DER HL. THOMAS BECKET
von
Eugen Golla
Er ist wohl der bekannteste, interessanteste und wohl früher hoch
verehrte Heilige Englands, dessen Vita - bis in sein reifes Alter das
Leben genießend, danach Jahre strenger Askese, die ihr Ende in der
Ermordung an geheiligter Stätte fanden - Stoff bot oder als Vorlage
diente zu einer ganzen Reihe dramatischer Bearbeitungen. So schildern
u.a. C. F. Meyers Novelle "Der Heilige" und Jean Anouilhs Drama "Becket
oder die Ehre Gottes" die Verwandlung eines dem heiteren Leben
zugewandten Staatsmannes in einen von seinen Pflichten überzeugten
Bischof, der dafür das Martyrium erleidet, während T. S. Eliot das
Mysterienspiel "Der Mord im Dom" verfaßte.
Thomas Becket wurde 1118 als Sohn des Kaufmannes Gilbert Becket, der
aus der Normandie nach England ausgewandert war, in London geboren.
Seine Mutter Mathilde war eine religiöse und gütige Frau. Daß sie eine
getaufte Sarazenin gewesen sei, die Gilbert von einer Pilgerfahrt ins
Heilige Land mitgebracht haben soll, gehört in den Bereich der Legende.
Sieht man von weniger glaubwürdigen Berichten ab, ist über die Kindheit
von Thomas Becket sehr wenig bekannt. Sicher ist nur, daß es sich der
wohlhabende Vater leisten konnte, ihn im Merton-Kolleg der
Augustiner-Chorherren erziehen zu lassen. Nach dem Besuch dieser Schule
studierte der junge Becket an der erstklassigen Bildungsstätte in
Paris, von wo er jedoch, ohne Abschlußexamen abgelegt zuhaben, 1140
wieder nach London zurückkehrte. Seine Mutter war inzwischen
verstorben. So nahm er bei einem reichen Bürger die Stellung eines
Güterverwalters an.
Sein Leben bekam aber bald eine ganz andere Ausrichtung, als nämlich
der Erzbischof von Canterbury, Theobald, ihn in seine Dienste nahm.
Dieser Kirchenfürst, der sich seiner Stellung als Repräsentant der
Kirche sehr wohl bewußt war, holte junge begabte Kleriker und Laien in
den bischöflichen Palast, um sie weiterzubilden. Erzbischof Theobald
zeichnete sich darüber hinaus durch unerschütterliche Treue gegenüber
dem Papst aus als dem höchstem Repräsentanten.
Obwohl Thomas Becket schnell Neider und Feinde am bischöflichen Hof
erwuchsen, vermochte er sich dennoch in der Gunst des Erzbischofs zu
halten, so daß er nicht nur an Delegationen nach Rom teilnehmen durfte,
sondern auch Pfründen erhielt, die ihm ein sorgloses und ein seiner
Stellung entsprechendes Leben ermöglichten. Als eine weitere
Auszeichnung muß bewertet werden, daß der Erzbischof ihm gestattete, im
burgundischen Auxerre als auch an der rechtswissenschaftlichen Fakultät
der Universität Bologna zu studieren, die damals zu den berühmtesten
Lehrinstituten zählte. Dort war einer seiner Lehrer der
Kamaldulensermönch Gratian. Dieser hatte sich an dem kirchenrechtlichen
Standpunkt Gregors VII. ausgerichtet und war Verfasser des später nach
ihm benannten sog. "Decretum Gratiani", das zu den grundlegenden
Konzepten für die sich damals festigende Institutionalisierung des
kirchlichen Lebens zählt. (Die Aneignung der gratianischen Ideen sollte
für Becket noch von entscheidender Bedeutung sein.)
