54. Jahrgang Nr. 3 / März 2024
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1. Zur Fastenzeit: Worte der Ermahnung
2. Ist die Religionsfreiheit ein Naturrecht?
3. In der 'Mitte' angekommen - Beliebigkeit als Prinzip
4. Deutscher Schulzwang - das (un)heimliche Erbe der Nazis
5. Krieg gegen St. Nikolaus geplant
6. Der liberale Kardinal Newman
7. Priester auf ewig
8. Rundschreiben PROVIDENTISSIMUS DEUS
8. Rundschreiben PROVIDENTISSIMUS DEUS - Fortsetzung
9. Hinweis auf einen Gedichtband:
10. Nachrichten, Nachrichten, Nachrichten...
11. Mitteilungen der Redaktion
Rundschreiben PROVIDENTISSIMUS DEUS - Fortsetzung
 
VI. Die Autorität der Heiligen Schrift; die „höhere Kritik“

17 Die katholische Lehre durch regelrechte und geschickte Auslegung der heiligen Bücher bewiesen, erklärt und ins Licht gesetzt zu haben, das ist eine große Leistung. Doch erübrigt noch der zweite, ebenso wichtige als mühevolle Teil, die volle Autorität dieser Bücher mit den stärksten Beweisen darzutun. Dieses Ziel wird aber voll und allgemein nur durch das lebendige und ihr ausschließlich eigene Lehramt der Kirche erreichbar sein. Denn diese „ist ja schon an sich wegen ihrer wunderbaren Ausbreitung, ausnehmenden Heiligkeit und unerschöpflichen Fruchtbarkeit an allem Guten, wegen ihrer katholischen Einheit und unbesiegbaren Beständigkeit ein großes und dauerndes Motiv ihrer Glaubwürdigkeit und ein unverbrüchlicher Beweis ihrer göttlichen Sendung.“ 44) Weil aber das göttliche und unfehlbare Lehramt der Kirche auch auf der Autorität der Heiligen Schrift beruht, so muss aus diesem Grunde vorerst deren Glaubwürdigkeit, wenigstens nach ihrer menschlichen Seite, geltend gemacht und gerechtfertigt werden. Hernach kann man aus diesen Büchern als den bewährtesten Zeugen des Altertums die Gottheit und Sendung Christi des Herrn, die Stiftung der kirchlichen Hierarchie, die Übertragung des Primates an Petrus und seine Nachfolger sicher und klar darstellen. Zu diesem Zwecke wird es gewiss sehr förderlich sein, wenn ziemlich viele Geistliche besonders vorbereitet wären, um auch auf diesem Gebiete für den Glauben zu streiten und die feindlichen Angriffe abzuwehren, vornehmlich angetan mit der Waffenrüstung Gottes, wie der Apostel anrät 45), jedoch so, dass sie auch mit den neuen Waffen und Kampfesarten der Feinde vertraut sind. Recht schön führt dieses Chrysostomus unter den Pflichten der Priester auf, wenn er sagt: „Man muss gewaltigen Fleiß aufwenden, dass ,Christi Wort reichlich in uns wohne´ 46). Denn nicht zu einer Kampfesart müssen wir gerüstet sein, sondern mannigfach ist dieser Krieg und verschieden sind die Feinde. Weder bedienen sie sich alle der nämlichen Waffen, noch trachten sie auf eine einzige Weise mit uns zusammenzustoßen. Wer darum vorhat, den Kampf gegen alle aufzunehmen, muss auch die Kriegslist und Kunstgriffe aller kennen. Er muss zugleich Bogenschütze und Schleuderer sein, Feldhauptmann und Rottenführer, Heerführer und Soldat, Fußgänger und Reiter, im Seekampf und Belagerungskrieg Erfahrung besitzen. Denn wenn er nicht alle Kriegskünste kennt, versteht es der Teufel, auf dem einzigen etwa vernachlässigtem Punkte seine Räuber hineinzuführen und die Schafe zu erreichen.