DER HEILIGE JOHANNES
Zum Fest am 27.Januar
von
Heinrich Storm
Der heilige Johannes Chrysostomus, neben Athanasius d.Gr.,
Basilius d.Gr. und Gregor von Nazianz einer der vier großen
morgenländischen Kirchenlehrer und einer der bedeutendsten Bischöfe der
Väterzeit, wurde im Jahre 349 in Antiochien, der Hauptstadt Syriens,
geboren. Sein Vater Secundus, der einen hohen Rang in der römischon
Armee innehatte, starb schon sehr früh, so daß die Mutter Anthusa ganz
allein die ganze Last der Erziehung des Knaben wie auch der Sorge für
das tägliche Brot - damals eine schwere Aufgabe für eine Witwe - zu
tragen hatte. Sie ermöglichte Johannes die damals übliche klassische
Ausbildung, wobei unter seinen Lehrern vor allem Libanius zu nennen
ist, einer der berühmtesten Rhethoriker seiner Zeit.
Um das Jahr 367, also - einem Mißbrauch jener Zeit entsprechend - erst
mit 18 Jahren, empfing Johannes das Sakrament der hl.Taufe. Er wandte
sich dann zunächst einige Jahre theologischen Studien zu, ehe er 370
als Lektor erstmals ein Amt in der Kirche von Antiochien antrat.
Die Gemeinde von Antiochien, eine der ehrwürdigsten der gesamten
Christenheit, weil sie sich zum einen direkt auf die Apostel
zurückführte, zum anderen aber dort die Anhänger der neuen Lehre zum
ersten Mal als Christen bezeichnet worden waren, wurde damals durch
Spaltungen erschüttert. Den "orthodoxen" Christen stand eine Reihe von
Häretikern gegenüber, die immer noch, versteckt oder offen, an der
schon 325 durch das Konzil von Nizäa verurteilten Irrlehre des Arius
festhielten.
Johannes schloß sich von Anfang an der rechtgläubigen Gemeinschaft des
Bischofs Meletius an; mit diesem blieb er bis zu dessen Tode eng
verbunden. Doch zunächst trieb es ihn nach innerer Vervollkommnung
durch Abtötung aller fleischlichen Begierden. Sechs Jahre lang zog er
sich als Mönch zu diesem Zweck in die Berge zurück; zwei Jahre davon
lebte er völlig einsam als Eremit in einer Höhle, nur mit dem Studium
der Heiligen Schrift beschäftigt, man sagt von ihm, er habe in dieser
Zeit das gesamte Neue Testament auswendig gelernt.
Durch die überharte Askese wurde sein Körper in dieser Zeit derart
geschwächt, daß er sich schließlich gezwungen sah, nach Antiochien
zurückzukehren, wo er nun endgültig seinen Dienst in der Gemeinde
aufnahm. Durch seine Frömmigkeit, seinen Eifer und seine großen
Fähigkeiten stieg er bald vom Lektor zum Diakon auf, im Jahre 386
schließlich wurde er von Bischof Meletius zum Priester geweiht und
erhielt das Predigtamt an der Kathedrale zugewiesen. Seine neue Aufgabe
meisterte Johannes glänzend: Einen solchen Prediger hatte die
antiochenische Gemeinde noch niemals erlebt, und sein Ruf drag bald
weit über die Grenzen seiner Vaterstadt hinaus.
In dieser zweiten antiochenischen Periode seines Lebens verfaßte er
einen Großteil jener Homilien (erbauliche Bibelauslegungen) und
Kommentare zur Heiligen Schrift, die später seinen Ruhm als
Kirchenlehrer begründen sollten. Palladius, sein Zeitgenosse und erster
Biograph, beschreibt das Wirken des Heiligen in dieser Zeit mit den
Worten: "Zwölf Jahre lang leuchtete er durch seine gewissenhafte
Lebensführung in der Kirche Antiochiens als Zierde des Klerus hervor.
Er würzte die Herzen der Gläubigen mit dem Salz der Weisheit,
erleuchtete sie durch seine Lehre und tränkte sie mit dem Wasser des
Heiligen Geistes."
