungen auferlegte. Ich aber will für euch und zu eurer Verherrlichung sterben und vom Tode auferstehen, und so werde ich mein Volk von der Hölle befreien. Dann werdet ihr mit mir in meinem Reiche glorreich leben, wie jener Betrüger es euch vorgeheuchelt hat." Er fordert alsdann seine Freunde auf, ihn mit einem Schwert zu durchbohren und bis zum Tage seiner Auferstehung in ein reines Linnen zu hüllen. Dabei täuscht er sie so, daß sie ihn wirklich zu töten und seinen Auftrag zu vollbringen meinen. Nachher steht er dann zum Scheine von den Toten auf. Dabei weist er als Mittel zum Seelenheil eine Schrift vor, die grauenhaften Fluches voll ist. Er übergibt sie den Menschen als ein Siegel und befiehlt, daß sie ihn anbeten. Verweigert dies irgend ein Gläubiger aus Liebe zu meinem Namen, so wird er in grausamer Folterqual vernichtet, so daß alle, die dies sehen oder hören, von höchstem Entsetzen geschüttelt werden, wie auch Johannes, mein Geliebter, dartut, da er sagt: "Und ich sah eines von seinen Häuptern wie zum Tode verwundet, aber seine Todeswunde ward geheilt. Und bewundernd folgte die ganze Erde dem Tiere nach" (Offb. 13, 3). Das heißt: Ich, der Liebhaber der Geheimnisse Gottes, sah, wie der Betrüger, der Verfluchte, alle Heiligkeit der Heiligen mit übergroßen, zahllosen Freveln umkreiste und sie mit vielfältigen Lastern anfocht. Durch seine Lügenkünste wird er in scheinbarer Ermordung sein Blut vergießen und sterben. Nicht in seinem Leibe wird er fallen, sondern in einem trügerischen Schatten, und wird als ein Erschlagener und Sterbender erachtet. Dann wird er im fortdauernden Betrug seiner Wunden sich den Anschein geben, als erwache er aus dem Todesschlafe wieder zum Leben. Staunen und Entsetzen wird ob der Schreckenstat des Verfluchten alle Menschen auf der ganzen Erde ergreifen, ähnlich wie einst mein Volk über die riesengroße Kraft Goliaths vor Staunen erstarrte, als es ihn in voller Kriegsrüstung vor sich stehen sah. So werden, wie du begreifst, bei den Quälereien, Widersprüchen und ausgesuchten, schrecklichen Wunderzeichen, die der Sohn des Verderbens wirken wird, selbst meine Auserwählten, die wie Säulen feststehen, von Schrecken und Entsetzen geschüttelt, angstvoll klagend aufseufzen.

Doch werde Ich meine beiden Zeugen senden, Henoch und Elias, die Ich im Geheimnis meines Willens für diese Zeit aufbewahrt habe, damit sie als Gegenkämpfer hervortreten und die Irrenden auf den Weg der Wahrheit zurückführen. Gewaltige, machtvolle Kräfte werden sie unter den Gläubigen entfalten. Denn da die Worte des Zeugnisses im Munde beider übereinstimmen, werden sie Glauben finden bei denen, die auf sie hören. Für diese Sendung habe Ich die beiden Zeugen der Wahrheit so lange zurückgehalten, damit, wenn sie alsdann hervortreten, ihr Wort in den Herzen meiner Auserwählten starken Glauben finde und so die reifende Saat meiner Kirche in ihrer großen Erniedrigung standhalte. Sie werden zu den Söhnen Gottes, deren Namen im Buche des Lebens stehen, sprechen: "Ihr, die ihr geraden Herzens seid, auserlesen zur herrlichen Ehre der beseligenden Gnaden des Lebens, höret und verstehet, was wir euch im Treuen sagen. Dieser Verfluchte ist vom Teufel entsandt, damit er die Seelen; die sich seinen Vorschriften unterwerfen, in Irrtum stürze. Wir waren von dieser Welt abgesondert, aufbewahrt in den Geheimnissen Gottes, die den Menschen verborgen sind, der Mühe und Angst der Menschen enthoben. Und dazu sind wir zurückbehalten und zu euch gesandt worden, damit wir Einspruch wider die Täuschungen dieses Verderbers erheben. Sehet daher, ob wir euch an Körpergestalt und Alter ähnlich sind!" Und alle, die den wahren Gott erkennen und bekennen wollen, werden sich diesen beiden Greisen und wahrhaftigen Zeugen, den Bannerträgern der göttlichen Gerechtigkeit, anschließen. Sie werden den gottlosen Irrtum verlassen und selber in großen Lobpreisungen vor Gott und dem Volke leuchten. Die Gassen und Straßen und Städte und die übrigen Orte, die der Sohn des Verderbens mit dem Hauch seiner widersprechenden Lehre angeweht hat, werden sie durcheilen und große Zeichen im Heiligen Geiste wirken, so daß alles Volk, das sie sieht, in höchste Bewunderung versetzt wird. Solch große, auf dem festen Felsen gegründete Zeichen werden ihnen aber deshalb gegeben, damit die Zeichen des Widerspruchs und der Falschheit verworfen werden. Denn wie der Blitz entzündet und verbrennt, so wird es auch der Sohn des Verderbens in seiner verkehrten Ungerechtigkeit und Nichtswürdigkeit tun. Mit magischen Künsten wird er wie mit Blitzesfeuer die Völker verbrennen, aber Henoch und Elias werden mit dem Donnerschlag ihrer rechten Lehre die ganze Rotte in Schrecken setzen und niederwerfen und so die Gläubigen festigen.

