DER HEHLER IST NICHT BESSER ALS DER STEHLER
von H.H. Alois Aßmayr
In den früheren Katechismen, die noch übersichtlich und dogmatisch in Ordnung waren, stand nach der Frage: "Mit welchen Worten warnt Jesus vor dem Ärgernis geben?" auch die Frage (oder es gab wenigstens einen Hinweis darauf}, wie man sich an der Sünde anderer schuldig machen könne. Man nannte diese Sünden 'fremde Sünden'. Als solche wurden neun aufgeführt:
1. anderen zur Sünde raten 2. anderen eine Sünde befehlen 3. in die Sünde anderer einwilligen 4. andere zur Sünde reizen 5. die Sünde anderer loben 6. zur Sünde anderer stillschweigen 7. die Sünde anderer nicht strafen 8. an der Sünde anderer teilnehmen 9. die Sünde anderer verteidigen
Wenn ich über die Zustände in der heutigen Kirche nachdenke, komme ich unweigerlich zu dem Schluß: unsere gesamte Führung in der Kirche macht sich all dieser Sünden schuldig, angefangen vom Ärgernis geben bis zur letzten der 'fremden Sünde'. Daher habe ich auch das ganze Vertrauen zu ihr verloren. Kennt unsere Führung überhaupt noch diese Sünden? Nach dem zweiten Weltkrieg hat uns Priestern unser Bischof warm ans Herz gelegt, die Gewissensbildung zu pflegen, bei uns selber und bei den Gläubigen. Er hat recht damit getan. Wer sollte diese zarte Gewissensbildung bei den Priestern und Seelsorgern mehr fördern als der Papst und die Bischöfe? Von den Gläubigen möchte ich gar nicht reden. Heute aber soll ich als Pfarrer an der Zerstörung der Gewissen arbeiten!! Nun soll ich für erlaubt, wenn nicht gar für geboten erklären, was früher Sünde, schwere oder sogar sehr schwere Sünde war, oder ich sollte wenigstens dazu schweigen, wenn es andere tun, um die Gläubigen in die Irre zu führen. Nein, damit mache ich mich ja selber schuldig! Ich bin nicht Priester geworden, um die Gläubigen in die Hölle zu führen, sondern in den Himmel. Die Hölle hatte ich mir woanders auch verdienen können und zwar wesentlich leichter. Von Pascal habe ich den Satz gelesen: "So wie es ein Verbrechen ist, den Frieden zu stören, wo die Wahrheit herrscht, so ist es auch ein Verbrechen, im Frieden zu verharren, wenn die Wahrheit zerstört wird." Das aber ist in der heutigen modernistischen Kirche der Fall. Die Wahrheit wird zerstört und damit auch der Frieden. Hat doch Bischof Graber auf der Vollversammlung der westdeutschen Bischöfe ganz offen erklärt: "Wir müssen gestehen, daß wir alles auf den Kopf gestellt haben. Nicht die geforderte innere Erneuerung haben wir in Angriff genommen, sondern den äußeren Umbau, der schon eher einem totalen Abbruch ähnelt. Überall sind die Abbruchkommandos am Werk, am Dogma, an der Moral, an der Liturgie, kurz überall". ("Entscheidung", Nov. 1972, S. 5) Aber, obwohl er das alles so genau weiß, hindert es ihn trotzdem nicht daran, an der Zerstörung fleißig mitzuarbeiten.
Nein, diesen Weg, den die heutige Kirche geht, kann ich nicht gehen, ohne mir die Hölle zuzuziehen und die Leute, die sich mir als Priester anvertrauen, auch dorthin zu führen. Das halte ich für ein fürchterliches Verbrechen. Als Seelsorger habe ich die ausgesprochene Pflicht und die schwere Aufgabe, für die mir anvertraute Herde zu sorgen und sie vor den Wölfen zu schützen, selbst dann, wenn mich die Wölfe selbst zerreißen sollten.