Auch in der Hauptstadt des Reiches Konstantinopel war man inzwischen
auf diese Leuchte Antiochiens aufmerksam geworden, und als im Jahre 398
der Erzbischof der Hauptstadt, Nectarius, starb, ließ der allmächtige
Minister des schwachen Kaisers Arcadius, Eutropius, Johannes kurzerhand
nach Konstantinopel bringen und dort zum Bischof weihen. Johannes, der
sich im Gegensatz zu vielen seiner Amtsbrüder nie nach einer solchen
Würde gedrängt hatte, nahm, einmal durch Gottes Vorsehung an diesen
Platz gestellt, die Pflichten des neuen Amtes energisch in Angriff,
wobei er in ihrer Ausführung keinerlei Menschenfurcht zeigte. Seinem
"Gönner" Eutropius trat er, als dieser das kirchliche Asylrecht brechen
wollte, ebonso standhaft entgegen wie der aufgebrachten Volksmenge, die
nach der Absetzung desselben Eutropius dessen Auslieferung aus der
Kathedrale verlangte. Wenn es vonnöten war, scheute er sich nicht, auch
das Kaiserpaar an seine Pflichten zu erinnern. Seine Hauptaufgabe aber
erblickte er darin, den Klerus immer wieder mit allen ihm zur Verfügung
stehenden Mitteln zu einem, seines hohen Amtes würdigen Lebenswandel
anzuhalten.
Mit feurigem Kampfeseifer, unter Verzicht auf jegliches diplomatische
Mittel, vertrat er überall einzig die Sache des götlichen Herrn und
Meisters.
Es konnte nicht ausbleiben, daß die, denen seine Worte und Taten als
ständige Erinnerung an ihre eigene Pflichtvergessenheit auf dem
Gewissen brennen mußten, den Erzbischof von Konstantinopel bald als
ihren ärgsten Feind betrachteten. Es bildete sich gegen ihn ein
Komplott aus Bischöfen, Geistlichen seiner Diözese und Hofbeamten, die
bald in Theophilus, dem Patriarchen von Alexandrien, einen ebenso
rücksichtslosen wie entschlossenen Führer fanden und von der Kaiserin
Eudoxia, die von Johannes mehrfach in scharfer Form zurückgewiesen
worden war, unterstützt wurde.
Aus nichtigen Gründen, das Kirchenrecht betreffend, brach Theophilus
eine Auseinandersetzung mit Johannes vom Zaun, und als er sich endlich
wegen verschiedener schwerer Verstöße in der Ausübung seines Amtes in
Konstantinopel vor einer Synode verantworten sollte, benutzte er die
Gelegenheit, um seine Anhänger, ungefähr 40 Bischöfe und Äbte, zu einer
Gegenversammlung, die nach ihrem Tagungsort als "Eichensynode" in die
Geschichte eingegangen ist, zusammenzurufen; diese "Synode" sprach im
August 403 das Absetzungsurteil über Johannes aus. Da Theophilus
verstand, den schwachen und unfähigen Kaiser Arcadius auf seine Seite
zu ziehen, folgte diesem Unrechtsurteil bald der kaiserliche
Bannspruch. Nach einer vorübergehenden Rüchkehr wurde Erzbischof
Johannes, dem nie die Möglichkeit gegeben worden war, sich von den
gegen ihn erhobenen völlig absurden und zum Teil geradezu lächerlichen
Vorwürfen zu reinigen, im Jahre 404 endgültig in die Verbannung
deportiert. Auf seinen bischöflichen Sitz aber kam ein Mann, "stummer
als ein Fisch und tatenloser denn ein Frosch", wie ihn Palladius
drastisch beschreibt.
Selbst als Verbannter war Johannes seinen Todfeinden zu gefährlich. Sie
setzten es durch, daß man den kranken und geschwächten Erzbischof an
immer entlegenere Orte brachte und ihm Behausungen zuwiese "schlimmer
als das schlechteste Kerkerloch". Nichtsdestoweniger blieb sein Wille
ungebrochen: An jedem neuen Aufenthaltsort entfaltete der Erzbischof
eine reiche apostolische Wirksamkeit, und bis in die entferntesten
Winkel Kleinasiens folgten die Ärmsten seiner Schäflein dem guten
Hirten nach. So faßte man endlich in Konstantinopel den Beschluß,
Johannes von Cucusus in Kappadozien nach Pytius im Kaukasus, an der
äußersten Grenze des Reiches, bringen zu lassen. Im Juni 407 mußte er
sich mit einem Trupp Soldaten in Marsch setzen. Diese trieben den
ohnehin schon schwerkranken Mann unbarmherzig und unter Anwendung
ausgesuchter Grausamkeiten vorwärts; es ist nicht auszuschließen, daß
ihnen für den Fall des Todes des Erzbischofs eine Belohnung ausgesetzt
worden war. Drei Monate lang dauerte dieses Martyrium, das der Heilige
"standhaft wie ein leuchtender Stern" (Palladius) ertrug. Hinter Comana
in Pontus brach er endlich vor Schwäche zusammen. Man brachte den
Sterbenden in eine am Weg liegende Märtyrerkapelle. Dort legte Johannes
das weiße Sterbekleid an und mit den Worten seines Lieblingsgebetes:
"Gelobt sei Gott für alles!" und einem letzten "Amen" auf den Lippen
ging er am 14. Septemter 407, ohne jede Verbitterung, in die ewige
Heimat hinüber, um sich von seinen irdischen Kämpfen auszuruhen.