“ 47) Die vielfachen Listen und Kunstgriffe, deren sich hierbei die Feinde zum Angriffe bedienen, haben wir oben gekennzeichnet. Nun wollen wir daran erinnern, durch welche Mittel man die Verteidigung anstreben muss. – Das erste liegt im Studium der alten orientalischen Sprachen und zugleich in der sogenannten Kritik. Beiderlei Wissensgebiete stehen heutzutage in hoher Wertschätzung und Achtung. Darum wird der Klerus, welcher je nach den höheren und geringeren Anforderungen, die Land und Leute stellen, hiermit geziert und ausgerüstet ist, seine Ehre besser fördern und sein Amt erfolgreicher verwalten können. Denn der Geistliche soll „allen alles“ 48) werden, „immer bereit zur Verantwortung gegen jeden, der Rechenschaft fordert über die Hoffnung, welche in ihm ist“ 49). Daher ist es für die Lehrer der Heiligen Schrift eine Notwendigkeit und für die Theologen eine Zier, jene Sprachen gründlich zu kennen, in welchen die Kanonischen Bücher ursprünglich von den heiligen Schriftstellern verfasst worden sind. Auch werden die Zöglinge der Kirche sehr gut daran tun, wenn sie dieselben pflegen, besonders jene, welche nach den akademischen Graden der Theologie streben. Ferner ist dafür Sorge zu tragen, dass an allen Hochschulen, wie es löblicherweise an vielen schon Übung ist, auch für die übrigen antiken Sprachen, insbesondere für die semitischen, sowie für die hiermit in Verbindung stehenden Wissenszweige Lehrstühle errichtet werden, in erster Linie im Interesse derer, welche sich für ein öffentliches Lehramt der heiligen Schriften vorbereiten. – Gerade diese Männer müssen zu dem gleichen Zwecke in der echten Kunst der Kritik besonders unterrichtet und geübt sein. Verkehrt ist es und zum Schaden der Religion, dass man ein künstliches Verfahren unter dem Ehrennamen „höhere Kritik“ eingeführt hat. Hiernach soll das Urteil über den Ursprung, die Unverfälschtheit und das Ansehen eines Buches aus bloß inneren Gründen, wie man sich ausdrückt, geschöpft werden. Im Gegenteil ist es klar, dass in historischen Fragen, und dahin gehören Ursprung und Erhaltung der Bücher, die Zeugnisse der Geschichte alle anderen überwiegen, und dass diese deshalb mit größtem Eifer aufgesucht und geprüft werden müssen. Jene inneren Gründe aber haben in den meisten Fällen nicht so großes Gewicht, dass man sich für eine Frage auf sie berufen könnte, als höchstens zur Verstärkung des Beweises. Aus dem entgegengesetzten Verfahren ergeben sich ohne Zweifel große Nachteile. Die Feinde der Religion werden nämlich an Zuversicht gewinnen, die Echtheit der heiligen Bücher anzufechten und zu zerpflücken. Gerade jene viel gepriesene höhere Kritik wird endlich dahin aufschlagen, dass ein jeder bei dem Auslegungsgeschäfte seiner eigenen Neigung und vorgefassten Meinung folgt. Bei diesem Verfahren wird sich weder über die Schriften das gesuchte Licht verbreiten noch ein Nutzen für die Wissenschaft erwachsen; wohl aber jenes sichere Merkmal des Irrtums zu Tage treten, welches das ist die Mannigfaltigkeit der Meinungen und die Verschiedenheit der Auffassung, und wirklich bieten bereits die Väter dieser neuen Methode selbst dieses Schauspiel. Weil ferner die meisten von den Lehrsätzen einer falschen Philosophie und des Rationalismus angesteckt sind, werden sie sich nicht scheuen, aus den heiligen Büchern die Weissagungen, die Wunder und alles Übernatürliche zu beseitigen.

