54. Jahrgang Nr. 3 / März 2024
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1. Anmerkungen zur Fastenzeit 2009
2. Die Reinheit
3. Visionen über die Endzeit und den Antichrist
4. Dogmatische Konstitution Pastor aeternus
5. Der Präzedenzfall Talleyrand
6. Die Erfassung der Einheit (des Wesens) Gottes
7. Zum 150. Geburtstag des Wüstenheiligen Charles de Foucauld
8. Bedenke das Ende ... - Betrachtungen über den Tod
9. Von der Anarchie zur Imitatio Christi
10. Der verschollene Ruf der Mutter
11. Nachrichten, Nachrichten, Nachrichten
12. Mitteilungen der Redaktion
Der verschollene Ruf der Mutter
 
Der verschollene Ruf der Mutter


Ein Diasporapfarrer berichtet folgende wahre Begebenheit:

Weit war der Bezirk meiner Pfarrei. Wenn ich sonntags in der Frühe im Pfarrort das heilige Meß-opfer gefeiert hatte, fuhr ich jedesmal mit dem Fahrrad bald in dieses, bald in jenes Dorf, um dort den Katholiken das Brot des Lebens zu brechen und ihnen Gottes Wort zu verkünden. So kam ich regelmäßig auch nach D. In einem Schulraum richteten alle drei Wochen ein paar opferfrohe Katholiken den Altar her, an der Stelle, wo sonst das Pult des Klassenzimmers stand, schmückten den Altar mit Blumen und Leuchtern, legten mir die Meßgewänder zurecht, so daß alles für das heilige Opfer »würdig« hergerichtet war. Sie leisteten eigentlich den Dienst, den Petrus und Johannes beim ersten Meßopfer des Herrn verrichten durften. 80, 90, auch 110 Gläubige fanden sich zum Gottesdienst ein. Sie sangen und beteten, daß es eine Freude war für mich und sicher noch mehr für den Herrgott.

War der Gottesdienst beendet, so mußte ich, ob ich wollte oder nicht, jedesmal bei einer anderen katholischen Familie des Dorfes frühstücken. Es waren alles arme Leute. Sie brachten aber das Beste, was sie hatten, auf den Kaffeetisch. So saß ich einstmals wieder in einem trauten, sauberen Stüblein mit Vater und Mutter der Familie an der Sonntags-Kaffeetafel. Die Mutter erzählte mir, daß sie erst seit einigen Jahren katholisch sei, bis dahin habe sie eigentlich ohne Religion gelebt. Aber ihre Mutter sei katholisch gewesen und erst jetzt, nachdem sie selbst katholisch sei, wisse sie, warum der Mutter das Sterben so schwer geworden sei. Und nun entrollte sie das Lebensschicksal ihrer Mutter:

Meine Mutter war aus Oberschlesien gekommen als Landarbeiterin. Tief verwurzelt im Glauben ihrer Heimat und ihrer Jugend hielt sie auch in der Fremde treu am kirchlichen Leben fest. In der Woche hatte sie schwere Arbeit auf dem Felde, an Sonntagen machte sie den eindreiviertel Stunden weiten Weg zur Kirche regelmäßig, bei jedem Wetter. Die Zeit ging hin, sie lernte einen jungen Mann in ihrer neuen Heimat kennen. Die beiden glaubten sich füreinander bestimmt. Nur eines stand störend zwischen ihnen: er hatte nicht den Glauben ihrer Heimat, ihrer Jugend, ihrer Väter. Bereitwillig versprach er katholische Trauung und katholische Kindererziehung. Monate vergingen. Da, eines Tages erklärte der Bräutigam, sie wollten sich mit der standesamtlichen Trauung begnügen. Der Weg zur katholischen Kirche sei doch so weit. Die Kosten für einen Wagen seien zu teuer und wenn zudem ihnen einmal Kinder geschenkt würden, so könnte man die ja doch nicht zur katholischen Schule schicken und zum katholischen Unterricht. Meine Mutter hatte Bedenken, aber schließlich gab sie nach. Die Ehe ward geschlossen nur auf dem Standesamt, und als ich geboren wurde, war an eine katholische Taufe nicht zu denken.