Dennoch werden auch sie durch die Zulassung meines Willens schließlich durch ihn zur Vollendung gelangen und dann den Lohn für ihre Mühen im Himmel empfangen. Dann werden die Blüten ihrer Lehre fallen, weil ihre Stimmen in der Welt verklungen sind, aber die gute Frucht wird in den Auserwählten hervorbrechen, die die Worte und das Wüten der Teufelskunst verachten und in der Hoffnung auf das himmlische Erbe fest begründet sind.

Doch du siehst weiter, daß sich das unförmliche Haupt mit lautem Krachen von seiner Stelle löst, so daß dadurch die ganze Gestalt der Jungfrau in all ihren Gliedern erschüttert wird. Wenn der Sohn des Verderbens, das Haupt der Bosheit, sich in stolzer Anmaßung aus der Verirrung der ihm innewohnenden Gottlosigkeit zu der noch größeren Torheit erheben wird, sich über alle erhöhen zu wollen, wenn somit seine Betrügereien sich ihrem Endziel nähern, wird die ganze Kirche in all ihren Kindern, großen und kleinen, in höchste Furcht versetzt werden und dem wahnwitzigen Beginnen seiner Vermessenheit entgegensehen. Und nun sammelt sich eine gewaltige Masse von Kot um das Haupt, so daß es sich wie auf einem Berg emporhebt und zur Höhe des Himmels aufzusteigen versucht. Das ist der Höhepunkt teuflischer Anschläge, die, voll von Unreinheit, dem Sohne der Gottlosigkeit zur Verfügung stehen. Sie verleihen ihm Flügel des Stolzes und heben ihn zu solcher Vermessenheit empor, daß er sogar in das Innerste des Himmels eindringen zu können vermeint. Inwiefern? Wenn er allen Willen des Teufels erfüllt haben wird, so daß ihm nach dem gerechten Urteile Gottes fürderhin so große Macht der Ungerechtigkeit und Grausamkeit nicht mehr gestattet werden soll, wird er seine ganze Rotte versammeln und wird seinen Anhängern sagen, daß er in die Himmel aufsteigen wolle. Doch wie der Teufel nicht wußte, daß der Sohn Gottes zur Erlösung und zum Heile der Seelen geboren werde, so wird auch der Gottlose nicht erkennen, während er sich in das todbringende Übel aller Übel verwickelt, daß der gewaltige Schlag der Hand Gottes über ihn kommt. Und siehe, ein Donnerschlag trifft plötzlich das Haupt mit solcher Wucht, daß es von dem Berge herabstürzt und seinen Geist im Tode aushaucht. Das ist die Offenbarung der göttlichen Macht, die den Sohn des Verderbens mit einer solchen Wucht ihres Eifers niederstreckt, daß er von dem Stolze, mit dem er sich wider Gott emporgereckt hatte, in die Untiefen seiner Vermessenheit stürzt und im Tode ewiger Verdammnis seinen Lebensodem ausspeit und so endet. Wie mein Sohn den Versuchungen des Teufels ein Ende machte, indem Er zu ihm sprach: "Weiche, schändlicher Satan!" (Vgl. Mt 4, 10), wie daraufhin dieser voll Schrecken die Flucht ergriff, so werden auch die Versuchungen, die der Sohn der Bosheit der Kirche bereitet, durch meinen Eifer ihr Ende empfangen.