VII. Die physikalische Wissenschaft

18 Gehen wir zum zweiten Punkte über, so hat man den Kampf mit Leuten aufzunehmen, welche unter Missbrauch ihrer Kenntnisse in der physikalischen Wissenschaft die heiligen Bücher nach allen Richtungen durchspähen, um den Verfassern Unwissenheit in solchen Dingen vorzuwerfen und die Schriften selbst zu tadeln. Da nun diese Verdächtigungen sinnfällige Dinge betreffen, werden sie desto gefährlicher, wenn sie zur Kenntnis des Volkes und besonders der studierenden Jugend gelangen. Ja wirklich, wenn diese einmal die Ehrfurcht vor der göttlichen Offenbarung in einem einzigen Hauptpunkte verloren hat, wird sie leicht in allen Stücken allen Glauben an dieselbe verlieren. Allzu bekannt ist es ja, dass die Naturwissenschaften, so sehr sie sich bei angemessenem Vortrage dazu eignen, die den Geschöpfen eingeprägte Herrlichkeit des höchsten Werkmeisters erkennen zu lassen, ebenso mächtig sind, die Grundlehren der gesunden Philosophie auszurotten und die Sitten zu verderben, falls sie auf verkehrte Art in die zarten Gemüter eingesenkt werden. Deshalb wird für den Lehrer der Heiligen Schrift die Kenntnis der Naturwissenschaften ein gutes Hilfsmittel sein, um dadurch auch derartige gegen die göttlichen Bücher gerichteten Trugschlüsse leichter zu entlarven und zu widerlegen. – Sicherlich wird zwischen dem Theologen und Naturforscher kein wahrer Zwiespalt eintreten, wenn nur beide sich auf ihr Grenzgebiet beschränken, indem sie nach der Mahnung des heiligen Augustinus sich davor hüten, „dass sie etwas ohne Grund behaupten und das Unbekannte als bekannt ausgeben“ 50). Wenn sie aber verschiedener Ansicht sind, hat derselbe Lehrer für das Verhalten des Theologen die allgemeine Regel aufgestellt: „In allen Fällen, wo die Gelehrten ihre Behauptungen über die Natur der Dinge durch stichhaltige Gründe beweisen können, wollen wir zeigen, dass dieselben mit den Lehren der Heiligen Schrift nicht in Widerspruch stehen. So oft sie aber in irgend einem ihrer Werke eine unseren Schriften, d.h. dem katholischen Glauben widersprechende Behauptung, vorbringen, wollen wir, wenn dies irgendwie möglich ist, zeigen oder ohne allen Zweifel glauben, dass es grundfalsch ist.“ 51) Fragt man nach der Richtigkeit dieser Regel, so ist zuerst in Erwägung zu ziehen, dass die heiligen Schriftsteller, oder richtiger „der Geist, welcher durch sie redete, nicht beabsichtigt habe, den Menschen darüber (nämlich über das innerste Wesen der augenfälligen Dinge) Belehrungen zu geben, da sie niemand zum Heile nützen sollten“ 52), dass sie daher, statt direkt Naturforschung zu betreiben, die Dinge manchmal lieber auf bildliche Weise beschreiben und behandeln, oder auch so, wie es die vulgäre Ausdrucksweise in jener Zeit mit sich brachte, eine Sprache, die noch jetzt bei vielen Dingen im alltäglichen Leben, selbst unter den größten Gelehrten im Gebrauche ist. Da aber die Volkssprache die sinnfälligen Dinge anfänglich im eigentlichen Sinne ausdrückt, hat der heilige Schriftsteller (und das hat auch der englische Lehrer bemerkt) in ähnlicher Art „nach der sinnlichen Erscheinungsform berichtet“ 53) oder das mitgeteilt, was Gott selbst, zu den Menschen redend, nach ihrer Fassungskraft und nach menschlichem Sprachgebrauch ausgedrückt hat.

19 Wenn übrigens die Verteidigung der Heiligen Schrift mit Ernst zu betreiben ist, so folgt daraus nicht, dass alle Ansichten auf gleiche Weise aufrecht erhalten werden sollen, welche jeder einzelne Vater oder die nachfolgenden Ausleger bei ihrer Erklärung ausgesprochen haben. Denn diese haben je nach den Anschauungen ihrer Zeit geurteilt und bei Erörterung von Stellen, wo physische Dinge in Frage kommen, vielleicht nicht immer das Richtige getroffen, so zwar, dass sie manches als sicher aufstellten, was jetzt weniger Beifall finden könnte. Daher muss man bei ihren Auslegungen sorgfältig unterscheiden, was sie wirklich als zum Glauben gehörig oder engstens mit ihm verbunden vortragen, und was sie in einmütiger Übereinstimmung lehren. Den „in Dingen“, die nicht notwendig zum Glauben gehören, durften die Heiligen, sowie auch wir, verschiedener Ansicht sein“. Das ist ein Satz des heiligen Thomas 54), der auch an einer anderen Stelle die überaus kluge Bemerkung macht: „Mir scheint es sicher zu sein, derartige Lehren, welche die Philosophen allgemein annehmen, und die unserem Glauben nicht widersprechen, weder so zu behaupten wie Glaubenssätze, obwohl sie manchmal unter dem Namen der Philosophen Eingang finden, noch auch als glaubenswidrig zu verneinen, um nicht den Weisen dieser Welt Anlass zu bieten, die Glaubenslehre zu verachten. 55) Obwohl demgemäss der Ausleger zeigen muss, dass das, was die Naturforscher durch sichere Beweise bereits sicheres Ergebnis aufgestellt haben, der richtigen Schrifterklärung durchaus nicht widerstreite, so darf er doch nicht vergessen, dass es bisweilen vorkam, dass manches als sicheres Ergebnis von ihnen Vorgetragene hernach in Zweifel gezogen und verworfen worden ist. Sollten daher die Physiker in ihren Schriften die Grenzen ihres Faches überschreiten und sich mit verkehrten Aufstellungen auf das Gebiet der Philosophen werfen, so soll sie der Ausleger als Theologe zur Widerlegung an die Philosophen verweisen.

