55. Jahrgang Nr. 2 / April 2025
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1. DIE AUFERSTEHUNG - EINE OSTERPREDIGT
2. ERLÖSER DES MENSCHEN?
3. JOHANNES PAUL II.
4. DER ABGRUNDTIEFE HASS
5. S. E. Erzbischof Marcel Lefebvre spricht - 33. Teil
6. ERKLÄRUNG
7. STELLUNGNAHME GEGEN DIE VORWÜRFE, DIE GEGEN DAS VON DER SAKA GEPLANTE SEMINAR GERICHTET SIND.
8. Um der Wahrheit willen
9. OFFENE FRAGEN AN H.H. PFARRER HANS MILCH
10. KEINE KOEXISTENZ!
11. DAS 4. GEBOT
12. EINIGE GEDANKEN ZUM PROBLEM DER STÄNDIGEN SEXUELLEN PROVOKATION
13. KATECHISMUS DER KATHOLISCHEN RELIGION
14. IM GEDENKEN AN...
15. DER MOLOCH VON HEUTE
16. POUR VOUS ET POUR TOUS - LE PROGRAMME DE JEAN-PAUL II
17. NACHRICHTEN, NACHRICHTEN, NACHRICHTEN
18. MITTEILUNGEN DER REDAKTION
ERLÖSER DES MENSCHEN?
 
ERLÖSER DES MENSCHEN?
ZUR ENZYKLIKA JOHANNES PAUL II. "REDEMPTOR HOMONIS"


von
Wigand Siebel

(Auszug aus: "Beda-Kreis", Freiburg Okt. 1979)


Einleitung

Die Enzyklika "Redemptor hominis" Johannes Paul II. vom 4. März 1979 ist ein programmatisches Dokument. Sie steht zu Anfang eines Pontifikates; ihr Inhalt und ihre Länge zeigen deutlich, daß Johannes Paul II. die entscheidenden Zeichen für seine Amtsführung und zugleich für den Weg der Kirche in die Zukunft setzen will. Das Original der Enzyklika ist bereits im November in polnischer Sprache geschrieben worden. Johannes Paul II. hat die Enzyklika "als das Ergebnis seiner persönlichen Meditation" bezeichnet. Sie ist dies in höherem Maße, als man sonst von einer päpstlichen Enzyklika sagen kann (1)). Die amtliche Fassung wurde in lateinischer Sprache veröffentlicht. ((2))

Der Titel der Enzyklika "Redemptor hominis", Erlöser d e s Menschen, muß ebenfalls als programmatisch verstanden werden. Christus ist "der Erlöser der Welt" (Jo 4,42), er ist "der Erlöser aller Menschen" (1 Tim 4,lo), aber "vornehmlich" ist er der Erlöser "der Gläubigen" (1 Tim 4,lo), denn diese sind es, die die Kirche bilden, die er "mit seinem eigenen Blute erworben hat" (Apg 2o,28). (...) Aber ist Christus auch "der Erlöser d e s Menschen"? Die Heilige Schrift gibt darüber keinen zweifelsfreien Anhaltspunkt. Es muß damit etwas besonderes gemeint sein. Dieses Besondere soll im folgenden unter drei Gesichtspunkten behandelt werden:
I. Der neue Advent,
II. Die neue Kirche,
III. Der neue Weg.

I. Der neue Advent

Unter Hinweis auf das Jahr 2ooo, das "ein wichtiges Jubiläum darstellen" wird, heißt es zu Beginn der Enzyklika (1.2): "Wir befinden uns in gewisser Weise in der Zeit eines neuen Adventes, in einer Zeit der Erwartung". Mehrfach wird diese Idee in stets wechselnder Formulierung wieder aufgegriffen. "Wenn die Wege, auf die das letzte Konzil die Kirche geführt hat und die uns der verstorbene Papst Paul VI. in seiner ersten Enzyklika aufgezeigt hat, für lange Zeit die Wege sein werden, die wir alle weiter verfolgen müssen, können wir uns doch gleichzeitig in dieser neuen Epoche mit Recht fragen: Und wie? Auf welche Weise muß man sie fortsetzen? Was müssen wir tun, damit dieser neue Advent der Kirche, der mit dem nahen Ende des 2. Jahrtausends parallel geht, uns demjenigen näher bringt, den die Schrift 'Vater in Ewigkeit', 'pater futuri saeculi' nennt"(7.1). (...)

Hatten Johannes XIII. und Paul VI. einen neuen Frühling der Kirche erwartet, so ist Johannes Paul II. realistischer: Der erwartete Aufschwung der Kirche, der neue Advent, liegt erst in der Zukunft, wenn auch in der nahen Zukunft, nämlich am Ende des 2. Jahrtausends. Warum wird so oft von dem "Offenbarwerden der Söhne Gottes" gesprochen? Diese Stelle aus dem Römerbrief steht in Parallele zum Kolosserbrief (3,4), wo es heißt: "Wenn Christus, unser Leben, offenbar wird, werdet auch ihr mit ihm offenbar werden". Im Text der Enzyklika ist dieser Bezug an keiner Stelle herausgearbeitet. Der "neue Advent" ist eine "neue Etappe", die uns dem "pater futuri saeculi" näherbringt. Sie ist also nicht das Ende der Welt. (...) Am Ende der Enzyklika ist nicht mehr nur vom neuen Advent der Kirche, sondern vom "neuen Advent der Menschheit" (22.6) die Rede.

Grundlage für die Erwartung des "neuen Adventes" ist das Wirken des Vatikanum II und insbesondere die Tätigkeit Paul VI. "Das reiche Erbe der letzten Pontifikate ... hat im Bewußtsein der Kirche auf völlig neue, bisher noch nicht gekannte Weise tiefe Wurzeln geschlagen durch das Werk des Zweiten Vatikanischen Konzils, das von Papst Johannes XXIII. einberufen und eröffnet und dann von Papst Paul VI. glücklich abgeschlossen und mit Ausdauer im Leben der Kirche verwirklicht worden ist" (3.1). (...)

