ANTONIO FINDET SEINEN WEG
- AUS DER ZEIT DER CHRISTENVERFOLGUNG IN MEXIKO -
(aus: KOMM MIT Jan.87, S. 3ff.)
Nicht nur in der Sowjetunion, sondern auch im mittelamerikanischen
Staat Mexiko brach 1917 eine Revolution aus. Die Entwicklung bahnte
sich bereits 1911 mit einem Sturm gegen die Kirche an. Die gläubigen
Katholiken wurden benachteiligt und später blutig verfolgt. In den
Jahren 1924 bis 1928 herrschte die Regierung des Präsidenten Calles,
die sich aus Kommunisten und kirchenfeindlichen Freimaurern
zusammensetzte. Calles führte einen unerbittlichen Kampf gegen das
Christentum: er schloß die Kirchen, verbannte die Priester und verbot
die Orden. Die Kirche lebte im Untergrund weiter. Die "Stunde der
Laien" war gekommen: Mexikos Bischöfe erkannten, daß die wenigen
Priester, die sich noch im Land versteckt hielten, überfordert waren.
Wer sollte die Kranken besuchen, den Kindern die Glaubenslehre erklären
und die Jugend zu den Sakramenten führen? - All dies konnte nur
bewältigt werden, wenn sich das katholische Volk mitverantwortlich
fühlte. Und so war es auch tatsächlich.
Tausende von Katholiken starben den Märtyrertod, weil sie einen
Priester beherbergt oder die Jugend heimlich zum Religionsunterricht
versammelt hatten. Jeder Priester oder Ordensmann wurde als Freiwild
von den roten Revolutionären gejagt und getötet; man setzte hohe
Kopfprämien aus. Die Bischöfe entschlossen sich bereits 1911 zu einer
ungewöhnlichen Maßnahme: die jungen Katholiken wurden fortan erst zur
Firmung und danach zur hl. Kommunion geführt. Durch die Firmung, das
Sakrament des Hl. Geistes, sollten die Jungen und Mädchen für den
Glaubenskampf gerüstet sein.
So empfing auch die 14jährige Maria de la Luz aus der Hand des
Erzbischofs in der Kathedrale der Stadt Mexiko das Sakrament der
Firmung. - Fünf Jahre später war der Kampf gegen die Kirche voll
entbrannt: die Kirchen wurden verwüstet, die Priester verfolgt und auch
viele tapfere Laien gaben ihr Leben für Christus hin. Die inzwischen
19jährige Maria, die von den Eltern "Luz" genannt wurde, hatte ihr
Firmversprechen nicht vergessen: damals gelobte sie, für Christus zu
leben und der Kirche zu dienen. Luz sammelte die Kinder des Stadtteils,
um sie auf Firmung und Erstkommunion vorzubereiten, die ein Priester
dann in einem versteckten Schuppen spendete.
Eines der eifrigsten Kinder hieß Antonio. Dieser lebhafte Junge von lo
Jahren wußte, welche Gefahren das Mädchen Luz auf sich nahm: "Was würde
geschehen, wenn die Roten erfahren, daß Du uns Religionsunterricht gib
.ï5t?" Gelassen antwortete Luz: "Ich glaube, man wird mich an
irgendeine Gefängnismauer stellen und erschießen." - "Oh! Hast Du denn
keine Angst davor, Luz?" - "Doch, Antonio. Ich würde mich bestimmt
schrecklich fürchten, wenn sie ihre Gewehre auf mich richten. Aber ich
weiß, daß Gott mich nicht im Stich läßt. Gottes Kraft ist stärker als
meine Angst." - "Du brauchst Dich nicht zu fürchten, Luz! Ich werde mit
Dir sterben. Die Roten müßten mich dann auch erschießen und ich werde
Deine Hand halten, damit Du keine Angst hast!" - "Danke Antonio! Du
bist ein großartiger Junge! Ich bete dafür, daß Du Christus immer treu
bleibst."
Bald nach dem Tag der Erstkommunion zog Antonio in einen anderen Teil
der riesigen Hauptstadt. Einige Male besuchte er noch seine Lehrerin,
aber dann verloren sich die beiden aus den Augen.
