DER HEILIGE TURIBIUS
von
Eugen Golla
Am 24. Mai 1581 traf in Lima, der Hauptstadt des spanischen
Vizekönigreichs Peru, unter dem Jubel der Bevölkerung Toribio Alfonso
Mogrovejo, der neuernannte Erzbischof, ein. Lima - oder wie es
ursprünglich stolz und klangvoll hieß: Ciudad de los Reyes (Stadt der
Könige), war damals noch eine junge, kaum 5o Jahre alte Stadt,
gegründet vom grausamen Glücksritter Pizarro, dem Eroberer und
Zerstörer des Inkareiches. Aber alle die zahlreichen Klöster und der
sich bereits erhebende prunkvolle Dom vermochten nicht darüber
hinwegzutäuschen, daß dort neben aufrichtiger Frömmigkeit Geldgier,
Laster aller Art und Schinderei der Eingeborenenbevölkerung blühten.
Auf außergewöhnlichem Wege war Turibius zur Würde eines Erzbischofs
gelangt: 1538 - 44 Tage nach Carl Borromäus - als Sohn eines Edelmannes
in der spanischen Provinz Leon geboren, fühlte er sich schon als Kind
zu Andacht, Austeilen von Almosen und dem Ausschmücken von Altären
hingezogen. Von besonderer Liebe zur Muttergottes erfüllt, betete er
außer dem Rosenkranz das Offizium zu ihren Ehren und fastete jeden
Samstag. Mit glänzendem Erfolg oblag er dem Studium der
Rechtswissenschaft an den Universitäten Valladolid, Salamanca und
Oviedo. Sein König, Philipp II., vertraute ihm sehr bald ein hohes,
einflußreiches Amt an: Obwohl Laie und im Besitze erst geringer
Berufserfahrung, ernannte er ihn bereits 1573 zum Mitglied und 2 Jahre
danach zum Präsidenten der Inquisition von Granada. Üble Machenschaften
begannen immer mehr der erfolgreichen Missionierung im amerikanischen
Kolonialreiche Spaniens hinderlich zu sein. Der Ruf und das Ansehen
Turibios waren so bedeutend, daß man 158o ihn als den geeignetsten Mann
ansah, als Erzbischof Limas die so notwendigen Änderungen
durchzuführen.
Als Turibius von dieser Ernennung erfuhr, warf er sich unter Tränen zu
Füßen des Kruzifixes nieder und erklärte dem königlichen Rat seine
Unfähigkeit, ein solches Amt zu übernehmen, zumal er außer der Tonsur
im Besitze keiner Weihen war. Aber alle Ausflüchte waren vergebens:
unter Einhaltung der kirchenrechtlich erforderlichen Zwischenfristen
empfing er stufenweise sämtliche Weihegrade einschließlich der
Bischofsweihe, um gleich danach die gefährliche und lange Reise über
den Ozean anzutreten. - Müssen wir bei dieser merkwürdigen Erwählung
nicht Gottes Fügung erkennen - ähnlich wie beim hl. Ambrosius, dessen
Erhebung auf den erzbischöflichen Stuhl von Mailand darauf
zurückzuführen ist, daß ein Kind "Ambrosius soll unser Bischof sein"
rief, obwohl dieser noch Laie war?
Die Diözese Lima erstreckte sich etwa 5oo km entlang der Küste, umfaßte
aber auch weite Gebiete mit verstreut liegenden Kleinsiedlungen in der
Wildnis des Hochgebirgs der Anden. Letztendlich trug aber der
Erzbischof von Lima als Metropolit die Verantwortung für eine
Kirchenprovinz, die sich von Panama im Norden bis in das heutige
Argentinien erstreckte. Dabei war der Zustand in der Diözese alles
andere als erfreulich: die spanischen Herren verhielten sich meist
grausam gegenüber den Indios. Wenn auch nicht wenige Priester und
Mönche sich mit allen ihren Kräften für eine menschenwürdigere
Behandlung der Eingeborenen einsetzten und sich voll Eifer der so
schwierigen Seelsorge widmeten, gab es doch unter dem Klerus manche,
die Anlaß zu schweren Ärgernissen gaben. Erzbischof Turibius erkannte
als die einzig möglichen Wege zu einer durchgreifenden Reform
einerseits das Gebet, Bußwerke, die tägliche Feier der hl. Messe sowie
trotz seines tadellosen Lebens die tägliche Beichte und andererseits
die strenge Durchführung der wenige Jahre vorher festgesetzten Kanones
des Konzils von Trient, womit als leuchtendes Vorbild bereits der hl.
Karl Borromäus begonnen hatte.
Es ist klar, daß ein Mann mit einer solchen Auffassung und einem
solchen Programm für viele unbequem war und daß er deshalb viele Gegner
unter den Repräsentanten der Staatsmacht und dem Klerus hatte. Denen,
welche sich auf angebliche Erobererrechte beriefen, pflegte er zu
erwidern: "Jesus sagte: 'Ich bin die Wahrheit', nicht Herkommen oder
Gewohnheit sind entscheidend", und er schreckte nicht davor zurück,
Geistliche, die ihre Pflichten nicht erfüllten oder deren LeDenswandel
I Anstoß erregte, zu suspendieren.