Insbesondere ist Anknüpfungspunkt die Enzyklika "Ecclesiam suam" Paul VI.: "Während ich mich heute auf dieses programmatische Dokument des Pontifikates Paul VI. beziehe, höre ich nicht auf, Gott dafür zu danken, daß dieser mein großer Vorgänger und zugleich wahrer Vater es verstanden hat - trotz der verschiedenen internen Schwächen, die die Kirche in der nachkonziliaren Periode befallen haben - ihr wahres Antlitz 'ad extra1, nach außen hin, darzustellen" (4.1). "Es ist für mich notwendig, ... das Werk des Zweiten Vatikanischen Konzils und meiner großen Vorgänger in Erinnerung zu halten, die diese neue 'Welle' im Leben der Kirche hervorgerufen haben, eine Bewegung, die weit stärker ist als die Anzeichen des Zweifels, des Verfalls und der Krise"(5.4). (...)

II. Die neue Kirche

1. Ein neues Bewußtsein

Die Kirche des neuen Adventes besitzt ein neues Bewußtsein, das vom Vatikanum II entwickelt wurde. Dementsprechend heißt es: "Das Zweite Vatikanische Konzil hat eine ungeheure Arbeit geleistet, um jenes volle und universale Bewußtsein heranzubilden, von dem Papst Paul VI. in seiner ersten Enzyklika schreibt. Ein solches Bewußtsein - oder besser Selbstverständnis der Kirche - entwickelt sich 'im Dialog'"(11.1). (...) Worin besteht das neue Bewußtsein der Kirche? Es "muß sich das Bewußtsein der Kirche mit einer weltweiten Öffnung verbinden, damit alle in ihr 'den unergründlichen Reichtum Christi1 finden können ... Diese Öffnung (ist) vom Bewußtsein der eigenen Natur und von der Gewißheit der eigenen Wahrheit getragen und begleitet" (4.1). Sie "bestimmt den apostolischen, das heißt missionarischen Dynamismus der Kirche, wobei sie unverkürzt die ganze Wahrheit bekennt und verkündet, die ihr von Christus überliefert worden ist. Gleichzeitig muß sie jenen Dialog führen, den Paul VI. in seiner Enzyklika Ecclesiam suam einen 'Heilsdialog' genannt" hat(4.1).

Ist es wirklich die "weltweite Öffnung", die den "missionarischen Dynamismus" der Kirche bestimmt, so kann dieser nur eine Art umgekehrte Mission, nämlich ein Eindringen der Welt in die Kirche sein. Der Weg auf die Öffnung zu ist dabei der Dialog.

2. Eine neue Einheit

Ist die Kirche in der beschriebenen Weise der Bewußtseinsänderung durch die "Öffnung" unterworfen, so wird es schwer sein, die Einheit der Kirche noch zu erkennen. Angeblich hat sich die Einheit gestärkt: "Die Kirche ist - entgegen allem Anschein - heute geeinter in der Gemeinschaft des Dienens und im Bewußtsein des Apostolates. Diese Einheit entspringt jenem Prinzip der Kollegialität, das vom Zweiten Vatikanischen Konzil in Erinnerung gerufen ist"(5.1). (...)

"Die Kirche ist 'in Christus gleichsam das Sakrament, das heißt Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit'"(7.3). Diese Ansicht des Vatikanum II aus der Konstitution "Lumen gentium" (Art 1) ist von zentraler Bedeutung für die Enzyklika. Gleich dreimal wird dieser Satz an verschiedenen Stellen zitiert. Die Kirche als "Sakrament" zu bezeichnen, ist jedoch ein fragwürdiges Unternehmen. Sie ist doch mehr als ein Sakrament, nämlich die göttliche Stiftung, in der alle Sakramente ihren Platz haben. Erst recht ist es fraglich, ob man die Kirche als ein Zeichen und Werkzeug für die Einheit der ganzen Menschheit bezeichnen kann. Die Kirche ist kein Zeichen für die Einheit der Menschheit. Denn die Einheit der Menschheit liegt ja gerade in der katholischen Kirche, in die einzutreten jeder Mensch um seines ewigen Heiles willen verpflichtet ist. Wenn sie nur ein Zeichen für die Einheit der Menschheit wäre, so könnte die Verpflichtung, in sie einzutreten, nicht existieren; das Zeichen wäre ja nur ein Hinweis auf eine erst zu schaffende Einheit der Menschen. Die Kirche ist aber erst recht nicht ein Zeichen für die Einheit der g a n z e n Menschheit, denn es gibt viele Menschen, die verloren gehen. Ebensowenig ist die Kirche ein Werkzeug zur Herbeiführung der Einheit der ganzen Menschheit. Damit stünde die Kirche im Dienst des Menschen, während sie doch in Wahrheit nur Gott dient. (...)

Ferner hat das Vatikanum II die Bestimmung der Kirche als "Volk Gottes" hervorgehoben (£3)) ; die Bezeichnung als "Leib Christi" wurde dagegen in den Hintergrund gerückt. Entsprechend heißt es in der Enzyklika: "Die Kirche ist nämlich als Volk Gottes ... auch der 'mystische Leib Christi'" (21.2). Als Volk Gottes der mystische Leib? Hier liegt eine unzulässige Verschiebung vor. Die Kirche ist in erster Linie der "Leib (bzw. der mystische Leib) Christi" nach der Lehre des hl. Paulus, die besonders von Pius XII. entfaltet worden ist ((4)) . Erst in zweiter Linie kann sie als "Volk Gottes" gesehen werden. (...) Wer gehört denn zum Volk Gottes? "Die Zugehörigkeit zu ihm kommt aus einem besonderen Ruf in Verbindung mit dem Heilswirken der Gnade. Wenn wir also diese Gemeinschaft des Volkes Gottes, die so umfassend und äußerst differenziert ist, vor Augen haben wollen, müssen wir vor allem auf Christus blicken, der in gewisser Weise ja jedem Glied dieser Gemeinschaft sagt: 'Folge mir nach!'"(21.2)

Kann diese Gemeinschaft, die "so umfassend und äußerst differenziert ist", die katholische Kirche sein? Sagt Christus nicht zu j e d e m Menschen: "Folge mir!"? Der Satz gibt nur scheinbar Antwort auf die Frage nach der Zugehörigkeit, im Grunde wird alles offen gelassen. Erst zum Schluß des Absatzes wird die Zugehörigkeitsfrage etwas deutlicher beantwortet: Es zeigt sich, daß das Volk Gottes "gerade dadurch Gemeinschaft ist, daß alle sie mit Christus selbst bilden, wenigstens dadurch, daß sie in ihrer Seele das unauslöschliche Merkmal eines Christen tragen"(21.2). Das "unauslöschliche Merkmal", das kann nichts anderes als die Taufe sein. Mindestbedingung für die Zugehörigkeit wäre danach die Taufe. Folglich müßten alle Getauften zum Volk Gottes gehören. (...) Zur katholischen Kirche gehören jedoch die Getauften nicht ohne weiteres. Die volle Mitgliedschaft erfordert weitere Bedingung, so das Bekenntnis des wahren Glaubens und das Verbundensein mit der Gemeinschaft der Kirche ((5)) .