Den Weg der heutigen Kirche kann ich nicht gehen, weil in ihr der reinste Modernismus herrscht, und der kann nur zerstören! Darum gleicht die heutige Kirche einem ungeheuren Trümmerfeld. Vom Modernismus sagt der Hl. Pius X. in seiner Enzyklika "Pascendi", daß er das Sammelbecken aller Häresien sei, die es je gegeben hat, und daß er nicht nur die katholische, sondern jede Religion zerstören würde. Dann sind aber auch alle Anhänger des Modernismus Häretiker, welchen Ranges sie auch sind, auch wenn sie sich nur Progressisten nennen. Denn alles, was Pius X. so streng verurteilt hat, ist heute in der Kirche so gang und gäbe, daß ein Priester, der den Modernismus nicht mitmacht, nur an ganz wenigen Orten, wo sich dieser Modernismus noch nicht breit machte und die abgefallene Hierarchie ihren Einfluß noch nicht hat geltend machen konnte, existieren kann (und wenn, wie lange noch?).
Wir Priester haben einst alle den Antimodernismuseid abgelegt und haben dabei allen modernistischen Irrtümern und Häresien abgeschworen. Nun, diesen Eid hat man abgeschafft und aufgehoben. Das können aber nur Leute getan haben, denen dieser Eid ein Dorn im Auge war: den Modernisten selber! Die modernistischen Irrtümer und Irrlehren müssen wir aber ablehnen, auch ohne Eid, wenn wir noch katholisch sein wollen.
Wohin man aber kommt, wenn man diese Irrlehren duldet oder besser gesagt noch fördert, sehen wir heute: es gibt keine Engel, daher auch keine Teufel (Anm. d. Red.: die Teufel sind abgefallene Engel, wenn man darum die Engel leugnet, leugnet man implizit auch die Existenz des Teufels!), darum keine Erbsünde, daher auch keinen göttlichen Erlöser, man leugnet die jungfräuliche Mutter-schaft Mariens, Jesus sei nur der natürliche Sohn Josephs; er ist also nicht Gott und ist auch nicht auferstanden usw. Das ist doch genau das, was der Hl. Pius X. meint, wenn er sagt, daß der Modernismus jede Religion zerstört.
Dem entsprechend schaut auch die heutige Moral aus. Was wird denn heute noch als Sünde bezeich-net, erst recht als schwere Sünde? "Sündigen" tut man nur dann noch, wenn man die modernistischen Neuerungen nicht mitmacht oder gegen sie Stellung bezieht. Auf dem II. Vatikanischen Konzil konnten sich die Bischöfe über die Ehemoral nicht einigen, und so hat man es dem Papst überlassen, in dieser Sache zu entscheiden. Diese Entscheidung ließ lange auf sich warten, und, da unsere Bischöfe sie nicht mehr erwarten konnten, entschieden sie selber. Auf einer Priesterkonferenz wurde bekannt gegeben, daß nur mehr das Sünde sei, wenn Eheleute aus Bequemlichkeit eine Empfängnis verhindern oder Abtreibung betreiben würden. Als dann bald darauf "Humanae vitae" erschien, waren die Bischöfe freilich bloßgestellt. Auf der nächsten Konferenz kam natürlich die Sache zur Sprache. Schließlich erklärte der Dekan, es bleibe alles beim alten, nämlich als Sünde seien zu werten Abtreibung und Empfängnisverhinderung aus Bequemlichkeit. "Humanae vitae" trat weithin Ablehnung erfahren, auch bei den Bischöfen. Uns Priestern in der Seelsorge ging vom Ordinariat die Weisung zu, daß man Eheleute wegen Ehemißbrauchs die Lossprechung nicht versagen dürfe, und man solle sie zu den Sakramenten weiterhin zulassen. Diese Anordnung steht aber in scharfem Gegensatz zu der Anweisung der österreichischen Bischofskonferenz aus dem Jahre 1954 "De usu et abusu matrimonii". Wenn ich als Pfarrer in der Predigt nach fünfzehn Jahren genau das Gegenteil von dem sagen würde, was ich damals gepredigt hatte, würde man mich zu recht auslachen. Darüber hinaus würde ich aber auch jedes Vertrauen der Gläubigen verlieren.
