DIE SAAT IST AUFGEGANGEN
von
Eberhard Heller
Vorbemerkung
Es geschieht häufig sehr leicht, daß man in Auseinandersetzungen wie
z.B. in der mit den konziliaren Reformen und der Darstellung des
orthodoxen Standpunktes sich in seinem Blickfeld apologetisch einengen
läßt und darüber die neu geschaffenen gesellschaftlichen Realitäten,
die durch eben jene reformerischen - besser: revolutionären - Ideen
bereits gestaltet werden, einfach ignoriert oder aus den Augen
verliert. Deshalb verdient der Beitrag von Klaus-Dieter Steil in den
SAKA-INFORMATIONEN vom Juli/August 1993, S. 149 ff., indem er die
beiden bisher erschienenen Bände der religionssoziologischen
Untersuchungen von Heiner Barz ("Religion ohne Institution", 1. Bd.,
und "Postmoderne Religion'", 2. Bd., Heidelberg 1992) vorstellt,
besondere Beachtung. Der Soziologe Barz geht in seinen beiden Studien
auf die religiöse Einstellung von vornehmlich protestantisch geprägten
Jugendlichen im Alter von 12 bis 24 Jahren ein, die unverheiratet sind
und noch keine feste Berufsanstellung haben Die von ihm erstellten
Erhebungen stellen einen soziologischen Querschnitt dar, den er im
Auftrag der "Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend in der BRD"
durchgeführt hat. Es handelt sich also um eine geistig-religiöse
Bestandsaufnahme der aktuellen Situation.
Hier soll nun nicht die Darstellung der barzschen Studien referiert
werden - die folgenden Ausführungen wollen die Lektüre von Steils
Aufsatz in den SAKA-INFORMATIONEN nicht ersetzen -, sondern ich habe
die Absicht, zunächst einige der wichtigsten Resultate des barzschen
Reports vorzustellen. Dann soll untersucht werden, ob und welche
Einflüsse und Ideen des konziliaren Reformismus mitbestimmend für die
Entwicklung und die Einstellung in der heutigen Jugend sind, die von
Barz als Beleg dafür gewertet werden, "daß die Endzeit nun definitiv angebrochen sei."
(FAZ vom 10.12.92) Schließlich will ich noch aufzeigen, wie diese
inzwischen gottlos gewordene oder gottferne Jugend gegebenenfalls
wieder missioniert werden könnte und welche Chancen solche
Anstrengungen haben würden
1.
Wie Steil zeigt, arbeitet Barz bei seinen Erhebungen unter den
Jugendlichen mit sehr weit gefaßten religiösen Parametern, die einem
funktionalen Religionsbegriff entsprechen, der der protestantischen
Theologie und deren Kirchenauffassung entnommen ist. Steil beschreibt
diesen Begriff so: "Religion ist hierbei der letzte Sinnhorizont, der
allgemeine Symbolrahmen einer Gesellschaft oder einer Gruppe. Unter
seinen breiten Religionsbegriff subsummiert Barz nicht nur die
Ritualteilnahme und die Zustimmung zu dogmatischen Aussagen, sondern
auch die Alltagsrelevanz religiöser Überzeugungen, den subjektiven
Stellenwert konkurrierender Sinn-, Freizeit- und
Krisenbewältigungsangebote, die Einbettung von Religion ins soziale
Ganze. Barz spricht von 'Religion in Anführungszeichen', deren Spuren
er im Zeitalter der 'unsichtbaren Religion' zu sichern sucht."
(SAKA-INFORMATIONEN, S. 150)
1.1
Trotz möglicher methodischer Einwände
a) gegen die begriffliche Festlegung des religiösen Bereiches - nach
den angegebenen Parametern ließ sich sicherlich nicht feststellen, ob
jemand orthodox katholisch wäre; man kann sie auch nur 'tolerieren',
weil es sich um Testpersonen (aus protestantischem Umfeld) handelt,
deren Religionsbegriff sicherlich nicht sehr ausgeprägt gewesen sein
dürfte - und
b) gegen die Repräsentanz der erhobenen Daten bleibt das Ergebnis
dennoch bemerkenswert: Der Verlust jeglicher - auch deminuierter-
Glaubensinhalte, selbst bei noch 'kirchen'nahen Jugendlichen, wird
überdeutlich; Christus als Mensch gewordener Sohn Gottes ist zwar noch
nicht vollständig aus dem Bewußtsein der Jugendlichen entschwunden,
doch wird Er von Kirchenfemen nicht mehr ernst genommen Begriffe wie
"Himmel und Hölle", "Fegfeuer" und "Jüngstes Gericht" und "Gnade"
werden nicht mehr verstanden oder "nötigen bestenfalls noch zum
Schmunzeln" (SAKA, op cit., S 150). An die Erlösungstat Christi durch
seinen Opfertod am Kreuz wird kaum noch geglaubt. Die Vorstellung von
der Sünde, von etwas objektiv Bösem, gehört einer Ideenwelt an, die der
Auffassung, alle Entscheidungen nur sich selbst gegenüber verantworten
und bewerten zu müssen, nicht nur nicht entspricht, sondern als
moralische Anmaßung empfunden wird (Hier zeigen sich Parallelen zur
entsprechenden Auffassung Satres) Die Erbsündenlehre ist entweder in
Vergessenheit geraten oder wird als dem freien Willen widersprechend
abgelehnt.