Und alsbald umfängt ein übelriechender Nebel den ganzen Berg. Darin liegt das Haupt, von solchem Schmutz umhüllt, daß die umstehenden Scharen vom größten Schrecken ergriffen werden. Ein ganz unreiner, höllischer Geruch wird den Ort jener Überhebung erfüllen, an dem der schlimmste Verbrecher von solcher Unreinheit überfloß, damit nach dem gerechten Gerichte Gottes weder seines Anfangs noch seines Endes je wieder gedacht werde. Denn die Völker, die seinen Leichnam stumm auf die Erde niedergeschmettert und von Fäulnis übergossen sehen, werden erkennen, daß sie betrogen worden sind. Der Nebel verweilt noch einige Zeit rings um den Berg, denn dadurch, daß die teuflische Überhebung von einem Pestgeruch umgeben bleibt, wird sie als unrein gekennzeichnet, so daß die verführten Menschen, wenn sie den Geruch und Schmutz erkennen, von ihrem Irrtum ablassen und zur Wahrheit zurückkehren. Das herumstehende Volk wird bei diesem Anblick von großer Furcht erschüttert. Entsetzen erfaßt die Zuschauer, so daß sie trauernd und weinend laute Klage erheben und ihren schweren Irrtum bekennen. Und siehe, nun erscheinen die Füße der Jungfrau und geben einen Glanz, der strahlender leuchtet als der Glanz der Sonne. Das ist die Kraft, in der die Braut meines Sohnes gründet und steht. In der hellglänzenden Weiße des Glaubens wird sie aufbrechen, wenn nach dem Sturze des Sohnes der Verderbnis viele von denen, die sich verirrt hatten, zur Wahrheit zurückkehren, in jener Schönheit, die alles Schöne irdischer Herrlichkeit überstrahlt.

Doch wann nach dem Falle jenes Gottlosen mit der Auflösung der Welt der Jüngste Tag anbrechen wird, danach soll der sterbliche Mensch nicht forschen. Er kann diesen Tag nicht wissen, denn der Vater hält ihn verborgen im Geheimnis seines Ratschlusses. Bereitet euch, ihr Menschen, zum Gericht!

Wer scharfe Ohren hat, mit innerem Sinn zu hören, der lechze in der brennenden Liebe zu meinem Lichte nach diesen meinen Worten und schreibe sie im Wissen seiner Seele nieder!

Strahlend in der Herrlichkeit unerschütterten Glaubens, geschmückt mit dem Purpur des Martyriums, geht die Kirche aus der letzten, schwersten Erprobung ihrer Treue hervor. Nun haben Welt und Zeit ihren Sinn erfüllt. Das Gefüge der Welt zerbricht. Der Strom der Zeit mündet in den Ozean der Ewigkeit. Unbeirrt schreitet die Kirche durch die Trümmer alles irdischen Seins. Aus dem Dunkel des Weltuntergangs leuchtet ihr im Tag der großen Offenbarung die letzte, die ewige Vollendung auf.

Der Tag der großen Offenbarung


ICH SCHAUTE WEITER. Und siehe, alle Elemente und jegliches Geschöpf wurden von einer durchdringenden Bewegung erschüttert. Feuer, Luft und Wasser brachen hervor, so daß die Erde wankte. Blitze und Donner krachten, Berge und Wälder stürzten, und alles, was sterblich war, hauchte das Leben aus. Alle Elemente wurden gereinigt, so daß, was immer an ihnen beschmutzt war, verschwand und fürderhin nicht mehr erschien. Und ich hörte eine Stimme, die mit lautem Ruf über den ganzen Erdkreis erscholl: "Ihr Menschensöhne alle, die ihr in der Erde lieget, stehet auf!" Siehe, da kamen wie in einem einzigen Augenblick alle Gebeine der Menschen, wo immer sie auf der Erde gewesen waren, zusammen, bedeckten sich mit ihrem Fleisch, und alle Menschen standen auf mit unversehrten Gliedern und Leibern, je nach ihrem Geschlecht, die Guten in Herrlichkeit leuchtend, die Bösen schwarz erscheinend, wodurch eines jeden Werk offen an ihm sichtbar war. Einige von ihnen trugen das Siegel des Glaubens, andere nicht. Manche von den Besiegelten hatten vor ihrem Antlitz ein goldenes Leuchten, andere einen Schatten. Das war ihr Kennzeichen.