Was ist aber dann, wenn das in vielen Fällen unsere Bischöfe tun? Meinen sie, es ergeht ihnen bes-ser als einem kleinen Dorfpfarrer, und das alles nur, weil es scheinbar die Mode so fordert? Ehemißbrauch (= Empfängnisverhütung) ist heute so ziemlich allgemein üblich, und man macht sich gar nichts mehr daraus, da ja auch Bischöfe, Theologieprofessoren und Priester nichts mehr dabei finden, sondern dies noch ausdrücklich propagieren. Das Laster der Unkeuschheit hat fürchterliche Ausmaße angenommen. Man trägt aber auch absichtlich dazu bei, indem man die sexuelle Auf-klärung in die Schule , wenn nicht schon in den Kindergarten hineinträgt und schon die Kinder in alle Laster einführt. Mir ist nicht bekannt, daß die Bischöfe bis heute sich dagegen zur Wehr gesetzt haben, mit Ausnahme Bischof Rusch (im Falle von P. Kripp). "Schafft Herzen voll von Lastern und ihr werdet keine Katholiken mehr haben", ist eine Anweisung der Freimaurer von 1839 (vgl. Bischof Graber: Athanasius, S. 40).
Heute sind wir so weit. Die Schamhaftigkeit wird systematisch untergraben und als engstirnig und antiquiert abgetan, die doch der Zaun um die Keuschheit ist. Nimm diesen Zaun weg, und es ist auch um die Keuschheit geschehen. Die Folge davon ist letztlich die Abtreibung. Da dieses Verbrechen ein erschreckendes Ausmaß angenommen hat, geben die Regierungen vor, durch die sogenannte Fristenlösung "Abhilfe" schaffen zu wollen. Die Bischöfe wehren sich zwar noch dagegen, da Abtreibung bewußter Mord eines Unschuldigen ist. Das ist eine himmelschreiende Sünde. Aber auch unsere Bischöfe in Österreich handeln nicht folgerichtig sondern "kompromißlerisch", indem sie die sogenannte "soziale Indikation" als erlaubt anerkennen. Ihr hochwürdigsten Herren, direkte und absichtliche Tötung eines Unschuldigen ist immer Mord! Da gibt es keine Ausnahme! Irgend ein "Notstand" ist bald gefunden! In der Praxis ist dann kein Unterschied mehr zwischen dieser perfiden "Lösung" und der Fristenlösung. Darf man von den Ärzten mehr Verantwortung verlangen als von den Bischöfen? Das sogenannte Volksbegehren in Österreich, in dem diese soziale Indikation pro-pagiert wird, hat also die Sachlage nur noch verschlimmert, in dem die Leute wählen sollen zwi-schen zwei durchaus verbrecherischen Alternativen, die in der Praxis auf das gleiche hinauslaufen. Die eigentliche Perfidie besteht dabei noch darin, daß die eine "Lösung" von den Bischöfen unter-stützt wird. Um dieses Verbrechen, welches sie da propagieren, müssen die Bischöfe wissen, da kann es keine Ausreden geben.
Ich glaube vielmehr, daß sie sich anbiedern, weil sie den Haß der "Welt" fürchten, d.h. derjenigen, die die Abtreibung brauchen, und mit denen möchte man es sich nicht verderben, zumal einem der Haß der Welt meist teuer zu stehen kommt. Wer aber den Haß der Welt fürchtet, ist als Priester und erst recht als Bischof am falschen Platz. "Der gute Hirte gibt sein Leben für seine Schafe!" (Joh. 10,11 f) Der gute Hirte wirft sich den Wölfen entgegen, auch wenn es um's Leben geht. Um dieses (irdische) Leben geht es aber bei uns noch nicht. Wenn aber da die Hirten schon versagen und nur zusehen, wie die Wölfe hausen, dann sind es nur Mietlinge und keine Hirten, erst recht, wenn sie mit den Wölfen gemeinsame Sache machen und selber zu Wölfen werden. Diese Wölfe können noch ungleich mehr Unheil anrichten, da ja die Schafe ahnungslos sind. Gute Hirten aber werden immer seltener, die Wölfe dagegen immer zahlreicher, erst recht die Mietlinge. Viele Wölfe aber sind des guten Hirten Tod. Ich bin jedenfalls nicht gesonnen, vor den Wölfen die Flucht zu ergreifen, auch nicht untätig zuzuschauen, wie die Wölfe hausen, und erst recht nicht, mit den Wölfen gemeinsame Sache zu machen. Es ist mir aber vollkommen klar, daß ich mir damit den Haß der Wölfe und besonders der Mietlinge zuziehe und ich mit ihrer Rache rechnen muß. Ich fürchte sie nicht!
(Fest der hl. Katharina v. Alexand. - Biberwier 25.11.1975) (EINSICHT, 5. Jahrg. Nr. 5, Dez. 1975) |