54. Jahrgang Nr. 3 / März 2024
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1. Hoffnung tanken
2. Leserbrief
3. Der Prüfer der Früchte
4. 'Pro Familia' im Visier des Rechnungshofes
5. Im Eiltempo vom Abseits ins Aus
6. Kampf der Kulturen
7. Buchbesprechungen:
8. Religion und Tyrannis
9. Kampf der 'political correctness'
10. Die Heiligen ... sind Rentner
11. Maria, in den Himmel aufgenommen
12. 100 Jahre Antimodernisteneid
13. Von Gottes Barmherzigkeit
14. Das Lächeln des Dalai Lama... und was dahintersteckt
15. Mitteilungen der Redaktion - wichtige Hinweise
Im Eiltempo vom Abseits ins Aus
 
Im Eiltempo vom Abseits ins Aus
- eine Bestandsaufnahme -


von
Eberhard Heller

Es gibt immer mehr Leute, die alle Entscheidungen, die im öffentlichen Leben gefällt werden, unter dem Verdacht einer Verschwörung sehen (wollen), der gegenüber man zwar machtlos ist, was man aber als 'Wissender' kompensieren kann. Man kann solche Personen ruhig bei ihren Vorstellungen belassen, denn vom wahren Sachverhalt überzeugen lassen sie sich nicht. Sie sind in ihrem Selbstbetrug eingemauert. Selbst die raue Wirklichkeit holt sie nur schwer ein.

Eines der entscheidenden Prinzipien der Freimaurerei - einmal abgesehen von ihren geheimen Planspielen in der Vergangenheit - lautet: alle Religionen (alle Systeme) haben untereinander die gleiche Berechtigung, sind gleich gültig. Wenn es darum egal ist, welcher Religion man angehört, werden die jeweiligen Religionen (u.a Christum, Judentum, Islam, Buddhismus) als solche in ihrer spezifischen Ausformung unbedeutend. Ihre Dogmen, Rituale, ihre Moral werden irrelevant, solange sie die Form eines religiösen Systems wahren, denn die Inhalte sind austauschbar. Diesem Prinzip des "gleich gültig" huldigt auch "Lumen gentium", wenn es behauptet, Christentum, Judentum, Islam seien (gleichberechtigte) Wege zum Heil. So wird dann aus dem "gleich gültig" ein "gleichgültig" (zusammengeschrieben), also Gleichgültigkeit, Beliebigkeit.

Dieses Prinzip der Gleichberechtigung aller Religionen bzw. Systeme hat längst die Mitte unserer Gesellschaft erreicht, es ist Allgemeineigentum geworden, auch und gerade im religiösen Bereich. (Man mache einmal den Versuch, in einem Gespräch mit Personen, die religiös sogar weniger engagiert sind, zu behaupten, die Protestanten seien eine Sekte, ihre Pastoren seien keine wirklichen Priester, sondern Laien, denen man nur eine bestimmte Aufgabe übertragen habe. Der Protest würde nicht abreißen: wie könnte man die Verletzung der Gleichberechtigung denn auch akzeptieren!) Darum war auch der Protest in den eigenen Reihen nur sehr gering, als Ratzinger/Benedikt XVI. zusammen mit dem Mufti in der Blauen Moschee in Istambul vor einigen Jahren gen Mekka betete. Selbst angeblich traditionsbewußte Christen versuchten diese Aktion mit politischen Motiven zu entschuldigen. Oder man denke an die Econer, welche vorgeblich angetreten sind zur Verteidigung des wahren Glaubens und ihr Ankuppelmanöver, womit sie Anschluß an ein Kirchen-System und dessen Anerkennung suchen, welches längst sämtliche unverwechselbaren und absoluten Momente aus ihrem System ausgeschlossen und verbannt hat. Um es für alle verständlich zu machen: auch Econe mit seiner 'katholisch' klingenden Propaganda huldigt in Wahrheit den freimaurerischen Prinzipien!

Um es zu wiederholen: aus dem "alles ist gleich gültig" mutiert das "alles ist gleichgültig". Das ist die Realität, die nicht mehr mit umgebundenen Schürzen umhergeht, sondern sich in fast allen Köpfen unserer Gesellschaft etabliert hat ... und keine Verschwörung.