Da plötzlich flammte Blitzesleuchten vom Osten her, und ich sah in einer Wolke den Menschensohn daherfahren, gleichen Antlitzes, wie Er in der Welt gewesen war, mit offenen Wunden. Die Chöre der Engel begleiteten Ihn. Der Thron, auf dem Er saß, war eine Flamme, die in blendendem Glanze leuchtete, aber nicht brannte, und unter Ihm war der gewaltige Sturm der Weltenreinigung. Da wurden die Besiegelten wie durch einen Wirbelwind Ihm in der Luft entgegengeführt, dorthin, wo ich früher den Glanz geschaut hatte, der das Geheimnis des erhabenen Schöpfers sinnbildete. Und es vollzog sich dort die Scheidung der Guten und Bösen. Der Richter beseligte in einladendem Worte, wie das Evangelium es kundtut, die Gerechten mit dem Himmelreiche und wies mit furcht-barer Stimme die Ungerechten den höllischen Strafen zu, wie ebenfalls geschrieben steht. Nichts anderes wurde hier bezüglich ihrer Werke gefragt oder geantwortet, als was das Wort des Evangeliums bezeugt, denn das Werk eines jeden, ob gut oder böse, trat offen in ihm selbst zutage. Die nicht Besiegelten aber standen von ferne, in der Nordgegend, bei der Masse der Teufel. Sie kamen nicht zu diesem Gericht, sahen vielmehr alles dies wie in einem Wirbelsturm und erwarteten mit bitterem Seufzen den Ausgang des Gerichtes.

Nachdem das Gericht also vollzogen war, hörten Blitze und Donner und Winde und Stürme auf, und alles, was in den Elementen vergänglich war, schwand plötzlich dahin. Und es ward eine große Ruhe. Da erstrahlten alsbald die Auserwählten lichter als der Glanz der Sonne. Mit dem Sohne Gottes und den seligen Scharen der Engel zogen sie in großer Freude in den Himmel ein. Die Verdammten aber fuhren mit dem Teufel und seinen Engeln unter lautem Heulen in den höllischen Abgrund. So nahm der Himmel die Auserwählten auf, und die Hölle verschlang die Verworfenen.

Alsogleich erhoben sich so hohe Freude und jubelnde Lobgesänge im Himmel und so tiefe Trauer und lautes Wehgeschrei im See des Abgrundes, daß menschliche Fassungskraft es nicht aussprechen kann.

Und alsbald leuchteten alle Elemente in klarster Heiterkeit, als wenn ihnen eine schwarze Haut abgezogen worden wäre. Das Feuer kannte keine Brunst, die Luft keine Verdichtung, das Wasser keine hitzige Wallung, die Erde keine Gebrechlichkeit mehr. Sonne, Mond und Sterne funkelten in voller Leuchtkraft und Schönheit wie der herrlichste Schmuck am Himmel. Und sie standen still, ohne kreisende Bewegung, so daß sie keine Scheide mehr bildeten zwischen Tag und Nacht. Es war nicht mehr Nacht, es war Tag. Das Ende war gekommen.

Wiederum hörte ich nun die Stimme vom Himmel. Sie sprach zu mir: Diese Geheimnisse deuten auf den Abschluß der Zeit, da die wandelnden Zeiten in die Ewigkeit nie endenden Lichtes übergehen. Von vielen Gefahren werden die letzten Zeiten bedrängt sein, und der Untergang der Welt wird sich in mannigfachen Zeichen kundtun. Denn wie du siehst, wird am Jüngsten Tag der ganze Erdkreis von Schrecknissen erschüttert und von Stürmen zerrüttet, werden, so daß jegliches, was in ihnen hinfällig und sterblich ist, in diesen Zusammenbrüchen sein Ende findet. Denn dann ist der Weltenlauf zu seinem Abschluß gelangt. Die Erde kann nicht weiterbestehen. Nach göttlicher Bestimmung erreicht sie ihr Ende. Wie der Mensch, wenn sein Ende naht, von vielen Schwächen überfallen und niedergeworfen wird, so daß er sich unter großem Leiden auflöst, wenn die Stunde seines Todes gekommen ist, so eilen auch dem Weltenende große Widerwärtigkeiten voraus und lösen die Welt bei ihrem Ende durch mannigfache Schrecknisse auf. Denn dann entfalten die Elemente ihre Schrecken, die sie fürder nicht mehr betätigen können.