VIII. Die Unvereinbarkeit der Inspiration mit dem Irrtum

20 Diese Prinzipien können nach Belieben auf verwandte Wissenszweige, besonders auf die Geschichte Anwendung finden. Denn es ist beklagenswert, dass viele von den Männern, welche die Denkmäler des Altertums, die Sitten und Einrichtungen der Völker und die Zeugnisse ähnlicher Art um den Preis großer Anstrengungen durchforschen und zu Tage fördern, dies öfter in der Absicht tun, um einen Makel des Irrtums in den heiligen Büchern zu entdecken und dadurch ihr Ansehen in jeder Richtung zu schwächen und zu erschüttern. Manche verfahren hierbei in allzu feindseliger Gesinnung und ohne die nötige Unparteilichkeit. Sie setzen auf weltliche Schriften und geschichtliche Denkmäler der alten Zeit ein solches Vertrauen, als ob bei ihnen nicht einmal der Verdacht eines Irrtums vorhanden sein könne; bei den Büchern der Heiligen Schrift aber genügt ihnen ein bloß vermeintlicher und scheinbarer Irrtum, um ihnen ohne gehörige Prüfung allen Glauben zu versagen. Allerdings ist es möglich, das die Kopisten beim Abschreiben der Handschriften manchen Verstoß begingen; aber diese Schlussfolgerung ist nur nach reiflicher Prüfung und nur über solche Stellen statthaft, für welche der Fehler gehörig nachgewiesen ist. Auch kann es vorkommen, dass der echte Sinn einer Stelle zweifelhaft bleibt; aber dann werden für dessen Enträtselung die besten Regeln der Auslegung beste Dienste leisten. Doch bei alldem wäre es durchaus frevelhaft, die Inspiration nur auf einige Teile der Heiligen Schrift zu beschränken, oder zuzugeben, dass der heilige Verfasser selbst geirrt habe. Denn auch das Verfahren jener Männer ist nicht zulässig, welche diese Schwierigkeiten dadurch überwinden, indem sie ohne Anstand zugeben, dass die göttliche Inspiration sich auf weiter nichts als auf Gegenstände des Glaubens und der Sitten beschränke, weil sie von der falschen Ansicht befangen sind, wenn es sich um die Wahrheit der Lehren handelt, sei nicht so sehr zu erforschen, was Gott gesagt habe, als vielmehr zu erwägen, warum er es gesagt habe. Denn die Bücher allesamt und vollständig, welche die Kirche als heilige und Kanonische anerkennt, mit all ihren Teilen sind unter Eingebung des Heiligen Geistes verfasst. Aber weit entfernt, dass bei der göttlichen Inspiration ein Irrtum unterlaufen könne, schließt sie schon an und für sich nicht bloß jeden Irrtum aus, sondern schließt ihn als verwerflich ebenso notwendig aus, als es notwendig ist, dass Gott, die höchste Wahrheit, überhaupt nicht Urheber einer Irrtums ist. – Das ist der alte und beständige Glaube der Kirche, wie er auch durch feierliche Erklärung der Konzilien zu Florenz und Trient ausgesprochen, zuletzt bekräftigt und noch deutlicher erklärt worden ist auf dem Vatikanischen Konzil, welches geradezu gesagt hat: „Die Bücher des Alten und Neuen Testaments müssen vollständig, mit all ihren Teilen, wie sie im Dekret desselben Konzils (von Trient) aufgezählt und in der alten lateinischen Vulgata-Ausgabe enthalten sind als heilige und kanonische anerkannt werden. Die Kirche aber hält sie für heilige und kanonische Bücher nicht deshalb, weil sie durch bloß menschliche Tätigkeit zustande gekommen, durch ihr Ansehen gutgeheißen worden wären, noch auch bloß deshalb, weil sie die Offenbarung ohne Irrtum enthalten, sondern aus dem Grund, weil sie unter Eingebung des Heiligen Geistes verfasst, Gott zum Urheber haben.“ 56) Daher nützt es durchaus nichts zu sagen, dass der Heilige Geist Menschen als Werkzeuge zum Schreiben verwendet habe, und dass zwar nicht dem Haupturheber, wohl aber den inspirierten Verfassern etwas falsches habe entschlüpfen können. Denn er selbst hat sie durch eine übernatürliche Kraft so zum Schreiben angeregt und bestimmt, und den Verfassern also Beistand geleistet, dass sie all das und nur das, was er sie hieß, richtig im Geiste erfassten, getreulich niederschreiben wollten und passend mit unfehlbarer Wahrheit ausdrückten; sonst wäre der Heilige Geist nicht selbst Urheber der gesamten Heiligen Schrift. Diese Lehre haben die heiligen Väter immer als richtig angesehen. „Aus dem Grund“, sagt Augustinus, „weil die Verfasser niederschrieben, was der Heilige Geist ihnen zeigte und eingab, kann man durchaus nicht sagen, dass er selbst es nicht geschrieben hat, denn seine Glieder haben das ausgeführt, was sie unter Eingebung des Hauptes erkannt haben.“ 57) Der heilige Gregor der Große äußert sich ähnlich: „Es ist eine sehr überflüssige Frage, wer dieses Buch geschrieben hat, da nach treuem Glauben der Heilige Geist der Verfasser ist. Er also hat dies geschrieben, der es zu schreiben angab; er hat es geschrieben, der das Werk mit seinem Hauche beseelt hat.“ 58)

