1. Der hl. Paulus an die Thessolonicher über die Offenbarung des Antichrists 2. Buchbesprechung: Die Unterminierung der (katholischen) Kirche 3. DAS PROBLEM VON FREIHEIT UND FREIEM WILLEN 4. ZEITGEMÄSSE BETRACHTUNGEN 5. BRIEF AN EINE ZEITUNG 6. ÜBER DIE SELIGPREISUNGEN DER BERGPREDIGT 7. DIE HEILIGE KLARA 8. VON DER LIEBESPROBE 9. DIE HEILIGE ZAHL SIEBEN 10. NACHRICHTEN, NACHRICHTEN, NACHRICHTEN 11. Mitteilungen der Redaktion
|
ÜBER DIE SELIGPREISUNGEN DER BERGPREDIGT |
|
ÜBER DIE SELIGPREISUNGEN DER BERGPREDIGT
vom
hl. Leo d.Gr., Papst von 440-461
Geliebteste!
1. Als unser Herr Jesus Christus die frohe Botschaft
seines Reiches verkündete und überall in Galiläa die verschiedensten
Krankheiten heilte, sprach man in ganz Syrien von seinen Wundertaten.
Große Scharen strömten aus dem gesamten Judäa herbei, um beim
himmlischen Arzte Heilung zu suchen. (Vgl. u.a. Matth. 4,23 ff.) Da
nämlich unwissende Menschen nur schwer dazu zu bewegen sind, das zu
glauben, was sie nicht sehen, und das zu hoffen, was sie nicht kennen,
so mußten die, welche treue Anhänger der göttlichen Lehre werden
sollten, erst durch Wohltaten, die sie an ihrem eigenen Leibe
verspürten, und durch sichtbare Wunder dazu angespornt werden, nicht
mehr daran zu zweifeln, daß seine Lehre ebenso segensreich sei wie
seine Wunderkraft, die sie aus Erfahrung kannten.
Um nun die äußere Heilung der Menschen auch ihrer inneren Genesung
dienstbar zu machen und nach der Gesundung ihrer Körper auch die ihrer
Seelen herbeizuführen, trennte sich der Herr von der Menge, die ihn
umgab. Er bestieg einen nahegelegenen Berg und rief seine Apostel
herbei, um ihnen von seinem hohen und bedeutungsvollen Sitze aus
erhabenere Lehren zu verkünden. Sowohl durch die Art der gewählten
Stätte, wie durch das, was er dort tat, wollte er ihnen zeigen, daß er
derselbe sei, der dereinst den Moses einer Ansprache gewürdigt hatte
(vgl. Exod. 19,1 ff.). Auf dem Sinai offenbarte sich mehr seine Furcht
gebietende Gerechtigkeit, hier seine heilige Milde, so daß nunmehr die
Verheißung des Propheten Jeremias in Erfüllung ging, der uns sagt:
"Siehe, es kommen Tage, spricht der Herr, wo ich mit dem Hause Israel
und dem Hause Juda einen neuen Bund schließen werde!" (Hebr. 8,8)
"Nach diesen Tagen, spricht der Herr, werde ich mein Gesetz in ihr
Inneres legen, und in ihr Herz werde ich es schreiben." (Hebr.
10,16) Wie er zu Moses gesprochen hatte, so sprach er also jetzt
auch zu den Aposteln. Rasch grub die Hand des Ewigen Wortes die Gebote
des Neuen Bundes in ihre Seelen ein. Jetzt war nicht wie ehedem der
Berg von dichten Wolken umhüllt. Auch wurde das Volk nicht durch
furchtbare Donnerschläge und zuckende Blitze davon abgeschreckt, sich
dem Berge zu nähern (vgl. Exod. 19,16-21). Nein, ruhig und deutlich
drangen die Worte des Herrn zu den Ohren der Umstehenden. Die Strenge
des Gesetzes sollte aufgehoben werden durch das Evangelium der Gnade,
und an die Stelle knechtischer Furcht sollte ein Verhältnis wie
zwischen Kind und Vater treten! (Vgl. Röm. 8,15; Gal. 4,5 f.)