1.2
Um endlich zu erfahren, an was denn die Jugendlichen überhaupt noch
glaubten, erhielt Barz von den Kirchenfernen und denen, die er
gleichsam als "Häretiker" einstuft, d s. Jugendliche, die noch
Berührung mit einer (protestantischen) 'Kirchen' -Gemeinschaft haben,
aber sich z B. der New-Age-Bewegung angeschlossen haben, die
unterschiedlichsten Antworten Diese faßte er, um das gesamte
'Glaubens"-Spektrum aufzeigen zu können, in dem sog "Credo 1991"
zusammen:
"Ich glaube an mich selbst,
ich glaube an nichts Übernatürliches,
ich glaube an Gott und Satan, die sich mir im Kosmos zeigen,
ich glaube an die experimentelle Wissenschaft,
ich glaube an die Wiedergeburt,
ich glaube an paranormale Phänomene,
ich glaube, daß ich mich von anerzogenem Traditionsballast erst freimachen muß, um zu mir selbst zu finden,
ich glaube, daß alle Religionen wahr und unwahr sind und sich jeder seine Religion zusammenzimmern muß,
ich glaube nur, wenn ich etwas davon habe " (Barz, op cit, S 115)
Wie Steil anhand des barzschen Berichtes weiter zeigt, bewerten viele
Jugendliche Religion als "Zeichen von Schwäche; nur wer nicht stark
genug ist, für sich selbst verantwortlich zu sein, sucht Halt im
Glauben Dies führt mit zu einem negativen Image von Religion " (Steil,
op. cit., S 151) *)
1.3
Entsprechend dem Schwinden der eigentlichen Glaubensinhalte ist auch
das Verständnis der Kirche bzw. 'Kirche' als Institution verblaßt. In
ihr wird nur ein institutionalisierter, aufgeblähter Machtapparat
gesehen mit überkommenen Strukturen, bestenfalls noch geeignet als
"spiritueller Partyservice" (Steil, op. cit. S. 151). Über die
Akzeptanz einer solchermaßen bewerteten Institution braucht sich
deshalb niemand Illusionen zu machen.
Um zu begreifen, welche geistigen Entscheidungen hier gefallen sind,
sei noch gezeigt, in welchem religiösen Spektrum wir uns bewegen
müssen, um die Situation dieser - meiner Meinung nach verführten und
verlassenen - Jugendlichen zu begreifen und um den Abstand auszuloten,
der sie vom wahren Glauben trennt. Für Jugendliche, die Barz
uneigentlich "Härtiker" nennt - vgl. oben -, also die dem New-Age oder
sogar dem Okkultismus anhängen, hat Religion noch eine funktionelle
Bedeutung, weswegen man religiösen Rituale und Sinnhorizonte als solche
nicht eliminieren kann, sondern sie sich selbst schaffen muß. Diese
Gruppe bildet nach Barz sogar noch die spirituelle Elite!