Durch eine plötzliche, unerwartete Erschütterung werden die Bande der Elemente gelöst. Alle Geschöpfe geraten in Aufruhr. Feuer bricht hervor. Die Luft löst sich auf, das Wasser strömt über, die Erde bebt, Blitze zucken, Donner krachen, Berge spalten sieh, Wälder stürzen, und was immer in der Luft oder im Wasser oder in der Erde sterblich ist, gibt das Leben auf. Denn Feuer wird die ganze Luft in Bewegung setzen und Wasser die ganze Erde anfüllen. So wird jegliches gereinigt, und was immer die Welt Häßliches an sich hat, verschwindet, als wäre es nicht gewesen, wie Salz zerfließt, wenn es ins Wasser geworfen wird.

Ist alsdann, wie dir gezeigt wurde, der Befehl Gottes zur Auferstehung ergangen, so schließen sich die Gebeine der Toten an ihrem Orte, wo immer sie sein mögen, wie in einem einzigen Augenblick zusammen und bedecken sich mit ihrem Fleische. Nichts kann sie zurückhalten. Wären sie auch vom Feuer oder Wasser, von einem Vogel oder wilden Tiere verschlungen, sie werden alsbald zurückerstattet. So gibt die Erde alle wieder her, wie das Wasser das Salz wieder ausschwitzt. Denn mein Auge weiß alles, und nichts kann Mir verborgen bleiben. Also werden alle Menschen mit Seele und Leib in einem einzigen Augenblick auferstehen, ohne daß eines Ihrer Glieder verkürzt ist oder fehlt, in vollständiger Unversehrtheit des Leibes und des Geschlechtes, die Auserwählten im Strahlenglanze ihrer guten Werke und die Verdammten in der Schwärze ihrer unseligen Taten. Ihre Werke werden nicht verborgen bleiben, sondern offen an ihnen sichtbar sein.
Die einen tragen das Siegel des Glaubens, die andern nicht. In den Besiegelten leuchten die Gewissen durch die Werke des Glaubens im Glanze der Weisheit, die der übrigen erscheinen im Schatten ihres Versagens. Deutlich werden sie dadurch geschieden, denn jene haben den Glauben durch ihre Werke erfüllt, diese haben ihn in sich ausgelöscht.

Die Auferstandenen aber, die das Siegel des Glaubens nicht tragen, sind Menschen, die weder unter dem alten Gesetze noch in der neuen Gnade die Erkenntnis des lebendigen und wahren Gottes annehmen wollten.

Alsdann erscheint in der Klarheit des ewigen Lichtes, aber dennoch in einer Wolke, die den Verworfenen die himmlische Herrlichkeit verbirgt, der Sohn Gottes. Er wird sichtbar in der Gestalt seiner Menschheit und des Leidens, das Er nach dem Willen des Vaters für das Heil des mensch-lichen Geschlechtes erduldet hat. Umgeben von der Heerschar der Engel kommt Er nun, dieses menschliche Geschlecht zu richten. Denn seiner Richtergewalt hat der Vater das Sichtbare der Welt unterworfen, weil Er selbst sichtbar in der Welt wandelte, wie Er es im Evangelium darlegt, da Er spricht: "Und Er hat Ihm Macht gegeben, Gericht zu halten, weil Er der Menschensohn ist" (Jo 5, 27). Das will besagen: Dadurch bezeugt der Vater den Sohn, daß Er Ihm die Macht übergeben hat. Immerdar beim Vater in der Gottheit, nahm der Sohn aus der Mutter die Menschheit, und darum empfing Er auch als Mensch vom Vater die Macht, daß jegliche Kreatur Ihn als den Sohn Gottes erspürt, wie ja auch sie selbst in der ihr eigenen Schöpfungsgestalt im Dasein steht, so wie Gott sie gerufen hat. Deshalb nimmt der Sohn bei allen Werken die Scheidung vor, mögen sie hoch oder niedrig sein. Er weist ihnen ihren Platz an, wie sie einzuordnen sind. Denn da Er selbst als greifbarer und sichtbarer Mensch in der Welt weilte, soll alles, was in der Welt in Erscheinung getreten ist, seinem gerechten Urteil unterliegen. Furchtbar zeigt Er Sich in seiner richterlichen Hoheit den Ungerechten, huldvoll den Gerechten, und sein Gericht ergeht so über sie, daß dadurch auch die Elemente ihre Läuterung spüren.