2. Was Christus mit seiner Lehre beabsichtigt, das
sagen uns seine heiligen Aussprüche, so daß alle, die zur ewigen
Glückseligkeit gelangen wollen, die Stufen kennen, die sie zum höchsten
Glücke emporführen: "Selig", so sprach er, "sind die Armen im Geiste;
denn ihrer ist das Himmelreich!" (Matth. 5,3; Luk. 6,20) Es
könnte vielleicht zweifelhaft sein, von welchen Armen die Ewige
Wahrheit spricht, wenn sie den Worten: "Selig sind die Armen" nichts
über die Art hinzufügte, die man darunter zu verstehen hat. Es könnte
scheinen, daß, um den Himmel zu verdienen, die Not allein schon
ausreicht, die viele unter dem Drucke schwerer und harter Verhältnisse
zu ertragen haben. Da sie aber sagt: "Selig sind die Armen im Geiste",
so bringt sie damit ganz deutlich zum Ausdruck, daß jenen das
Himmelreich zuteil werden soll, die mehr die Demut ihrer Gesinnung als
der Mangel an Mitteln empfiehlt. Es kann aber nicht bestritten werden,
daß die Tugend der Demut leichter von den Armen als von den Reichen
erworben wird; denn bei jenen bringt es ihre Dürftigkeit mit sich, daß
sie sich gerne unterordnen, während bei den Reichen Überhebung
naheliegt. Trotzdem findet man auch bei sehr vielen Begüterten das
Streben, ihren Überfluß nicht zur Befriedigung maßlosen Hochmutes,
sondern zu Werken der Nächstenliebe zu verwenden und das als größten
Gewinn zu betrachten, was sie zur Linderung fremden Elends aufgewendet
haben.
Jeder Klasse und jedem Stande ist die Möglichkeit geboten, sich diese
Tugenden zu eigen zu machen, weil auch jene die gleiche Gesinnung haben
können, die sich nicht des gleichen Wohlstandes erfreuen. Wo sich der
Besitz an geistigen Gütern als derselbe erweist, da kommt es nicht
darauf an, ob die Mittel hier auf Erden die nämlichen sind oder nicht.
Glückselig ist demnach jene Armut, die sich nicht von der Liebe zur
Welt betören läßt, die nicht nach irdischem Gute verlangt, sondern sich
reiche Schätze für den Himmel erwerben will.
3. Ein Beispiel solch hochherziger Armut gaben uns
nächst dem Herrn zuerst die Apostel. Ausnahmslos verließen sie auf das
Wort ihres göttlichen Meisters alles, was sie hatten. Sie entsagten dem
Fischfange und wurden dafür begeisterte Menschenfischer. (Vgl. Matth.
4,19 ff.) Ihr Glaube spornte viele an, es ihnen gleich zu tun, da
in jener frühen Zeit der Kirche "alle Gläubigen ein Herz und eine Seele
waren". Alle verteilten ihre Habe und ihren Besitz und erwarben sich
durch diese entsagende Armut wertvolle himmlische Güter. Den Worten der
Apostel gemäß freuten sie sich, nichts Irdisches ihr eigen zu nennen,
sondern in Christus ihren ganzen Reichtum zu sehen. Darum sagte auch
der hochselige Apostel Petrus, als ihn bei seinem Gange zum Tempel ein
Lahmer um ein Almosen ansprach: "Silber und Gold habe ich nicht, was
ich aber besitze, das gebe ich dir: Im Namen Jesu Christi, des
Nazareners, stehe auf und wandle!" (Ebd. 3,1 ff.) Was gibt es
Edleres als solche Demut, was Reicheres als solche Armut? Der Apostel
kann ihm zwar keine Geldunterstützung geben, wohl aber etwas, was
seinem Leibe frommt. Der vom Mutterschoße an krüppelhaft war, den
machte er durch sein Wort gesund. Er reichte ihm zwar kein Geldstück
mit dem Bild des Kaisers, stellte aber dafür das Bild Christi in ihm
wieder her.
Der Reichtum dieser Schätze kam indes nicht nur dem zustatten, der
gehend gemacht wurde, sondern auch den fünftausend Männern, die sich
damals auf die Rede des Apostels hin infolge dieser wunderbaren
Gesundung zum Herrn bekannten. (Ebd. 4,4) So spendete der arme Petrus,
der nichts besaß, was er dem Bittenden hätte geben können, eine solche
Fülle der göttlichen Gnade, daß er die Herzen so vieler Tausender
heilte, wie er die Füße eines einzigen gesund gemacht hatte. Er machte
also die zu rührigen Parteigängern Christi, die er infolge ihres
jüdischen Unglaubens gelähmt fand.
4. Nach dem Lobe dieser glücklichen Armut fuhr der
Herr fort:."Selig sind die Trauernden; denn sie werden getröstet
werden!" (Matth. 5,5) Die Trauer, Geliebteste, der hier ewige
Tröstung versprochen wird, hat nichts mit der Trübsal dieser Welt
gemein. Die Tränen, welche die Menschen überall vergießen, um über ihr
eigenes Leid zu jammern, machen niemand glücklich. Der Schmerz der
Frommen hat einen ganz anderen Grund und ihr Weinen eine ganz andere
Ursache. Die Trauer, die Gott gefällt, grämt sich entweder über die
eigenen oder über fremde Sünden. Sie ist nicht über das betrübt, was
Gottes Gerechtigkeit uns schickt, sondern über das, was ruchlose
Menschen tun. Daher sind die mehr zu beklagen, die Schlimmes verüben,
als solche, die Schlimmes erleiden; denn den Ungerechten stürzt seine
Bosheit ins Verderben, den Gerechten aber führt seine Geduld zur
Herrlichkeit.
