54. Jahrgang Nr. 3 / März 2024
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Jesus im Talmud
 
Jesus im Talmud
Hat Kaiphas gesiegt, und nicht der Galiläer?
Ein neuer Blick auf die Darstellung des Erlösers im alten Talmud

von
Friedrich Romig

Hätte es noch eines Nachweises für die Unvereinbarkeit von Christentum und Judentum, von Christenglaube und Judenglaube bedurft, so hat ihn der renommierte Judaist und Direktor für jüdische Studien an der berühmten Princeton-Universität (USA), Peter Schäfer, mit seinem Buch "Jesus in The Talmud" (20 07), das jetzt auch auf Deutsch erschienen ist, in einer an Gelehrsamkeit und Deutlichkeit kaum zu übertreffender Weise erbracht. Die Zustimmung, die er fast unisono von seinen jüdischen Kollegen und Rezensenten erfahren hat, macht die Wende deutlich, welche der christlich-jüdische Dialog in jüngster Zeit genommen hat. Er beruht auf Ehrlichkeit und nicht auf der einfältigen Rede von "unseren älteren Brüdern", der "gemeinsamen Herkunft aus abrahamitischem Stamme" oder "dem gegenseitigen Respekt" und der zu übenden "Toleranz", welche die Wahrheitsfrage ausklammert und keine der unterschiedlichen Glaubensüberzeugungen noch ernst nimmt. Echte Talmud-Juden haben ohnehin für solche, meist von christlicher Seite ausgehenden Anbiederungsversuche nur Hohn und Spott übrig. Wo sich selbst vatikanische Autoritäten bemühen, die Juden vom Mord an Christus freizusprechen, klopfen die ihres Glaubens sicheren Rabbinen sich selbstbewußt an die Brust, Jesus, diesen Gotteslästerer und Götzendiener, seiner gerechten Strafe zugeführt zu haben. Sie beharren darauf, dass der Schauprozess gegen Jesus nicht vor einem römischen Gericht, sondern vor dem Sanhedrin, dem Obergericht der Juden, stattgefunden hat und es Kaiphas war, der seine Kleider zerriß, als er das Todesurteil über den Zimmermann aussprach, der sich mit Gott gleichsetzte. "Ja", so die Rabbiner im Talmud, "wir übernehmen die Verantwortung und es gibt keinen Grund sich deswegen zu schämen, denn wir haben einen Gotteslästerer und Götzendiener rechtmäßig verurteilt. Jesus hat seinen Tod verdient, und er hat nur bekommen, was er verdient hat" (S. 18). Es gibt keinerlei Rechtfertigung für "die christliche Sekte, die unverschämt behauptet, der neue Bund zu sein und die dabei ist, sich als eine neue Religion (und nicht zuletzt als eine Kirche mit politischer Macht) zu etablieren" (S.19).

Vor dieser eminenten Gefahr, die sich nach der konstantinischen Wende und dem Aufstieg der christlichen zur Staatsreligion für das Judentum abzeichnet, lassen die Rabbinen, die im persischen Reich Zuflucht gefunden haben, ihrer Phantasie freien Lauf, um den christlichen Glauben zu schwächen. Persien befindet sich in einem Dauerkrieg mit den byzantinischen Kaisern und unterstützt schon aus diesem Grunde die christenfeindlichen Juden bei der Ausarbeitung des Babylonischen Talmuds, der zur wichtigsten Quelle für das Jesusbild wird, welches das Judentum bis in unsere Tage weiterträgt. Die Jesusstellen im Babylonischen und abgeschwächt auch im Palästinensischen Talmud sollten, so Schäfer, als "Gegenerzählung zum Evangelium" gelesen und begriffen werden, durch welche das um seine Selbstbehauptung ringende Judentum sein Selbstbewußtsein stärkt und mit unbändigem Stolz erfüllt, der selbst noch im Humor und in der Lust zur Parodie Ausdruck findet, mit der der Christusglaube abgetan wird. Schäfer bringt die im Talmud verstreuten Jesusstellen in eine systematische Ordnung und läßt so den Widerspruch zur christlichen Botschaft deutlich vor Augen treten: Familiäre Herkunft, Schülerstadium, Lehrtätigkeit, Heilkunst. Hinrichtung und Höllenstrafe Jesu bilden die Rubriken des Buches für seine Sammlung und Ausdeutung der Talmudstellen.