Aber das Wort "wenigstens" (saltern) kann auch anders gedeutet werden: Das mindeste ist, daß man wenigstens die Taufe hat. Besser ist es, wenn man "einen besonderen Ruf in Verbindung mit dem Heilswirken der Gnade hat" (21.2). Dafür scheint jedenfalls die Taufe nicht Vorbedingung zu sein. Dann wäre das Volk Gottes nicht auf die Getauften begrenzt. (...)

3. Eine neue Mutter der Kirche

Für die Relativierung des Kirchenbegriffes hat sich als ein besonders wirksames Mittel der von Paul VI. proklamierte Titel "Mutter der Kirche" erwiesen. So steht dieser Titel im Mittelpunkt der Ausführungen der Enzyklika über die Gottesmutter, ja der ganze betreffende Abschnitt handelt eigentlich nur davon.

Was heißt Mutter der Kirche? Die Antwort ist folgende: Wenn wir uns der Aufgabe, die "dynamische Verbindung zwischen dem Geheimnis der Erlösung und jedem Menschen aufrechtzuerhalten" (22.1) auch bewußt sind, verstehen wir wohl besser, was es heißt zu sagen, daß die Kirche Mutter ist, und was es heißt zu sagen, daß die Kirche immer und besonders in unserer Zeit das Bedürfnis nach einer Mutter hat" (22.2). (...)

Für die Öffnung zur Welt ist aber ein Bewußtsein, das die Kirche als Leib Christi und als Mutter der Gläubigen ansieht, ein Hindernis. Die Kirche soll vor allem als Volk Gottes vorgestellt werden, nicht als heilige Jungfrau, nicht als Institution mit ihren Heiligungsmitteln, nicht als Mutter der Glieder des Leibes Christi*. Das pilgernde Volk Gottes, das sich mehr und mehr in die Gestaltlosigkeit der Menschheit auflöst, braucht "besonders in unserer Zeit" eine Mutter, die sie die Kirche als Braut Christi vergessen lassen kann. (...) Gibt es aber eine "Mutter der Kirche", so ist der Kirchenbegriff entscheidend verändert, das institutionelle Moment wird zurückgedrängt. Die Kirche als Institution kann ja keine Mutter haben, sondern nur die Gesamtheit des Gottesvolkes. Zugleich wird aber auch die Parallele zwischen Maria und der Kirche aufgehoben. Als Mutter der Kirche steht Maria über die Kirche. Aber diese Parallele - Maria als Bild der Kirche - ist für das Kirchenverständnis von zentraler Bedeutung.

4. Ein neuer Universalismus

Auf dem vom Vatikanum II vorgeschriebenen Weg des Ökumenismus "sind echte und wichtige Fortschritte gemacht worden" (6.1). Zwar gibt es "Personen, die sich gern wieder zurückziehen würden, weil sie sich mit Schwierigkeiten konfrontiert sehen oder die Ergebnisse der ersten ökumenischen Arbeiten als negativ beurteilen" (6.2), aber "ist es erlaubt, untätig zu bleiben? Dürfen wir ... der Gnade unseres Herrn mißtrauen, die sich in der letzten Zeit geoffenbart hat durch das Wort des Heiligen Geistes, das wir während des Konzils vernommen haben?" (6.2).

Das Vatikanum II hat demnach das Wort des Heiligen Geistes zum Ausdruck gebracht, und deshalb ist es nicht erlaubt, die ökumenischen Initiativen aufzugeben. "Die echte ökumenische Arbeit besagt Öffnung, Annäherung, Bereitschaft zu Dialog, gemeinsame Suche nach der Wahrheit". "Die Kirche ist dabei zugleich auf der Suche nach der universalen Einheit der Christen" (6.2).

Warum besagt die "echte ökumenische Arbeit" Öffnung? Weil die Konversion zur katholischen Kirche und damit zur katholischen Wahrheit nicht mehr ernsthaft verlangt wird. Die Öffnung soll den Eintritt ohne Konversion, ohne Bekehrung erlauben. An die Stelle der Bekehrung zur Wahrheit tritt der Dialog, der seiner Natur nach nicht zu einem Ende kommt, sondern stets weitergeführt wird "auf der Suche nach der Wahrheit". Kapp man, wenn man in der katholischen Lehre die Wahrheit hat, die "Wahrheit" suchen, ohne sich von der Wahrheit abzukehren?

Erst recht ist aber die Suche nach der "universalen Einheit der Christen" ein problematisches Unterfangen. Denn die "universale Einheit der Christen" hat doch stets in der katholischen Kirche bestanden und besteht in ihr weiter. Deswegen ist sie die eine, heilige und katholische Kirche. Wenn aber sogar "die Kirche" sich auf diese Suche begeben soll, die doch das Gesuchte ist, dann wird besonders grell die Unvereinbarkeit der katholischen Lehre mit dieser Vorstellung beleuchtet.

Unter dem Zeichen der Einheit wird die Interkommunion in der Eucharistie gefordert. Es ist angeblich so, daß die Kirche "sich besonders in unserer Zeit um die Eucharistie versammelt und dabei wünscht, daß die authentische eucharistische Gemeinschaft zum Zeichen der Gemeinschaft aller Christen wird, einer Einheit, die stufenweise heranreift" (2o.7). (...)

Obwohl die Einheit erst gesucht werden soll, befinden sich andererseits alle Christen nach der Ansicht der Enzyklika bereits in einer Einheit. "Das ist die apostolische und missionarische, die missionarische und apostolische Einheit"(12.1). Das Vatikanum II hatte demgegenüber noch von den "getrennten Brüdern" und den "getrennten Kirchen" gesprochen. Befinden sich alle Christen in einer "apostolischen Einheit"?