21 Daraus folgt, dass jene, welche meinen, in den echten Stellen der heiligen Bücher könne etwas Falsches enthalten sein, in der Tat entweder den katholischen Inspirationsbegriff verdrehen oder Gott selbst zum Urheber des Irrtums machen. Ja, alle Väter und Lehrer teilten die volle Überzeugung, dass die göttlichen Schriften, wie sie von den heiligen Schriftstellern ausgingen, von jedem Irrtum gänzlich frei seien. Deshalb haben sie sich bemüht, nicht wenige von den Stellen, welche etwas Widersprechendes oder Abweichendes zu enthalten schienen (und das sind ungefähr dieselben, welche man jetzt im Namen der modernen Wissenschaft einwendet), ebenso scharfsinnig als verehrungsvoll unter sich zu versöhnen und in Einklang zu bringen. Hierbei bekannten sie einstimmig, dass diese Bücher im Ganzen und nach ihren Teilen gleichmäßig von dem göttlichen Hauche beseelt seien, und dass Gott selbst, der durch die heiligen Verfasser gesprochen, gar nichts von der Wahrheit Abweichendes habe aufstellen können. Die Worte, welche ebenfalls Augustinus an Hieronymus schrieb, sollen im allgemeinen maßgebend sein: „Ich gestehe deiner Liebe, unter allen Büchern sind es einzig die Schriften, welche bereits kanonische heißen, denen ich eine solche Hochachtung und Verehrung darbringe, dass ich fest glaube, keiner ihrer Verfasser habe beim Schreiben in einem Punkte geirrt. Und wenn ich diesen Schriften auf etwas stoße, was mit der Wahrheit in Widerspruch zu sein scheint, so schließe ich daraus ohne Bedenken nur so viel, dass entweder die Handschrift fehlerhaft ist, oder dass der Übersetzer den Sinn der Worte nicht getroffen, oder dass ich sie gar nicht verstanden habe.“ 59)