Becket erhielt nach seiner Rückkehr nach Canterbury das einflußreiche
Amt eines Archidiakons, mit dem gewisse Stellvertretervollmachten des
Erzbischofs von Canterbury verbunden waren. Kurz darauf wurde er zum
Diakon geweiht, obwohl seine Lebensführung immer aufwendiger wurde und
seinem geistlichen Amt nicht entsprach.
Auf die Empfehlung von Erzbischof Theobald wurde Becket schließlich zum
Kanzler des neuen Königs Heinrich II. ernannt. Der um 14 Jahre jüngere
Herrscher - ein Autokrat, der im Charakter dem späteren Heinrich VIII.
ähnelte, d.h. von heftigem Temperament, aufbrausend, bisweilen roh, mit
häufigen und heftigen Wutausbrüchen, der dennoch ein gewisses
diplomatisches Geschick besaß - schloß bald mit dem feinsinnigen,
heiteren und beherrschten Becket Freundschaft, der wie der König sich
für Literatur interessierte und Gefallen fand am Reiten, Jagen und an
Waffenspielen. Obwohl Becket nunmehr als höchster Beamter des Königs
gezwungen war, auch ein aufwendiges gesellschaftliches Leben mit vielen
Verpflichtungen zu führen, gab sein Verhalten keinen Grund zu
berechtigter Kritik. Er widerstand nicht nur der Aufforderung des
Königs, dessen ausschweifendes Leben zu teilen, sondern ließ sich als
Zeichen der Buße geißeln und trug stets ein Büßerhemd aus Roßhaar. Daß
er trotz seines klerikalen Standes an einem Feldzug in die Normandie in
voller Kriegsrüstung teilnahm, ja mit einem französischen Ritter einen
Zweikampf ausfocht, bereute er später bitter, ebenso, daß er dem König,
der begann, eine kirchenfeindliche Politik zu betreiben, zunächst nicht
entscheidenden Widerstand entgegengesetzt hatte.
Im Jahre 1161 starb Erzbischof Theobald von Canterbury Heinrich II
plante, nun noch systematischer die Rechte der Kirche zu beschneiden
und sie in ihrem Spielraum einzuengen Hinsichtlich dieses Vorhabens
glaubte er, keinen verläßlicheren Helfer finden zu können als seinen
Freund Becket, den er als Nachfolger auf dem erzbischöflichen Thron von
Canterbury bestimmte. Becket lehnte jedoch zunächst ab mit dem Hinweis,
daß dies das Ende der Freundschaft bedeuten wurde, denn man werde in
ihm einen unnachgiebigen Verteidiger der kirchlichen Rechte finden
Schließlich ging Becket doch auf das Ansinnen des Königs ein. Im Jahr
1162 erhielt er die Priester- und Bischofsweihe. Andächtig legte er das
aus Rom eingetroffene Pallium, das Zeichen der erzbischöflichen Wurde,
auf seine Schultern, voll düsterer Ahnungen.
Mit der Besteigung des Bischofsstuhl von Canterbury begann für Becket
in der Tat der steinige und dornenreiche Pfad der kompromißlosen
Nachfolge Christi. Als Zeichen dieser Gesinnung ließ er sich ab da in
immer kürzeren Abstanden geißeln, aß selbst, auch wenn Gaste geladen
waren, nur ein paar Happen, oft nicht mehr als ein paar Bissen Brot
Seine Gebete verrichtete er knieend in einer ärmlichen Zelle. Außerdem
widmete er sich intensiv dem bisher vernachlässigten Studium der
Heiligen Schrift. Noch vor Ablauf des Jahres 1162 sandte er dem König
das Großsiegel von England zurück, womit er auf das Kanzleramt
resignierte Heinrich II. bekam einen furchtbaren Tobsuchtsanfall.
Trotzdem konnte zwischen den beiden Männern ein Stillhalteabkommen
geschlossen werden.