5. Darauf spricht der Herr: "Selig sind die
Sanftmütigen; denn sie werden das Erdreich besitzen!" (Matth. 5,4). Den
Milden und Sanftmütigen, den Bescheidenen und Demütigen, kurz allen,
die bereitwillig jede Unbill ertragen, wird also der Besitz der Erde
versprochen. Dieses Erbe ist nicht für gering oder wertlos anzusehen,
gleich als ob es von unserer ewigen Heimat verschieden wäre. Hat man
sich doch (auch unter dieser Art von Seligen) nur solche zu denken, die
in den Himmel kommen. Das Erdreich, das den Milden verheißen ist und
den Sanftmütigen zufallen soll, ist nichts anderes als der irdische
Leib der Frommen, der wegen des Verdienstes ihrer Demut durch eine
selige Auferstehung umgestaltet und mit dem Glanze der Unsterblichkeit
geschmückt wird. Dann wird er in nichts mehr dem Geiste
widerstreiten, sondern stets die vollendetste Eintracht mit dem
Wollen seiner Seele wahren. Dann wird der äußere Mensch ganz und
unbestritten dem inneren gehören und der nach der Anschauung Gottes
verlangende Geist nicht mehr durch die Schwachheit des Fleisches
daran gehindert werden. Dann wird es nich mehr heißen: "Der
vergängliche Leib belastet die Seele, und die irdische Hülle drückt den
über vieles sinnenden Geist darnieder." (Weish. 9,15) Lehnt sich
doch die Erde (das heißt die leibliche Natur) dann nicht mehr gegen
ihren Bewohner auf. Vergeht sie sich doch nicht mehr gegen die
Weisungen ihres Herrschers. In beständigem Frieden werden die
Sanftmütigen dieses Erdreich besitzen. Nie mehr wird eines ihrer Rechte
(von dem sonst so aufrührerischen Fleische) angetastet werden, "sobald
sich das Verwesliche mit Unverweslichkeit und das Sterbliche mit
Unsterblichkeit bekleidet hat!" (1. Kor. 15,53) Was also ehedem
Gefahr brachte, das ist dann ein Teil unseres Lohnes, und was (auf
Erden) eine Bürde war, das ist (oben) eine Zierde.
6. Darauf fährt der Herr fort: "Selig sind, die
hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit; denn sie werden gesättigt
werden!" (Matth. 5,6) Der Hunger und der Durst, von dem hier die
Rede ist, begehrt keine weltliche Speise und keinen irdischen Trank,
sondern Sättigung mit dem Gute der Gerechtigkeit. Und ist er bereits in
die Tiefe aller Glaubensgeheimnisse eingedrungen, so möchte er den
Herrn selbst genießen. Glückselig der Geist, der nach solcher Nahrung
verlangt und nach einem solchen Trunke lechzt! Würde er sich doch nicht
darnach sehnen, wenn er ihre Trefflichkeit nicht erprobt hätte. Allein
schon bei den Worten des Propheten: "Kostet und sehet, wie süß der Herr
ist!" (Ps. 34,9) empfand er etwas von dieser
himmlischen Süßigkeit. Und sein Herz entbrannte in solcher Liebe zu dem
reinsten aller Genüsse, daß er alles Irdische verachtet und von ganzer
Seele nur darauf bedacht ist, sich von der Speise und dem Tranke der
Gerechtigkeit zu nähren. Darum macht er sich auch die Wahrheit des
ersten aller Gebote zu eigen, das uns lehrt: "Den Herrn, deinen Gott,
sollst du lieben aus deinem ganzen Herzen und aus allen deinen
Kräften!" (Deut. 6,5) Denn Gott lieben heißt nichts anderes, als die
Gerechtigkeit lieben. Wie sich übrigens an das Gebot der Gottesliebe
die Sorge für den Nächsten anschließt, so folgt auch auf dieses Sehnen
nach Gerechtigkeit die Tugend der Barmherzigkeit. Heißt es doch weiter:
7. "Selig sind die Barmherzigen; denn Gott wird sich
auch ihrer erbarmen!" (Matth. 5,7) Denke daran, christliche
Seele, was du deiner Weisheit schuldig bist! Erkenne, welche Tugenden
du erwerben mußt und welcher Lohn dir dafür winkt! Der barmherzige und
gerechte Gott will, daß auch du Barmherzigkeit und Gerechtigkeit übst.