"Chrysostomus", den Goldmund, hat die Nachwelt den heiligen Bischof
genannt, den Papst Pius X. zum Patron der Prediger ernannte. Sicherlich
trägt Johannes diesen Titel nicht zu Unrecht: Seine Predigten, von
denen uns ein großer Teil überliefert ist, zeichnen sich durch
rhethorisches Genie ebenso wie durch eine ganz profunde Schriftkenntnis
aus, und auch wenn uns heute das unmittelbare Erlebnis der Predigt des
Johannes fehlt, so kann man aus dem schriftlich Überlieferten doch noch
die feurige Begeisterung des Predigers für seinen Gegenstand
herausspüren. In ihnen führt Johannes einen kompromißlosen Kampf gegen
das Böse im Menschen, nie hört er auf, seine Zuhörer an das eigentlich
Wesentliche im Leben zu erinnern: "Wenn du ein Christ bist, dann hast
du keinen Staat auf Erden. Der Erbauer und Bildner unseres Staates ist
Gott. Wenn wir auch den ganzen Erdkreis besetzt haben, sind wir da doch
Gäste und Fremdlinge. Wir sind im Himmel aufgeschrieben, da verkehren
wir; laßt uns nicht nach Art kleiner Kinder das Große geringschätzen
und das Kleine bewundern."
Arme und Reiche, Schwache und Mächtige ermahnte er in gleicher Weise;
denn "die Armen und die Reichen, beide sind meine Kinder, beide hat
derselbe Schoß geboren, beide in demselben Schmerz". Trotzdem fühlte er
sich dazu verpflichtet, vor allem die Reichen immer wieder an die ewige
Gerechtigkeit zu erinnern: "Ihr habt euren Besitz geerbt, gut, ihr habt
also nicht gesündigt. Aber wißt ihr denn, ob ihr nicht die Nutznießer
des Diebstahls oder der Missetaten eurer Vorfahren seid?" Angesichts
des soeben noch mächtigen, nun aber gestürzten, bedrängten und elenden
Eutropius benützte er die Gelegenheit, einen Zuhörern die Nichtigkeit
des irdischen Glücks eindringlich vor Augen zu halten: "Nichts ist
unbeständiger als menschliches Glück. Man kann es einen Rauch nennen
oder Gras, einen Traum oder eine Frühlingsblume oder was immer sonst,
man bleibt noch hinter der Wahrheit zurück, so hinfällig ist es und
weniger als nichts." Hat der Heilige die Wahrheit dieser Worte nicht am
eigenen Leibe erfahren und doch anschaulich vorgelebt, daß der Glaube
beständiger ist als alle Unbeständigkeit des menschlichen Daseins?
Bei aller Schönheit der Rede des Johannes sollte man sich bewußt
bleiben, daß ihr Zweck nie die rhethorische Erbauung, sondern die
ernsthafte Ermahnung und Besserung des Zuhörers war. Dem Unwillen der
Ermahnten rief Johannes mutig entgegen: "Du willst mich dafür (d.h. für
die Zurechtweisung) steinigen? Ich bin bereit, mein Blut zu vergießen,
wenn ich nur deine Sünde verhüte. Mich kümmert nicht Haß und nicht
Krieg, mich kümmert nur eins: die Besserung meiner Zuhörer."
Diese Grundsätze hielt Johannes aber nicht nur auf der Kanzel, sondern
in jeglichem Umgang mit den Mitmenschen ein und darum wurde er in einer
weithin gottfernen Gesellschaft ein Zeichen des Widerspruchs und ein
Stein des Anstoßes. Vor allem diejenigen, die die Heiligkeit ihres
Amtes in besonderer Weise zu einem gottgefälligen Wandel verpflichtet
hätte, war er ein Dorn im Auge; denn er ermahnte sie (die Geistlichen),
"sich mit dem eigenen Tisch zu begnügen und nicht dem Bratenduft der
Reichen nachzulaufen, denn wenn sie den Fettdampf zum Fackelträger
nähmen und einem Leben von Schmeichlern und Schmarotzern nachjagten,
würden sie dem Feuer der Unmäßigkeit anheimfallen." Er selbst hatte ja
dieses Feuer durch strengste Askese in sich erstickt und auch als
Bischof hörte er nicht auf, wie ein Mönch zu leben. Von dem, was er
durch den Abbau des bischöflichen Luxus einsparte, ließ er
Krankenhäuser errichten und die Armen speisen, was ihm die Liebe des
Volkes eintrug: Als der Erzbischof aus der ersten Verbannung
heimkehrte, wurde ihm von diesem ein begeisterter Empfang zuteil.