Ich füge hier einen Gedanken ein, der mit dem bisherigen aufs engste verknüpft ist, aber meistens nicht angesprochen wird. Das "alles ist gleichgültig" heißt auch: alles ist austauchbar. Christus kann ausgetauscht werden gegen Mohammed oder Buddha oder aber gegen eine Mixtur aus allen Religionen. Man hat diese Art der Religion als Patchwork-Christentum bezeichnet. Das heißt aber auch, daß jeder seine Wahl der Religionsversatzstücke als seine 'Wahrheit' bestimmt, für die er als solche Anerkennung beansprucht, was ihm - im System der Gleichberechtigung oder Gleichgültigkeit - auch zugestanden wird. In dem so jeder sein eigenes 'Wahrheitssystem' aufbaut, in dem jede inhaltliche Bestimmung zur austauschbaren Chiffre mutiert, grenzt er sich ipso facto von anderen 'Wahrheitssystemen ab und schließlich auch aus. Weil austauchbar, bleibt alles im Unverbindlichen, weil aber ohne Verbindung, kapselt man sich gegenseitig ab, versinkt in der Isolation, im Solipsismus (solus ipse), in dem jeder nur die Welt, die andere Person von sich als Zentrum sieht. Leibniz spricht in diesem Zusammenhang von einer (fensterlosen) Monade, der jeglicher Zugang zur Außenwelt verwehrt ist (vgl.  Leibniz "Discours de métaphysique" 1686, mit der ersten systematischen Darstellung seiner "Monadologie"). Negativ gesprochen: jeder mauert sich so in sein System ein, inhaltlich isoliert von dem anderen oder den vielen anderen, die nur via Reflex seiner Gefühle existieren, zu denen man schließlich keinen Zugang mehr finden kann, weil die verschiedenen 'Wahrheitssysteme' keinen inhaltlich identischen Kontakt mehr zulassen, d.h. eine auf Liebe aufgebaute Ich-Du-Beziehung weicht im besten Fall einer Gefühlsbeziehung (oder Geschlechts-beziehung). Der Aufbau einer auf bestimmten Prinzipien stehenden Gesellschaft entfällt.

Wer meint, bei diesen Überlegungen handele es sich bloß um spekulative Gedankenspiele, dem rate ich, einmal das Anliegen, es gehe ihm um die Verteidigung des wahren Glaubens, gegenüber einem eingefleischten Reformer, für den die Kirche erst mit dem II. Vatikanum beginnt, vorzutragen und zu erläutern. Er wird bald feststellen müssen, daß er sich nicht mehr vermitteln kann. Seine Ideen von Dogma, Kirche, Moral werden von seinem reformerischen Gesprächspartner nicht mehr verstanden. Eine geistige Präzisierung der Glaubensinhalte, wie sie selbst noch vor dem II. Vatikanum durch den normalen Katechismusunterricht vermittelt wurden, ist einer diffusen, gefühlsbetonten Religiosität gewichen, wie sie z.B. in Taize gepflegt wird oder die die Millionen von jungen Leuten zu den Veranstaltungen von Karol Wojtyla getrieben hat.

Es geht nicht darum, daß jeder seine eigene Individualität ausbildet (ausbilden muß), die sich absolut von jeder anderen eines fremden Ichs unterscheidet, und die aufgebaut wird durch die Reihe der jeweiligen Entscheidungen und so zur Geschichte des Individuums wird, sondern darum, daß durch diese Trennung in beliebig viele 'Wahrheitssysteme' der Zugang zur anderen Person verschlossen wird, der normalerweise gewährleistet wird, in dem jeder an der gleichen Wahrheit partizipiert.

Dieser Relativismus, der sich bis hin zur völligen Gleichgültigkeit oder zur bloßen Gefühlsreligion ausgeweitet hat - man denke nur an die Millionen Jugendlichen, die Karol Wojtyla begeistern konnte! -, ist es, mit dem wir uns auseinanderzusetzen haben, den wir bekämpfen müssen, bevor wir uns der eigentlichen Glaubensbewahrung zuwenden können; denn wir sind alle Kinder unserer Zeit.

Aber - so wird jemand einwenden - haben wir das nicht all die Jahre , sogar mit einem gewissen Erfolg getan? Haben wir uns nicht gegen die Relativierung der Heilszuwendung Christi, die in der Allerlösungstheologie, wie sie in dem sog. NOM durch die Verfälschung der Wandlungsworte des "für viele" in das "für alle" angelegt war, gewehrt, indem wir den NOM als ungültigen Ritus durchschaut und deswegen eigene Meßzentren aufgebaut? Haben wir in unseren Reihen nicht Kleriker und Laien, die den Absolutheitsanspruch der Offenbarung Gottes in Jesus Christus nicht standhaft in vielen Publikationen vertreten? Haben wir nicht auch katholische Gruppierungen, die sich zu Gemeinden zusammengeschlossen haben, um so die Kirche fortzusetzen? Ja, es gibt die Meßzentren, die klaren Köpfe, die Stellung bezogen haben. Es gibt die Gemeinden, auch in Europa. Aber es hat sich in diesen Institutionen, den Priestern und Laien in den letzten Jahrzehnten ein immer größerer Widerspruch aufgetan, nämlich der zwischen Orthodoxie und Orthopraxie, zwischen Rechtgläubigkeit und rechtem Handeln, zwischen Anspruch und Verwirklichung.