Alsdann werden die Besiegelten entrückt, dem gerechten Richter entgegen, nicht schwerfällig, sondern mit großer Schnelligkeit. Weil sie an Gott geglaubt haben, werden nun auch die Werke des Glaubens an ihnen offenbar. Das Wissen Gottes kennt ja alle ihre Handlungen, gute und böse, wie dir gezeigt worden ist. So werden die Guten von den Bösen geschieden, weil ihre Werke ungleich sind. Mit voller Gewißheit wird hier bei den Bösen wie bei den Guten klar, inwieweit sie in der Kindheit, im Knabenalter, in der Jugendzeit, im Greisentum und am Ende des Lebens Gott gesucht haben. Hier leuchten sie alle dann als die Blüten meines Sohnes: die Patriarchen und Propheten, die vor seiner Menschwerdung lebten, die Apostel, die mit ihm in der Welt wandelten, die Märtyrer, Bekenner, Jungfrauen, Witwen, die alle Ihm getreulich folgten, die Vorsteher meiner Kirche, sei es in weltlichen oder geistlichen Dingen, und endlich die Einsiedler und Mönche, die in der Züchtigung und Abtötung ihres Fleisches um des Namens meines Sohnes willen arm und niedrig wurden. Haben sie doch schon in ihrem Gewande mit großer Demut und Liebe die Engel nachgeahmt.

Wenn alsdann der Sohn Gottes das Urteil über Gerechte und Ungerechte fällt, so verstummen die Lobgesänge der Himmel in Schweigen. Alle lauschen gebannt auf seinen Ausspruch, wie Er huldvoll den Gerechten die himmlischen Freuden zuerkennt, und furchtbar die Ungerechten in die höllische Pein entsendet. Kein weiteres Begründen oder Erforschen der Werke findet da statt, weil ja die Gewissen der Menschen, der Guten wie der Bösen, enthüllt und offenbar sind. Die Gerechten, die hier die Verurteilung des gerechtesten Richters empfangen, haben zwar viele Werke der Gerechtigkeit vollbracht, sie aber nicht zur Fülle der Vollendung ausgewirkt, als sie noch in der Welt lebten. Deshalb müssen sie jetzt dafür gerichtet werden. Die Ungerechten, die die Strenge des Richters an sich erfahren, haben viel Böses getan. Doch weil sie nicht aus Ablehnung der göttlichen Majestät sündigten, das heißt durch die Gottlosigkeit des verdammungswürdigen Unglaubens, der schon im voraus gerichtet ist, entgehen auch sie nicht dem Urteil des Richters. Denn alles muß mit gerechtem Gewichte gewogen werden.

Dagegen stehen die, die nicht mit dem Glauben besiegelt sind, weil sie nicht an Gott geglaubt haben, in der Nordgegend, das heißt in der Region des Verderbens, bei der Masse der Teufel. Sie kommen nicht zu diesem Gericht. Sie sehen es nur wie in einem Wirbelsturm und erwarten mit bitterem Seufzen seinen Ausgang. Im Unglauben sich verhärtend, haben sie den wahren Gott nicht erkannt. Weder vor der Taufe ehrten sie im Alten Testament den lebendigen Gott, noch nahmen sie nach der frohen Botschaft das Heilmittel der Taufe an. Sie verharrten im Fluche der Sünde Adams. Die Strafschuld der Verdammnis lastet auf ihnen. Darum werden sie in ihrem frevelhaften Unglauben schon als gerichtet erfunden.

Wenn so das Gericht vollendet ist, hört das schreckliche Wüten der Elemente, der Blitze, Donner und Stürme auf. Alles, was hinfällig und vergänglich ist, zerrinnt. Es wird fürder nicht mehr erscheinen, wie der Schnee zu sein aufhört, wenn er von der Glut der Sonne aufgelöst ist. Durch göttliche Verfügung tritt vollkommene Ruhe und Stille ein.