1.4
Hier füge ich noch einige Anmerkungen zu den Ersatz-Positionen an, die
anstelle der aufgegegebenen oder nicht vermittelten wahren Religion
eingenommen werden. An ihre Stelle tritt nach den Ergebnissen von Barz
die Errichtung eudämonistischer Sinnhorizonte, d.i "die Orientierung am
eigenen Ich" (Steil, op cit., S. 151). Das Christentum bedeutet vielen
Jugendlichen deshalb nichts mehr (oder nur sehr wenig), weil man
eigentlich alles hat, was man zum Leben braucht. Steil referiert: "Barz
spricht vom 'heiligen Diesseits', welches durch eine steigende
Pluralisierung der Sinnhorizonte und einer damit einhergehenden
steigenden Individualisierung der Sinnsysteme sich zu einer religiösen
Fleckerlteppichnäherei formt. Für ihn ist der christliche und
kategorische Imperativ kaum noch wirksam, aber dafür wächst der Anteil
des eudämonistischen Imperativs. Unter dem eudämonistischen Imperativ
versteht Barz ein Handeln, 'was die je individuelle, biografische,
historische, gesellschaftliche Situation dem einzelnen zwecks
Glücksoptimierung nahelegt'. Der kategorische Imperativ gilt insofern
nur noch dafür, daß dieses Glücksstreben jedem gleichermaßen zugänglich
sein soll" (Steil, op. cit., S. 151) Dieser diesseitige Sinnhorizont
wird ausgefüllt mit dem, was auf bloßes Wohlbefinden und privates Glück
gerichtet ist. Das moderne (Ersatz)'Heil' wird radikal in der
Diesseitigkeit gesucht, das jeder nach subjektiven Vorstellungen zu
realisieren versucht.
Darin tauchen selbstverständlich Werte wie soziale Mitverantwortung und
die Idee einer gesellschaftliche Verpflichtung nicht auf! Der soziale
Einbindungsprozeß wird deswegen zwangsläufig negiert, der andere wird
Material der eigenen Befriedigung - in dem Ziehen dieser Konsequenz
gehe ich über die Resultate von Barz hinaus. Es ist aber unschwer zu
erraten, daß diese unsoziale Grundhaltung immense Folgen in der
Rückbeziehung solcher eudämonistischer Egoisten auf die Gesellschaft,
auf die andere Person haben muß.
1.5
Die Jugend sucht das ihr eigene Symbol, das ihrer so gearteten
Einstellung entspricht Repräsentativ für sie ist nach Barz das
Yin-Yang-Zeichen, welches authentischer Ausdruck des heutigen
Lebensgefühles der Jugend ist: es symbolisiert die Vereinigung von
Gegensätzen, verkörpert Ganzheit: Männliches und Weibliches, Gutes und
Böses in jedem Menschen ohne Polarisation Christliche Symbole sieht
Barz von der Jugend so bewertet: "Dagegen wird das Kreuz eingestuft als
zentrales Symbol des Christentums mit einer verblassenden Symbolkraft,
einem starken Rückgang der ursprünglichen Bedeutung, sogar als
grausames Mordwerkzeug wird es gesehen. Das Symbol des Kreuzes
unterliegt einer semantischen Erosion, die stark positiv korreliert mit
der negativen Einstellung der Jugendlichen zu den Grundzügen der
Kirche." (Barz, op cit., S. 193)
1.6
Somit erlangt die traditionelle christliche Lehre - wohlgemerkt in
einem protestantisch ausgerichteten Grundverständnis, dem die
theologische Differenzierungen zwischen wahrem und reformerisch, d.i.
häretisch interpretiertem Glauben fremd sind - nach der Studie nur noch
marginale Bedeutung für die Jugend. Barz faßt das Ergebnis zusammen:
Die "Dieseitigkeit der Wertmaßstäbe (Eudämonismus) und das Ideal der
vermeintlich mentalen Autarkie des autonomen Individuums, das nur
glaubt, was durch die eigene Erfahrung (bzw. stellvertretend durch die
Wissenschaft) verifizierbar ist, prägen den durchschnittlichen
Alltagsglauben". (Barz, op. cit., S. 261) Der Autor dieser vom Resultat
niederschmetternden Untersuchung zog selbst ein Resümee seiner Arbeit
in einem Leserbrief an die FAZ. Die Ergebnisse der Studie zeichnen "die
tiefgreifenden Wandlungen im religiösen Bewußtsein unserer Zeit nach.
Was in den dramatischen Kirchenaustrittszahlen und der spektakulären,
massenhaften Hinwendung zu Okkultismus und New Age beispielsweise
äußerlich in Erscheinung tritt, wird erstmals in seinem tieferliegenden
Bedingungsgefüge nachvollziehbar: Wir sind Zeugen eines radikalen
Wandels des Sinnhorizontes, der immer weniger von christlichen,
asketischen, altruistischen und pflichtbezogenen Werten gebildet wird
und in dem statt dessen immanente Werte der Selbstverwirklichung und
Selbstdarstellung, der Freundschaft und des persönlichen Wohlbefindens
dominant werden Gemessen an diesen gewandelten Maßstäben sind die
überkommenen christlichen Dogmen ebenso wie die Amtskirche hoffnungslos
'out'. " (FAZ vom 10. 12.92)
2.