Fünf Jahre später - inmitten der andauernden Revolution - sahen sie
sich wieder. Aber es war eine schmerzliche Begegnung. Luz sah
erschrocken, daß Antonio bei einer Demonstration der kommunistischen
Jugend unter der roten Fahne marschierte. Auch Antonio erkannte die
junge Frau, aber er wandte seinen Blick ab, ohne sie zu grüßen. War es
Ablehnung, Verlegenheit oder das schlechte Gewissen? Luz war ratlos.
Was ist aus dem tapferen Jungen geworden, der sein Leben für den
Glauben opfern wollte? Er hatte sich von den Haßreden der Kommunisten
gegen die Kirche einfangen lassen. Luz ließ keinen Tag vergehen, ohne
für ihren ehemaligen Freund Antonio zu beten.
Endlich gingen die Zeiten der blutigen Verfolgung vorüber. Die
überlebenden Bischöfe und Priester kehrten wieder in ihre Pfarreien
zurück. Die Kirchen wurden geöffnet, gereinigt und geschmückt. Viele
Menschen waren glücklich. Sie dankten Gott für die Errettung aus der
Not und das Ende des roten Terrors. Auch Maria de la Luz konnte den
Kindern Religionsunterricht geben, ohne sich verstecken zu müssen. Doch
das Tauwetter dauerte nicht lange. Die Kommunisten gaben ihren Kampf
gegen die Kirche nicht auf. Sobald sich ihre Macht gefestigt hatte,
wurden die Christen erneut unterdrückt. Ende 1934 tagte in der Vorstadt
Mexikos ein Kongreß der Gottlosenbewegung. Die 37jährige Luz lag damals
krank im Bett, aber sie hörte den Lärm der roten Horden, die schreiend
durch die Straßen zogen. Am Morgen des letzten Sonntags im Jahr stürzte
eine Nachbarin ins Zimmer der Kranken: "Luz! Die Roten kommen! Sie
wollen unsere Kirche anzünden! Die Kinder sind noch in der Kirche!"
Luz stieg sofort aus dem Bett, kleidete sich hastig an und eilte zur
Kirche. Die Roten schrieen und tobten fürchterlich. Irgendwo flammten
Pechfackeln auf. Nur mit größter Mühe gelang es Luz, durch die rasende
Menge, die alle Türen besetzt hielt, in die Sakristei zu kommen. Doch
der alte Küster wollte die heilige Handlung nicht stören: "Die Roten
spektakeln so oft vor der Kirche, sie werden wohl wieder abziehen."
Aber Luz ließ nicht locker. Sie flehte ihn an, Pater Raffael zu warnen:
"Die Roten meinen es diesmal ernst! Sie haben Fackeln dabei und wollen
die Kirche anzünden. Wir müssen die Kinder retten!" Endlich erkannte
der Messner die schreckliche Gefahr, in der alle schwebten. Er ging zum
Altar und flüsterte dem Priester zu: "Fräulein Luz behauptet, daß die
Roten unsere Kirche anzünden wollen." Pater Raffael begriff sofort: er
fürchtete um die vielen Kinder. Abrupt beendete er mit dem Segen die
heilige Messe. Dann führte er die Kinder durch einen Seitenausgang in
das angrenzende Kloster. Luz seufzte erleichtert auf: die Kinder waren
gerettet!
Draußen wurde der Lärm der tobenden Revolutionäre immer stärker. Der
Leiter der Gottlosengruppe, Hornero Margalli, hielt vor den
Portalstufen eine Hetzrede gegen die Christen und ermutigte die
Rasenden zum Sturm auf das Gotteshaus. Luz konnte den schreienden
Anführer in der Kirche hören. Sie rief den Ministranten zu: "Bringt ihn
doch zum Schweigen!" - "Ja gern! - Aber wie denn?", fragten die Jungen
zurück. "Läutet mit der Glocke!" Begeistert liefen die Ministranten zu
den Seilen. Bald übertönten die Glocken das wütende Schimpfen des roten
Häuptlings. Zornig rief er: "Das ist eine unverschämte Herausforderung!
Wollt Ihr Euch das gefallen lassen?" Ein hundertfaches "Nein!" der
Meute war die Antwort: "Steckt die Kirche in Brand! Holt den Pfaffen
heraus!"
