54. Jahrgang Nr. 3 / März 2024
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BESSER ALS CHRISTUS
 
BESSER ALS CHRISTUS

von
Univ.-Prof. Dr. Reinhard Lauth, München

Es mag jetzt ungefähr ein Jahr her sein, als ein junger Theologe, der im Bewußtsein der Greuel des Reformismus dennoch das Wagnis auf sich genommen hatte, Priester werden zu wollen, sich nach einem langen und ernsten Gespräch von mir verabschiedete. Er hatte den bitteren Kelch einer mehrjährigen Existenz in einem moderden Priesterseminar schon nahezu geleert, die dort herrschende zynische Glaubenslosigkeit und die das Blasphemische streifende Praxis ertragen. Jetzt stand er vor der Priesterweihe. Wir hatten über die Agonie gesprochen, in der sich der Leib Christi in dieser Weltstunde befindet. Da fragte er mich beim Gehen: Könnten Sie mir wohl mit Einem Worte sagen, was das Wesen des unverfälschten katholischen Christseins ausmacht? Ich antwortete, ohne zu zögern: die Demut. Die Grundlage der katholischen Rechtgläubigkeit ist die Demut.

Wenn das aber so ist, so erkennt man jeden, der vom katholischen Glauben abfällt oder abweicht, unfehlbar an seinem Hochmut. Dieser Hochmut zeigt sich im Reformismus auf dreierlei Weise: der Reformkatholik, ja jeder, in dem das reformerische Gift auch nur im Geringsten zu wirken beginnt, ist klüger als Christus, er ist weiser als Christus, er ist mehr als Christus. Klüger als Christus! Jesus hat uns gesagt: "Eure Rede sei Ja = Ja, nein = nein. Was darüber hinausgeht, ist vom Übel." (Matth.V7370)"Ihr könnt nicht Gott und der Macht des Geldes ( dem Mammon ) dienen!" (Matth. VI,24.) Die Reformer aber sagen: Wir stellen es klüger an als der Herr, und sie erliegen der Politlk. Sle bewundern ihre eigene Finesse, wenn es ihnen gelingt, die abweichendsten Ansichten mit einer sprachlich vieldeutigen Formel abzudecken.
Auf den Salzburger Hochschulwochen hörte ich noch vor der Reform einen Vortrag des damals schon "greisen evangelischen Bischofs Stählin. Er berichtete von der ökumenischen Arbeit, die er zusammen mit dem jetzigen Kardinal Jäger leistete. Dabei empfahl er dringend, nach Glaubensformeln zu suchen, die verschiedene, logisch unvereinbare theologische Standgunkte gleicherweise abdeckten. Man solle dies kirchlicherseits ganz bewußt tun, um auf diese Weise eine Einigung im Glauben zu erzielen. Es versteht sich heute fast von selbst, daß ein Küng eine Verlautbarung der deutschen reform-"katholischen" Bischöfe deshalb gut findet, weil sie zweideutig ist und eine verschiedene Auslegung zuläßt. Daß das sich offen seiner Unehrlichkeit rühmen heißt, bemerken unsere vom Massenwahnsinn erfaßten Zeitgenossen schon gar nicht mehr.

Welch ein Hochmut liegt in dieser Haltung! Sie dünken sich in ihrer Klugheit über alle Mitmenschen so erhaben, daß sie wie von einem keiner Kontrolle mehr bedürfenden Grundsatz von der Voraussetzung ausgehen) niemand sonst werde so klug sein, ihr qui pro quo zu bemerken, und niemand so ehrlich um sein Heil bemüht, es nicht auf die leichte Schulter zu nehmen, und auf diese Weise könne man den anderen Menschen aufbinden, Schwarz sei Weiß und Weiß sei Schwarz.