Ganz besondere Verdienste erwarb sich der Erzbischof von Lima durch
wiederholte Einberufungen von Diözesansynoden und Provinzialkonzilien,
wie es die Kirchenversammlung von Trient vorgeschrieben hatte. Während
spiner 25-jährigen Wirksamkeit als Erzbischof hielt er 3 Provinzial-
und 14 Diözesansynoden ab. Von besonderer Bedeutung war die
Provinzialsynode von 1583, auf der Satzungen zum Schütze der Freiheit
der Indianer und der religiösen Rechte der Negersklaven festgesetzt und
grundsätzlich die Erteilung von Weihen an Eingeborene erlaubt wurde,
letzteres wahrscheinlich auf Anordnung des Apostolischen Stuhles.
Man betrachtete die Dekrete dieser Synoden nicht nur in Südamerika,
sondern auch in Luropa, ja sogar in Rom als eine Art 'Orakel' und
verglich sie mit den Anordnungen des hl. Karl Borromäus. Tatsächlich
ist es faszinierend, aber auch beschämend, daß sich - sozusagen am Ende
der damals bekannten Welt - ein Bischof das Ziel setzte, mittels
sorgsamer Durchführung der Beschlüsse des Konzils von Trient zu
reformieren, während dies in Europa, z.B. in Deutschland, trotz des
durch die Reformation hervorgerufenen religiösen Notstandes, vielfach
später und widerstrebend erfolgte.
Aber dies ist nur ein Teil seines Wirkens im Dienste Gottes und der
Kirche. Seinem Hauptanliegen, den Eingeborenen den wahren Glauben zu
bringen und ihnen ein menschenwürdiges Dasein zu ermöglichen, konnte
allein von seiner Residenzstadt aus nicht effektiv genug getan werden.
Er unternahm daher drei große Rundreisen durch seine Diözese, von denen
die zweite 5 Jahre dauerte und die dritte nicht viel kürzer währte. Da
viele Indianer vor ihren Unterdrückern tief in die Urwälder geflohen
waren, schreckte er auch nicht davor zurück, unter unbeschreiblichen
Mühen diese ärmsten seiner Diözesanen zu besuchen, ihnen zu predigen,
Mißbräuche abzustellen und die Sakramente zu spenden, wobei zu den
großen Erfolgen, die er dabei eizielte, die unter ausdauerndem Fleiß
erworbene Kenntnis der Eingeborenensprache nicht wenig beitrug.
Man sagt, er habe 800.000 Gläubigen das Sakrament der Firmung
gespendet. Als weitere wichtige Maßnahmen seien noch genannt die von
ihm errichtete Druckerei - die erste im spanischen Südamerika -, die
Herausgabe eines Katechismus in der Eingeborenensprache sowie die
Neuorganisation des Pfarrklerus, was zur Folge hatte, daß die Anzahl
der Pfarreien von etwa 15o auf 24o erweitert wurde. Hätten Staat und
Kirche Lateinamerikas in späteren Zeiten sich Turibius als Richtschnur
genommen, wäre ihnen manches Elend, welches dem Klassenkampf, den
Diktaturen und der Korruption entsprang, erspart geblieben.
Während seiner 3. Visitationsreise erkrankte Bischof Turibius in Santa,
mehr als 4oo km von der Hauptstadt entfernt. Er ließ sich in die Kirche
tragen, um die hl. Wegzehrung zu empfangen; aber seine Schwäche nahm so
schnell zu, daß ihm die Letzte Ölung bereits im Bett gespendet werden
mußte. Er verschied am 23. März I606 mit den Worten "In Deine Hände, o
Herr, empfehle ich meinen Geist."
Ein Jahr nach seinem Ableben wurde der unversehrte Leichnam nach Lima
gebracht. Durch Papst Innozenz XI. erfolgte 1676 die Seligsprechung.
Infolge vieler Wunder nach seinem Tode - die Akten der Heiligsprechung
verzeichnen sogar eine Totenerweckung - wurde er 1726 von Papst
Benedikt XIII. kanonisiert.
Benützte Literatur:
Gams, Pius Bonifatius: "Die Kirchengeschichte von Spanien", Bd. III/2, Graz 1956.
Manns, P.: "Die Heiligen in ihrer Zeit", Bd. II, Mainz 1966.
Pastor, Ludw. Freih. v.: "Geschichte der Päpste", Bd. 9, Freiburg 1925.
Stadler, Joh. Ev.: "Vollständiges Heiligen Lexikon", 1861, Bd. 5, Artikel S. Turibius.
"Vies des Saints", Artikel: "Saint Turibe", Bd. 3, Paris 1941.
Wetzers und Weites "Kirchenlexikon", Freiburg 19o 1, Bd. 12, Art. Turibius.
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