Die harte Selbstüberwindung hatte ihn dahin gebracht, daß er Freud und
Leid mit gleichem Starkmut und gleicher Festigkeit ertrug. Wahrhaft
bewundergwert und für sein Wesen charakteristisch sind die Worte, die
er über seine erste Verbannung sprach: "Als ich aus der Stadt verbannt
wurde, habe ich mich dadurch nicht beunruhigen lassen. Ich sagte mir:
Wenn die Kaiserin mich verbannen will, soll sie mich verbannen, des
Herrn ist die Erde und alles, was sie erfüllt. Wenn sie mich zersägen
lassen will: Isaias sei mein Vorbild. Wenn sie mich ins Meer werten
lassen will, denke ich an Jonas, will sie mich in die Flammen stürzen
lassen, erinnere ich mich an die drei Jünglinge im Feuerofen; will sie
mich zu den wilden Tieren schicken, denke ich an Daniel in der
Löwengrube; will sie mich steinigen lassen, soll sie es tun: Ich habe
den Erzmärtyrer Stephanus zum Vorbild; verlangt sie meinen Kopf, soll
sie ihn nehmen, diesmal ist mein Vorbild Johannes der Täufer; wilI sie
mir alles nehmen, was ich habe, so nehme es: nackt bin ich aus meiner
Mutter Schoß gekommen, nackt kehre ich zur Erde zurück."
Johannes hatte vor allem eine ungeheure Hochachtung vor der Würde
seines priesterlichen Amtes, nicht von ungefähr haben vor allem seine
sechs Bücher "Über das Priestertum" den Ruhm seines Namens seit der
Väterzeit vermehrt. Wenn er vom Priester fordert, dieser solle
"zugleich würdevoll und doch nicht aufgeblasen, furchteinflößend und
doch freundlich, zum Herrschen befähigt und doch herablassend,
unbestechlich und doch dienstfertig, demütig und doch nicht
unterwürfig, strenge und doch milde sein", so hat er wohl gleichzeitig,
ohne es zu beabsichtigen, ein treffendes Selbstporträt geschaffen.
Kaum jemand kann wohl tiefer, als er es tat, die Verantwortung des
Hirtenamtes auffassen. Über die Worte des hl.Paulus, daß "die Vorsteher
Rechenschaft ablegen sollen über eure Seelen" (Hebr 13,17) sagte er,
die Furcht vor dieser Drohung erschüttere seine Seele beständig; an
einer anderen Stelle wiederum heißt es bei ihm: "... wem jedoch
Menschen anvertraut sind, die vernunftbegabte Herde Christi, den
trifft, wenn ihm seine Schäflein zugrunde gehen, nicht eine
Geldbuße, sondern er verliert zur Strafe seine eigene Seele."
Die überragende Gottesliebe des Johannes kommt besonders in seiner
Verehrung des Altarssakramentes zum Ausdruck. Über das hl.Opfer sagt
er: "In dieser Zeit umringen selbst Engel den Priester, das ganze
Heiligtum und der Raum um den Altar ist angefüllt mit himmlischen
Herrscharen, dem zu Ehren, der auf dem Altare liegt." Was könnte
schließlich besser zeigen als seine schon genannten letzten Worte, daß
Johannes sich demütig voll und ganz dem göttlichen Willen ergeben hat?
Für uns soll das aufrechte Leben und das standhafte Leiden und Sterben
des heiligen Johannes Chrysostomus ein Anstoß sein, uns immer wieder an
die Worte des Heilandes zu erinnern: "... die Welt hat sie gehaßt, weil
sie nicht von der Welt sind, wie ich nicht von der Welt bin." (Joh
17,14) Nur wenn uns das immer bewußt bleibt, kann am Ende auch von uns
das gesagt werden, was die Kirche im Graduale am Festtag des hl.
Johannes Chrysostomus betet:
"Selig der Mann, der in der Prüfung standhält, denn wenn er sich bewährt hat,
wird er die Krone des Lebens empfangen." (Jak, 1, 12)
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