54. Jahrgang Nr. 3 / März 2024
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Der Antichrist in der Literatur
 
Der Antichrist in der Literatur

von
Georg Alois Oblinger


Jede Zeit hat ihre Tabus. Die heutige Gegenwart hat viele Tabus früherer Zeiten aufgehoben, so zum Beispiel den gesamten Bereich der Sexualität, über den heute oft sogar zu sehr in aller Öffentlichkeit gesprochen wird. Dennoch gibt es auch heute Themen, an die niemand rühren darf. Und es gibt eine „politische Korrektheit“ und in der Kirche eine „klerikale Korrektheit“, die darüber wacht, daß diese Sprechverbote eingehalten werden. Zu den Themen, die innerkirchlich in den letzten Jahren in so gut wie keiner Predigt und keinem theologischen Traktat angesprochen wurden, gehören das Jüngste Gericht, die Hölle und erst recht der Antichrist. Da hat es schon für mediale Aufmerksamkeit gesorgt, als Kardinal Giacomo Biffi von Bologna bei den diesjährigen Fastenexerzitien des Papstes und der Römischen Kurie in einer Betrachtung sich auch der Person des Antichrist zuwandte. Hierbei zitierte er mehrfach aus dem Werk des russischen Schriftstellers Wladimir Solowjew. (...)

Die im Jahr 1900 wenige Monate vor Solowjews Tod erschienene „Kurze Erzählung vom Anti-christ“ ist der Schlussteil des größeren Werkes „Drei Gespräche“ und gehört zu den literarischen Klassikern. Sie hält sich eng an den biblischen Text in der Offenbarung des Johannes sowie an die Schriften des heiligen Irenäus von Lyon. Der Antichrist tritt auf im Jahr 2077 und hat in Tübingen den Ehrendoktor der Theologie erworben. Er will den Menschen Glück und Wohlergehen schenken. Aber er liebt nur sich allein und will von den Menschen als Weltenherrscher verehrt werden. Da er als großer Friedensstifter auftritt, fliegen ihm rasch große Sympathien zu. Selbst viele Christen laufen zu ihm über. Erst langsam regt sich ein Widerstand in glaubenstreuen Kreisen. Christen unterschiedlicher Konfessionen schließen sich zusammen und bald schließen sich ihnen auch die Juden an. So trifft der wiederkommende Christus seine Herde an.

Die schwedische Schriftstellerin Selma Lagerlöf, die als erste Frau den Nobelpreis für Literatur erhalten hat, schrieb 1897 einen Roman mit dem Titel „Die Wunder des Antichrist“. Hier deutet Lagerlöf - und dies geschichtlich schon sehr früh - den Sozialismus als Herrschaft des Antichrist. Die Menschen in Sizilien im 19. Jahrhundert verehren ein wundertätiges hölzernes Jesuskind bis sie dort die Inschrift entdecken: „Mein Reich ist nur von dieser Welt“. Da diese Verehrung jedoch unwissend geschieht, kann nicht von einem Glaubensabfall gesprochen werden, und hierin liegt die Schwäche dieses Romans. Die Protestantin Lagerlöf wollte hier auch Kritik am Katholizismus üben, doch zeigt dieser Roman eher, daß es ihr nie gelungen ist, wirklich in die katholische Gedankenwelt einzudringen.

Die Ausbreitung humanistischer Gedanken im 20. Jahrhundert war ein wichtiger Grund dafür, daß Schriftsteller an die biblische Gestalt des Antichrist erinnerten, der vortäuscht, der Christus zu sein und der den Menschen ein irdisches Paradies verspricht. In diesem Jahrhundert entstanden auch die großen Ideologien wie Kommunismus und Kapitalismus, die trotz ihres geradezu gegensätzlichen Menschen- und Geschichtsbildes eines gemeinsam haben: das Versprechen, hier auf Erden das letzte Glück des Menschen schaffen zu können. Glück wird demzufolge rein sinnenhaft verstanden. Karl Wagenfeld hat im Jahr 1916 ein Versepos mit dem Titel „Der Antichrist“ geschaffen, in dem dieser Aspekt deutlich herausgestellt wird. Hier ist der Antichrist der Sohn einer Hure, der die Menschen bezirzt, indem er an ihre Sinnenlust appelliert. Als er mit Teufelskräften versucht, eine Himmelfahrt zu vollbringen, stürzt ihn ein Blitz in die Hölle. Schließlich tritt der Erzengel Michael auf und ruft zum Gericht.