22 Doch freilich mit dem ganzen Rüstzeug der wichtigeren Wissenszweige für die Heiligkeit der biblischen Bücher die erschöpfende und vollkommene Verteidigung zu führen, ist eine viel zu große Aufgabe, als dass sie sich einzig und allein von der Geschicklichkeit der Ausleger mit Recht erwarten ließe. Darum ist es wünschenswert, dass das gleiche Ziel auch jene katholischen Männer einmütigen Sinnes anstreben, deren Namen in den Profanwissenschaften guten Klang und Ansehen besitzt. An solch glänzenden Talenten fehlt es mit Gottes Gnade wahrlich der Kirche ebenso wenig wie jemals in der Vergangenheit. Ja, möchte ihre Zahl zum Schutze des Glaubens sich in Zukunft noch mehren! Denn nichts ist nach Unserer Meinung nötiger, als dass die Wahrheit Verteidiger gewinne, die an Zahl und Kraft ihre Widersacher übertreffen. Auch ist nichts mehr im Stande, dem Volk Hochachtung vor der Wahrheit einzuflößen, als wenn sich mit aller Offenheit Männer zu ihr bekennen, die sich in einem berühmten Fache glänzend hervortun. Ja noch mehr! Leicht wird auch der Hass unserer Verleumder verstummen oder sie werden wenigstens nicht wagen, den Glauben ohne Hemmung als einen Feind der Wissenschaft künftig zu brandmarken, wenn sie sehen, dass durch wissenschaftlichen Ruhm ausgezeichneten Männer dem Glauben die höchste Anerkennung und Hochachtung zollen. – Weil also jene Männer für die Religion so großen Nutzen stiften können, welchen Gott in seiner Güte zugleich mit der Gnade des katholischen Bekenntnisses glückliche Geistesanlagen verliehen hat, so mögen sie ohne Ausnahme bei dem jetzigen lebhaften Betrieb der wissenschaftlichen Studien, welche wie immer auch die Schrift berühren, ein ihnen zusagendes Studienfach auswählen, in welchem sie künftig hervorragend die gegen jene geschleuderten Pfeile gottloser Wissenschaft nicht ohne Ehre zurückweisen. – An dieser Stelle erweisen wir mit Wohlgefallen nach Verdienst jenem Plan mancher Katholiken vollen Beifall, welche, um gelehrten Männern die Möglichkeit zu bieten, solche Studien mit der ganzen Fülle von Hilfsmitteln zu betreiben und zu fördern, Gesellschaften gebildet haben und zu diesem Zwecke reichliche Geldspenden aufbringen. Das ist führwahr die Beste und ganz zeitgemäße Verwendungsart des Geldes. Denn je weniger die Katholiken auf Unterstützung für ihre Studien von Seiten des Staates hoffen, desto bereitwilliger und reichlicher soll sich die Privatwohltätigkeit entfalten, so dass diejenigen, welche Gott mit Reichtum gesegnet hat, diesen zur Sicherstellung des Schatzes der göttlichen Offenbarung verwenden wollen.

