54. Jahrgang Nr. 3 / März 2024
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1. Kann man die römisch-katholische Kirche verlassen?
2. Eine allumfassende moderne Irrlehre: Der Hominismus - die Vergöttlichung des Menschen
3. Tuet dies zu meinem Gedächtnis (Lk. 22,19)
4. Interview: Fragen an die Journalistin und Bestsellerautorin Birgit Kelle (40)
5. Demografischer Niedergang und das Aussterben der Deutschen
6. Ich habe die Welt als ein Ganzes betrachtet
7. Buchbesprechungen
8. Ehre sei dem Vater und dem Sohne und dem Heiligen Geiste
9. Mein Herz gehört mir
10. Patientenverfügung für Katholiken
11. Vorsorgliche Willensbekundung in Bezug auf medizinische Behandlung und Pflege
12. Hinweis auf die Gründung eines Gebetskreises im Raum München
13. NACHRICHTEN, NACHRICHTEN, NACHRICHTEN...
14. Mitteilungen der Redaktion
Kann man die römisch-katholische Kirche verlassen?
 
Kann man die römisch-katholische Kirche verlassen?
 
Hinweis:

Die Frage ist mißverständlich. Um sie aufzulösen, sollen die nachfolgenden Darstellungen dienen. Ausgelöst wurde die Debatte durch eine Passage in den "Mitteilungen der Redaktion" vom April 2015. Dort hatte ich geschrieben: "Wir leben in dieser Welt und in ihr müssen wir bestehen. Alles andere ist Flucht, ist Feigheit oder Faulheit bzw. bewußte Verkrustung in angeblich heilen und unwandelbaren Formen, die eine Auseinandersetzung mit den Realitäten überflüssig machen sollen. Ich kann gut verstehen, wenn einige zur griechisch- oder russisch-orthodoxen Kirche übertreten, weil sie nach geistiger Heimat suchen. Aber ich bin in der römisch-katholischen Kirche groß geworden und habe keinen Grund, sie zu verlassen."

Darauf hatte Herr Cordo folgenden "Offenen Brief" geschrieben, den ich im Interesse einer durchgehenden Klärung gerne abdrucke.

Eberhard Heller
***
Offener Brief an die Redaktion der EINSICHT

26. April 2015
Sehr geehrter Herr Dr. E. Heller!

Vor allem möchte ich mich bei Ihnen bedanken für die lehrreiche, zugleich einfühlsame Abhandlung  „Entlassen in die Selbständigkeit“.

Es ist eigentlich in diesem Sinne, dass mich verwundert hat Ihre Anmerkung zum Schluss des Heftes, Sie seien in der römisch-katholischen Kirche groß geworden und hätten keinen Grund, sie zu verlassen. Ob die Römisch-Katholische Kirche verlassen werden kann, scheint fraglich – vielleicht gar fragwürdig. Denn
1. „Römisch-Katholisch“ gilt als nähere Bestimmung des Katholischen überhaupt.
2. „Römisch“ (Romana) zählt nicht zu den Wesensmerkmalen des Genos Kirche:  una – sancta – catholica – apostolica.
3. Wohl haben (hatten) wir ein Eidos Ecclesia Romana (eἶdoς, Sichtbares), doch kein Genos Romana Ecclesia.
4. Sollte sich die römische Sukzession in die Apostasie begeben haben, so erfüllt das Eidos Ecclesia Romana nicht mehr die Bedingung (causa sine qua non) des Apostolischen und ist somit nicht dem Genos Ecclesia zuzuordnen: es hat aufgehört zu sein.
5. Sicher bin ich vertraut mit dem evangelischen Grundsatz: Ubi Petrus, ibi Ecclesia. Er bezieht sich aber nicht auf die Knochen des damaligen Petrus, sondern auf den jeweils aktuellen Petrus.
6. Eine weitere, damit verbundene Frage lautete, ob das Genos "Kirche" überhaupt noch aktuell ist. Wenn schon, dann müsste zumindest ein entsprechendes Eidos auch aktuell sein – das z. Z. selbstverständlich kein römisches wäre.

Es mag befremden, aber es ist in der Tat die Römisch-Katholische Kirche, die uns verlassen hat, nicht wir sie. Das könnten wir nicht: sie besteht ja nicht mehr.