Auch der lateinische Text besagt klar: "Haec unio est apostolica et missionaria, missionaria et apostolica". (...) Im fraglichen Satzgefüge ist offenbar eine Umdeutung des "Apostolischen" vorgenommen worden. Die "apostolische Einheit" meint nichts anderes als die Gemeinsamkeit in der Hoffnung: Alle christlichen Gemeinschaften sollen sich der Welt öffnen, wie die katholische Kirche. Dann ergibt sich das, was oben bereits "umgekehrte Mission" genannt wurde. So fährt der gerade zitierte Text fort: "Dank dieser Einheit können wir uns zusammen dem großen Erbe des menschlichen Geistes nähern, das sich in allen Religionen kundgetan hat, wie die Erklärung "Nostra aetate" des Zweiten Vatikanischen Konzils sagt. Dank dieser Einheit nähern wir uns gleichzeitig allen Kulturen, allen Weltanschauungen und allen Menschen guten Willens".(...)

Der gewünschte Dialog enthält bereits ein kultisches Element und zielt jedenfalls auf einen neuen Kult ab. Das wird in folgendem Satz vor Augen geführt: Was bisher gesagt worden ist, "muß man auf ähnliche Weise und mit den notwendigen Unterscheidungen auch auf jene Bemühungen verwenden, die auf eine Annäherung mit den Vertretern der nichtchristlichen Religionen abzielen und im Dialog, in Kontakten, im gemeinschaftlichen Gebet ... ihren Ausdruck finden" (6.3). (...)

III. Der neue Weg

1. Ein neues Evangelium

Der"Humanismus" der Enzyklika wird maßgebend bestimmt nicht nur durch die Aussagen des Vatikanum II, sondern auch durch die Ausführungen Paul VI. Zu erinnern ist hier besonders an seine Ansprache vom 7. Dezember 1965, in der er die modernen Humanisten aufforderte: "Erkennt unsern neuen Humanismus an: Auch wir, und wir mehr als alle, sind Verehrer des Menschen" ((6)). Die Verehrung des Menschen zu fördern, war auch das Ziel verschiedener Erklärungen des Vatikanum II. Die Enzyklika Johannes Paul II. sucht die Ausrichtung auf den Menschen allen Gläubigen und Nichtgläubigen nahezubringen und ihrem Bewußtsein einzuprägen. Der Humanismus ist universal. "Welches soziale, wirtschaftliche, politische und kulturelle Programm könnte auf die Bezeichnung "humanistisch" verzichten? Wir hegen die tiefe Überzeugung, daß es in der Welt von heute kein Programm gibt, in dem nicht, nicht einmal auf der Ebene entgegengesetzter ideologischer Weltanschauungen, der Mensch immer an die erste Stelle gesetzt wird"(17.2). Ist aber der Humanismus universal, so muß die zu erstrebende "universale Einheit" vom Bild des Menschen geprägt sein.

So ist eigentlicher Inhalt der Enzyklika die Botschaft über den Menschen. Dies wird schon rein äußerlich durch das Vorkommen der Wörter "Mensch", "menschlich" dokumentiert. Mehr als 35omal wird der Mensch in dieser Weise erwähnt. (...)

Nach den "beständig und immer schneller wachsenden Erfahrungen der Menschheitsfamilie ... erkennen wir immer deutlicher, daß all jenen Wegen, auf denen die Kirche in unsero. Tagen nach den richtungweisenden Worten von Papst Paul VI. voranschreiten muß, ein besonderer Weg zugrundeliegt"(13.1). Es ist also ein besonderer Weg heute zu gehen. Worin besteht dieser? Zwar: "Jesus Christus ist der Hauptweg der Kirche. Er selbst ist unser Weg zum Haus des Vaters" (13.2). Aber: Der "Mensch ist der erste Weg, den die Kirche bei der Erfüllung ihres Auftrages beschreiten muß: er ist der erste und grundlegende Weg der Kirche"!(14.1). In wiederholten Wendungen wird diese Aussage bestätigt. "Dieser Mensch ist der Weg der Kirche, der in gewisser Weise an der Basis all jener Wege verläuft, auf dem die Kirche wandert"(14.3). (...)

Der Mensch ist also für die Enzyklika Basis aller Wege der Kirche, und er ist zugleich der Weg des täglichen Lebens der Kirche. Entscheidend für diese Stellung des Menschen ist seine Würde. "Wenn der Mensch - wie schon früher gesagt worden ist - wirklich der Weg des täglichen Lebens der Kirche ist, dann muß diese sich der Würde der Gotteskindschaft, die der Mensch in Christus durch die Gnade des Heiligen Geistes erhält und seiner Bestimmung zur Gnade und Herrlichkeit immer bewußt sein" (18.4). (...)

Ist so zunächst der Mensch der Weg der Kirche, so ist er zugleich auch Wahrheit für die Kirche, und er bestimmt das Leben der Kirche. Zum Menschen gehört die Lebendigkeit, die im Konkreten zu finden ist. Das tägliche Leben, die neue Situation, die Bedrängnisse, Kümmernisse und Sorgen der Menschen. Die Kirche betrachtet wie in den Abschnitten 15 und 16 ausgeführt - die Besorgnis des Menschen um seine Menschlichkeit, um die Zukunft der Menschen auf Erden und damit auch die Richtung von Entwicklung und Fortschritt als ein wesentliches Element ihrer Sendung, indem sie die Situation des Menschen in der heutigen Welt nach den wichtigsten Zeichen unser Zeit interpretiert. Man kann danach sagen: "alle Wege der Kirche führen zum Menschen" ((7)) (...)

Da nach der Enzyklika der Mensch Weg und Ziel geworden ist, muß sich "die Kirche ... alles dessen bewußt sein, was offenkundig dem Bemühen entgegensteht, das Leben der Menschen 'immer humaner zu gestalten' (Gaudium et spes, art.38), damit alle Bereiche dieses Lebens der wahren Würde des Menschen entsprechen"(14.4). (...) Die Beziehung zur Würde des Menschen kann daher schließlich sogar als Evangelium angesehen werden, wenn damit das Staunen des Menschen über sich selbst verbunden ist. Wenn der Mensch sich nämlich "die ganze Wirklichkeit der Menschwerdung und der Erlösung aneignet", dann "wird er nicht nur zur Anbetung Gottes veranlaßt, sondern gerät auch in tiefes Staunen über sich selbst" (lo.l). "Dieses Staunen über den Wert und die Würde des Menschen nennt sich Evangelium, Frohe Botschaft."(lo.2). (...)

