Wie steht es um die römisch-katholische Kirche aktuell? von Eberhard Heller
Anmerkung: Diese Frage stellte mir ein Redakteur der Schweizer „Weltwoche“. Meine Antwort drucke ich im Voraus bei uns ab, um den neuen Lesern der EINSICHT einen umfassenden Einblick in unsere Position zu geben.
*** Wenn Sie von der kath. Kirche reden, meinen Sie jenes Religionsinstitut, das durch die Reformen des II. Vatikanums, das vom 11.10.1962 bis zum 6.12.1965 dauerte, eine grundsätzliche Umstrukturierung erfahren hat und zu einer Kirche mutiert ist, die trotz des Namens "römisch-katholische Kirche" mit der vor-konziliaren kath. Kirche nicht mehr identisch ist. Die Väter des Konzils kamen als Teilnehmer einer streng nach dem Depositum fidei ausgerichteten Kirche und verließen es als Geburtshelfer einer durch die Reformer angestrebten, modernisierten Religionsinstitution (unter Beibehaltung formaler Strukturen). Die Reformen und die sich an sie anschließende Entwicklung im Geiste dieses Konzils stellen in vielfacher Hinsicht einen Bruch mit der 2000-jährigen Tradition der Kirche dar, der nach außen nur noch durch die Beibehaltung ihres Erscheinungsbildes, bestimmter Lehrinhalte und der hierarchisch-juridischen Strukturen verkleistert wird.
Diese Mutierung der Kirche Jesu Christi zur sog. Konzils-Kirche ist bewirkt worden durch die Verfälschung der Sakramentsriten oder deren Uminterpretation, die Leugnung von Dogmen, durch semantischen Betrug, durch Relativierung der moralischen Normen und durch die Aufgabe des Absolutheitsanspruches der Kirche als Trägerin und Bewahrerin der geoffenbarten göttlichen Heilswahrheiten. Johannes Paul II. sah sich z.B. nur noch als Führer einer von vielen gleichberechtigten Religionsgemeinschaften, mit denen er "Gott" anbetet, womit er implizit die Trinität leugnete.
Als sich bald nach dem Ende des II. Vatikanums abzeichnete, daß die verabschiedeten Dokumente nicht bloß reformerischen Charakter besaßen, sondern auch das kath. Dogma tangierten, die sich besonders gravierend bei der Liturgiereform auswirkten, gab es zunächst viele Kräfte, die gegen diese Reformen ankämpften. Der Promulgation des sog. Novus Ordo Missae Pauls VI. folgte prompt die "Kurze kritische Untersuchung des N.O.M.", die von den Kardinälen Ottaviani und Bacci unterzeichnet ist und in der erhebliche theologische Mängel dieses Ordos aufgezeigt wurden. Erhellend ist in diesem Zusammenhang auch, was Kard. Ratzinger über die Liturgiereform, die nach ihm "keine Neubelebung,, sondern eine Verwüstung" darstellt, geschrieben hat: "Ich bin überzeugt, daß die kirchliche Krise, in der wir uns heute befinden, zum großen Teil vom Zusammenbruch der Liturgie herrührt." ("Mein Leben, Erinnerungen 1927-1997" Rom 1997)
Um diese ungeheuerlich klingenden Anschuldigungen zu belegen, erlaube ich mir, zwei Konzilsdokumente und das Urteil eines sicherlich unverdächtigen Zeugen zu zitieren. In "Nostra Aetate", Art. 3 heißt es: "Mit Hochachtung betrachtet die Kirche auch die Muslime, die den alleinigen Gott anbeten, den lebendigen und in sich seienden, barmherzigen und allmächtigen, den Schöpfer Himmels und der Erde, der zu den Menschen gesprochen hat". Diese Position wird in "Lumen gentium", 16. Kap. präzisiert: "Der Heilswille umfaßt aber auch die, die den Schöpfer anerkennen, unter ihnen besonders die Muslime, die sich zum Glauben Abrahams bekennen und mit uns den einen Gott anbeten". Diesen Verzicht auf den Absolutheitsanspruch der Kirche verdeutlichte Paul VI., als er l970 erklärte: "An dem Konflikt (d.i. dem Nahost-Konflikt) sind drei Religionen beteiligt, die alle den wahren