IX. Zusammenfassung

23 Damit aber solche Anstrengungen für die biblische Wissenschaft in Wahrheit nützlich werden, sollen sich die Gelehrten auf die von Uns oben aufgestellten Sätze als Prinzipien stützen. Außerdem sollen sie getreulich festhalten, dass Gott, der Schöpfer und Regierer des Weltalls, auch der Urheber der Schriften ist; dass sich deshalb aus der natürlichen Beschaffenheit der Dinge oder aus den geschichtlichen Denkmälern kein Resultat ergeben könne, das mit den Schriften wahrhaft in Widerspruch steht. Wenn sich also ein solcher Widerspruch zu finden scheint, ist er mit allem Fleiße zu beseitigen, sowohl durch Beiziehung des klugen Urteils der Theologen und Ausleger, was der richtigere und wahrscheinlichere Sinn der fraglichen Schriftstelle sei, als auch durch sorgfältigere Abwägung der Kraft der dagegen beigebrachten Beweisgründe. Doch darf man aus dem Grund den Eifer nicht aufgeben, wenn nachher noch den Schein für das Gegenteil zurückbleibt. Denn weil die Wahrheit der Wahrheit keineswegs widerstreiten kann, hat man als gewiss festzuhalten, dass sich entweder in die Auslegung der heiligen Worte oder in den andern Teil des Streitpunktes ein Irrtum eingeschlichen habe. Wenn aber auch keines von beiden zur Genüge klar ist, muss man unterdessen die Entscheidung aussetzen. Denn sehr vieles wurde aus den Wissensgebieten jeder Art lange Zeit und häufig gegen die Schrift vorgebracht, was jetzt als unbegründet ganz der Vergessenheit verfallen ist. In gleicher Weise wurden über gewisse Stellen der Schrift (die nicht direkt zur Glaubens- und Sittenregel gehören) ehedem nicht wenige Erklärungen vorgetragen, worin später eine schärfere Untersuchung richtiger gesehen hat. Denn die Gebilde der Meinungen zerstört der Tag, aber „die Wahrheit bleibt und gewinnt an Stärke auf ewig“ 60). Wie daher niemand sich anmaßen soll, dass er die ganze Schrift recht verstehe, von welcher der heilige Augustin 61) bekannte, dass das, was er nicht wisse, mehr sei, als was er wisse, so soll ein jeder, wenn etwas vorkommt, was zur Erklärung allzu schwer ist, jene Vorsicht der Mäßigung dieses Lehrers anwenden: „Besser ist es, unter unbekannte, aber nützliche Zeichen sich zu beugen, als durch ihre zwecklose Auslegung den Nacken dem Joche der Herrschaft zu entziehen und in den Schlingen des Irrtums zu verstricken.“ 62) – Wenn diejenigen, welche diese Hilfswissenschaften öffentlich vortragen, Unsere Ratschläge und Verordnungen gehörig und ehrfürchtig befolgen, wenn sie in Wort und Schrift die Ergebnisse ihrer Studien dazu verwenden, die Feinde der Wahrheit zu widerlegen und die Jugend vor jeder Schädigung im Glauben zu behüten, dann erst können sie sich freuen, in würdiger Tätigkeit ihre Dienste der Heiligen Schrift zu widmen und der katholischen Sache jene Hilfe zu leisten, welche sich die Kirche mit Recht und der Frömmigkeit und der Wissenschaftlichkeit ihre Söhne verspricht.

24 Das, Ehrwürdige Brüder, sind die Mahnungen und Vorschriften, welche Wir mit Gottes Beistand über das Studium der Heiligen Schrift den Zeitbedürfnissen entsprechend geben zu sollen dachten. Nun ist es an Euch zu sorgen, dass sie mit geziemender Gewissenhaftigkeit befolgt und beobachtet werden. Hierdurch wird der Dank, den wir Gott für die Mitteilung der Aussprüche seiner Weisheit an das Menschengeschlecht schulden, um so glänzender sich bekunden; auch werden die gewünschten Vorteile umso reichlicher ausströmen, zumal für die Bildung der jungen Geistlichkeit, welche der besondere Gegenstand unserer Sorge und die Hoffnung der Kirche ist. Ja mit Eurem Ansehen und Zuspruch bemüht Euch eifrig, dass die biblischen Studien in den Seminaren und auf den Hochschulen, welche Euerer Gewalt untergeben sind, in gehöriger Ehre und Blüte stehen. Unverfälscht und gedeihlich mögen sie blühen unter der maßvollen Leitung der Kirche, im Einklang mit den heilsamen Lehren und Beispielen der heiligen Väter und der lobwürdigen Gepflogenheit der Vorzeit; ja im Verlauf der Zeit mögen sie einen solchen Aufschwung nehmen, dass sie wirklich zum Schutz und zur Ehre der katholischen Wahrheit dienen, welche von Gott zum ewigen Heil der Völker bestimmt ist. – Endlich ermahnen Wir alle Zöglinge und Diener der Kirche in väterlicher Liebe, dass sie stets mit dem Gefühle tiefster Ehrfurcht und Frömmigkeit zu den heiligen Schriften hinzutreten. Denn es ist durchaus unmöglich, dass sich ihr Verständnis zum Heile, wie es nötig ist, erschließe, wenn nicht vorher die Anmaßung der irdischen Wissenschaft beiseite gesetzt und der Eifer für die von oben stammende Weisheit gewissenhaft erweckt wird. Wenn sich der Geist mit diesem Wissenszweig einmal befasst und von da Licht und Kraft empfängt, wird er eine wunderbare Stärke erlangen, dass er auch die vorkommenden Trugschlüsse der menschlichen Wissenschaft erkennt und meidet, gediegene Ergebnisse gewinnt und sie auf das Ewige bezieht. Infolgedessen vornehmlich wird die Seele von Eifer entflammt und so mit stärkerer Begeisterung nach dem Gewinn der Tugend und der göttlichen Liebe trachten: Glückselig, die erforschen seine Zeugnisse, die ihn suchen mit ihrem ganzen Herzen 63).

