DER HEILIGE JUSTINUS
PHILOSOPH UND MÄRTYRER, + ca. 166
von
Eugen Golla
Nachdem die furchtbare Prophétie des Heilands über die Zerstörung
Jerusalems in Erfüllung gegangen war, verhängte der siegreiche Kaiser
Vespasian als weitere Strafe über das jüdische Volk, daß sein Land
Römern und Griechen zur Besiedlung freigegeben wurde. Einer solchen
Siedlerfamilie entstammte vermutlich auch Justinus, der um das Jahr 100
in der Kanaaniterstadt Sichern, dem heutigen Nablus, das damals zu
Ehren des aus dem Geschlechte der Flavier stammenden Vespasian Flavia
Neapolis hieß, geboren wurde.
Schon in jungen Jahren sehnte er sich nach tieferer Erkenntnis. Aber in
dieser Beziehung vermochte das griechisch-römische Heidentum mit seiner
vermenschlichten Götterwelt, die zwar der bildenden Kunst und der
Literatur eine unerschöpfliche Fülle von Stoff bot, keine Antwort zu
geben. Er wandte sich daher wie alle Menschen, denen Fragen nach dem
Sinn und dem Ziel des Lebens und die Suche nach Gott keine Ruhe ließen,
verschiedenen Philosophenschulen zu.
Ein Beweis für die tiefe Veranlagung des Jünglings war sein
Desinteresse an der auf reinem Individualismus und Dieseitsstreben
ausgerichteten Schule des Epikur. Als er jedoch auch feststellen mußte,
daß der von ihm bevorzugte Lehrer der Stoa, die in einigen Punkten eine
gewisse Ähnlichkeit mit dem Christentum hat, nicht von Gott sprach,
wandte er sich der Peripathetik zu. Doch der Meister dieser Richtung
tat nichts eiliger, als sich einen festen Lohn auszudingen, was
Justinus abstieß; denn er konnte es nicht fassen, daß die
philosophische Unterweisung käuflich sei. Die Einweihung in die
Mysterien des Pythagoras scheiterte, da er nicht über die
erforderlichen Voraussetzungen und Vorkenntnisse in Musik, Astronomie
und Geometrie verfügte.
Endlich schien sein Drang nach höherer Erkenntnis befriedigt zu werden,
als sich ein Lehrer der mittleren Platonik in Flavia Neapolis
niederließ; denn rückblickend sagte Justinus, daß die Erkenntnis
übersinnlicher Dinge und das Schauen der Ideen seinen Geist beflügelt
habe. Aber es mußte erst die Gnade Gottes über ihn kommen, ehe er
imstande war zu erkennen, wie weit er damals noch von der wahren
Gotteserkenntnis entfernt war.
So berichtet Justinus, wie er einst, in tiefe Gedanken versunken,
unweit des Meeres wandelte. Da seine Heimatstadt nicht am Meere liegt,
ist man gezwungen, als Ort entweder Ephesus, wo sich mehrere
Philosophenschulen befanden, oder - was wahrscheinlicher ist - den See
Genesareth oder das Tote Meer anzunehmen. Er traf also dort mit einem
ehrwürdigen alten Mann zusammen, der ihm nach längerer Unterhaltung
über Philosophie darauf hinwies, daß er zur wahren Gotteserkenntnis nur
durch die Schriften der Propheten gelangen könne, die nicht nur älter
als die der hellenischen Weisen, sondern auch vom wahren Geiste Gottes
erfüllt seien. Nachdem der Greis ihm noch geraten hatte, um höhere
Erkenntnis zu beten, entfernte er sich, und Justinus blieb es
verborgen, wer er war und woher er kam.
Es ist daher nicht verwunderlich, wenn fromme Legenden in dem Greis
einen inkarnierten Engel oder den berühmten Apostelschüler und Bischof
von Ephesus, Polykarp, sahen. Wir kommen der Wahrheit wohl am nächsten
mit der Annahme, daß es sich um einen Christen jüdischer Abstammung
handelte,der in der Einsamkeit des Jordantales lebte.