Mit freundlichen Grüßen,
Luciano A. Cordo
***
Antwort an Herrn Luciano A. Cordo
6. Mai 2015
Sehr geehrter Herr Cordo,

Vielen Dank für Ihre Zeilen, die mir die Möglichkeit geben, ein entstandenes Mißverständnis leicht zu klären.

Seit Beginn unserer Arbeit - das war vor knapp 45 Jahren! - haben wir dafür geworben, daß die Gläubigen in Deutschland, wo es für Mitglieder einer Kirchengemeinde eine vom Staat erhobene Kirchensteuer gibt, den Steuerverband "Römisch-katholische Kirche" zu verlassen, um zu verhindern, daß mit diesen Geldern der Ruin der Kirche noch finanziert wird. Mit dem Verlassen des Steuerverband "Römisch-katholische Kirche" war aber zugleich auch festgestellt worden, daß damit kein Verlassen der Kirche als geistiger, religiöser Gemeinschaft intendiert sein durfte. Es geht also um eine exakte begriffliche Bestimmung einer Kirche, die sich in Auflösung befindet, und das ist nicht ganz ein-fach.

Mit folgenden Ausführungen hatten wir diesen Schritt des "Austrittes" begründet:
"Innerhalb der katholischen Kirche ist es im Zuge des nachkonziliaren Reformismus immer offenkundiger geworden, daß ihre offiziellen Vertreter durch bewußte Förderung oder offene Duldung den wahren Glauben verfälscht, die Liturgie an zentraler Stelle zerstört und die Gläubigen in ihrem religiösen und sittlichen Verhalten verwirrt haben.
Ich vermag deshalb die derzeitige allgemeine kirchliche Organisation in Deutschland nicht mehr als die Repräsentantin der wahren römisch-katholischen Kirche, der ich durch meine Taufe angehöre, anzuerkennen, unter anderem speziell deshalb nicht, weil durch die öffentlichen Verlautbarungen des für mich zuständigen Bischofs xxx, sich mit den reformistischen Sekten unter Aufgabe des wahren Glaubens, trotz aller gegenteiligen Beteuerungen zu vereinigen, der durch den wahren Glauben begründete und absolut geltende Anspruch der Kirche Jesu Christi ausdrücklich geleugnet und aufgegeben werden soll.
Ein Kirchenvertreter, der dieser häretischen Tendenz anhängt, hört nach dem CIC auf, als katholischer Bischof zu sprechen und verwirkt zugleich auch den zu Recht bestehen-den Anspruch, von seinen Mitgliedern materielle Zuwendungen zu verlangen, die auf Grund der gegenwärtig bestehenden gesetzlichen Regelung durch den Staat als Kirchensteuern erhoben werden.
Da überdies durch den Willen der Kirchenführer zu einer Einheit, die den wahren Glauben bezweifelt und verwirft, sich die Kirche als wahre Kirche Christi, als römisch-katholische Kirche, selbst aufgibt, (…) sehe ich mich zu folgender Erklärung veranlaßt (…):
Ich erkläre hiermit, daß ich aus der steuerberechtigten Körperschaft des öffentlichen Rechts "römisch-katholische Kirche" der Diözese xxx austrete. Diese Erklärung bezieht sich jedoch nicht auf meine Zugehörigkeit zur römisch-katholischen Kirche als sichtbarer Glaubensgemeinschaft, der ich weiterhin angehören will."

Die hier wiedergegebene Erklärung ist eine leicht variierte Version der Ausarbeitung von dem Juristen Dr. Hubert Necknig, die bereits im Dezember 1971 in der EINSICHT veröffentlicht worden war. Es ging damals und es geht heute ebenso noch klar zu machen, daß zwischen der Zugehörigkeit zur wahren Kirche und zu der Institution, die den Titel "römisch-katholische Kirche" nur okkupiert, genau unterschieden wird.