Ich wurde älter, aber nie sah ich, daß Vater oder Mutter zur Kirche gingen. Und doch - eines Morgens ward das anders. Es war Weihnachten, da nahm die Mutter morgens aus der Kommode ihr Gebetbuch und ging den weiten Weg zu ihrer Kirche. Ich wunderte mich, da die Mutter das sonst nie getan. Aber hinfort ging kein Sonntag hin, ohne daß die Mutter den Weg zur Kirche machte. Und eines Tages fing sie an, auch mir vom lieben Gott zu erzählen. Sie lehrte mich das Beten und das Kreuzzeichen, sie erzählte mir sogar vom Beichten und von der heiligen Kommunion. Alles das geschah, wenn der Vater abwesend war, und heute glaube ich wohl, daß seine starre Ablehnung die Mutter gehindert hat, den letzten Schritt zu tun und mich zur Taufe und in die Kirche zu führen. Noch erinnere ich mich ganz deutlich jener Stunde, als ich eines Tages an die Mutter die Frage richtete: »Gehst du auch zur heiligen Kommunion?« Da kamen der Mutter die Tränen, und mit dem Ausdruck tiefsten Schmerzens sagte sie: »Kind, das verstehst du nicht. Ich darf nicht zur Kommunion gehen, weil ich nicht kirchlich getraut bin und du nicht katholisch bist.« Ich verstand das damals wirklich nicht.

Weiter gingen die Jahre. Ich hatte bereits dreizehnmal meinen Geburtstag gefeiert, da ward die Mutter krank. Neben ihrer Hausarbeit hatte sie noch immer auf dem Felde gearbeitet und hatte sich bei dieser Feldarbeit im strömenden kalten Regen eine Lungenentzündung geholt. Das hohe Fieber zehrt an ihrer Lebenskraft. Sie fühlte das Ende nahen. Da, eines Nachmittags, ich war mit meinem Onkel bei ihr im Zimmer, sagte die Mutter zu diesem: »Herbert, es geht mit mir zu Ende, geh und hole mir den katholischen Pfarrer.« Und zu mir sagte die Mutter: »Kind, laß mich jetzt allein.« Also ging ich mit dem Onkel aus dem Zimmer. Er geht auf den Hof, trifft dort seinen Bruder, und ich höre, wie er sagt: »Maria will, wir sollen den Pfarrer holen, aber was sollen wir den weiten Weg erst machen. Der Pfarrer kann ihr ja auch nicht helfen.« Der Onkel ging fort. Als gut drei Stunden vergangen sind, geht er zur Mutter hin und lügt ihr vor: »Der Pfarrer hat gesagt, er komme nicht, du seiest ja nicht mehr richtig katholisch.« Da schluchzt meine Mutter schreiend auf, zieht mich an sich und sagt: »Kind, Kind, das ist nun alles deinetwegen.« Ich habe die Mutter nicht verstanden, der Onkel aber drückte die Mutter in die Kissen zurück und sagte ihr, sie dürfe sich nicht aufregen, sie müsse Ruhe haben. Mutter liegt nun auf ihrem Krankenbett weinend und betend. Am Abend steigt das Fieber weiter, und als der andere Morgen graut, war die Mutter tot. Drei Tage später ward sie ohne Pfarrer zur letzten Ruhe gebettet. Ich vergesse der Mutter Sterben nie."

Ganz still waren wir geworden, als die Frau am Kaffeetisch uns dieses erzählte. Wie Gewitterluft, so lag es in der Stube. Der jungen Frau standen die Tränen in den Augen. Ich tröstete sie und sprach ihr von der Barmherzigkeit Gottes. Sollte nicht der Herrgott, der doch nicht den Tod des Sünders will, sondern daß er sich bekehre und lebe, den guten Willen der Sterbenden gesehen haben und ihr um dieses guten Willens wegen die Gnade einer vollkommenen Reue geschenkt haben? Ja, war das nicht schon vollkommene Reue, daß sie in Liebe verlangte nach dem Leibe des Herrn, nach Versöhnung mit Gott? Der Mann brauste auf und schalt in heftigen Worten auf den Onkel seiner Frau, der so die Sterbende betrogen habe. Sicher, sein Verhalten war unverständlich. Einer Sterbenden erfüllt man jeden Wunsch, der nur erfüllbar ist. Aber wußte er, was er tat? Konnte er, selbst ohne Religion aufgewachsen und lebend, wissen, was für einen Katholiken der Priester am Krankenbett bedeutet? Ich blieb nicht mehr lange. Als ich mit dem Fahrrad über die stille Landstraße fuhr, rechts und links weite fruchtbare Felder, in der Ferne die Ortschaften ohne katholische Kirche und Schule, da ging es mir immer wieder durch den Sinn: Diasporaland, Diasporanot! Und immer wieder mußte ich denken an den Tod der Frau, die vergeblich nach dem Priester rief, mußte aber auch denken an die wunderbaren Wege Gottes, der die Tochter dieser Frau zu seiner Kirche zurückzubringen wußte.

(aus: Auf Gottes Waage - Christen in Glaubensnot und Zerstreuung, Bonifacius-Druckerei Paderborn 1956, S. 156 ff.)
 
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