Zweideutigkeit annehmen, heißt, der Wahrheit benehmen wollen, daß sie allein Wahrheit ist, und da die Wahrheit ein Name Gottes ist, neben Gott andere Götter haben wollen. Derjenige, der das Verschiedenartige zusammenwirft, ist der Teufel (diabolos). Aber natürlich - das sagt die Heilige Schrift, und Der, Der in ihr spricht, der Heilige Geist, ist einfältiger als diese gelehrten Theologen und gewiegten Politiker unserer Tage.

Die Versuchung der Politik ist bis tief in die Reihen der rechtglaubig gebliebenen katholischen Christen am Werke. Man setzt auf die große Zahl, auf die Publizität und den Öffentlichkeitserfolg. Es bedeutet nichts, daß Gott dem hl.König David die Zahlung seines Volkes untersagte und ihn schwer dafür strafte, daß er sie dennoch vornahm.

Damit wollte Gott uns eindringlich lehren, daß wir nicht auf die Zahl vertrauen sollen. Aber schaffen es unsere Gegner nicht mit der Quantität, mit der Mehrheit, die sie jetzt noch dazu demokratisch in der Kirche institutionalisieren wollen? Und müssen wir nicht trachten, es ihnen gleichzutun? - Der Heilige Geist sagt dazu: "Wie kann denn einer [cf. die kleine Schar der bewußten Zerstörer der Kirche] tausend [cf. das gesamte Kirchenvolk] und zwei zehntausend in die Flucht schlagen? Doch nur, weil ihr Fels sie verkaufte, und weil Gott sie preisgab. Denn nicht wie unser Fels ist ihr Fels." (Deut., XXXII, 30-31) - Wenn ihr nach meinen Gesetzen wandelt und meine Gebote beobachtet, [...] dann werden hundert von euch zehntausend in die Flucht schlagen und eure Feinde vor euch fallen." (Lev.XXVI,8.) Jesus hat sich in der Wüste freiwillig alles Erfolges begeben. Er ist vor den gotteslästernden Juden, die ihn dazu aufforderten, nicht vom Kreuz herabgestiegen, weil er den Öffentlichkeitserfolg als Mittel zur Annahme der Wahrheit verwarf. - Wir haben leider Priester in unseren Reihen, die sagen: Wir zweifeln an der Legitimität Pauls VI., wir überzeugen uns immer mehr, daß er die Kirche böswillig ruiniert; wir sind der Auffassung, daß er seine merkwürdige Politik vor einem kirchlichen Gerichte verantworten soll; - aber wir werden das unseren Gläubigen nicht sagen, um sie zu schonen.

Und so erklären sie in der Öffentlichkeit, Paul VI. sei zweifelsfrei rechtmäßiger Papst und wir hätten die Pflicht, ihm und den mit ihm verbundenen Bischöfen zu gehorchen. Was soll nun aber gelten? Und warum diese Zweideutigkeit? Etwa aus dem Grunde, den ein gewisser Mann angibt, der sich eifrig bemüht, mit seinem Gelde die Gegenreformation auf ein totes Geleise zu manövrieren: daß das einfache katholische Volk zu dumm sei und immer zu dumm bleiben werde, daß es eine autoritative Führung brauche und man ihm verhehlen müsse, daß die Autorität Pauls VI. zweifelhaft geworden ist? Kann die Kirche sich jemals von der gegenwärtigen Sünde reinigen, wenn sie diese Frage nicht stellt und klärt? Und heißt, diese Klärung verhindern, nicht, wollen, daß der Leib Christi an dem in ihm wütenden Eitergift stirbt? Ist hier Ja Ja und Nein Nein? Sie sind also klüger als Christus?