2. Eine neue Freiheit

In enger Verbindung mit der Würde des Menschen stehen die Menschenrechte, die dem Wohl des Menschen dienen. "Die Menschenrechtserklärung, die in Verbindung mit der Errichtung der Organisation der Vereinten Nationen erfolgte, hatte gewiß nicht nur das Ziel, sich von den furchtbaren Erfahrungen des letzten Weltkrieges zu distanzieren, sondern sollte auch eine Grundlage für eine solche ständige Revision der Programme, Systeme und Regime schaffen, die unter diesem einzigen grundlegenden Gesichtspunkt zu geschehen hat, dem Wohl des Menschen"(17.4.). (...)

Diese Frage ist besonders bei der sogenannten Religions- und Gewissensfreiheit zu stellen, die bereits vom Vatikanum II gefordert wurde gegen die klare verpflichtende Lehre der katholischen Kirche, wie sie etwa Pius IX. in seiner Enzyklika "Quanta cura" ausgesprochen hat. Die Enzyklika Johannes Paul II. schließt sich der Ansicht des Vatikanum II voll an: Die Verwirklichung des Rechtes auf Religionsfreiheit "ist eine der grundlegenden Proben für den wahren Fortschritt des Menschen in einem jeden Regime, in jeder Gesellschaft, in jedem System und in jeder Lage"(17.9). "Das zweite Vatikanische Konzil hat es als besonders notwendig erachtet, zu diesem Thema eine ausführliche Erklärung zu erarbeiten. Gemeint ist das Dokument 'Dignitatis humanae', in dem nicht nur die theologische Konzeption des Problems ausgedrückt ist, sondern dieses auch unter dem Aspekt des Naturrechtes erörtert wird, das heißt vom rein 'menschlichen' Standpunkt aus, von jenen Voraussetzungen her, die von der Erfahrung des Menschen, von seiner Vernunft und vom Sinn der Menschenwürde gefordert sind" (17.8). Tatsächlich ist das Naturrecht in der Erklärung über die Religionsfreiheit aber als göttliches Gesetz bezeichnet worden, also keineswegs nur als ein Recht vom "rein menschlichen" Standpunkt aus. (...)

Nicht nur, daß es die Idee der Religionsfreiheit in der Kirche nicht gegeben hat, sie wurde sogar auf das schärfste von vielen Päpsten verurteilt. Gregor XVI. und nach ihm Pius IX.bezeichneten diese Lehre als "Wahnsinn", nämlich die Ansicht, daß "die Freiheit des Gewissens und der Kulte ein jedem Menschen eigentümliches Recht sei, welches das Gesetz in jeder wohlgeordneten Gesellschaft aussprechen und sichern müsse und daß den Bürgern das Recht innewohne, in jeglicher Freiheit ihre Gedanken durch das Wort, durch den Druck oder auf irgendeine andere Weise öffentlich kundzugeben und auszusprechen, ohne daß die geistliche und weltliche Behörde sie darin stören könne" ((8)).

Und Leo XIII. erklärte: "Wird diese Freiheit betrachtet, wie sie im Staatsleben sich darstellt, so behauptet sie, der Staat habe keinerlei Grund, Gott zu verehren und öffentliche Gottesverehrung zu wünschen; kein Kultus dürfe dem andern vorgezogen werden, alle seien als gleichberechtigt anzusehen; auch sei auf das Volk keine Rücksicht zu nehmen, selbst da nicht, wo das Volk sich zur katholischen Religion bekennt. Dies könnte nur der Fall sein, wenn es wahr wäre, daß die bürgerliche Gesellschaft keine Pflichten gegen Gott besäße oder diese ungestraft verletzen könnte. Beides ist offenbar falsch" ((9)). Pius XI. stellte fest: Die Behauptung, "daß die Volksgemeinschaft und der Staat Gott und seinem natürlichen und göttlichen Rechte nicht unterworfen seien", ist "offenbar gottlos, gegen die gesunde Vernunft und namentlich auf dem Gebiete der Erziehung außerordentlich verderblich" ((10)). (...)

Weil die Irrlehre der Religionsfreiheit das christliche Glaubensverständnis in so zentraler Weise angreift, war es überaus angebracht, diese Ansicht in aller Form zu verurteilen. Diese Verurteilung durch die Päpste hat - jedenfalls was die Enzyklika "Quanta cura" von Papst Pius IX. angeht, eine definitive Form, d.h. die Idee der Religionsfreiheit ist "ex cathedra" eindeutig und endgültig verurteilt worden. Dies ergibt sich klar aus der Verwerfungsformel. (...)

Aber die Religionsfreiheit ist für den neuen Weg der Kirche, d.h. für den Weg der "Konzilskirche", so ungeheuer wichtig, daß alles versucht werden muß, sie als unbedingt verpflichtende Wahrheit erscheinen zu lassen. Deshalb wird die Religionsfreiheit in der Enzyklika nicht nur im Abschnitt über die Menschenrechte (17) behandelt, sondern auch im Abschnitt über die Freiheit des Menschen (12), in dem hauptsächlich von der Wahrheit die Rede ist. Dabei verschmäht es die Enzyklika nicht, die Religionsfreiheit sogar als eine Offenbarung Gottes zu bezeichnen. Es heißt hier: Die Kirche legt "in unserer Zeit einen großen Wert auf alles, was das Zweite Vatikanische Konzil in der Erklärung über die Religionsfreiheit dargelegt hat ... Wir spüren zutiefst den verpflichtenden Charakter der Wahrheit, die Gott uns offenbart hat."(12.2) (...) Die Offenbarung ist nach diesen Ausführungen nicht mit dem letzten Apostel abgeschlossen, sie geht vielmehr weiter. Und Gott hat angeblich das Vatikanum II benutzt, um eine weitere Offenbarung den Menschen zukommen zu lassen. Dabei gibt die Enzyklika sogar zu, daß die Idee der Religionsfreiheit nicht Bestandteil der biblischen Botschaft ist. Die Enzyklika führt dazu aus: "Die Erklärung über die Religionsfreiheit macht uns in überzeugender Weise deutlich, wie Christus und folglich seine Apostel in der Verkündigung der Wahrheit^die nicht von Menschen, sondern von Gott kommt (...), das heißt vom Vater, obgleich sie alle Überzeugungskünste des Geistes einsetzen, eine tiefe Wertschätzung für den Menschen, für seinen Verstand, seinen Willen, sein Gewissen und seine Freiheit bewahren. Auf diese Weise wird die Würde der menschlichen Person Bestandteil jener Botschaft, wenn auch nicht in Worten, so doch durch das Verhalten ihr gegenüber. Diese Verhaltensweise scheint übereinzustimmen mit den besonderen Bedürfnissen unserer Zeit" (12.2).(...)