Inzwischen hatten sich jedoch einige beherzte Männer, Jungen und
Mädchen vor dem Kirchentor aufgestellt. In der vordersten Reihe stand
Luz: "Schämt Ihr Euch nicht, dem Hause Gottes Gewalt anzutun?" -
"Stopft doch der Hexe das Maul!", brüllten die Gottlosen, "steckt ihr
die Kleider an!" Einer der wilden Gesellen hielt ihr eine brennende
Fackel vors Gesicht: "Wenn Du nicht sofort abhaust, stecke ich Dir die
Haare in Brand!" - Doch Luz wich keinen Zentimeter von der Stelle. In
letzter Sekunde bekam Luz unerwartet Hilfe von einem Burschen, der
bisher am lautesten geschrieen hatte. Der junge Mann sprang vor, riß
seinem Kumpan die brennende Fackel aus der Faust, zertrat sie mit den
Füßen und schrie:
"Die laß in Ruhe! Die ist gut!" Verwundert blickte Luz den Mutigen an:
"Antonio, Du? Auch Du bist bei den Kirchenschändern?" Antonio keuchte:
"Schnell fort! Nun geh schon! Von den Pfaffen will ich nichts wissen,
aber Du bist gut. Geh doch endlich!" Der Bursche aber, dem Antonio die
Fackel entrissen hatte, rief bleich vor Zorn: "Was fällt Dir ein,
Antonio? Warum willst Du diese Katze schützen?" Antonio widersprach:
"Das ist meine Sache! Laß Deine schrecklichen Finger von ihr!" "Das
wollen wir doch mal sehen!", brüllte der andere. Blitzschnell hatte er
eine Pistole in der Hand und schoß. Zu Tode getroffen brach Luz auf den
Kirchenstufen zusammen.
"Du hast sie umgebracht!", stöhnte Antonio, vom Schmerz überwältigt:
"Mit Euch habe ich nichts mehr zu schaffen!" Der blutige Mord
ernüchterte die wilde Horde. Einer nach dem anderen zog ab. Bald war
der Kirchplatz von der roten Bande geräumt. Antonio beugte sich zu der
Sterbenden nieder. Als er sah, daß jede menschliche Hilfe vergebens
war, nahm er Luz auf seine Arme. Schweigend gaben die Gläubigen den Weg
zur Kirche frei. Die Türen wurden geöffnet und Antonio trug Maria de la
Luz bis zum Altar. Vorsichtig legte er sie auf dem Altarteppich nieder.
Zahlreiche Gläubige gaben Luz und Antonio das Geleit. Erschüttert
standen sie am Altar. Eilends holte man Pater Raffael. Er gab Luz, die
das Bewußtsein verloren hatte, die letzte Ölung. Während der heiligen
Handlung kniete Antonio neben Luz und blickte ihr unverwandt ins
Gesicht. Plötzlich schlug Luz mit einem leisen Stöhnen die Augen auf.
Sie sah Antonio und streckte ihm ihre Hand hin: "Gib mir Deine Hand,
Antonio!", flüsterte sie ihm zu: "Du hast mir damals versprochen, meine
Hand zu halten, wenn ich sterbe. Erinnerst Du Dich noch?" - "Ja, ich
weiß es, Luz!", stammelte Antonio. Vorsichtig ergriff er ihre
ausgestreckte Hand: "Ich habe das alles nicht gewollt. Glaub' es mir,
Luz!" Luz nickte ihm zu. Erschöpft sank sie zurück. Plötzlich richtete
sie sich noch einmal auf und sagte mit verlöschender Stimme: "Vivo
Christo Rey!" ("Es lebe Christus, der König!")
Am Neujahrstag geleiteten Tausende die Blutzeugin zu Grabe. Junge
Männer trugen auf ihren Schultern den Sarg. Hunderte von
weißgekleideten Mädchen schritten mit Blumen voraus. Auf allen Straßen
säumten Gläubige den Weg, der zum Friedhof Xoco führte. Als der Sarg
vorbeigetragen wurde, beteten viele Menschen: "Maria de la Luz, bitte
für uns und für die Freiheit der Kirche!" Über dem Grab wölbte sich ein
Berg von Blumen. Weinend nahmen die vielen Kinder von ihrer Lehrerin
Abschied.
Als letzter trat ein junger Mann hinzu und legte auf den Blumenhügel
mit zitternder Hand eine weiße Rose. Luz hatte nicht nur die
Pfarrkirche gerettet, sondern - was unermeßlich wertvoller ist - auch
die Seele eines Menschen. Durch Maria de la Luz wurde aus dem
Kirchenhasser Antonio wieder ein gläubiger Mensch. |