54. Jahrgang Nr. 3 / März 2024
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1. Zur Fastenzeit: Worte der Ermahnung
2. Ist die Religionsfreiheit ein Naturrecht?
3. In der 'Mitte' angekommen - Beliebigkeit als Prinzip
4. Deutscher Schulzwang - das (un)heimliche Erbe der Nazis
5. Krieg gegen St. Nikolaus geplant
6. Der liberale Kardinal Newman
7. Priester auf ewig
8. Rundschreiben PROVIDENTISSIMUS DEUS
8. Rundschreiben PROVIDENTISSIMUS DEUS - Fortsetzung
9. Hinweis auf einen Gedichtband:
10. Nachrichten, Nachrichten, Nachrichten...
11. Mitteilungen der Redaktion
Krieg gegen St. Nikolaus geplant
 
Krieg gegen St. Nikolaus geplant

von
Magdalena S. Gmehling

Es ist kaum zu glauben. Ausgerechnet einer der liebenswürdigsten, wundermächtigsten und meistverehrten Heiligen der Christenheit soll um seine Grabesruhe und die Wallfahrten unzähliger Gläubiger gebracht werden.

Der türkische Kulturminister, Ertugrul Günay, kündigte nach Verlautbarung der halbamtlichen Nachrichtenagentur Anadolu am Neujahrswochenende 2010 an, man werde die Gebeine des Heiligen aus Myra (dem heutigen Demre) von der italienischen Regierung zurückfordern. Sie sollen dann in einem erst neu zu gründenden Museum für lykische Zivilisation ausgestellt werden.

Es lohnt sich angesichts dieses ungeheuren Ansinnens nicht nur, einen Blick auf die Lebensgeschichte jenes Mannes, dessen Name von nicos (Sieg) und laos (Volk) abgeleitet wird, zu werfen, sondern auch das Schicksal seiner sterblichen Überreste aufzuzeigen.

Nikolaus wurde in der Stadt Patara (Kleinasien) als Sohn des frommen und reichen Epiphanius und dessen Frau Johanna geboren. Bereits um seine Kindheit ranken sich legendenhaft wunderbare Ereignisse. Nachdem die Eltern an der Pest verstarben, fiel dem gottesfürchtigen und hochbegabten jungen Mann reiche Erbschaft zu. Er verwendete das gesamte Vermögen für unzählige Wohltaten, wurde auf göttliche Eingebung hin Bischof von Myra, erlitt die Verbannung und trat 325 auf dem Konzil von Nicäa gegen die Arianer auf. Im Jahre 343 ist er laut Legende beim Beten eines Psalms und im Beisein eines Engels verschieden. Er gilt als Beschützer der Seeleute und Fischer, als Schutzpatron der Kinder, Pfandleiher und Diebe, sowie als Protektor Russlands.

Die Gebeine des beliebten Heiligen befinden sich jetzt in Bari. Ich entsinne mich eines Besuches in San Nicola vor vierzig Jahren. Noch heute ist mir der Zauber des Ortes unweit des Hafens und der damals noch türkisblauen Adria gegenwärtig. Der Kirchenraum atmet einen befreienden, strahlenden und wahrhaft sakralen Charakter. Man hat das Gefühl, alle Sinne öffnen sich dort für die Schwingungen Gottes.

Die Überführung der sterblichen Überreste des Heiligen ist eines jener Schelmenstücke, an welchen die mittelalterliche Welt so reich ist. Laut Kulturminister Günay wurde der berühmte Mann von Piraten nach Italien gebracht. Deshalb ergehe auch die offizielle Rückforderung an die italienische Regierung. Nun ganz so verhielt es sich wohl nicht. Wir haben eine Schilderung des Archidiakons Johannes aus dem Jahr 1088 (einem Jahr nach der Überführung der Gebeine nach Bari) 1). 1087 wurde die vormals christliche Region von den muslimischen Seldschuken erobert. Den Christen war Religionsfreiheit und das Recht auf Benutzung und Pflege ihrer heiligen Stätten zugestanden worden. Griechische Mönche hüteten das Grab des Heiligen. Es war die Zeit, wo sich Frömmigkeit und Betrug seltsam vermischten und die Nachfrage nach Schutzheiligen groß war. Kirchen wurden geplündert und selbst christliche Glaubensbrüder beraubt. Von den Schiffskapitänen erwartete man, dass sie von ihren Reisen gen Osten wundertätige Reliquien mitbrachten.