Der englische Priester Robert Hugh Benson, der 1903 von der anglikanischen zur römisch-katho-lischen Kirche konvertierte, verarbeitete die Antichrist-Thematik in seinem Roman „Der Herr der Welt“. Kurz nachdem Papst Pius X. in seiner Enzyklika „Pascendi“ den Modernismus verurteilte, unterstreicht auch Benson den übernatürlichen Charakter der Offenbarung und wendet sich scharf gegen einen Humanismus ohne Gott. Ganz London hat sich einem Mann namens Julian Felsenburgh unterworfen. Er präsentiert sich als großer Friedensbringer, der mit seiner Autorität die Kriegsgefahr in allen Ländern nachdrücklich beseitigt. Er predigt humanistische Ideale wie Freundlichkeit und Zufriedenheit. Überkommene moralische Gesetze werden über Bord geworfen. Alle Länder Europas unterwerfen sich ihm nach und nach und erkennen ihn an als „Herr der Welt“. Sein einziger Gegner bleibt die katholische Kirche. Doch diese ist inzwischen zu einem kleinen Häuflein zusammen-geschrumpft, da viele Gläubigen zum Antichristen übergelaufen sind. Im letzten Kampf greift Gott selbst ein und führt das Ende der Welt herbei. Oftmals musste sich Benson anhören, er hätte ein allzu negatives Szenario gezeichnet. Doch andere erkannten in diesem Roman eine treffende Parabel auf seine Zeit.

Das bekannteste literarische Werk mit dem Titel „Der Antichrist“ ist sicherlich Friedrich Nietzsches Polemik gegen das Christentum, die im Jahr 1888 erschienen ist. Diese hat allerdings mit dem biblischen Stoff rein gar nichts gemein, sondern muß als Kampfansage an das Christentum verstanden werden.

Nicht viel anders verhält es sich mit einem anderen Werk der Literatur. Der bulgarische Autor Emilijan Stanev hat 1970 einen Roman mit dem Titel „Der Antichrist“ geschrieben. Doch ist damit ein Mann gemeint, in den sich „Satanas eingenistet hat.“: Teofil, ein ehemaliger Mönch und Sohn eines Ikonenmalers, der zum Ketzer und Mörder wird. Stanev verwendet einen historischen Stoff aus dem 14. Jahrhundert, doch lässt er Teofil selbst in Ich-Form auf sein Leben zurück blicken, was der Romanhandlung besondere Eindringlichkeit verleiht.

Ein interessanter und leider kaum bekannter Text über den Antichrist stammt aus der Feder des Schriftstellers und Organisten Reinhard Raffalt, der für den Bayerischen Rundfunk als Rom-Korrespondent tätig war und sowohl mehrere Rom-Führer als auch Biographien von Komponisten und römischen Kaisern verfasste. Der 1976 verstorbene Raffalt hat 1966 eine Studie über den Antichrist erstellt, in der er biblisches Zeugnis, historische Fakten und persönliche Beobachtungen miteinander verbunden hat. Allerdings wurde diese Schrift erst 1990 erstmals veröffentlicht. Doch scheinen Raffalts Analysen fast prophetisch. Die Propaganda des Antichristen beinhaltet bei ihm die Rede vom „autonomen Menschen“, vom „Weltfrieden“ und vom „weltumspannenden Staat“. Daher wird auch eine Welteinheitsreligion angestrebt. Die Wahrheit wird „durch die Toleranz in viele Teilwahrheiten zerlegt“. Raffalts Studie zeigt wie der Antichrist das Christentum uminterpretiert und letztlich für seine Ziele vereinnahmt.

In den letzten Jahren hat ein Erfolgsroman deutliche Parallelen zu den Antichrist-Romanen gezeigt - wenn auch wohl ungewollt. Der siebenteilige Roman „Harry Potter“ der Engländerin Joanne K. Rowling zeigt ebenfalls einen Menschen mit hohen humanistischen Idealen, aber einer ganz und gar irdischen Ausrichtung. Im Unterschied zu den vorher genannten Romanen geschieht hier aber keine Aufklärung, Distanzierung oder Kritik, sondern der Protagonist, der in vielem dem Antichrist ähnlich ist, wird hier als Sympathieträger und Identifikationsfigur für den Leser vorgestellt. Darin liegt die Gefahr der Harry-Potter-Bücher. Der italienische Exorzist Don Gabriele Nanni urteilt: „Hinter Harry Potter verbirgt sich die Handschrift des Herrn der Finsternis, dem Teufel. Das Buch macht den falschen Versuch, eine Unterscheidung zwischen weißer und schwarzer Magie zu treffen, was aber nicht geht, da Magie immer ein Weg zum Teufel ist.“ (...)

Literarische Werke über den Antichrist sollten aber vielmehr die Warnung der Bibel in die heutige Zeit übersetzen. Vom heiligen Cyrill stammen die Worte: „Bereite dich deshalb vor, o Mensch. Du hörst von den Zeichen des Antichrist - erinnere dich nicht bloß an sie, sondern teile sie frei deiner Umgebung mit ... Aber Gott verhüte, daß es erfüllt werde schon in unseren Tagen. Indessen, wir wollen vorbereitet sein.“
 
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