25 Und nun auf die Hoffnung der göttlichen Hilfe gestützt und im Vertrauen auf Euren Hirteneifer, erteilen Wir Euch allen, dem gesamten Klerus und jedem von Euch anvertrauten Volke als Unterpfand der göttlichen Gnaden und als Zeichen Unseres besonderen Wohlwollens in aller Liebe im Herrn den Apostolischen Segen.

Gegeben zu Rom bei St. Peter am 18. November 1893, im sechzehnten Jahre Unseres Pontifikates.

LEO PP. XIII.

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Anmerkungen

1 Conc. Vatic. Sess. III, cap. II, de revel.
2 Ebend.
3 S. Aug. de civ. Dei XI, 3.
4 S. Clem. Rom. I ad Cor. 45; S. Polycarp. Ad Phil. 7; S. Iren adv. Haer. II, 28, 2.
5 S. Chrys. In Gen. hom. 2,2; S. Aug. in Ps. XXX, serm. 2,1; S. Greg. M. ad Theod. Ep. IV, 31.
6 2 Tim. 3,16.17.
7 August. De util. Ered. XIV, 32.
8 Apg. 14,3.
9 S. Hieron. de studio Script. Ad Paulin. Ep. LIII, 3.
10 In Is. Prol.
11 In Is. LIV, 12.
12 1 Thess. 1,5.
13 Jerem. 23,29.
14 Hebr. 4,12.
15 De doctr. Christ. IV, 6, 7.
16 Chrys. In Gen. Hom. 60,3. August. De discipl. Christ. 2.
17 Athan. Ep. Fest. 39.
18 August. Serm. 26,24. Ambr. In Ps. CXVIII, serm. 19,2.
19 Hieron. De vita cler. Ad Nepot.
20 Greg. M. Regula past. II, 11 (al. 22); Moral. XVIII, 26 (al. 14).
21 August. Sermo 179, 1.
22 Greg. M. Regula past. III, 24 (al. 48).
23 1 Tim. 4,16.
24 Hieronymus in Mich. 1,10.
25 Conc. Trid. Sess. V, decr. De ref. c. 1.
26 Conc. Trid. Sess. V, deer. De ref. c. 2. 2.
27 1 Tim. 6,20.
28 Sess. IV, decr. De edit. et usu sacr. Libr.
29 De dotr. Christ. III, 4.
30 S. Hieron. ad Pammach.
31 S. Hieron. Ad Paulin, de studio script. Ep. LIII, 4.
32 Contra haer. IV, 26, 5.
33 Sess. III, cap. II, de revel.; cf. Conc. Trid. Sess. IV, decr. de edit. et usu sacr. libr.
34 Coc. Vat. Sess. III, cap. III de fide.
35 Ebend. 6,7.
36 Ad Honorat. de util. Cred. XVII, 35.
37 Rufinus, Hist. Eccl. II, 9.
38 S. August. Contra Iulian. II, 10, 37.
39 S. August. de Gen. Ad lit. lib. VIII, c. 7,13.
40 Cf. Clem. Alex. Strom. VII, 16; Orig. de princ. IV, 8; in Levit. hom. 4,8; Tertull. de praecr. 15 sqq.; S. Hilar. Pict. in Matth. 13, 1.
41 Greg. M. Moral. XX, 9 (al. 11).
42 Summa theol. p. I, q. I, a. 5 ad 2.
43 Ebend. a. 8.
44 Conc. Vatic. sess. III de fide.
45 Eph. 6,13ff.
46 Kol. 3,16.
47 S. Chrysost. de sacerd. IV, 4.
48 1 Kor. 9,22.
49 1 Petr. 3,15.
50 In Gen. op. imperf. IX, 30.
51 De Gen. ad litt. I, 21, 41.
52 S. August. Ibid. II, 9, 20.
53 Summa theol. I, q. LXX, a. 1 ad 3.
54 In Sent. II, dist. II, q. I, a. 3.
55 Opusc. X.
56 Sess. III, c. II de revel.
57 De consensu Evang. 1. I, c. 35.
58 Vorwort zu Job n. 2.
59 Ep. 82, 1 und sonst öfter.
60 3 Edras 4,38.
61 Ad Ianuar. Ep. LV, 21.
62 De doctr. Chr. III, 9, 18.
63 Ps. 118,2.

 
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