Und so ziehen die Auserwählten, umkleidet vom Glanze der Ewigkeit, mit ihrem Haupte, meinem Sohne, und mit der glorreichen himmlischen Heerschar in großer Herrlichkeit in die Himmelsfreuden ein. Die Verworfenen aber fahren in vieler Reue mit dem Teufel und seinen Engeln in die ewigen Strafen hinab, wo sie den ewigen Tod ewig für sich bereitet sehen, weil sie mehr ihren Begierden als meinen Geboten gefolgt sind. So nimmt der Himmel die Auserwählten in die Glorie der Ewigkeit auf, weil sie den Beherrscher der Himmel geliebt haben, und die Hölle verschlingt die Verdammten, weil sie den Teufel nicht verworfen haben.

Und alsbald erklingen aus der Fülle aller Freuden so jubelnde Lobgesänge in der himmlischen Herrlichkeit und erhebt sich aus der Fülle alles Leids so schmerzliches Geheul in der Hölle, daß es die Fassungskraft menschlichen Erkennens übersteigt, denn jene besitzen das ewige Leben, diese den ewigen Tod, wie im Evangelium mein Sohn spricht: "Sie werden in ewige Pein gehen, die Gerechten aber in ewiges Leben" (Mt 25, 46). Das will besagen: Diejenigen, die den Pestgeruch der Buhlerei mit allem Bösen an sich tragen und nicht danach dürsten, in der höchsten Güte zu trinken, was gerecht ist, versinken auf dem Pfade ihres Unglaubens und ihrer Gottlosigkeit in die Peinen des ewigen Verderbens und empfangen nach ihren Werken die Strafen der Hölle. Doch die Erbauer der Herrlichkeit des himmlischen Jerusalem, die gläubig zu den Toren der Tochter Sion hineilen, werden im Lichte des ewigen Lebens leuchten, das die keuscheste Jungfrau in der Fruchtbarkeit ihrer Jungfräulichkeit den Glaubenden wunderbar geschenkt hat.

Und wenn alles dies geschehen ist, dann leuchten, wie du siehst, die Elemente in größter Klarheit und Schönheit, denn jegliche Hülle der Schwärze und des Schmutzes ist von ihnen genommen. Das Feuer glänzt golden ohne Brunst wie das Morgenrot. Die Luft ist rein und leuchtend ohne Verdichtung. Das Wasser steht durchsichtig und still ohne überströmenden, verheerenden Anschwall. Die Erde zeigt sich stark und ebenmäßig ohne Gebrechlichkeit und Mißgestaltung. Alles ist in einem Zustand der Ruhe und Schönheit. Aber auch die Sonne, der Mond und die Sterne glänzen am Himmel in lichter Klarheit und hellstem Glanze wie kostbare Steine auf goldenem Grund. Aufgehört hat die Unruhe ihres Kreisens, das den Tag von der Nacht schied, unwandelbar sind sie geworden, seit die Welt nicht mehr ist.

Die Finsternisse der Nacht steigen nicht mehr herauf Es ist unversieglicher Tag, wie mein Geliebter, Johannes bezeugt, da er spricht: "Und Nacht wird nicht mehr sein, und man wird nicht des Lichtes einer Leuchte oder des Lichtes der Sonne bedürfen; denn Gott der Herr wird sie erleuchten" (Offb. 22, 5). Das heißt: Wer einen Schatz hat, verbirgt ihn und holt ihn wieder hervor, wie die Nacht das Licht verhüllt und der Tag durch Vertreibung der Finsternis dem Menschen das Licht wieder bringt. So wird es nicht sein bei der Umgestaltung der Zeiten; denn dann wird das nächtliche Dunkel so vertrieben, daß keine Finsternis mehr heraufsteigt. Das neue Dasein bedarf des von Menschen entzündeten Lichtes nicht, noch ist es von der Veränderlichkeit der Sonne umschlossen, die jetzt die Zeiten des Dunkels zum Gefolge hat. Tag wird es sein ohne Wandel, denn der Beherrscher aller Dinge wird mit der Klarheit seiner Gottheit, die nie durch eine Änderung verdüstert wird, alle erleuchten, die in der Welt durch seine Gnade der Finsternis entronnen sind.

Wer scharfe Ohren hat, mit innerem Sinn zu hören, der lechze in der brennenden Liebe zu meinem Lichte nach diesen meinen Worten und schreibe sie im Wissen seiner Seele nieder!

(
aus: "Wisse die Wege - Scivias", übersetzt und bearbeitet von Maura Böckeler, Salzburg 1975, S. 329-350)

 
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