3.) Ein neuer Mensch

a. Eine neue Erlösung

Der Mensch ist der "Weg der Kirche". Welcher Mensch? Der richtige Weg enthält das Ziel des Wanderers. Worin besteht dieses Ziel? Der Mensch, der der neue Weg ist, kann nicht nur der alltägliche, der durchschnittliche Mensch sein. Er muß ein neuer Mensch sein, wie ihn die Kirche bisher noch nicht gekannt hat. Dieser Mensch ist in erster Linie der Erlöste. Die Erlösung ist mit dem Menschsein selbst gegeben. Christus hat sich mit jedem Menschen vereinigt. Das wurde bereits vom Vatikanum II (Gaudium et spes, art 22) behauptet und wir an verschiedenen Stellen der Enzyklika (13.1 und 18.1) wieder aufgenommen: "Der Sohn Gottes hat sich in seiner Menschwerdung gewissermaßen mit jedem Menschen vereinigt" (13.1). "Die Kirche sieht es darum als ihre grundlegende Aufgabe an, darauf hinzuwirken, daß diese Einheit immer wieder Gestalt und neues Leben gewinnt"(13.1). "Diese Vereinigung Christi mit dem Menschen ist in sich selbst ein Geheimnis, aus dem der 'neue Mensch" hervorgeht"(18.2). (...)

In der menschlichen Dimension der Erlösung "findet der Mensch die Größe, die Würde und den Wert, die mit seinem Menschsein gegeben sind. Im Geheimnis der Erlösung wird der Mensch 'neu bestätigt* und in gewisser Weise neu geschaffen"(10.1). Wird der Mensch wirklich durch die objektive Erlösung, ohne sich für Christus und seine Kirche entscheiden zu müssen 'neu geschaffen'? Der Text der Enzyklika fährt fort: "Er ist neu erschaffen! Es gibt nicht mehr Juden und Griechen, nicht Sklaven und Freie, nicht Mann und Frau, denn ihr alle seid 'einer' in Christus Jesus (Gal 3,28)".

Aber der Galaterbrief bezieht sich doch hier nicht auf alle Menschen, sondern auf die Gläubigen! Das wird in ihm ganz unmißverständlich unmittelbar zuvor gesagt: "Denn durch den Glauben seid ihr alle in Christus Jesus Kinder Gottes. Ihr alle, die ihr auf Christus getauft seid, habt Christus angezogen" (Gal 3,26f). (...)

Dabei ist diese "Einheit" Christi, die er mit jedem Menschen eingegangen ist, angeblich die Kraft, die den Menschen innerlich umgestaltet, ja, sie ist Prinzip eines neuen Lebens. So heißt es: "Die Einheit Christi mit dem Menschen ist Kraft und zugleich Quelle der Kraft, nach dem markanten Wort des hl. Johannes im Prolog seines Evangeliums: 'Das Wort gab Macht, Kinder Gottes zu werden'. Sie ist die Kraft, die den Menschen innerlich umgestaltet, das Prinzip eines neuen Lebens, das nicht dahinschwindet und vergeht, sondern Dauer hat für das ewige Leben"(18.2). Aber ist es wirklich diese Lehre, die das Johannesevangelium verkündet? Nein, hier ist, wie eben im Blick auf den Galaterbrief gezeigt, das Entscheidende fortgelassen worden. Der vollständige Satz des Prologes des Johannesevangeliums lautet nämlich: "Allen aber, die ihn aufnahmen, gab er Macht, Kinder Gottes zu werden, all denen, die an seinen Namen glauben"(Jo 1,12). Es geht also darum, Christus aufzunehmen und an seinen Namen zu glauben; nur daraus erwächst die Macht, Kinder Gottes zu werden. (...) Wozu braucht der Mensch noch den Glauben, wenn er die Erlösung bereits im vollen Maße besitzt, wenn "die Würde der gandenhaften Gotteskindschaft" "jeder Mensch in Christus erreicht hat"?(11.4) (...)

b. Eine neue Bekehrung

(...) In einer "Kirche", die durch die "Öffnung" gegenüber der Welt und durch den Dialog mit ihr bestimmt ist, sind Buße und Bekehrung nur mehr für diejenigen notwendig, die den Weg der Kirche auf den Menschen zu noch nicht zu ihrem eigenen Weg gemacht haben. Demgemäß heißt es im Ökumenismusdekret des Vatikanum II: "Es gibt keinen echten Ökumenismus ohne innere Bekehrung. Denn aus dem freien Strömen der Liebe erwächst und reift das Verlangen nach Einheit" (art 7). Die Christen und insbesondere die Katholiken haben sich zu bekehren, nicht zu Christus und zu seiner Kirche, sondern zum Ökumenismus ((11)). Dadurch dienen sie der umgekehrten "Mission". Entsprechend sagt Johannes Paul II.: Es ist "sicher, daß die Kirche des neuen Adventes die Kirche ... der Buße sein muß. Nur unter diesem geistlichen Profil ihrer Lebendigkeit und ihres Handelns ist sie die Kirche der göttlichen Sendung, die Kirche im Zustand der 'Mission', so wie sie uns das Zweite Vatikanische Konzil dargestellt hat"(2o.7).