Einer unserer fähigsten Priester verfällt auf seine Weise der Politik. Es ist seiner hohen Intelligenz freilich nicht entgangen, daß mit der Erklärung Johannes` XXIII., es werde unter seinem Pontifikat keine Verurteilungen geben, die Regierung der Kirche nicht mehr ausgeübt wird, sondern ruht. Er verkennt auch nicht, daß Paul Vl. und daß "diesmal die gesamte Hierarchie sich für die modernistische und progressistische Bewegung engagiert hat", die bereits durch den hl.Papst Pius X. wirksam verdammt ist. Aber der hochwürdige Abbé hofft, einige - und unter ihnen für Frankreich entscheidende - Bischöfe für seine Erkenntnisse gewinnen zu können. Und da möchte er ihnen eine goldene Brücke bauen. "Die Priester", schreibt er, "die die Revolution predigen und die Liturgie umkrempeln und häufig enorme Dummheiten propagieren [...] , diese Priester, die wir für verirrt halten, sind im Grunde ihrer selbst zutiefst katholisch geblieben. "Eines schönen Tages würden sie das entdecken, und dann brauchten sie nur wieder den rechten Weg zu betreten und die wahre Kirche wiederherausteilen.

Das ist doch, als wenn man im Jahre 1792 gesagt hätte: alle die Adligen, die die Revolution von 1789 gemacht haben, sind im Grunde ihres Herzens treue Royalisten, auch wenn sie jetzt die staatliche Verfassung von Grund aus umwandeln, für die Enthauptung des Königs stimmen und die ungeheuerlichsten politischen Grundsätze vertreten. Eines Tages werden sie das entdecken, und dann brauchen sie nur wieder den rechten Weg zu beschreiten und die Monarchie wiederherzustellen.
Nein, Herr-Abbé! Nach einer solchen RevoIution gibt es keine Wiederherstellung der Monarchie mehr. Unter Napoleon kam die Wahrheit zu Tage: die Adligen stellten sich den Revolutionsgeneralen und -beamten gleich, und diese wurden ihrerseits Könige, Herzöge und später Pairs. Nach einer solchen Revolution gibt es bestenfalls eine Restauration, und die ist nichts anderes als die Illusion einer Schein- monarchie: eine österreichisch-ungarische Monarchie statt des Heiligen römischen Reiches; einen Ludwig XVIII., den Napoleon zu verächtlich fand, um ihn zu verhaften, als er bei der Rückkehr von Elba unerwartet auf ihn stieß, und schließlich einen Orléans - aber keinen Ludwig XVI. mehr.

Man kann nicht für die Enthauptung des rechtmäßigen Königs stimmen und nachher so tun, als wenn nichts geschehen wäre! Man kann nicht das Ende des Heiligen Reiches erklären und nachher so tun, als wenn Österreich ja dasselbe Kaiserreich wäre. Man kann nicht die Wandlungsworte Christi verfälschen und nachher so tun, als wenn alle die neuen "Messen", die man inzwischen gelesen hat, in Ordnung gewesen wären. Diese Taten folgen uns unauslöschlich nach!

Weiser als Christus! Jesus, der vollkommen Sündlose und Heilige, hat sich in den Versuchungen der Wüste aller Macht begeben. Als der Tenfel, an die Bestätigung im Jordan "Du bist mein geliebter Sohn" anknüpfend, ihm sagte: "Wenn du der Sohn Gottes bist", dann steht es Dir auch dank Deiner göttlichen Heiligkeit zu, aus Steinen Brot zu machen und Dir durch Wunder zu helfen, wenn Du das brauchst,     und überhaupt alle Macht auf Erden zu haben, da antwortete ihm der Herr: der Mensch lebe vom Worte Gottes, und nicht vom bloßen Brot; es hieße Gott versuchen, wollte
man mit Wundermacht den Lauf der Ereignisse verbessern; er verehre nur Gott und diene nur ihm, nicht der Macht.