Um diesen Unterschied auch klar zu machen, hatte der hl. Athanasius im Hinblick auf die arianischen Auseinandersetzungen an seine Gemeinde geschrieben:

"Gott möge Euch trösten: (...) Daß die andern mit Gewalt die Kirche besetzt halten, während Ihr in diesen Zeiten draußen seid, das ist es, was Euch so sehr betrübt. Das sind die Realitäten, sie haben die Orte, Ihr aber habt den apostolischen Glauben. Mögen jene auch unsere Kirchen besetzen, so stehen sie doch außerhalb des wahren Glaubens. Ihr aber bleibt, die Ihr außerhalb der Kultstätten seid, denn in Euch ist der Glaube. Denken wir nach: was ist das Wichtigste der Ort oder der Glaube? Der wahre Glaube selbstverständlich. Wer hat in diesem Kampf gewonnen, wer hat verloren, jener der den Ort innehat oder jener der den Glauben bewahrt? Der Ort - und das ist wahr - ist gut, wenn man dort den apostolischen Glauben lehrt. Er ist heilig, wenn dort alles heilig ausgeübt wird.
Ihr seid die Glücklichen, die Ihr in der Kirche durch Euren Glauben verbleibt, Ihr, die Ihr festhaltet an den Fundamenten des Glaubens, der Euch durch die apostolische Tradition überliefert worden ist. (…) Niemand wird jemals Euren Glauben überwinden, geliebte Brüder. Und wir glauben, daß Gott uns eines Tages unsere Kirchen zurückgeben wird. Je mehr nun also jene sich anstrengen, die Heiligen Stätten zu besetzen, umso mehr trennen sie sich von der Kirche. Sie behaupten von sich die Kirche zu repräsentieren, in Wirklichkeit spalten sie sich von ihr ab und verirren sich.
Die Katholiken, die treu zur Tradition stehen, selbst wenn es nur noch eine Handvoll ist, diese sind es, die die wahre Kirche Jesu Christi darstellen." (Übersetzung aus dem Französischen nach "Coll. selecta SS Eccl. Patrum Caillau et Guilou, t.32, p. 411-412 - publ. in EINSICHT vom Jan./Febr. 1975)  

Der Priester Arius hatte um 319 begonnen, seine christologischen Irrlehren zu verbreiten, indem er behauptete, Christus sei nicht wesensgleich mit dem Vater. Athanasius begleitete den Patriarchen Alexander als Diakon zum Konzil von Nicäa. Hier wurde die orthodoxe Christologie festgeschrieben, wonach Jesus Christus als Sohn Gottes mit Gottvater ὁμοούσιος (homoousios) sei, also wesensgleich und nicht bloß – ὁμοιούσιος (homoiousios), das heißt wesensähnlich, wie Arius es lehrte. Doch zunächst setzte sich die arianische Irrlehre fest. Um den Gläubigen, die dem wahren Glauben treu geblieben waren, Trost zu spenden, hatte Athanasius den Brief geschrieben, in dem er den Unterschied zwischen Glaubensgemeinschaft und häretischer Organisation traf. Genau diese Unterscheidung hatte ich gemeint, als ich schrieb, daß ich keinen Grund sehe, diese religiöse Gemeinschaft zu verlassen. (N.b. diejenigen, die unsere Publikationen seit Jahren verfolgen, hatten mit dieser - zugegebenermaßen - pauschalen und zu Irritationen neigenden Bemerkung keine Probleme.)

Sie, Herr Cordo, schreiben: "Es mag befremden, aber es ist in der Tat die Römisch-Katholische Kirche, die uns verlassen hat, nicht wir sie." Aber diese Formulierung - so plausibel sie zunächst klingen mag - ist ebenso mißverständlich, weil sie vorgibt, daß die abgefallene Organisation die wahre Kirche sein könnte. Sie - die sog. Amtskirche hat uns, die rechtgläubigen, katholischen Christen "verlassen", weil sie abgefallen ist. Also terminologisch bewegen wir uns auf einem dünnen Eis… und der Sachverhalt läßt sich nur eindeutig klären, wenn man von den terminologischen Spielereien abrückt und den Sachverhalt direkt anspricht. Die Verheißung Christi: "Du bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich meine Kirche bauen, und die Pforten der Hölle werden sie nicht überwältigen" (Math. 16, 18) besagt doch, daß die Kirche weiterbestehen bleibt, in welcher Form allerdings, sagt sie nicht: es bleibt offen, ob sie als hierarchisch gegliederte und geleitete Gesamtkirche, als in Teile zerfallene Kirche mit schismatischen Teilkirchen, als Diaspo-raKirche, wie wir es z.Zt. erleben, bestehen bleibt.
Die bereits zitierte Definition des hl. Athanasius versucht den Zustand zu beschreiben, in dem die Hierarchie abgefallen, die "Societas perfecta" zerstört ist, wo aber dennoch Gläubige am Depositum fidei festhalten: "Die Katholiken, die treu zur Tradition stehen, (…) sind es, die die wahre Kirche Jesu Christi darstellen."