Ein (...) Einwand wäre: An anderer Stelle (12.1) ist doch von der Bekehrung im Hinblick auf die Mission die Rede; hier kann doch nur die Bekehrung der Menschen zur Kirche gemeint sein. Um diesen Hinweis zu entkräften, ist es nötig, den Zusammenhang zu berücksichtigen, in dem der fragliche Satz steht. Der betreffende Abschnitt handelt über den "Auftrag der Kirche und die Freiheit des Menschen". Zu Anfang dieses Abschnittes wird die "apostolische und missionarische Einheit" beschworen, in der sich angeblich alle Christen befinden. Dann heißt es: "Dank dieser Einheit können wir uns zusammen dem großartigen Erbe des menschlichen Geistes nähern, das sich in allen Religionen kundgetan hat ... Dank dieser Einheit nähern wir uns .gleichzeitig allen Kulturen, allen Weltanschauungen" (12.1). Danach wird von der Mission geredet, und zum Schluß des gleichen Absatzes ist zu lesen: "Dabei wissen wir sehr gut, daß die Bekehrung, die von der Mission ihren Anfang nehmen muß, Werk der Gnade ist. In ihr muß der Mensch vollständig zu sich selbst zurückfinden." (...)

c. Ein neuer Herr

Der neue Mensch braucht als der bereits Erlöste sich nicht mehr um seine Erlösung zu mühen. Er braucht nur einzusehen, daß er bereits erlöst ist. Ist der Mensch aber bereits der Erlöste, so braucht er die Wirklichkeit der Sünde nicht mehr ernst zu nehmen - weder die Wirklichkeit der Erbsünde noch die der persönlichen Sünde. Der Mensch hat angeblich "endgültig" seine Würde durch die Erlösung wiedergefunden. Es ist nämlich so, daß "die Erlösung, die durch das Kreuz erfolgt ist, dem Menschen endgültig seine Würde und den Sinn seiner Existenz in der Welt zurückgegeben hat, den Sinn, den er in beachtlichem Maße durch die Sünde verloren hatte" (10.2). Als bereits "endgültig" Erlöster hat der neue Mensch aber auch nicht mehr die Notwendigkeit des wahren Gottesdienstes vor Augen. So braucht der neue Mensch keine Ziele mehr, die von der Kirche vorzustellen und zu lehren wären und die jeder Mensch zu befolgen hätte. (...)

Die Folge ist, daß der Mensch auf seine Bedürfnisse zurückgeworfen wird: Der Mensch "hat seine eigene Lebensgeschichte und vor allem eine eigene Geschichte seiner Seele. Von der intentionalen Öffnung seines Geistes und zugleich von den zahlreichen und so verschiedenen Bedürfnissen seines Leibes und seiner irdischen Existenz bestimmt, schreibt der Mensch diese seine persönliche Geschichte durch zahllose Bindungen, Kontakte, Situationen und soziale Strukturen ... Der Mensch in der vollen Wahrheit seiner Existenz ... dieser Mensch ist der erste Weg, den die Kirche bei der Erfüllung ihres Auftrages beschreiten muß"(14.1).

Steht der neue Mensch - jedenfalls im Hinblick auf die Kirche - keinen Forderungen von Belang mehr gegenüber, so wird er selbst zu einer Norm und damit zu einem Ziel. Er selbst ist das Ziel der Bemühungen der Kirche. Er ist derjenige, dem die Kirche zu dienen hat, er ist ihr Weg, er ist ihre Wahrheit und er ist damit auch ihr Herr. "Seine Kirche, die wir alle zusammen bilden, ist 'für die Menschen* da in dem Sinne, daß wir, wenn wir uns auf Christi Beispiel stützen und mit der uns von ihm erworbenen Gnade mitarbeiten ... in jedem von uns unser Menschsein voll entfalten können"(21.4).

"Auf dieser Straße, die von Christus zum Menschen führt ... darf sich die Kirche von niemanden aufhalten lassen"(13.2). Der Herr, dem die Kirche zu dienen hat, ist der Mensch!

Wie nimmt nun die Kirche "jenen Dienst am Menschen" wahr? Sie "verwirklicht diesen Auftrag, indem sie teilnimmt 'am dreifachen Amt', das ihr Meister und Erlöser selbst innehat. Diese Lehre, zusammen mit ihrer biblischen Begründung, ist vom Zweiten Vatikanischen Konzil zum großen Nutzen für das Leben der Kirche wieder leuchtend herausgestellt worden. Denn wenn wir uns der Teilnahme an der dreifachen Sendung Christi, an seinem dreifachen Amte - dem Priester-, Propheten- und Königsamt (Lumen gentium 31-36) - bewußt werden, verstehen wir gleichzeitig besser, welches der Dienst der ganzen Kirche als Gesellschaft und Gemeinschaft des Volkes Gottes auf Erden ist, und verstehen ebenfalls, worin die Teilnahme eines jeden von uns an dieser Sendung und an diesem Dienst bestehen muß"(18.4).

Diese "Ämter" Christi wurden bisher besser als Lehramt, Hirtenamt und Priesteramt bezeichnet. Die Kirche hat diese Ämter auszuüben. (...) Sieht so der "Dienst am Menschen" aus, so mag es einleuchten, daß der Mensch bzw. die Menschheit sogar als Schatz der "Kirche" erscheint. Dazu sagt die Enzyklika: "Die Kirche, die versucht, den Menschen gleichsam mit 'den Augen Christi selbst' zu betrachten, wird sich immer mehr bewußt, die Hüterin eines großen Schatzes zu sein, den sie nicht vergeuden darf, sondern vielmehr ständig mehren muß."(18.3) (...)

Wie kann der Schatz der Menschheit vermehrt werden? Wie kann man noch sammeln, wenn die Menschheit der Schatz der Kirche ist, der ihrer ganzen Tätigkeit Sinn verleiht? (...) Offenbar kann nicht die Menschheit in ihr gesammelt werden, denn es gibt Menschen, die wider Christus sind, es gibt Menschen, die nicht sammeln, sondern zerstreuen. Bezieht man aber mit der Enzyklika den Satz auf den "Schatz" der Menschheit, so können diejenigen, die den Schatz vergeuden und zerstreuen, eigentlich nur solche sein, die diese neue Lehre nicht annehmen wollen, nämlich diejenigen, die wissen: "Viele sind berufen, wenige aber auserwählt" (Mt 22,14). Damit aber ist gerade gesagt, daß die Menschen sich nicht darin beruhigen dürfen, schon erlöst zu sein. Die Kirche würde damit ihren Sinn verlieren und zu einer Einrichtung bloß für die irdische Wohlfahrt der Menschen werden. (...)