Fragt man nun nach den Gründen dieses Werteverfalls (formal
betrachtet. Sinnwandels) bei der heutigen Jugend, die sicherlich nicht
nur im religiösen Bereich zu suchen sind, so wird eine Antwort auf
diese Frage nicht leicht sein, da sich sicherlich mehrere Aspekte dafür
anführen lassen Niemand wird aber ernsthaft bestreiten, daß sich in den
Einstellung der Jugend das widerspiegelt, was sie von der
Erwachsenenwelt (Elternhaus, Freunde, Schule, 'Kirche', Gesellschaft,
Staat, Medien) vermittelt bekommt bzw. bekommen hat.
2.1
Obwohl Barz die Frage nach den Ursachen nicht thematisiert so enthalt
seine Studie dennoch Hinweise auf Indizien, die zumindest, was den
speziellen religiöser Aspekt betrifft, partiell diese Frage beantworten
helfen können So fuhrt er z.B. an, daß die scheinbare materielle
Autonomie Gott als überflüssig erscheinen läßt, weil man "alles hat"
(Diese Auffassung ließe rein logisch den Schluß zu, daß die Jugend zu
einer religiösen Haltung zurückkehren wurde, wenn sie nichts hatte Doch
dabei handelt es sicherlich um einen Trugschluß, denn Not lehrt nicht -
wie der Volksmund behauptet - wirkliches Beten, das immer eine freie
Hinwendung zu Gott ist) Doch auch inhaltlich kann dieses
materialistische Denken, das immer nur ein Surrogat für eine
verlorengegangene ursprüngliche Sinnerfüllung sein kann, die Negierung
des Offenbarungsglaubens nur ansatzweise erklären, zumal dieses
materielle Sicherheitsdenken nichts Neues ist, sondern auch schon bei
früheren Generationen vorhanden war. Äußere Zwangseinwirkungen können
bei der angesprochenen Gruppe - westdeutsche Jugendliche - nicht
geltend gemacht werden In Betracht gezogen werden müssen jedoch die
Vertreter bzw. Institutionen, die die von der Jugend abgelehnten
religiösen Ideen qua Amtsinhaber bzw. Amt vertreten sollten, zumal
diesen nach Barz von der Jugend bescheinigt wird, die
"institutionalisierte Unaufrichtigkeit" zu sein, die "keine Religion"
mehr vertritt (Steil, op cit S. 151), wie Steil resümiert.
2.2
Diese Feststellung ist in meinen Augen für die betroffenen
Institutionen sehr belastend Meiner Meinung nach lohnt es sich, dieser
Aussage weiter nachzugehen, kommt doch darin eine Beobachtung der
Jugendlichen zum Ausdruck, daß diese Institutionen - Kirchen - nur
vorgeben, etwas zu sein, was sie in Wirklichkeit nicht (mehr) sind. Es
wird also gesehen, daß die Kirchen - hier wird nicht unterschieden
zwischen protestantischer und konziliar-katholischer, weswegen dieser
Terminus in Anführungszeichen zu lesen ist - keinen religiösen Glauben
mehr vermitteln, weswegen sie als "institutionalisierte
Unaufrichtigkeit" eingeschätzt werden zu Recht, wenn man weiß, welche
Surrogate in diesen Institutionen mittlerweile als Glaubensgut
angeboten werden D.h es wird genau gesehen, daß die 'Kirchen' bzw.
deren Vertreter etwas beanspruchen, was sie nicht erfüllen. Diese
Behauptung impliziert aber auch, daß - nach der Vorstellung der
Jugendlichen! - die 'Kirche' eigentlich diejenige Institutionen sein
sollen, die die christliche Religion zu vertreten (und zu vermitteln)
hatte. Einerseits wird die Differenz zwischen dem Anspruch der Kirche
und ihrem tatsachlichem religiösen Engagement kritisiert und zum
anderen sind die Jugendlichen sensibel genug, um die Diskrepanz zu
bemerken, die darin besteht, daß - wenn schon an sie selbst Forderungen
gestellt werden - diese von denjenigen, die sie stellen, selbst nicht
erfüllt werden Es darf deshalb niemand wundern, daß sich auf Grund
dieses doppelten Widerspruchs nur wenige Jugendliche in dieser
Institution engagieren, weil sie aus ihrer Sicht eben die
"institutionalisierte Unaufrichtigkeit" verkörpert .