Auf dem englischen Reichstag in Clarendon im Jahre 1164 verlangte der
König von den Bischöfen seines Landes die Unterzeichnung von 16
Artikeln, die meistens auf gewohnheitsrechtlichen Privilegien beruhten,
welche normannische Könige und Herzöge in England für sich in Anspruch
genommen hatten. Während sich die übrigen Bischöfe unterwarfen und die
Artikel unterzeichneten, weigerte sich der neue Erzbischof von
Canterbury - dann seinem Lehrer Gratian folgend -, Gewohnheitsrechte
anzuerkennen, die durch die Einschränkung der kirchlichen
Gerichtsbarkeit nur die Freiheit der Kirche beschnitten hatten.
Als daraufhin Heinrich II. begann, Geldbußen über Becket zu verhangen
und dieser sich von seinen Bischöfen im Stich gelassen sah, beschloß
er, da er seines Lebens nicht mehr sicher sein konnte, nach Frankreich
zu fliehen. Am 30 November 1164 kam er an seinem Zufluchtsort, der
Zisterzienserabtei Pontigny in Burgund an, wo er für die nächsten zwei
Jahre bleiben sollte und sich strengen Bußübungen unterzog. Hier
widmete er sich dem Studium der Heiligen Schrift und des
Kirchenrechtes. Im Kloster paßte er sich - trotz seiner hohen Wurde und
soweit dies möglich war - dem monastischen Leben an und trug sogar ein
Ordensgewand. Andererseits verlangte diese dem Erzbischof-Primas von
England gewährte Gastfreundschaft dem Kloster gewisse Opfer ab Die
Stille in den Klostermauern wurde durch die vielen Besuche, die der
Gast empfing, empfindlich gestört Wiederum empfand Becket den ihm zu
seiner Bedienung zugeteilten Mönch häufig als lästig In dieser
Auseinandersetzung zwischen den höchsten Repräsentanten eines
Königreiches, die sich weiter zuspitzte, war natürlich die
Stellungnahme des päpstlichen Stuhles von besonderer Wichtigkeit.
Alexander III., einer der bedeutendsten Papste des Mittelalters, stand
zwar grundsätzlich auf seiten Beckets. Da er sich aber in einer
schweren Auseinandersetzung mit Kaiser Friedrich I. Barbarossa befand,
der nach dem Beispiel Karls des Großen seine Macht über Italien und Rom
wiederherstellen wollte und dabei auch nicht davor zurückschreckte, im
Laufe der Jahre vier Gegenpäpste aufzustellen, versuchte er immer
wieder zu vermitteln, zumal Heinrich II drohte, gegebenenfalls
Barbarossa zu unterstützen. So verweigerte der Papst zwar die
Bestätigung der 16 Artikel der Konstitution von Clarendon und erklärte
die Beschlagnahme der beweglichen Guter Beckets . unrechtmäßig,
andererseits ermahnte er aber diesen ziemlich schroff, sich ruhig zu
verhalten Schließlich verlieh er aber Becket die Legatenwürde für ganz
England, was es diesem ermöglichte, seine Gegner zu suspendieren und zu
exkommunizieren.
Als Heinrich II. im Jahre 1166 dem Kloster Pontigny unter Drohungen
befahl, dem Erzbischof kein Asyl mehr zu gewähren, stellte sich dieser
unter den Schutz des Klosters Sainte Colombe bei Sens, wo er eine
kleine Zelle bezog. In den folgenden Jahren wurden die Verhandlungen
zwischen dem Papst, dem König und Becket weitergeführt, jedoch ohne
Resultat. Schließlich gestattete Heinrich II. vier Jahre später seinem
Kontrahenten die Rückkehr nach England, wobei sich Becket bewußt war,
daß diese versöhnlich wirkende Geste unaufrichtig war. Trotz der ihm
zujubelnden Menschenmenge, die ihn bei seiner Landung im Hafen
erwartete, wußten vor allem königstreue Prälaten gar bald den Zorn des
Monarchen gegen Becket zu schüren. Als dann am Hl. Abend des Jahres
1170 Heinrich, der sich zu diesem Zeitpunkt in Frankreich aufhielt,
öffentlich und in provozierender Weise fragte, ob es denn niemand gäbe,
der ihn von diesem lästigen Priester befreien würde, rüsteten sich
umgehend vier aufgebrachte Ritter zur Fahrt über den Kanal.
