Was müssen wir tun?
von
Robert Mäder
Der Adler von Truns, Kaspar Decurtins (1855-1916), hat uns oft - der
Laie den Priester - beschworen, ausgesprochen religiöse Artikel zu
schreiben, zu predigen. Die Zeiten geben ihm recht! So sei's!
Was ist zu tun? Die Erde zittert. Die Wasser der großen Sündflut
steigen immer höher. Alle Dämme bersten. Die Kunst der Diplomaten
versagt. Sie geben uns weder Brot noch Frieden. Was ist zu tun?
In dieser Zeit der allgemeinen Ratlosigkeit kommt Jesus und behauptet:
Wahrlich, wahrlich, sage ich euch, wenn ihr den Vater in meinem Namen
um etwas bitten werdet, so wird er es euch geben.
Bittet, so werdet ihr empfangen. Es gibt solche, die sagen: Das ist
nicht wahr! Wir bitten und wir empfangen nicht! Wir suchen und wir
finden nicht! Wir klopfen an und es wird uns nicht aufgemacht! Die
Wasser der Sündflut nehmen nicht ab. Die Erde hört nicht auf zu
zittern. Es bleibt alles beim alten. Was ist zu tun? Es gibt vier
Klassen von Ratgebern. Die erste Klasse sagt: Betet! Die zweite Klasse
sagt! Arbeitet! Die dritte Klasse sagt: Betet und arbeitet! Die vierte
Klasse, die kleinste von allen, sagt: Betet, arbeitet und tut Buße! Wer
hat recht? Was ist zu tun?
Man hat uns gesagt, daß wir beten sollen. Man hat uns gesagt, daß wir
unsere Siege nur auf den Knien davontragen werden. Man hat uns gesagt,
daß das Gebet die wichtigste aller Diplomatien sei. Einer der größten
Politiker des 19. Jahrhunderts wußte nach allen Enttäuschungen und
Mißerfolgen nur noch das eine: Gehen wir ins Kloster! Das Klosterleben
ist das Ideal! Diejenigen, die beten, leisten mehr für die Welt als
jene, die kämpfen. Wenn es mit der Welt immer schlimmer wird, so liegt
der Grund darin, daß es mehr Kämpfer als Gebete gibt.
Wenn wir in die Geheimnisse Gottes eindringen könnten, würden wir
erstaunen, wie wunderbar die Erfolge des Gebetes sind. Damit die Welt
im Gleichgewicht bleibt, braucht es ein gewisses, Gott allein bekanntes
Verhältnis von Gebet und Tat. Ich glaube, das ist meine feste
Überzeugung, daß, wenn es einen einzigen Tag gäbe und eine einzige
Stunde in diesem Tage, wo die Erde kein Gebet zum Himmel schickte,
dieser Tag und diese Stunde die letzten des Weltalls wären.
Man kann die Bedeutung des Gebetes nicht höher einschätzen, als es
dieser gottbegnadete Diplomat getan. Gut! Wir haben gebetet! Wir dürfen
nicht behaupten, daß wir sehr viel und sehr gut gebetet haben, aber
immerhin, wir haben gebetet. Wir haben das allgemeine Gebet verrichtet.
Wir haben den Rosenkranz zur Hand genommen. Wir haben
Generalkommunionen gemacht. Wir haben eine internationale Petition von
kommunizierenden Kindern in Szene gesetzt. Wir haben Wallfahrten
veranstaltet. Wir haben, behaupten wir, alles angewendet, was den
Himmel zum Erbarmen zwingen konnte.
Und der Himmel blieb stumm! Gott antwortete nicht! Abgesehen von
einigen kleinen Wundern und Gebetserhörungen: das große Wunder geschah
nicht. Der Krieg und der Hunger hörte nicht auf. Der Friede, der
heißerbetene, kam nicht. Und jetzt sind es schon neun Jahre. Wir sind
auf der ganzen Linie besiegt! Was ist zu tun? Wir streiken! Allgemeiner
Landes- und Weltgebetsstreik! Es nützt nichts, das Beten! So heißt's.