Nach dem II. Vatikanum, welches zunächst einmal mit einem neuen Aufbruch, seinem "Aggiornamento", eine Belebung des religiösen Lebens zu versprechen schien, kamen die meisten, die sich nachher intensiv gegen die Zerstörung des Glaubensgutes zur Wehr setzten, erst sukzessive zur Erkenntnis, daß es sich bei den angeblichen Reformen um Verformungen, ja Verfälschungen handelte. Zu Beginn des Widerstandes, der sich allmählich weltweit formierte, gab es Priester und Laien, die nach anfänglicher Überforderung dann recht schnell die Gesamtproblematik der mit diesem Konzil eingeleiteten Reformen durchschaute. Es wurden Redaktionen gegründet, die sich mit deren theologischer Aufarbeitung beschäftigten und in relativ kurzer Zeit einen klärenden Überblick über den angerichteten Schaden vorlegen konnte. Die Zusammenarbeit gelang weltweit. Priester und Laien arbeiteten auf Augenhöhe gemeinsam, um nicht nur den Schaden zu dokumentieren, sondern auch nach Lösungen aus der Krise zu suchen, d.h. der Zerstörung entgegenzuwirken, indem man die alten Strukturen zu erhalten suchte. Und das war für eine ganze Reihe von Problemen, für die es in der Kirchengeschichte keine Vergleichsfälle gab, nicht einfach, denn der Abfall schien universal. Wie sollte die Vakanz des Stuhles Petri verkündet werden, wenn es keine kirchliche Autorität mehr gab, die dazu berechtigt war. (Erst 1982 war es S.E. Erzbischof Ngo-dinh-Thuc, der mit seiner "Declaratio" über die römische Vakanz autoritativ (nicht ex officio, sondern ex caritate) den Gläubigen weltweit Klarheit verschaffte.) Wie sollte man den Stuhl Petri wieder besetzen, wenn es kein Wahlgremium mehr gab. Es mußte in vielen Fällen theologisches Neuland beschritten werden. (N.b. ich erwähne nicht die vielen Gruppierungen, die sich nur scheinbar oder nur inkonsequent für den Erhalt des Glaubens und die Restitution der Kirche einsetzten und viele Gläubige verwirrten.

Es schien, als könne ein Wiederaufbau gelingen, nachdem Mgr. Thuc mit den ersten Bischofsweihen auch das Problem der apostolischen Sukzession eingrenzen konnte. Der Bruch kam, als die führenden Personen im Widerstand von Gott von dieser Welt abberufen wurden: H.H. P. Saenz y Arriaga aus Mexiko, der Paul VI. demaskiert hatte; Dr. Hugo Maria Kellner aus den U.S.A., der als einer der ersten sich dogmatisch und rechtlich mit den in den Refomen versteckt enthaltenen Häresien beschäftigt hatte und der Mgr. Lefebvres Programm als erster - 1972! - für falsch und ungenügend kritisiert hatte; H.H. Dr. Katzer, ein universal gebildeter Theologe, 1979; ihm folgte 1980 H.H. Pfr. Aßmayr, dessen Pfarrort Biberwier für Jahre zum geistig-geistlichen Refugium vieler Gläubiger gedient hatte; bald darauf starben S.E. Bischof Blasius Kurz, der Felix Jeker und den nachmaligen Bischof Storck zu Priestern geweiht hatte, und S.E. Erzbischof Thuc (1983); 1991 starb Bischof Carmona bei einem Autounfall, der durch die Eröffnung des Priesterseminars in Mexiko den Grundstein für den Erhalt des sakramentalen Priestertums gelegt hatte.

Zu einer großen Belastung des sich formierenden Widerstandes war die Auseinandersetzung, die uns von Mgr. Des Lauriers mit seiner These vom "Papa materialiter non formaliter" aufgezwungen worden war - ein Streit, der von seinen Anhängern bis heute weitergeführt wird. Er hemmte sowohl die innere Konsolidierung, was bei den Gläubigen einen großen Vertrauensverlust hervorrief, als auch den organisatorischen Ausbau - wie er z.B. in Econe bestens gelungen ist. Der Streit zwischen den neuen Bischöfen führte dazu, daß sich keine Autorität herausbilden konnte, die allgemeine Zustimmung erhalten hätte. Eine Ausnahme bildete Bischof Carmona, der es nach dem Tode seines Konsekrators Thuc geschafft hatte, das Vertrauen der Gläubigen zu gewinnen. Sein tragischer Tod 1991 markiert zugleich die Bruchstelle, von der aus das Interesse am kirchlichen Aufbau zu erlöschen begann.