2.3
Mir scheint, dieser Punkt ist die entscheidende Schlüsselstelle zum
Verständnis der aufgezeigten Misere, der aber auch zugleich Hinweis
dafür ist, wo eine Re-Christianisierung anzusetzen hatte und welche
Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit man berechtigterweise auf
eine religiöse Sanierung hoffen durfte. Wenn jemand bestreiten will,
daß die Religionsinstitute der Anforderung, die zu Recht an sie
gestellt wird, nicht mehr nachkommen, so brauche ich allein nur auf die
zahlreichen Studien, Analysen und Informationen in unserer Zeitschrift
hinzuweisen, die diesen Tatbestand zumindest für den katholischen
Bereich überdeutlich illustrieren. Die protestantischen Denominationen
haben eine ähnliche (Um)Wandlung durchgemacht, wobei dort die Tendenzen
der Abwendung von der Transzendenz hin
zu rein immanenten Programmen gingen, die sich im politischen Bereich
austobten bzw. immer noch austoben Die protestantische 'Kirche' hat
diese Metamorphose zur politischen Partei radikaler verfolgt als die
reformerische 'Konzils-Kirche', die zunehmend synkretistische Ziele
verfolgt.
2.4
Greift man unter dieser kritischen Voraussetzung einmal einzelne
Glaubenswahrheiten auf, die die Jugend nicht mehr im Glauben annimmt
wie z.B. "Himmel und Hölle", "Fegefeuer", die absolute Einzigartigkeit
der christlichen Offenbarungsreligion oder die Kirche (als alleinige
Heilsvermittlerin) und bezieht sie auf zentrale Häresien, die die
'Konzils-Kirche' explizit (oder implizit) vertritt - unter der
Beanspruchung ihrer Lehrautorität! -, so macht man eine bemerkenswerte
Feststellung: die von den Jugendlichen eingenommenen Positionen
entsprechen in ihrem prinzipiellen Ansatz genau jenen
Glaubensirrtümern, die von der 'Konzils-Kirche' kreiert oder wieder
ausgegraben worden sind. Die Ablehnung des Gerichtes (Fegfeuer, Himmel,
Hölle sind hier nur als Indiktoren für das Gericht zu interpretieren)
entspricht der Häresie von der Allerlösung, die u.a. den sog 'N.O.M. '
geprägt hat ("für alle" anstatt "für viele"). Man nehme nur einmal die
vorgefertigten Standardtexte für das sog. kath. Beerdigungsritual her:
die Begriffe "Gericht", "Hölle", "Fegfeuer" oder Ausdrücke wie "vor den
Richterstuhl Gottes treten" wird man darin vermissen.
Die Ablehnung der absoluten Einzigartigkeit der christlichen Religion
(bzw. der katholischen Kirche) durch die Mehrheit der Jugendlichen
entspricht wiederum dem überdeutlich praktizierten Synkretismus
Johannes Pauls II, der sich nicht einmal mehr öffentlich scheut, an
heidnischen Ritualen teilzunehnmen, so als ob es sich dabei bloß um
exotische Folklore handelte! Durch die Anerkennung nicht nur der
christlichen Sekten, sondern auch des Islams und des Judaismus als
gleichwertige Offenbarungsreligionen und darüber hinaus aller anderen
Naturreligionen und ähnlichen Phänomenen als legitime
Heilseinrichtungen hat Wojtyla - der noch vorgibt, im Auftrage Christi
zu handeln! - den göttlichen Heilsauftrag Christi nicht nur
relativiert, sondern in einem absoluten Sinne auch geleugnet - eine
Leugnung, die nicht nur den exklusiven Heilsauftrag für die Kirche
beinhaltet, sondern implizit auch die Gottheit Christi als zweiter
göttlicher Person. Ist aber einmal der absolute Anspruch, den Gott
stellt, aufgegeben, so verliert folgerichtig auch die von Ihm
beauftragte Institution, die Kirche, diesen absoluten Anspruch, nämlich
die von Ihm beauftragte Institution zu sein, die den Menschen Sein
Heilsangebot vermitteln soll. (Solche Leute haben das erste Gebot
Gottes: "Du sollst keinen fremden Götter neben mir haben!" in ihr
genaues Gegenteil verkehrt: "Du sollst alle fremden Götter neben Mir
auch anbeten!") So ist es nur konsequent, wenn die Jugend eine
Institution, die von sich aus hinsichtlich ihres Auftrages keinen
Anspruch mehr auf absolute Geltendheit und Anerkennung stellt, auch
total abgelehnt oder nur noch aus sekundären Gründen (soziale
Leistungen, Gemeinschaftsunternehmungen im Dienstleistungsbereich)
anerkannt wird, weshalb Barz unter diesen Umständen noch jene
Gruppierungen als spirituelle Eliten ansprechen kann, die sich mit
Okkultismus beschäftigen!