Gott anerkennen: das Volk der Juden, das Volk des Islam und dazwischen das über die ganze Welt verbreitete christliche Volk. Sie verkünden mit drei Stimmen den einen Monotheismus. Sie sprechen höchst authentisch, höchst ehrwürdig, höchst geschichtlich, höchst unverwüstlich, höchst überzeugend." Dieser nach-konziliare Sinneswandel wird u.a. von Prof. P. Claude Geffre OP, Dekan der theologischen Fakultät von Saulchoir in "Le Monde" vom 25.1.2000 bestätigt: "Beim II. Vatikanischen Konzil entdeckte und akzeptierte die katholische Kirche, daß sie nicht das Monopol der Wahrheit besitzt, daß sie ihr Ohr für die Welt öffnen muß. (...) Jene (Religionen), die sich diesen legitimen Ansprüchen widersetzen, sind dazu verurteilt, sich zu reformieren oder zu verschwinden." Dagegen sagt Christus: "Keiner kommt zum Vater außer durch mich" (Jo 14,6); denn "wer den Sohn nicht hat, hat auch den Vater nicht!" (1 Jo 2,23). Da gibt es keinen Spielraum für Toleranz! Wie soll eine solche z.B. mit den Juden aussehen, wenn deren heutige Rabbiner Christus als Gotteslästerer betrachten, der zu Recht zum Tode verurteilt wurde, jenen Christus, den seine Anhänger als Sohn Gottes anbeten und verherrlichen?
Es kann also nicht sein, daß ein Papst oder das Lehramt der Kirche Positionen, die sie unter Berufung auf die Offenbarung der göttlichen Wahrheit aufgestellt haben und die bis vor kurzem noch galten, einfach in ihr Gegenteil verkehrt oder verfälscht, ohne diese göttliche Wahrheit als absolute Instanz bzw. sich selbst als Bevollmächtigte dieser instituierten Wahrheit aufzuheben. Was bis gestern in der kath. Kirche galt, muß auch noch heute und morgen in ihr gelten.
Um die Veränderungen, die sich seit dem II. Vatikanum fast geräuschlos vollzogen haben, an einem einzigen Beispiel, das schon der Endpunkt des moralischen Verfalls darstellt, schlaglichtartig zu beleuchten, verweise ich auf die allgemeine Zustimmung zur Abtreibung, in deren Ausführung auch die Konzils-Kirche in Deutschland - durch die Ausstellung des sog. Beratungsscheines, der zu nichts anderem diente, als zur straffreien Abtreibung, der auch als "Tötungs-Lizenz" apostrophiert wurde - bis vor kurzem involviert war. Denken Sie auch daran, daß Franziskus in der Erklärung „Fiducia supplicans“ vom 18.12.2023 den Geistlichen erlaubt, auch homosexuelle Paare zu segnen, wobei die katholische Kirche (die frühere) Homosexualität als schwere Sünde einstuft. Denken Sie auch an das Dokument, welches der Scheich Ahmed al-Tajib, dem Großimam der Al-Azhar-Universität in Kairo, und Bergoglio am 4.2.2019 unterschrieben haben, in dem die Absicht bekundet wird, die Brüderlichkeit von Muslimen und Christen festzuschreiben. „Die Verschiedenheit in bezug auf Religion(...) entspricht einem weisen göttlichen Willen.“ Also es entspricht einem „weisen göttlichen Willen“, wenn Muslime im Auftrag Allahs aufgerufen werden, Christen zu töten. (5. Vers der 9,5 Sure - Surat at-Tauba) oder daß Gott es will, daß Sein Sohn als „Gotteslästerer“ gilt, der zu Recht zum Tode verurteilt wurde, wie es die modernen Rabbiner sagen. Der Erzbischof Viganò hat Bergoglio vermehrt Häresie vorgeworfen. Er hat sich aber nicht dazu aufgerafft zu sagen, er sei deshalb nicht länger Papst. Zu dieser Beurteilung war aber schon S.E. Pierre Martin Ngô-dinh-Thuc, der ehemalige Erzbischof von Hue, gekommen, der bereits am 21.3.1982 in St. Michael/München in seiner „Declaratio“ den Stuhl Petri für vakant erklärt hatte: Papa haereticus depositus est (Bellarmin), ergänzt durch: Papa haereticus deponendus est (Kajetan), da die Kirche eine öffentliche Institution ist.