Noch einmal, wir wollen nicht behaupten, daß viel und überall andächtig
und vertrauensvoll und beharrlich gebetet worden ist in diesen hundert
Jahren, wo wir diese moderne Krisis des Glaubensabfalls, des
allgemeinen Kulturkampfes, der Kriege und der Revolutionen durchmachen.
Wir geben die Tatsache eines anhaltenden völkerumspannenden allgemeinen
Gebetssturmes und seines Mißerfolges nicht zu. Aber wir geben zu: Es
ist gebetet worden und wir haben es noch nicht erhalten!
Jetzt kam die zweite Klasse von Ratgebern und sprach: Probieren wir ein
anderes. Arbeiten wir! Katholische Aktion vor! Seid nicht faule
Knechte, die ihre Talente vergraben und alles den guten Gott machen
lassen! Gott gab euch ein Kapital, um damit zu wuchern. Gott gab euch
Verstand! Braucht ihn! Gott gab euch einen Willen. Benützt ihn! Gott
gab euch Hände. Rührt sie! Gott gab euch Füße. Bewegt sie! Hilf dir
selbst, so hilft dir Gott. Geht an die Urnen! Politisiert! Gründet
Vereine! Baut Vereinshäuser! Verbreitet die gute Presse! Treibt
Sozialpolitik! Apostolat! Agitation! Propaganda! Das ist's, was uns
rettet! Es gibt Zeiten, wo das Gebet nicht genügt!
Wir haben das alles gemacht. Seit 20 Jahren besonders herrscht in den
tätigeren und intelligenteren Kreisen Deutschlands, Österreichs,
Frankreichs, Belgiens, Englands, Italiens und der Schweiz ein wahres
katholisches Gründungsfieber. Wir haben viel studiert, viel geschrieben
und gedruckt, viel geredet und politisiert. Wir haben ungezählte
Millionen zusammengebettelt und zusammengeopfert. Wir haben unterdessen
die übernatürlichen Heilmittel zur Erneuerung der Menschheit eher
vernachlässigt. Wir haben nicht mehr so viel gebetet. Wir haben nicht
mehr so oft in unseren Familien am Abend den Rosenkranz zu Ehren
gezogen. Wir haben nicht mehr so viel gebeichtet. Wir hatten vor lauter
Agitation und Propaganda und Versammlungen und Sitzungen keine Zeit.
Der Erfolg? Es ist nicht zu bestreiten, daß viel Gutes durch die
katholische Aktion erreicht, manches Böse verhindert worden ist. Aber
der Erfolg steht in keinem Verhältnis zur aufgewendeten Mühe. Wir haben
mit der Politik, der Presse und der Vereinstätigkeit kein einziges Land
der Welt für die katholische Sache zurückerobert. Die Sündflut brach
doch herein! Unsere Dämme waren zu schwach. Die zweite Methode "Arbeit
vor allem" kann nicht die richtige sein. Es muß noch etwas fehlen.
Weil die Erfahrung dem ersten und dem zweiten Vorschlag nicht recht
gegeben, kommen die Anhänger des dritten Standpunktes, die das Gute und
Wahre des ersten und zweiten in sich vereinigen. Sie verbinden das
Gebet mit der katholischen Gegenwartsarbeit, das Übernatürliche mit dem
Natürlichen, die göttliche Hilfe mit der menschlichen. Es ist kein
Zweifel, daß der mit dem betenden vereinigte, politisierende,
zeitungsschreiende, vereinsgründende, redenhaltende Katholizismus etwas
Gutes ist.
Er ist ein Protest gegen die Faulen und Gutmütigen, welche die Hände in
den Schoß legen, den Rosenkranz beten und warten, bis Gott ein Wunder
wirkt. Er ist noch viel mehr ein Protest gegen Modernisierende unter
uns, die meinen, wir könnten mit natürlichen Hilfsmitteln allein, ohne
die Gnadenmittel unserer Kirche, ohne Gebet und Beicht und Kommunion,
die Welt retten. Die Taktik der streitenden Kirche ist: In der einen
Hand den Rosenkranz, in der andern das Schwert.