Sieht man sich die moralischen Prinzipien an, die von der
'Konzils-Kirche' nach und nach aufgegeben wurden, so z.B die
weitgehende Aufgabe der Unbedingtheit des Sittengesetzes zugunsten
einer sog. Situationsethik , der Verzicht des Strebens nach Heiligkeit
- nach dem Motto: man ist ja schon erlöst, man ist im Heil! -, so
entspricht diese Aufgabe der Moralprinzipien der Konzentration auf den
von Barz beklagten hemmungslosen Eudämonismus, der absoluten
Dieseitsbezogenheit der Jugendlichen. Wenn nämlich wirklich nichts
objektiv gilt, d.h wenn der absolute Wert umgewertet wird, dann tritt
notwendigerweise an seine Stelle ein anderer. Das allgemeine geistig
feige, morbide Klima, das durch die Erwachsenen vorgelebt und durch die
weithin gleichgeschaltete Medienwelt noch unterstützt wird, kann doch
nicht der Nährboden sein für eine moralisch-religös zu festigende
Jugend sein!
2.5
Wenn diese Beobachtungen zutreffen - und vieles spricht dafür -, dann
ist die Saat, die mit dem sog. II. Vatikanischen Konzil gesät wurde, in
einem weit umfassenderen Maß aufgegangen, als das zunächst hätte
vermutet werden können Denn die von ihm kreierten revolutionären
Prinzipien wurden nicht nur innerhalb des Katholizismus angenommen,
sondern erlangten allgemein gesellschaftliche Geltung. Natürlich wurden
die oben angesprochenen Ideen - Werterelativismus, Eudämonismus,
Synkretismus etc. - auch von anderen gesellschaftlichen Gruppierungen,
Verbänden, Einzelpersonen, Geheimgesellschaften (Freimaurer), Medien
(sexueller Libertinismus) schon vorher propagiert. Die
Ungeheuerlichkeit der religiösen Revolution liegt nicht nur darin, daß
die Kirche diese falschen Ideale anderer bloß nachplappert, sondern
genau darin, daß sie als jene Institution, die als Hüterin und
Vermittlerin des Offenbarungsgutes von Christus gegründet wurde, genau
diesen geistigen Auftrag verrat und verwirft, "sich der Welt
gleichförmig macht" und unter Inanspruchnahme ihrer (einstmaligen)
absoluten geistigen Autorität eine Umwertung der Werte vornimmt.
Christus hatte zu den Jüngern gesagt: "Ihr seid das Salz der Erde! Wenn
aber das Salz schal wird, womit soll es dann gesalzen werden?" (Mt
5,13) Das Salz galt als Konservierungsmittel, mit dem man das Fleisch
einpökelte und es so haltbar machte. Dieses Gleichnis besagt, daß die
Apostel und Jünger durch die Beauftragung Christi, nämlich die
lebendige Wahrheit zu verkünden, ähnlich erhaltend für die Menschheit
wirken sollten wie es das Salz tut. D.h. ohne die Weitervermittlung der
Heilsbotschaft Christi würde die Menschheit buchstäblich geistig
"verfaulen und verwesen" wie unkonserviertes Fleisch Mit ihrem Verrat
hat also die einstmalige Hierarchie die Menschheit um die absolute
Richtschnur betrogen! und suggeriert ihr, daß ihre Fehler ihre Stärken,
ihr moralischen Vergehen und ihr Versagen ihre Verdienste sind. **) Und
die modernen Jugendlichen sind in der Tat "nicht päpstlicher als der
Papst", sondern in der Applikation dieser Ideen nur naiver, ehrlicher
und konsequenter als der Usurpator in Rom. Welche Gesellschaft will
aber diesen Jugendlichen - in der Tat gezeugt von dieser Gesellschaft!
ohne ihnen Ideale eingepflanzt zu haben -, die man "mit leeren Taschen"
hat dastehen lassen und die sich an ihren eigenen Interessen
orientiert, berechtigt Vorwürfe machen?
2.6
Die negative Beurteilung der Situation der Jugendlichen wird heute
sogar schon von Politikern der verschiedensten politischen Parteien
geteilt, denn die Auswirkungen dieses geistig-religiösen Desasters
schlagen sich schlicht in einer immer noch steigenden Kriminalität
nieder - in England haben in diesem Jahr zwei 10-jährige Jungen ein
zwei-jähriges Kind entführt und umgebracht; der Prozeß gegen die beiden
läuft bei der Abfassung dieser Zeilen. Die Zahl der Drogentoten unter
den Jugendlichen steigt Jahr für Jahr. Alle Zeichen stehen auf Alarm,
sogar die Medien schreiben heuchlerisch vom Werteverfall, von dem sie
nebenher noch schreiben, daß es ihn aufzuhalten gelte. (Wenn überhaupt,
dann wird bestenfalls an den Phänomen herumgebastelt ohne ernsthaften
Willen, den wirklichen Ursachen auch nachzugehen.) ***)
3.