Weil es diese "Societas“ nicht mehr gibt, fühlen sich immer mehr Gläubige verlassen, geistig verarmt und einsam. Inzwischen sind wir fast alle Diaspora-Christen, d.h. Gläubige, die in der Vereinzelung leben ohne spirituelle Hilfe. Gerade deswegen, weil sich die Gläubigen verlassen fühlen, bin ich "heimatlos" und "obdachlos" geworden, weswegen eine Reihe von Gläubigen sich dazu veranlaßt sah, ein neues "Zuhause" zu suchen. Sie sind zu einer der orthodoxen Kirchen konvertiert, wo sie wieder eine geistige Heimat gefunden haben. Und wenn man einmal erlebt, wie lebendiges religiöses Leben aussehen könnte, welches in der Orthodoxie stattfindet - Liturgie, die einen trägt -, und die Probleme, die wir haben, einfach verschwinden, und man mit Verbitterung registrieren muß, was uns Diaspora-Christen vorenthalten wird, kann ich einen solchen Schritt verstehen. Für meine Person ist das keine Lösung. Wenn Gott uns diese derzeitige Einsamkeit, ja Vereinsamung aufgibt, dann sehe ich es als meine Pflicht an, diesen Zustand zu ertragen. Ich sehe diese Verlassenheit als Aufgabe, die mir so gestellt ist und der ich mich mit Gottes Hilfe auch stellen will. Darum: ich verlasse die katholische Kirche (als Glaubensgemeinschaft!!!) nicht, obwohl ich weiß, daß ein sicheres Haus, d.h. eine intakte religiöse kirchliche Gemeinschaft - wie es vielfach die orthodoxen Kirchen noch sind -einem Heimat und Sicherheit schenken können. Und ich habe ja gezeigt, welche Möglichkeiten uns bleiben, ein religiöses Leben zu führen ohne klerikal-kirchliche Strukturen. Also deshalb habe ich geschrieben, ich bleibe in der römisch-katholischen Kirche als Glaubensgemeinschaft, ohne den Weg der Konversion zu gehen.

Am Schluß schreiben Sie, wir könnten die "Römisch-Katholische Kirche" nicht verlassen, denn "sie besteht ja nicht mehr". So ganz kann ich dem nicht zustimmen, wenn man sich auf die Verheißung Christi an Petrus stützt (vgl. Matt. 16,18)… ohne dieser sich präsentierenden Amtskirche, die sich offiziell immer noch als "Römisch-Katholische Kirche" zeigt, wahren kirchlichen Charakter zuzumessen, den sie zwar okkupiert, den sie sich aber gerne beimessen möchte. Darum haben wir bei dem Verlassen dieser Organisation - dem sog. "Kirchenaustritt, s.o. - diesen Titel "Römisch-Katholische Kirche" auf den zutreffenden Terminus fest gemacht - geltend zumindest für die deutschen, rechtlichen Verhältnisse - auf "steuerberechtigte Körperschaft des öffentlichen Rechts römisch-katholische Kirche".

Damit dürften die angesprochenen Probleme einstweilen beantwortet sein… wenn sich nicht innerhalb der Gemeinschaft, die noch nach dem hl. Athanasius wegen ihrer Treue zur Tradition die wahre Kirche Jesu Christi darstellen sollen/wollen, Tendenzen aufgetan hätten, die den kirchlichen Charakter ihres Zustandes in Frage stellen würden. Ich meine die Tendenz vieler sog. Traditions-Katholiken, die sich in sektiererischer Manier isolieren, den kirchlichen Zustand ignorieren und - zumindest ist das bei den meisten traditionsbewußten Priestern so - selbständige pastorale Gebilde, gleichsam autokephal, aufbauen, ohne daran zu arbeiten, den desolaten Zustand durch Wiederaufbau zu beenden.

Kann man diesen Kreisen noch das Prädikat einer katholischen Glaubensgemeinschaft zukommen lassen? Ich bezweifle das.

Mit freundlichen Grüßen
Eberhard Heller

 
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