Die familiäre Herkunft Jesu wird in dieser talmudischen Gegenerzählung mit dem Fehl-tritt Mariens, einer verheirateten oder verlobten Frau, in Verbindung gebracht, die sich mit einem römischen Legionär eingelassen hat und die dabei entstandene Leibesfrucht der "Überschattung" durch den "Heiligen Geist" zuschrieb. Statt verstoßen und gesteinigt zu werden, errang sie zwar die Verzeihung ihres gehörnten Gatten oder Verlobten, doch für die talmudischen Rabbinen ist sie nichts anderes als eine "Hure" (vgl. S. 37,39 u.ö.). Die Pointe dieser Erzählung über die Herkunft Jesu im Talmud liegt darin, dass Jesus durch seinen römischen Vater, "nicht nur ein Bastard, sondern der Sohn eines Nichtjuden war" (S. 40), der auf die Abstammung aus dem vornehmen Hause Davids, wie ihn das Neue Testament vorspiegelt, natürlich überhaupt keinen Anspruch erheben konnte. "Die ganze Idee der davidischen Abstammung Jesu, sein Anspruch, der Messias und schließlich sogar der Sohn Gottes zu sein", ist für die Rabbinen nicht anderes als "Betrug" (S. 45 f).

In der Schulzeit Jesu müssen sich seine Lehrer mit dem mißratenen und in sexuellen Ausschweifungen sich ergehenden discipulus herumschlagen. Er gerät seiner Mutter nach - Untreue liegt ihm im Blut. Er verkehrt mit einer bekannten Prostituierten (Lk 7, 36-50) und beweist den Rabbinen damit, dass er kein Prophet ist. Er macht Maria Magdalena sich hörig, sie wäscht seine Füße, kämmt seine Haare und er küßt ihren "Mund" in aller Öffentlichkeit. Diese im Talmud geradezu pornographisch ausgemalten Frivolitä-ten sollen die Lehrer des jungen Jesu veranlaßt haben, ihn schon zu Lebzeiten zu "exkommunizieren", d.h. aus der Gemeinschaft der Juden auszustoßen. Juden wollen, das ist die Botschaft der Talmudisten, mit dem Christentum nichts zu tun haben und sich keinesfalls von ihm gar "umarmen" oder missionieren lassen. Judenchristen gehören für die Rabbinen zu den widerlichsten Erscheinungen auf Gottes Erdboden die "keinen Anteil an der kommenden (geretteten) Welt haben" werden.

Die Rabbinen bestreiten nicht, dass Jesus magische Kräfte besaß, Dämonen austrieb, Kranke heilte und Tote auferweckte. Was sie ihm und seinen Nachfolgern vorwerfen, ist der Mißbrauch dieser Kräfte. Jesus heilt im eigenen Namen, nicht im Namen Gottes. Er nützt seine Zauberkraft aus, um sich als "Gott" ausgeben zu können und erweist sich so als Hochstapler und Schwindler. Und das sind in den Augen der Rabbinen auch jene, denen er die "Schlüssel" übergibt, die den Zugang zu magischen Vorgängen symbolisieren, "zu binden und zu lösen". Zauberei und Götzendienst sind denn auch Grund, dass Jesus durch den Sanhedrin zum Tode verurteilt und am Vorabend des Passahfestes (ans Kreuz) "gehängt" wurde. Soweit römische Soldaten am Vollzug des Urteils beteiligt waren, vollziehen sie die von den Juden ausgesprochene Strafe. Der Talmud besteht darauf, "daß Jesus nach rabbinischem Recht hingerichtet wurde" (S. 145), und nicht nach römischem.

Jesus wird nach den talmudischen Narrativen immer wieder "in seinen Schülern getötet". Die scharfsinnigen Verurteilungen seiner Schüler durch die Rabbinen bilden den Höhepunkt der Auseinandersetzung über Jesus und das Christentum im babylonischen Talmud. Die Jünger und Schüler werden von den Juden von Anfang an als "Betrüger des Betrügers" bezeichnet, haben sie doch beispielsweise den Leichnam Jesu aus dem Grab gestohlen, um seine Auferstehung vorzutäuschen. Weder sie noch Jesu haben Anteil an der kommenden Welt. Statt zum Himmel aufzufahren, siedet Jesus auf ewig in der Hölle. Jesus gehört mit Titus und Bileam zu den drei Erzfeinden Israels, die alle in der Hölle ihre verdiente Strafe verbüßen. Titus, der den Tempel zerstörte, wird verbrannt, seine Asche ins Meer gestreut, immer wieder herausgefiltert, neu zusammengebacken und wieder verbrannt. Bileam, der Israel den Baal-Peor-Kult mit seinen sexuellen Orgien und Ausschweifungen nahebrachte, sitzt in kochendem Sperma. Und Jesus, der sich als Gott ausgab und den alten Bund Israels mit Gott auflösen und durch den Bund mit ihm ersetzen wollte, sitzt in den "kochenden Exkrementen" (S. 25), die seine Anhänger ständig neu ausscheiden, wenn sie, wie geheißen, sein Fleisch essen und sein Blut trinken (vgl. S. 185). Statt durch ihn zum Leben zu gelangen, werden sie das Schicksal ihres "Herrn" teilen und genauso in der Hölle schmoren wie er. Drastischer und spöttischer lassen sich Auferstehung, Himmelfahrt zu Gottes Thron und Eucharistie, Kernstücke des christlichen Glaubens, kaum parodieren und lächerlich machen.