Die Reformer aber wissen es besser: Jesus hat es auf dem falschen Weg versucht; er hat die Bedeutung der sozialen Frage nicht erkannt. Die Kirche muß es sich zur ersten und wichtigsten Aufgabe machen, die gesellschaftliche Ungerechtigkeit in der Welt zu beseitigen. Sie denken nicht daran oder halten es für Torheit, daß Jesus gegen die furchtbare politische Unterdrückung in Palästina zu Seinen Lebzeiten durch die Herodäer und Römer und gegen die soziale Ungerechtigkeit der Sklaverei nicht angegangen ist. "Suchet zuerst das Reich Gottes, und alles andere wird euch dazugegeben werden!" lehrte uns Jesus. Die Reformer sind weiser; sie sagen: Suchen wir zuerst die irdische Gerechtigkeit, und dann wird uns das Gottesreich dazugegeben werden. Warum aber der Mensch noch die - wenn auch nur politische und soziale - Gerechtigkeit suchen sollte, wenn er Gott verachtet, danach fragen sie nicht mehr. Jesus wußte, daß nur die Wahrheit uns freimacht. Sie aber sind weiser und lehren: die Freiheit wird uns wahrhaft machen.

Mit der Wahrheit läßt sich nicht markten! Sie kann nur ganz angenommen oder abgelehnt werden. Da regt sich wohl einer unter unseren Lesern darüber auf, daß es Léon Bloy "köstlich" fand, daß beim Brand des Pariser "Liebesbazars" einige von denen, die dort blasphemische Dinge getrieben hatten, verbrannten, und daß nur die geringe Zahl der Opfer seine Freude eingeschränkt hätte. Als wenn es nicht ganz selbstverständlich wäre, daß Bloy nicht einen pathologischen Blutdurst befriedigen, sondern seiner unaussprechlichen Entrüstung über die geistig-geistliche Korruption -   den Segen des päpstlichen Nuntius für das Cabaret zur liebesbrünstigen Sau der veranstaltenden Herzoginnen - unzureichenden Ausdruck geben wollte.

Es lohnt sich nicht, darüber zu streiten, ob Bloy ein christlicher Prophet ist oder nicht. Wer es nicht sieht, der sieht es eben nicht. Aber daß die Kirche in ihrem Stundengebet und ganz besonders in der heiligen Karwoche die Rachepsalmen betet, die ebendasselbe sagen und in denen der Heilige Geist spricht, das muß man entweder in Demut als Ausdruck der Wahrheit annehmen - oder eben aufhören, katholisch zu sein.

Wenn die Sünde wider die ersten drei Gebote unendlich viel schwerer wiegt als alle anderen Sünden - Massenmord und perverseste Unzucht eingeschlossen dann sind auch die Greuel der Konzentrationslager noch nicht einmal der Anfang der Genugtuung, die derartige Sünden erfordern; und Stalin und Hitler sind Säuglinge gegen jene Kirchenfürsten samt ihren katholischen Herzoginnen`*) , die die heutige innerkirchliche Blasphemie verschuldet haben.

Wir alle hoffen auf die stellvertretende Genugtuung Christi, auf daß diese Strafen uns verschonen; aber wie können wir es wagen, diese Sühne des Unschuldigen in Anspruch zu nehmen, wenn wir nicht zuvor die volle Wahrheit erkennen, daß nämlich kein ausdenkbares Strafgericht an den Menschen allein diese Sünde aufwiegen und uns erleichtern könnte. Aber die Sünde gegen den Heiligen Geist wird nach Jesu Wort weder auf Erden noch im Himmel vergeben! "Der Heilige Geist, dieser unerhörte Besucher, wird keine Freunde haben, [wenn er kommt]." (Léon Bloy).

Anmaßung der menschlichen Weisheit, Versuchung der Politik! Und das ist immer wieder jenes selbe "Descendat nunc de cruce, et credimus ei"!**) Er soll nicht nur heilig sein; er soll sich der Macht und der List bedienen. Kann es eine größere Verachtung des Armen - des Armen !!! - geben, als diese Aufforderung an den am Kreuze Sterbenden, und folglich - einen größeren Hochmut? Klüger, weiser, mehr - als Der, Der nur die Wahrheit war und sein wollte und deshalb am Kreuze verblutete.


*) Ich schreibe Herzoginnen in Anführungszeichen, puisque les lys ne filent pas (Matth.VI, 28), sondern nur die truies.

**)"Er steige jetzt herab vom Kreuze, und wir glauben an ihn!"

 
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