Wie ist unter diesen Umständen eine Re-Christianisierung
der Jugend überhaupt noch möglich? Auf diese Frage soll am Schluß auch
noch eingegangen werden. Wenn man die Chancen als sogenannter Realist
durchkalkulieren würde, müßte man resignieren. Aber als Christ weiß
man, daß alles mit der Hilfe Gottes möglich ist - und ohne IHN nichts.
Einen Ansatzpunkt für eine geistig-religiöse Erneuerung bzw.
Missionierung ist von den befragten Jugendlichen selbst angegeben:
nämlich ihre Erwartungen, die sie hinsichtlich der Religion und ihrer
Institutionalisierung in der Kirche stellen, erfüllen!
3.1
Was die Forderung nach der Kirche als wahrer Heilsvermittlerin angeht,
so muß man zunächst dahingehend aufklären, daß die Institutionen, die
beanspruchen, die von Christus beauftragte Kirche zu sein, es nicht
(mehr) sind und daß man von ihnen nichts erwarten darf. Man kann zu
diesem Problem nur die Hoffnung auf ihre Restitution verbreiten. Anders
verhält es sich mit den religiösen Inhalten. Diese kann man den
(interessierten) Jugendlichen noch sehr wohl vermitteln. Dazu reicht es
aber nicht aus, sie einfach mit katechetischem Wissen vollzustopfen.
Denn es fehlen allgemein die Voraussetzungen für die Erzeugung einer
absoluten Position. Es muß erst einmal die Basis für eine religiöse
Überzeugung gelegt werden. Das bedeutet zweierlei:
1. die vorhandenen Vorurteile und
Irrtümer als solche zu entlarven, d.h auch - wie oben bereits
angedeutet - den eigenen kirchlich völlig desolaten Zustand offen
darzulegen (es darf keine methodisch oder didaktisch verbrämten
Unwahrheiten geben!),
2. die grundsätzliche Fragen klären, die mit der Religion und einem
religiösen Leben verbunden sind. Die auftauchenden Fragen müssen
einsichtig geklärt werden! Ein Verweisen auf Autoritäten nutzt nichts.
Man muß den Jugendlichen bei diesem Vermittlungsprozeß mitvermitteln,
daß man hinter jeder Behauptung, die man macht, selbst steht, auch
praktisch.
So muß m.E. hinsichtlich der christlichen Religion geklärt werden,
welchen Wissenszugang man von heute her gesehen zu der zentralen
Aussage des Christentums hat, daß sich nämlich Christus, der Gottes
Sohn, vor knapp 2000 Jahren als Mensch geoffenbart hat Um die Frage
kurz zu fassen: Wie kann ich wissen, daß Gott vor 2000 Jahren Mensch
geworden ist? Stellt man selbst unter vermeintlich gefestigten Christen
diese Frage, begegnet man häufig einem verlegenen Kopfschütteln, und
die sog. 'Fachleute' sind auch nur fähig, auf ihrer bloßen Behauptung,
daß es so ist, zu insistieren, ohne etwas erklären oder begreiflich
machen zu können. ****) Aber ohne positive Klärung dieser Frage gibt es
keine reflexive Glaubensüberzeugung. Denn nur wenn ich weiß, daß
Christus wahrer Gott ist, der sich uns geoffenbart hat, habe ich auch
einen Rechtsgrund, den christlichen Glauben anzunehmen. Was passiert,
wenn eine solche Basis nicht gelegt wird, zeigt der weltweite
Glaubensabfall doch überdeutlich!
Bloß auf Vertrauen angenommene Aussagen werden hinfällig, wenn die
vermittelnden Personen nicht mehr vertrauenswürdig sind. Und das ist
gerade in unserer Zeit einer der Hauptgründe, warum sich viele Gläubige
von angeblichen Vertretern der Kirche abgewendet haben. Bevor man also
anfangen kann, katechetisches Detailwissen zu lehren, müssen Probleme
religions-philosophischer Art systematisch durchgeklärt werden - und
das mit großer Geduld, Offenheit und Unvoreingenommenheit. Die
Revolution hat nach über einem viertel Jahrhundert bereits ihre eigene
Geschichte und ihre Tradition. Die Kinder, die bei der Eröffnung des
II. Vatikanums geboren wurden, sind heute um die 30 und in den
reformerischen (revolutionären) Ideen erzogen worden Wirkliches
religiöses Wissen, welches
man vorfinden möchte, gibt es nicht.