Am 28. Dezember erschienen sie im erzbischöflichen Palast von
Canterbury und stellten Becket in anmaßendem, herausforderndem Ton
wegen der von ihm exkommunizierten Bischöfe zur Rede. Als er sich am
folgenden Tag in seine Kathedrale begab, um - wie gewohnt - vor dem
Altar seine Stundengebete zu verrichten, erschienen, begleitet von
mehreren bewaffneten Männern diese vier Ritter, mit Schwertern
bewaffnet, in der Absicht, ihn gegebenenfalls zu ermorden. Ihr
Anführer, Reginald Fitzurse, rief: "Wo ist Becket, der Verräter an
seinem König und am Königreich?" Als sich Thomas Becket wiederum
weigerte, die exkommunizierten Bischöfe vom Banne zu lösen, wurde er
mit Gewalt aus dem Dom gezerrt und auf den Stufen auf grausame Weise
erschlagen. So brachte der einstige elegante Höfling sein Leben für die
Freiheit und die Rechte der Kirche Englands zum Opfer dar.
Ganz Europa war erschüttert über diese furchtbare Tat, die
demonstrieren sollte, daß die Kirche mit roher Gewalt den Interessen
des Staates gefügig gemacht werden müsse und für die nie eine
entsprechende Sühne geleistet wurde, weshalb das Verhältnis von Krone
und Kirche in England bis heute mit diesem Mord belastet bleibt. Schon
unmittelbar nach seiner Ermordung wurde Thomas Becket vom Volke wie ein
Heiliger verehrt, der sein Leben für seine Herde hingegeben hatte. (In
diesem Sinne sind auch die Gebete in der Meßfeier zu seinem Gedächtnis
ausgesucht.)
Der König schloß sich auf die Nachricht von diesem schrecklichen
Vorfall drei Tage ein und verweigerte jede Nahrungsaufnahme. Er verfiel
der Exkommunikation, weil er verdächtigt wurde, zumindest diesen Mord
angeregt zu haben. Von dieser Kirchenstrafe wurde er erst 1172
freigesprochen, nachdem er im Dom zu Avranches vor zwei Kardinallegaten
erklärt hatte, er habe den Mord weder befohlen noch gewünscht. Außerdem
mußte er sich verschiedenen Bußübungen unterziehen, wozu auch die
Mitwirkung bei der Bekämpfung des Islams gehörte. Ferner mußte er auf
die Geltendheit der Clarendonschen Konstitutionen verzichten und Treue
gegenüber dem Papst versprechen. Das Verfahren gegen die Mörder wurde
von den Justizbehörden nur sehr nachlässig geführt. Von einer
wirklichen Bestrafung konnte nicht die Rede sein.
Bereits 1173 wurde Thomas Becket von Papst Alexander III. kanonisiert,
da an seinem Grab, das bald Ziel vieler Pilger wurde, zahlreiche Wunder
geschahen. Die Kirche feiert sein Gedächtnis am 29. Dezember. Im Jahre
1538 erklärte Heinrich VIII., daß der hl. Thomas Becket von nun an
nicht mehr als Heiliger zu verehren, sondern als Landesverräter
anzusehen sei. Er ließ daher den Sarg öffnen und die Gebeine
verbrennen.
* * *
Benutzte Literatur:
Aube, Pierre: "Thomas Becket. Eine Biographie" Einsiedeln 1990.
Artikel 'Thomas Becket" in: "New Catholic Encylopedia" Bd. 2.
Wetzer und Weite: "Kirchenlexikon", Bd. 11, Freiburg 1899.
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