1. Zu diesen personellen und theoretischen Querelen kam aber noch ein weiteres Problem hinzu, welches nicht nur einen zügigen Ausbau des Widerstandes verhinderte, sondern diesen direkt paralysierte. Ich meine die nachkommende Generation junger Priester - von wenigen Ausnahmen abgesehen -, die in der Mehrzahl die Kirche vor dem II. Vatikanum nur aus Erzählungen kannte. Ihr mangelte es an geistiger Formation, an einem gründlichen Studium, dem Willen, sich trotz der realen Schwierigkeiten umfassend zu bilden, und dem Entschluß, sich dem Aufbau von Gemeinden und der Restitution der Kirche mit voller Kraft zu widmen. Den meisten fehlt einfach das Problembewußtsein, sich selbst den aktuellen Problemen zu stellen.

Wer solche Behauptungen als Unterstellung zurückweisen möchte, dem empfehle ich, einen dieser jungen Priester die Frage vorzulegen, wo denn heute die Kirche sei oder wer ihm denn den Auftrag gegeben hat, überhaupt als Priester zu wirken und die Messe zu lesen, was er doch nur im Auftrag der Kirche tun dürfe.

2. Die ehemals gemeinsame Sorge von Klerikern und Laien um das Bestehen der Kirche als Heilsinstitution und die Bewältigung der damit verbundenen Probleme ist verdrängt worden durch einen neuen Kastendünkel der Kleriker, die sich zwar als Vertreter der Kirche sehen, diesem Anspruch aber nicht gerecht werden, weil sie sich den damit verbundenen Aufgaben entziehen. Dieser neue Klerikalismus, begleitet von einem absurden Auserwähltheitsbewußtsein, wird auch von Laien unterstützt, die auf eigenes (Nach)Denken verzichten, um es der 'Autorität' zu überlassen und um sich so in deren Abhängigkeit begeben zu können. Daß solches Fehlverhalten, dieser Dünkel wieder entstehen würde, war für mich bis dahin neu: bis dahin galten Argumente unter Klerikern und Laien, es herrschte allseitiger Respekt. Plötzlich erfährt man, daß man "Laie" ist. Argumente wurden durch die 'Soutane' (in Deutschland bis dahin fremd) ersetzt.

3. Diese Haltung wirkte sich folgenschwer auf die Pastoral aus. Anstatt sich der Zusammenführung der Gläubigen zu widmen, verlagerte sich die Seelsorge zusehends auf die sakramentale Bedienung von Einzelpersonen. Sie ist schließlich zum bloßen 'Kundendienst' degradiert. Und diese Klientelpolitik ist die Hauptursache für die Vereinzelung der Gläubigen, für deren geistige Ausgesetztheit in der Diaspora. So sind viele Kleriker vom katholischen Priester zum katholisierenden Sektierer mutiert.

4. Auch das sollte nicht ausgespart bleiben: die neuen Vorschriften in der Kleiderordnung. Eine ganze Reihe von Klerikern (und Laien) verlangen beim Kirchenbesuch von den Frauen rigoros das Tragen von Kopftüchern. Es wird teilweise sogar als Voraussetzung für den Sakramentenempfang angesehen. Und viele gehen auf diese Erpressung ein. So werden religiöse Konventionen (Bräuche), die so rigoros selbst in Mexiko früher nicht gehandhabt wurden, gleichsam zu Ersatz-'Dogmen' hochstilisiert.

Resultat:

All diese Fehlhaltungen haben dazu geeführt, daß das eigentliche Ziel unserer früheren Bemühungen und Anstrengungen zum Wiederaufbau der Kirche aus dem Fokus und ins Stocken geraten ist. Daß wir heute da stehen, wo wir stehen, daß wir unser religiöses Leben als Einzelkämpfer führen müssen, in der Vereinzelung, in der Diaspora, haben wir nicht Fremdverschulden zuzuschreiben, sondern unserem eigenen Versagen, dem Unwillen, eine Situation ernst zu nehmen und sie zu meistern, die uns vorgegeben war durch die Beschlüsse des II. Vatikanums. Aus purem Heilsegoismus wurde aber die dadurch entstandene universale Aufgabe auf die Minimalanforderung reduziert: Nur die 'alte' Messe, egal, wer sie liest. Das war zugleich der Schritt vom Abseits ins Aus... oder - um einen Titel des Buches von Thilo Sarrazin zu zitieren - die angeblich katholisch gebliebene Kirche "schafft sich ab", zusammen mit den Econern, die als Totengräber die Rolle von Zeitzeugen übernommen haben.
 
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