Wie uns Justinus erzählt, entzündete sich nach dieser Begegnung ein
plötzliches Feuer in seiner Seele. Etwa 3o Jahre alt, ließ er sich
taufen. Die von einigen Autoren aufgestellte Behauptung, er sei danach
Priester geworden, ist aber nicht zutreffend; vielmehr blieb er auch
als Christ in erster Linie ein Philosoph und legte niemals den
Philosophenmantel ab - das Kennzeichen derer, welche ohne einen festen
Wohnsitz zu haben, sich der Weisheit widmeten und in der Öffentlichkeit
disputierten. Seine Behandlung der Themen zeigt deutlich den Einfluß
der platonischen Metaphysik und der stoischen Ethik, wobei ein
besonderes Merkmal seiner Theologie ein Brückenschlag zwischen der
heidnischen Philosophie und dem Christentum ist: in dem er als dessen
Ursprung neben dem Alten Testament auch die höchsten Leistungen des
griechischen Geistes ansieht, waren heidnische Philosophen wie Heraklit
und Sokrates, insofern sie gemäß dem in ihnen ruhenden Keim des
göttlichen Logos (Vernunft) lehrten, in gewissem Sinne bereits
christlich denkende Philosophen. Allerdings seien diese unvollständigen
Erkenntnisse - der beste Beweis hierfür sei die Uneinigkeit der
Philosophen untereinander - überholt worden, nachdem der ganze Logos in
Christus Mensch geworden sei.
Justinus stritt für seinen Glauben aber nicht nur mittels mündlicher
Unterrichtung, denn auch seine Tätigkeit als Schriftsteller war
bedeutend und richtete sich gegen die Juden, Heiden und Häretiker.
Leider sind uns von diesen Werken der Glaubensverteidigung nur Teile
erhalten geblieben: der Dialog mit dem Juden Tryphon, sowie die beiden
an die jeweiligen regierenden Kaiser gerichteten Apologien.
In dem 142 Kapitel umfassenden Gespräch mit Tryphon wird auf seinen
Vorwurf, daß die Christen ihre Hoffnung auf einen Menschen, Jesus
Christus, setzen würden, die Abschaffung des Alten Bundes mittels der
von den Propheten angekündigten Erfüllung durch den Neuen Bund
verteidigt und Jesus als der in den Schriften angekündigte Messias
bezeichnet, der zweimal kommen werde: einmal, um zu leiden, und dann in
Herrlichkeit.
Schließlich wird die Berufung der Heiden und die Gründung der Kirche
behandelt. Ganz besonders wichtig ist die in dieser Schrift zum ersten
Male in der alt-christlichen Literatur erfolgte Gegenüberstellung von
Eva und Maria: "Denn Eva, welche eine unverdorbene Jungfrau war, gebar,
nachdem sie die Worte der Schlange empfangen hatte, Sünde und Tod. Die
Jungfrau Maria dagegen war voll Glaube und Freude, als der Engel
Gabriel ihr die frohe Botschaft brachte, der Geist des Herrn werde über
sie kommen und die Kraft des Höchsten werde sie überschatten, weshalb
auch das Heilige, das aus ihr geboren werde, Sohn Gottes sei. Und sie
antwortete: 'Mir geschehe nach Deinem Worte!' Durch die Jungfrau Maria
ist Jesus geboren worden, auf welchen, wie wir gezeigt haben, so viele
Schriftstellen gesprochen sind und durch welchen Gott die Schlange und
die ihr ähnlich gewordenen Engel und Menschen vernichtet, diejenigen
dagegen, welche ihre Sünden bereuen und an Ihn glauben, vom Tode
befreit." (Kap. loo)
Die erste Apologie gliedert sich in drei Abschnitte. Im ersten weist
Justinus auf die Ungerechtigkeit der Christenverfolgungen hin, da die
Christen weder gottlos noch Staatsfeinde seien, sondern vielmehr
Menschen von hohen moralischen Qualitäten. Im Mittelteil behandelt er
die Wahrheit des auf der Gottheit seines Stifters basierenden
Christentums. Um die Unschuld seiner Glaubensgenossen in ein klares
Licht zu stellen, entwirft er schließlich ein Bild der christlichen
Riten.