Gerechterweise muß man sagen, daß dieser offiziell von der Hierarchie verfolgte Kurs von vielen theologisch nicht durchschaut wird. Wer kann in der Änderung des Kirchenbegriffes, der davon ausging, daß „die katholische Kirche „est“ (ist) die Kirche Christi“ in „die katholische Kirche „subsistit in“ (ist eingesetzt, eingebunden in) in der Kirche Christi (vgl. „Lumen gentium“ 8) Daß sich in dieser Änderung eine gefährliche Häresie versteckt, nämlich die Leugnung des Absolutheitsanspruchs der Kirche, fällt nur dem auf, der sich mit dem Text von „Lumen genitium“ ausführlich beschäftigt.
Doch die Zerspaltung der früheren Einheit blieb nicht ohne Folgen. Es gab Befürworter und Gegner der Reformen. Die Gegnerschaften führten zu vielfältigen Zerwürfnissen. Diejenigen, die versuchten, weiter in der Tradition zu leben, wurden von den Befürwortern der Reformen als rückständig verlacht. Der Riß ging teilweise mitten durch die Familien. Der als konservativ geltende Kard. Scheffczyk, emer. Professor für Dogmatik an der Universität München, der von der "Selbstzerstörung der Kirche“ sprach, bescheinigte diesen Gläubigen: "Man muß realistisch und mit tiefem Mitempfinden zugeben, daß heute zahlreiche Christen sich verloren, ratlos und sogar enttäuscht fühlen." ("Theologisches", Juli 2002) Viele aus dem Kirchenvolk sind immer noch der Meinung, die Konzils-Kirche sei die wahre Kirche Christi, zumal die verfälschenden Reformen das theologische Verständnis einfacher Gläubiger übersteigen und der semantische Betrug sukzessive erfolgte. Von der jüngeren Generation, die den alten Glauben, die alte Liturgie nicht mehr kennen gelernt hatte, blieb er überhaupt unbemerkt. Doch gerade unter den jüngeren Gläubigen gibt es eine ganze Reihe, die die Zelebration der alten, lateinischen Messe suchen und von ihr geistige Unterstützung erhalten. Da, wo die Reformen nicht als Revolution erkannt wurden, hat diese neue Kirche sogar teilweise ihre gesellschaftlich stabilisierende Funktion beibehalten.
Zusammenfassend muß man aber sagen: Die römisch-kath. Kirche, so wie sie einmal als universelle Heilsinstitution bestanden hat, hat weitgehend aufgehört zu existieren. Diejenigen, die diese Reformen als Revolution durchschaut haben, leben zwar nicht im Untergrund, aber in der "Zerstreuung", in einer neuen Diaspora.
Man erzählte von Abbas Agathon: Lange Zeit verbrachten er und seine Schüler mit dem Bau eines Kellions. Als sie das Kellion fertiggestellt hatten, kamen sie, um es zu bewohnen. In der ersten Woche aber bemerkte er etwas, das ihm schädlich war; und er sprach zu seinen Schülern: »Kommt, gehen wir weg!« Diese wurden sehr erschreckt und sprachen: »Wenn du wirklich den Gedanken hattest wegzugehen, weshalb haben wir solche Mühe darauf verwandt, das Kellion zu errichten? Die Leute werden sich ein Ärgernis an uns nehmen und sagen: Schau, diese Unsteten sind wieder abgezogen!« Da er sie so kleinmütig sah, sprach er zu ihnen: »Wenn auch einige daran ein Ärgernis nehmen, so werden andere doch erbaut sein und sagen: Selig diese Menschen; um Gottes willen sind sie weggegangen und haben alles verachtet. Wer also kommen möchte, der komme, ich gehe nämlich.« Da warfen sie sich zur Erde und flehten ihn an, bis er ihnen erlaubte mitzugehen. (aus: „Sprüche der Väter“, Wien Graz Köln 1963)
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