EIN SCHEINBARER WIDERSPRUCH
von
Michael Wildfeuer, München
In Nr. 18 seiner Zeitschrift "Forts dans la foi" führt der hochw. Père
Barbara zwei sich angeblich ausschließende Sätze an, die beide in der
Kirche vertreten worden sind (S. 415 f):
1. Satz: "Papa haereticus non est
depositus, sed deponendus." Ein häretischer Papst ist nicht abgesetzt,
sondern muß abgesetzt werden.
2. Satz: "Papa haereticus est depositus." Ein häretischer Papst ist abgesetzt.
Der erste Satz - so fährt P.Barbara fort - ist besonders von Kardinal
Kajetan und Jean de St. Thomas vertreten worden, der zweite besonders
vom hl.Robert Bellarmin und von Suarez.
Dem ersten Anschein nach widersprechen sich beide Lehraussagen. Da aber
die genannten vier Männer anerkannte Theologen der katholischen Kirche
sind, stellt sich uns die Aufgabe, genauer hinzusehen und zu fragen, ob
sie in der Tat widersprüchlich sind.
Beide Sätze sagen etwas über die Grundbestimmung "häretischer Papst" aus. Was ist ein häretischer Papst?
Häretisch ist einer, "der nach Empfang der Taufe unter dem Namen eines
Christen eine der Wahrheiten, die man nach der göttlichen und
katholischen Glaubenslehre glauben muß, leugnet oder bezweifelt."
(Kirchenrecht, can.1325 §2) Wer aber eine Wahrheit des katholischen
Glaubens leugnet oder bezweifelt, der leugnet oder bezweifelt damit
notwendig die Glaubwürdigkeit der katholischen Kirche, d.h. er räumt
ein, daß die Kirche Jesu Christi irren oder gar lügen könnte. Und das
heißt wiederum, er erkennt das tragende Prinzip der Kirche - ihre
Heiligkeit und Göttlichkeit - nicht an. Mit einem Wort: Er ist nicht
mehr katholisch. Wer häretisch ist, ist nicht katholisch und wer
katholisch ist, ist nicht häretisch.
Deshalb lehrt der Römische Katechismus (I.Teil, 10.Hauptstück, Nr.9),
Häretiker seien von der Kirche ausgeschlossen, weil sie von ihr
abgefallen sind. "Denn sie gehören zur Kirche ebensowenig, als
Uberläufer noch dem Kriegsheer angehören, von dem sie abtrünnig
geworden." Soviel zur Bestimmung von häretisch.
Der Papst ist das sichtbare Oberhaupt der katholischen Kirche und der
von Gott beauftragte und geleitete Hüter der wahren Glaubenslehre. Dies
kann er nur sein, wenn er die wahre Glaubenslehre uneingeschränkt
willentlich bejaht. Er ist also seinem Begriff zufolge notwendig
katholisch und nicht häretisch.
Die Verbindung "häretischer Papst" behauptete also, nähme man jedes der
beiden Momente als in Wahrheit gegeben, einen nichtkatholischen
Katholiken. Man muß also, um den großen Theologen nicht baren Unsinn
anzudichten und um den in einem kurzen Merksatz zusammengepreßten
Sachverhalt begreifen zu können, eines der Momente als nicht in
Wahrheit, sondern als in Unwahrheit, d.h. dem Schein oder dem bloßen
Anspruch nach gegeben betrachten und unter "papa haereticus" eine
Person verstehen, die zwar vorgibt oder beansprucht, Papst zu sein;
aber, da in der Tat häretisch, diesen Anspruch nicht erfüllt, also in
Wahrheit nicht Papst ist. (Wollte man umgekehrt unter "papa haereticus"
eine Person verstehen, die in Wahrheit Papst ist, aber vorgibt,
häretisch zu sein, so würde man wieder baren Unsinn behaupten; ebenso
mit der Annahme einer Person, die beides, häretisch und Papst, nur
vorgeben, keines aber in Wahrheit sein soll.)
Man kann sich diesen Fall auf zweierlei Weise denken: Entweder ist
diese Person, zuerst tatsächlich katholisch, rechtmäßiger Papst
geworden, fällt aber dann im Verlauf ihres Pontifikats in Häresie, was
wegen der Willensfreiheit nicht ausgeschlossen werden kann, oder sie
ist in der Tat nicht katholisch, hat sich aber geschickt zum Stuhl
Petri hinaufgeschmuggelt und hinaufschmuggeln lassen (Invasor), dann
ist sie in Wahrheit gar nie Papst geworden. Dieser Fall ist möglich, so
wie Lüge und Irrtum möglich sind.
Mit der getroffenen Bestimmung ist zweierlei gegeben:
1) Der "häretische Papst" ist
der Wahrheit nach nicht (mehr) Papst (so sehr er es auch beanspruchen
mag), d.h. er ist depositus, abgesetzt. "Abgesetzt sein" bedeutet hier
also "in Wahrheit des Amtes enthoben sein".
2) Der "häretische Papst" ist
dem Anspruch nach (noch) Papst (sowenig dieser Anspruch auch durch die
Wahrheit erfüllt wird). Diesen Betrug kann die Kirche, wenn sie wahre
Kirche sein will, auf keinen Fall dulden, sie muß sich also von ihm
trennen, und da sie sichtbare Kirche ist, muß sie sich von ihm sichtbar
trennen, wie ja auch der falsche Anspruch sichtbar ist. Das bedeutet,
sie muß öffentlich erklären, daß diese Person in Wahrheit nicht Papst
ist, und d.h. diese Person ist deponendus, sie muß abgesetzt werden.
"Abgesetzt werden" bedeutet hier also "des Amtes für enthoben
deklariert werden".
Die Untersuchung der Grundbestimmung"häretischer Papst" ergibt also,
daß beide Ausgangsthesen richtig und miteinander vereinbar sind, ja daß
beide notwendig sind und aufeinander Verweisen: Einer, der in der Tat
nicht Papst ist (ein Abgesetzter, absetzen in der 1.Bedeutung) kann von
der Kirche nicht als angeblicher Papst geduldet werden (ist abzusetzen;
absetzen in der 2.Bedeutung). Umgekehrt: Einer, dessen falscher
Anspruch, Papst zu sein, von der Kirche zerschlagen werden muß (ein
Abzusetzender; 2.Bedeutung) muß in der Tat schon nicht (mehr)
Papst sein (ist abgesetzt; 1.Bedeutung); sonst wäre ja sein Anspruch
nicht falsch. Ein Abgesetzter ist ein Abzusetzender und ein
Abzusetzender ist ein Abgesetzter - "absetzen" jeweils in der erklärten
Bedeutung.
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