Besonders wertvoll sind gerade diese Ausführungen über den christlichen
Gottesdienst und das Wesen der Eucharistie, weil sie uns einen Einblick
in die Meßfeier der Urkirche gewähren und weil sie der erste Versuch
einer Darstellung der Transsubstantion sind: "Haben wir das Gebet
beendigt, so begrüßen wir einander mit dem Kuß. Darauf werden dem
Vorsteher der Brüder Brot und ein Becher mit Wasser und Wein gebracht;
der nimmt es und sendet Lob und Preis dem Allvater durch den Namen des
Sohnes und der Heiligen Geistes empor und spricht eine lange Danksagung
dafür, daß wir dieser Gaben von ihm gewürdigt worden sind. Ist er mit
den Gebeten und der Danksagung zu Ende, so gibt das ganze Volk seine
Zustimmung mit dem Worte 'Amen'. Dieses 'Amen' bedeutet in der
hebräischen Sprache soviel wie: Es geschehe! Nach der Danksagung des
Vorstehers und der Zustimmung des ganzen Volkes teilen die, welche bei
uns Diakone heißen, jedem der Anwesenden von dem verdankten Brot, Wein
und Wasser mit und bringen davon auch den Abwesenden." (Kap. 65) "Diese
Nahrung heißt bei uns Eucharistie. Niemand darf daran teilnehmen, als
wer unsere Lehren für wahr hält, das Bad der Nachlassung der Sünden und
zur Wiedergeburt empfangen hat und nach den Weisungen Christi lebt.
Denn nicht als gemeines Brot und als gemeinen Trank nehmen wir sie,
sondern wie Jesus Christus, unser Erlöser, als er durch Gottes Logos
Fleisch wurde 1), Fleisch und Blut um unseres Heiles willen angenommen
hat, so sind wir belehrt worden, daß die durch ein Gebet um den Logos,
der von ihm ausgeht, unter Danksagung geweihte Nahrung, mit der unser
Fleisch und Blut durch Umwandlung genährt wird, Fleisch und Blut jenes
fleischgewordenen Jesus sei. Denn die Apostel haben in den von ihnen
stammenden Denkwürdigkeiten, welche Evangelien heißen, überliefert, es
sei ihnen folgende Anweisung gegeben worden: Jesus habe Brot genommen,
Dank gesagt und gesprochen: 'Das tut zu meinem Gedächtnis: das ist mein
Leib', und ebenso habe er den Becher genommen, Dank gesagt und
gesprochen: 'Das ist mein Blut', und er habe nur ihnen davon
mitgeteilt." (Kap. 66)
Was das Wort "Vorsteher" betrifft, das bekanntlich bei der angeblichen
'Meßreform' neu entdeckt wurde: in dem 1884 erschienenen Buch "Das hl.
Meßopfer geschichtlich erklärt" ist vermerkt, daß christliche
Bezeichnungen wie "Episcopus" usw. gerne, wo es tunlich war, umgangen
wurden - d.h. den Heiden gegenüber, an die ja diese Apologie gerichtet
war.
Es ist begreiflich, daß sich Justinus bei den Liturgie-'Reformern', die
ja vorgeben, die hl. Messe auf ihre Ursprünge zurückzuführen,
beziehungsweise sie in ihrer ursprünglichen Form wieder herzustellen,
großer Beliebtheit erfreut. Pius XII. hat aber in seiner 1947
erschienen Enzyklika "Mediator Dei" allen schon damals tätig werdenden
Bestrebungen, die organisch gewachsene Meßfeier durch ein Gemisch aus
urchristlicher Liturgie und Eigenbau zu ersetzen, eine deutliche Abfuhr
erteilt.
Beide Apologien sind geprägt von Ablehnung jeglichen Kompromisses.