Verfehlt wäre es, das alles als Hirngespinste von ein paar ausgeflippten Rabbinen abzutun. Die Wirkungsgeschichte der im Talmud verstreuten Anmerkungen zu Jesu ist erstaunlich. Im Mittelalter verdichten sie sich zum Toledot Jeschu-Traktat, das jedem Talmudschüler noch heute vorgetragen wird. In der Neuzeit, so dürfen wir, von Schäfer belehrt und beschenkt, weiterdenken, bildet das scharfsinnige Raisonieren der Rabbiner im Talmud den oft nicht einmal bewußten Ausgangspunkt für die Religionskritik der "Aufklärung". Das Zurückweisen und Wegerklären der Gottheit Jesu, der Jungfrauengeburt, seiner Zeugung durch den "Heiligen Geist", seiner Wundertaten, der "Auferstehung" von den Toten und des Verlassens seiner Grabstätte, seiner "Himmelfahrt", des Pfingstereignisses mit der Wiederkehr als Gespenst, diese Zurückweisungen gehören in der Moderne bis zum heutigen Tage zu den Versatzstücken, mit denen der christliche Glaube nach und nach von allen Halbgebildeten und selbst von christlichen Theologen ausgehöhlt wird. Die Talmudaussagen über die zweifelhafte Herkunft Christi, sein ausschweifendes Leben, sein gespenstisches Wiedererscheinen, die von ihm eingesetzten Kulte und Bluttrinkereien sind inzwischen zu Gegenständen verkommener "Kunst", Love Parades und Unterhaltungsindustrie geworden. In der Rock-Oper wird "Jesus Christ" zum "Superstar" (Rice/Webber), im Film erlebt er noch am Kreuz seine "letzten Versuchungen" sexueller Art (Scorsese), als junger Mann feiert er seine "Hochzeit" mit sexuellen Einlagen (Ingrisch/Einem), er umgibt sich mit seinen "Hawara" (W. Teuschl), er fühlt sich wohl "in schlechter Gesellschaft" (Holl) und zuletzt wird er in geschmacklosen Orgien- und Mysterienspielen mit Blut und Kot symbolhaft beschmiert (Nitsch), ganz wie es der Talmud vorgibt.

Es gehört zu den größten Verdiensten von Peter Schäfer uns mit seinen akribischen Untersuchungen auf die talmudischen Wurzeln des christlichen Glaubensverlustes hinge-führt zu haben, welcher durch Aufklärung, Moderne und Dekadenz unsere Kultur von innen her zersetzt. Betrübt müssen wir heute zugeben, daß seit dem Zweiten Vatikan um selbst die Kirche in ihrer Hirtentätigkeit, Lehre und Liturgie sich dem Prozess zu-nehmender Judaisierung nicht entziehen konnte und wollte. Vor lauter Schuldvorwürfen, Versöhnungs- und Vergebungsbitten ging sie vor ihrem eigentlichen Feind in die Knie, sie distanzierte sich von ihren größten Adversus-Judaios-Heiligen wie Ambrosius, Augustinus oder Chrisostomos, huldigte der neuen Weltreligion des Holocaust, und verlor dabei ihre Glaubwürdigkeit. Dank "Aufklärung" kann heute kaum noch jemand das Glaubensbekenntnis ohne Mentalreservation mehr ablegen, wer die sittlichen Vorschriften der Kirche öffentlich bejaht und Sünde nennt, was Sünde ist (z.B. Homosexualität, Abtreibung, Euthanasie, Blasphemie), wird als "gesellschaftsunfähig" eingestuft und gemobbt (Fall Buttiglione) oder er wird am Sprechen gehindert (Bendikt XVI. an der römischen Universität "La Sapienza" im Feber 2008). Für den Außenstehenden sieht es jetzt so aus, als habe eben doch Kaiphas gesiegt, und nicht der Galiläer.

Peter Schäfer: Jesus im Talmud. Aus dem Englischen von Barbara Schäfer. Mohr Siebeck, Tübingen 2007. ISBN 978-3-16-149462-8.325 Seiten. € 29.-.  Erschienen in ZUR ZEIT, Nr. 11-12 vom 14-27. März 2008, S. 25 in gekürzter Form (Die in Fettdruck wiedergegebenen Teile sind der Kürzung durch die Redaktion zum Opfer gefallen).

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