3.2
Ein zweiter Punkt ist neben einem umfassenden Unterricht und Aufklärung
über die derzeitige Situation ebenso bedeutsam Das Christentum lebt von
den vorgelebten Beispielen Die Heiligen sind deshalb so eine Art
Relais- oder Verstärker-Station für die Vermittlung des Willens Christi
in seiner Lebendigkeit und Konkretheit die diesen in ihrer Zeit und für
sie verdeutlichen Auf die Frage, wie eine bestimmte Schriftstelle beim
Propheten Ezechiel (Ez 3,18) zu interpretieren sei, antwortete der hl.
Franziskus von Assisi "Wenn dieses Wort allgemein verstanden werden
muß, dann fasse ich es so auf, daß der Knecht Gottes in seinem Leben
derart von Heiligkeit glühen und leuchten soll, daß er durch das Licht
seines Beispiels und das Wort seiner heiligen Rede allen Gottlosen ein
Vorwurf ist. " (Frater Leo "Der Spiegel der Vollkommenheit" München
1953, S. 92) Wenn man den Willen Christi jemandem vermitteln will, dann
geht das am besten dadurch, daß man die Forderungen durch das eigene
Handeln bewahrt, d h daß man den Willen Gottes vorlebt Das offenkundige
Divergieren von Sagen und Tun - vom bloßen Aufstellen von
(berechtigten') Forderungen, ohne sie selbst zu befolgen oder zu
erfüllen - hat ja den innerlich hohlen Institutionen den Vorwurf der
Verlogenheit eingetragen wie ich meine zu Recht.
Mich hat eigentlich in all den Jahren der religiösen Resistanz immer
ein Verhalten sehr bedruckt die angeblichen Gralshüter des wahren
Glaubens halten zwar an der orthodoxen Lehre fest, vernachlässigen aber
die orthodoxe Praxis Dies muß sich in unseren Reihen andern, wenn wir
anderen - in diesem Fall der betrogenen Jugend - helfen und sie zurück
zu einem religiösen Leben führen wollen.
Anmerkungen:
*) N.b. es lohnt sich nicht, sich darüber zu entsetzen, daß die
Jugendlichen diese Auffassungen haben. Es lohnt sich allerdings, an die
eigene Brust zu schlagen, um in aller Ernsthaftigkeit der Frage
nachzugehen, wieso es soweit kommen konnte. Eine pastorale Betreuung
bzw. eine Neu- oder Re-Missionierung von Jugendlichen muß fähig sein,
auf diese Positionen einzugehen, um deren Haltlosigkeit erst einmal zu
demonstrieren, bevor damit begonnen werden kann die entsprechenden
Felder
mit christlichen Positionen zu besetzen.
**) Unlängst hat Mgr. Wojtyla die Feigheit und das Versagen des
Westens, besonders aber Europas bezüglich des Völkermordes, den die
Serben an den Bosniern verüben, noch damit sanktioniert, daß er unter
Inanspruchnahme seiner angeblichen moralischen Autorität sich "gegen
ein militärisches Eingreifen" aussprach. (DT vom 4.11.1993)
***) Zu dem geistig-religiösen Niedergang gibt es m.E, eine genaue
Entsprechung in der Natur: die von vielen Autoren beschriebene
ökologische Katastrophe, an der ähnlich phänomenalistisch herumkuriert
wird wie an der geistigen. Ich verweise in diesem Zusammenhang nur auf
die Studie von Hoimar v. Ditfurth ("So laßt uns denn ein Apfelbäumchen
pflanzen - Es ist soweit" Hamburg 1985 - Verlag Rasch und Röhring -
oder München 1988 - Knaur), dessen naturalistische Ideologie ich nicht
teile, der aber die unmittelbaren Gefahren im ökologischen Bereich sehr
deutlich schildert. Man hat vergessen, daß durch die Sünde auch der Tod
in diese Welt gekommen ist.
****) N.b. hier ist der Ort anzumerken, daß es trotz der knapp
2000-jähriger Geschichte des Christentums noch keine wissenschaftlich
durchgeführte, systematische Religionsphilosophie gibt, die von
Gliedern der Kirche geleistet worden wäre. Hier hilft auch kein
Verweisen auf die Scholastik. Man bleibt bei den sog. Gottesbeweisen
stehen, die längstens als Zirkelschlüsse hätten durchschaut werden
müssen!
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