Justinus Streben geht vielmehr dahin, für einen Christen gehalten zu
werden. Mutig bekennt er - mag es auch verboten sein -, die Bücher der
Propheten gelesen zu haben, und er bietet sie zur Einsichtnahme an. Ja,
er schreckt nicht davor zurück zu sagen, daß gerade die Heiden jene
Schandtaten selbst begehen würden, die sie den Christen vorwerfen
würden.
So war Justinus zweifellos der bedeutendste kirchliche Schriftsteller
der unmittelbar auf die Apostel folgenden Zeiten und sein Einfluß auf
die großen Verteidiger des christlichen Glaubens im 3. Jahrhundert wie
Irenäus und Tertullian kann nicht hoch genug eingeschätzt werden.
Das Leben Justinus fiel in eine der glücklichsten Epochen des Römischen
Reiches, in die Zeit der Adoptivkaiser, die mit Trajan begann und mit
dem Philosophen auf dem Kaiserthron, Mark Aurei, endete. Obwohl diesen
Herrschern treffliche Charaktereigenschaften nicht abgesprochen werden
können und sie z.T. den Christen wohlwollend, zumindest nicht feindlich
gegenüberstanden, fanden doch wenigstens in einigen Teilen des Reiches
immer wieder Verfolgungen von Christen als Einzelpersonen statt, so daß
derjenige, der vor einem hohen Beamten als Christ angeklagt wurde, sich
oft nur durch Widerruf und Glaubensverleugnung vor dem Tode zu retten
vermochte. Sah doch jeder Staatsmann im Christentum eine den Bestand
des Römischen Imperiums und seiner Sitten gefährdende Sekte, während
das Volk sich leicht aufhetzen ließ, indem man ihm einredete, alles es
treffende Unglücksfälle seien ein Racheakt der Götter wegen der sie
vernachlässigenden, ja verachtenden Christen.
Nachdem Justinus etwa 3o Jahre für Gott und die Kirche Zeugnis abgelegt
hatte, besiegelte er seine Überzeugung mit dem Martyrium, dessen
Urheber scheinbar ein Philosoph namens Crescens war, den er in einer
Disputation mit Erfolg widerlegt hatte. Die Martyrerakten berichten,
daß Justinus mit einigen Gläubigen, die gleichfalls als Christen
angezeigt worden waren, in Rom vor den Präfekten Rusticus geführt
wurde, der ihnen befahl, den Göttern und den Befehlen des Kaisers
gehorsam zu sein. Auf ihre Weigerung, den Göttern zu opfern, wurden
alle nach erfolgter Geißelung enthauptet.
Es ist nicht ganz sicher, daß der Leichnam Justinus immer in der
römischen Kirche San Lorenzo ruhte. So wurde z.B. auch behauptet, er
sei im 17. Jahrhundert im Kloster Hersfeld bei Fulda gefunden worden.
Während die Griechen das Fest des Heiligen am 1. Juni feiern, fällt der
Gedenktag für den lateinischen Ritus auf den 14. April. 1882 führte
Papst Leo XIII. das Fest in das Brevier sowie das Römische Missale für
die Gesamtkirche ein.
Anmerkung:
1) Daß die Menschwerdung Christi das Werk des Logos sei, sagt Justinus
des öfteren; er versteht nämlich unter dem Heiligen Geist, der auf
Maria herabkam, den Logos.
Literaturangaben:
"Die beiden Apologien Justins des Märtyrers" ("Bibliothek der Kirchenväter") Kempten und München 1913.
"Des hl. Philosophen und Märtyrers Justinus Dialog mit dem Juden
Tryphon" ('Bibliothek der Kirchenväter") Kempten und München 1917.
Altaner, Berthold und Alfred Stuiber: "Patrologie" Freiburg 1978.
Bammel, Caroline: "Justin der Märtyrer" ("Gestalten der Kirchengeschichte" Bd.l), Stuttgart 1984.
"New Catholic Encyclopedia" Vol. VIII; Artikel: "St. Justin".
Stadler, Johann Ev.: "Vollständiges Heiligenlexikon" Bd.3, Augsburg 1869.
"View des Saints" Bd.4, Paris 1946; Artikel: "Saint Justin".
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