In jedem Geschöpfe soll sein Schöpfer zu erkennen sein! Dadurch, daß
wir es dem Herrn gleichzutun trachten, soll sein Bild im Spiegel
unseres Herzens klar zutage treten! Die Erwartung, die du an deine
guten Werke knüpfst, wird nie enttäuscht werden. Alle deine Wünsche
werden sich erfüllen. Ewig wirst du genießen, woran deine Liebe hängt.
Und weil dir infolge des Almosens alles rein ist (vgl. Luk. 11,14), so
wirst du auch jener Seligkeit teilhaftig werden, die uns folgerichtig
verheißen ist in den Worten des Herrn:
8. "Selig sind, die ein reines Herz haben; denn sie
werden Gott schauen!" (Matth. 5,8) Großes Heil widerfährt
denen, Geliebteste, auf die ein solcher Lohn wartet. Was heißt aber ein
reines Herz haben anderes als nach Tugenden streben, wie sie von uns
soeben genannt wurden? Wessen Verstand könnte es fassen und wessen
Zunge es schildern, welche Seligkeit in der Anschauung Gottes liegt?
Und doch wird uns dies Glück zuteil werden, wenn der einst unsere Natur
verklärt ist. Dann wird sie die Gottheit, die noch kein Mensch sehen
konnte (vgl. u.a. Joh. 1,18) , in ihrem ganzen Wesen schauen, nicht
mehr wie "durch einen Spiegel" oder "im Rätsel", sondern "von Angesicht
zu Angesicht" (1 Kor. 13,12). Dann wird sie sich inmitten
unbeschreiblicher Freuden in alle Ewigkeit an dem weiden, "was noch
kein Auge gesehen und kein Ohr gehört hat und noch in keines Menschen
Herz gedrungen ist" (1 Kor. 2,9).
Mit Recht wird eine solche Seligkeit gerade dem reinen Herzen
verheißen; denn das Auge des im Schmutze Lebenden könnte den Glanz des
wahren Lichtes gar nicht ertragen. Was also für lautere Seelen eine
Wonne sein wird, das ist für unreine eine Qual. Laßt uns darum das
Dunkel weltlicher Eitelkeit fliehen! Laßt uns die Sehkraft unseres
Geistes von aller sie trübenden Ungerechtigkeit rein erhalten, damit
sie sich an Gottes so herrlichem Anblick freudig laben kann! Der
Erreichung dieses Zieles gilt, wie wir sehen werden, auch der folgende
Ausspruch:
9. "Selig sind die Friedfertigen; denn sie werden
Kinder Gottes genannt werden!" (Matth. 5,9) Nicht jede
Einmütigkeit, nicht jede Eintracht verdient sich, Geliebteste, diese
Seligkeit, sondern nur die, von welcher der Apostel sagt: "Haltet
Frieden mit Gott!" (Röm. 5,1) nur die, von der es beim Propheten David
heißt: "Reich an Frieden sind, die dein Gesetz lieben, und es gibt für
sie keinen Anstoß." (Ps. 119,165) Einen solch echten Frieden kann
selbst die engste Freundschaft, selbst die völligste Übereinstimmung
der Herzen nicht gewähren, wenn sie nicht mit den Geboten Gottes im
Einklang steht. Alle, die diesen edlen Frieden aus dem Auge verlieren,
tun sich nur zusammen, um ihren Leidenschaften, ihren verbrecherischen
Absichten oder Lastern zu dienen.
Die Liebe zur Welt verträgt sich nicht mit der Liebe zu Gott. Wer sich
nicht lossagt von irdischen Dingen, kann nicht zur Gemeinschaft der
Kinder des Herrn gelangen. Jene aber, deren Herz immer bei Gott ist,
"bestrebt, die Einheit des Geistes zu wahren durch das Band des
Friedens" (Eph. 4,3), handeln nie gegen das Gesetz des Ewigen. In
treuer Ergebenheit beten sie: "Dein Wille geschehe, wie im Himmel also
auch auf Erden!" (Matth. 6,10) Das sind die Friedfertigen, das
die in rechter Weise Einmütigen, das die in heiliger Eintracht
Lebenden, die in alle Ewigkeit "Kinder Gottes" und "Miterben Christi"
(Röm. 8,17) heißen sollen. Denn das wird der Lohn ihrer Liebe zu
Gott und zum Nächsten sein, daß sie keinerlei Widerwärtigkeiten mehr
durchzumachen und kein Ärgernis mehr zu fürchten haben, sondern nach
überstandenem Kampfe gegen alle Versuchungen in Gottes seligem Frieden
ruhen durch unseren Herrn Jesus Christus, der mit dem Vater und dem
Heiligen Geiste lebt und waltet in Ewigkeit. Amen.
(Leo der Große, Sermo XCV - Homilie über die Seligkeiten der
Bergpredigt - in: "Bibliothek der Kirchenväter" Bd.55, München 1927, S.
292 ff.)
|
|