Es ist nicht zu bestreiten, daß wir Katholiken haben, die mit
Rosenkranz und Schwert, keines ohne das andere, reden, schreiben,
politisieren, agitieren. Ihre Zahl ist nicht sehr groß. Aber sie sind
da. Und sie leisten Großes und Unsterbliches. Ihr Name wird in der
Geschichte ihres Landes und der Kirche fortleben. Sie haben dem
völkervergiftenden Liberalismus und Sozialismus manchen wuchtigen
Schlag versetzt, manchen Irrenden und Strauchelnden vom Abgrund
zurückgerissen. Aber sie haben ihr Land nicht gerettet. Sie haben die
herrschenden Zeitirrtümer nicht überwunden. Sie haben nirgends einen
starken, entscheidenden Sieg davongetragen. Sie haben nirgends das
soziale Königtum Christi auf Trümmern der Freimaurerei aufgerichtet.
Die Sündflut kam doch! Es muß noch irgendwo fehlen.
Der vierte Rettungsvorschlag: Arbeiten ist gut, beten ist besser,
arbeiten und beten ist sehr gut, die Welt aber wird allein gerettet
durch die mit dem Gebet und der Arbeit verbundene Buße. Was haben wir
gemacht? Was machen wir immer noch? Wir haben, nachdem die moderne
Sündflut des glaubensfeindlichen liberalen Geistes alle Dämme
durchbrochen, hie und da einen aus den Fluten gerissen. Wir haben da
und dort mit übermenschlicher Mühe Schutzmauern gebaut und kleinere
Gebiete vor der Verwüstung bewahrt. Wir hatten hie und da einen kleinen
Tageserfolg. Wir haben es verstanden, die Folgen der Sündflut, des
allgemeinen Abfalles, vor allem auf sozialem Gebiete durch
Versicherungen und gemeinnützige Wohlfahrtseinrichtungen zu lindern.
Aber wir haben nie im Ernste daran gedacht, hinaufzusteigen bis an die
Quellen des Bösen und, anstatt nur die Folgen zu neutralisieren, die
Ursache zu zerstören. Wir haben nicht den Geist der Glaubenslosigkeit
durch die praktische und soziale Rückkehr zur Kirche bekämpft. Wir
haben nicht die Familie saniert von der modernen Auslebemänner-Moral.
Wir haben nicht auf allen Straßen die Gerechtigkeit, die Liebe, die
Keuschheit, die Einfachheit gepredigt. Wir haben den Bußruf der
Muttergottes von La Salette und Lourdes in den Wind geschlagen. Wir
haben keine Gewissenserforschung gemacht, keine Reue, keine Beicht,
keine Umkehr, keine Genugtuung. Wir blieben die alten. Und wenn wir
weinten, die Tränen kamen nicht aus der Tiefe.
Die Wetter mußten hereinbrechen. Die Blitze mußten dreinschlagen. Die
Ursache aller göttlichen Strafgerichte der Abfall der Völker! Das ist
so wahr, daß, wenn wir in 24 Stunden Buße tun wür-den, was das größte
aller Wunder wäre, das Angesicht der Erde sich in 24 Stunden mit
Naturnotwendigkeit ändern und alle Kriege, Umwälzungen, Hungersnot,
Erdbeben, Pest verschwinden würden. Dieses Wunder wird jetzt nicht
geschehen. Wir werden nicht Buße tun und darum werden die Wasser der
Trübsal, die gebildet sind aus dem Schweiß, dem Blut und den Tränen der
Völker, weiterhin sich über die Erde ergießen, um sie vom Schmutze der
Laster zu reinigen.
Also: drei Wege ins gelobte Land des Friedens! Bittet, und ihr werdet
empfangen. Arbeitet, und ihr werdet's erringen. Tut Buße, und das
Himmelreich wird nahen. Ihr habt gebetet, nur gebetet, und als ihr
nicht empfinget, finget ihr an, Gott zu lästern. Ihr habt gearbeitet,
und als ihr's nicht erreichtet, verzweifeltet ihr. Ihr vergaßt die
Hauptsache. Tut Buße! Zurück zu den zehn Geboten! Zurück zu den sieben
Sakramenten!
(aus: "Ich bin katholisch" Müstair 2002, S. 72-77) |