Die Bareser Kaufleute eröffneten also den Mönchen, sie seien im Auftrag des Papstes mit drei Schiffen gekommen, um die Überreste des großen Bischofs zu kaufen. Entrüstet wiesen die Griechen diesen Handel zurück. Die Italiener waren aber zur gewaltsamen Öffnung des Grabes entschlossen und hatten die entsprechenden Werkzeuge gleich mitgebracht. Bei der Öffnung des Sarkophags stießen sie erstmals auf jene wasserklare duftende Flüssigkeit (genannt "sacra manna"), in der bis heute die Gebeine schwimmen. Ein ähnliches Phänomen, ein begrenzter Ölfluss, ist von den Reliquien der heiligen Äbtissin Walburga in Eichstätt bekannt. Jedenfalls gelang es den verwegenen Dieben, sich mit ihrer frommen Beute aus dem Staub zu machen und diese unter dem Jubel der Volksmenge in Bari an Land zu bringen.

Heute befinden sich die Gebeine des wundertätigen heiligen Nikolaus unter dem silbernen Altar in einem Sarg. In Phiolen wird das heilige Nass an Pilger verkauft. Die Aufschrift lautet: "Basilica di S. Nicola, Bari. S. Manna". Seit nahezu 1000 Jahren feiern die Bareser vom 7. bis 9. Mai die Ankunft der Gebeine. St. Nikolaus hat alle Heimsuchungen der Stadt (auch die Landung der Alliierten im 2. Weltkrieg, die Luftangriffe der Deutschen und die Explosion eines amerikanischen Munitionsschiffes im Hafen) überstanden. In einer mittelalterlich anmutenden Schiffsprozession wird ein gerahmtes Bildnis des Heiligen verehrt und eine Statue des Stadtpatrons unternimmt eine symbolische Fahrt durch den alten Hafen. Nicht nur der Erzbischof, sondern sogar Kriegsschiffe der italienischen Marine bilden die Ehrengarde für Bischof Nikolaus. Tausende kalabresischer Pilger mit mit Pinienzapfen geschmückten Stäben huldigen dem Heiligen des Meeres. Die Frauen in strengem Schwarz, mit gestickten Schals und Kopftüchern, die Männer vorzeitig gealtert, mit Gesichtern aus denen Resignation und Schwermut spricht. Unverkennbar überall die Spuren der Armut.

Fassen wir zusammen. Bischof Nikolaus, beliebtester Nothelfer, Heiliger der ungeteilten Christenheit, verehrt im ganzen Abendland, seit dem 6. Jahrhundert auch in Kleinasien und in Konstantinopel (dem 1453 von den Türken eroberten Istanbul), ist in großer Gefahr. Ausgerechnet dort, wo man heute den Christen Sakralbauten verwehrt, ja mit Mord und Brandschatzung gegen sie agiert, wo man dem ökumenischen Patriarchen Bartholomaios I. wesentliche Menschenrechte vorenthält, ausgerechnet dort sollen die kostbaren Reliquien "ausgestellt" werden wie ein Stück Fleisch im Metzgerladen.

Anmerkung:
1) Translatio S. Nicolai episcopi ex Myra Lyciae urbe ad Apuliae oppidum Barim, vel Barim, scripta ab Johanne archidiacono Barensi jubente Ursone Barensi et Causino archiepiscopo, circa annum Domini 1088, apud Surium die nono Maii.
 
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