IV. Neuheit und Überlieferung

Auf das Ganze gesehen ist die Lehre der Enzyklika "Redemptor hominis" nicht eigentlich eine Neuheit. Sie liegt vollkommen innerhalb der Voraussetzungen des Vatikanum II und bringt eigentlich nur das auf einen Nenner, was seit Johannes XXIII. und seit dem Vatikanum II die geistige Orientierung Roms bildet. Dabei hat sie das große Verdienst, die wesentlichen Punkte, um die es seitdem geht, in bisher nicht gekannter Deutlichkeit hervorgehoben und benannt zu haben. Gewiß, diese Enzyklika zeichnet sich nicht durch Eindeutigkeit und Klarheit, auch nicht durch übersichtliche Satzkonstruktionen und systematischen Aufbau aus - vieles wird in der Unscharfe gelassen, wie sich an der Häufigkeit der Wörter "gewissermaßen", "in gewisser Weise" und an den vielen Wörtern in Anführungszeichen erkennen läßt - aber aufs Ganze gesehen, erscheint in der Enzyklika eine geradezu faszinierende innere Logik. Dies erst allerdings dann, wenn man es gelernt hat, die oft zweideutige Ausdrucksweise, die häufig eine traditionelle Auslegung bei flüchtiger Durchsicht nahelegt, auf die eigentliche Aussage zurückzuführen. (...)

Manches ist aber darüberhinaus auch sehr viel deutlicher formuliert als in den Texten des Vatikanum II. Das gilt besonders für die Hauptidee, nämlich für die Feststellung, daß alle Menschen bereits im vollen Sinne erlöst sind und folglich eine Kirche, die das Erlösungswerk Christi zuende führt, überflüssig ist. Öffnung der Kirche, Dialog, Ökumenismus, Religionsfreiheit, alles das hängt von dieser Grundidee ab. Während die abhängigen Ideen auch im Vatikanum II deutlich zum Ausdruck kommen, ist die Hauptidee stärker im Dunkel belassen worden. Zwar wurde die Katholische Kirche im Vatikanum II nicht mehr als die eine Kirche Jesu Christi anerkannt, sondern nur noch als deren "Verwirklichung" beschrieben (( 12)), so daß andere "Verwirklichungen" nicht mehr positiv ausgeschlossen sind; auch wurden die Grenzen der Kirche nicht deutlich gezogen und die Heilsnotwendigkeit der einen Kirche Christi nicht mehr ausdrücklich festgestellt, aber es gab doch nur vage Andeutungen darüber, daß alle Menschen bereits als erlöst anzusehen sind ((13)).

Hier hat nun die Enzyklika "Redemptor hominis" dankenswerter Weise Klarheit geschaffen. Die Voraussetzungen, unter denen das Vatikanum II stand, sind jetzt viel deutlicher zu erkennen für den, der sehen will. Daß die Leitideen der Reform den führenden Köpfen dieser Synode bewußt waren, läßt sich dem bemerkenswerten Wort von Johannes XXIII. zur Eröffnung des Vatinkanum II entnehmen, wonach "alle Menschen von Geburt an durch das Blut Christi erlöst worden sind" ((14)). Damit hatte er der Sache nach der Ansicht Karl Rahners vom "anonymen Christen" bestätigt. Aber erst in der ersten Enzyklika Johannes Paul II. "Redemptor hominis" wurde diese Idee voll ausgesprochen und entfaltet. Es ist zu erwarten, daß das neue Rom sich in Zukunft noch deutlicher äußern wird. Jedenfalls steht die Enzyklika "Redemptor hominis" voll in der "Tradition", die von Johannes XXIII. und seinem Konzil ausgeht. (...) Was diese Hauptidee angeht, so bedeutet die dadurch gegebene Orientierung der Kirche am Menschen nicht etwa nur eine leichte Verschiebung der Perspektiven, mit der die Kirche auf die Welt blickt. Es geht auch nicht bloß um eine mit dem katholischen Glauben nicht mehr zu vereinbarende Idee, um eine Häresie, wie sie die Konfessionen voneinander trennt, sondern um eine grundlegende Umorientierung der Kirche selbst. Es ist die Drehung der Kirche von Christus weg auf den Menschen zu, die Öffnung gegenüber der Welt. Diese Drehung um 18o Grad kann nicht nur von keinem Katholiken anerkannt werden, sie ist auch von keinem gläubigen Mitglied einer andern christlichen Konfession nachvollziehbar. Man muß daher die in der Enzyklika zum Ausdruck gekommenen Lehre als gegen das Christentum schlechthin gerichtet ansehen.

Die Religion d e s Menschen, in der alle Religionen und Weltanschauungen ihren Platz haben und erhalten, ist mit einem Riesenschritt nähergerückt. (...)


Anmerkungen:

(1) Josef Schmitz van Vorst: Der Humanismus Papst Johannes Paul II., in: F.A.Z. vom 17.3.1979.
(2) Acta Apostolica Sedis, vol 71(1979), S. 257-324. Für die deutsche Fassung wurde die Ausgabe des Osservatore Romano, Wochenausgabe in deutscher Sprache, vom 23.3.1979 benutzt. Zitiert wird nach laufender Nummer und Absatz.
(3) Vgl. Wigand Siebel, Katholisch oder konziliar, München 1978, 71 ff.
(4) Pius XII. Rundschreiben "Mystici Corporis" vom 29.6.1943.
(5) Pius XI. Rundschreiben "Mortalium ·nimos" vom 6. 1.1928, lo.
(6) Vgl. Siebel a.a.O., S.57.
(7) Überschrift des Abschnitts 14. Die Überschriften finden sich nicht im lateinischen Original.
(8) Enzyklika "Mirari vos" vom 15.8.1832. (O3)) ebd. 78 f.
(9) Enzyklika "Libertas praestantissimum" vom 28.6. 1888.
(10) Enzyklika "Divini illius Magistri" vom 31.12.1929. zur Eröffnung des Vat.
(11) Vgl. Siebel a.a.O.,S. 85f f.
(12) Vgl. Siebel a.a.O., S.68ff.
(13)v o m H.To. 1962.
(14) Johannes XXIII. Rede
 
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