ERBARMEN FÜR DIE HEILIGE KIRCHE -
DIE ERNEUERUNG DER HIRTEN
von
der hl. Catharina von Siena
aus: "Gespräch von Gottes Vorsehung"
("Dialogo della divina Provvidenza") Einsiedeln 1964, S.141 ff.;
übertrag. von Ellen Sommer-von Seckendorff und Cornelia Capol.
Von der Würde der Priester und des allerheiligsten Sakraments
110 - Nun will Ich dir beantworten, was du Mich über die Diener der
heiligen Kirche gefragt hast, und als erstes dir ihre Würde schildern,
zu der Ich sie in Meiner Güte erhob. Diese Würde übertrifft noch die
Liebe, die Ich allgemein für Meine Geschöpfe hegte, indem Ich euch nach
Meinem Bild und Gleichnis schuf und im Blute Meines eingeborenen Sohnes
neu zur Gnade erschuf. Durch die Einigung, die Meine Gottheit mit der
menschlichen Natur einging, gelangtet ihr zu solcher Vorzüglichkeit,
daß ihr den Engel an Würde und Erhabenheit überragt, da Ich eure Natur
annahm und nicht die des Engels. Somit wurde Gott Mensch und der Mensch
wurde Gott, durch die Vereinigung Meiner göttlichen Natur mit eurer
menschlichen.
Diese Würde ist allgemein jedem Geistwesen verliehen; unter diesen aber
habe Ich Meine Diener auserwählt, damit euch durch sie das Blut des
demütigen und unbefleckten Lammes, Meines eingeborenen Sohnes,
gespendet werde. Ihnen übertrug Ich es, die Sonne zu verteilen, indem
Ich ihnen das Licht der Wissenschaft, die Glut der göttlichen Liebe und
die dieser Glut und diesem Licht gemeinsame Farbe verlieh, nämlich das
Blut und den Leib Meines Sohnes. Dieser Leib ist eine Sonne, weil er
eins ist mit Mir, der wahren Sonne. So sehr eins, daß Wir nicht
voneinander geschieden noch getrennt werden können, so wenig sich bei
der Sonne ihre Glut von ihrem Licht, noch das Licht von ihrer Farbe
abtrennen läßt. Beide sind vollkommen eins.
Die Sonne spendet, ohne sich von ihrer Scheibe zu trennen und sich zu
teilen, der gesamten Welt und jedem einzelnen, der von ihr erwärmt
werden will, Licht und Wärme; kein Schmutz kann sie beflecken, und ihr
Licht ist ganz eins. So ist auch dieses Wort, Mein Sohn, und Sein
sanftes Blut eine Sonne, ganz Gott und ganz Mensch, da Er ein Einziges
ist mit Mir und Ich mit Ihm. Meine Macht ist von Seiner Weisheit nicht
zu trennen, und die Glut, das Feuer des Heiligen Geistes, ist weder von
Mir, dem Vater, noch von Ihm, dem Sohn geschieden, denn der Heilige
Geist ist ein Einziges mit Uns, da Er von Mir, dem Vater, und von Ihm,
dem Sohn, ausgeht, und Wir eine einzige Sonne sind.
Der Leib Meines eingeborenen Sohnes ist eine Sonne. Er kann euch nicht
gereicht werden ohne das Blut, das Blut nicht ohne die Seele dieses
Wortes, und Seele und Leib nicht ohne Meine, des ewigen Gottes
Gottheit, weil keins vom andern zu trennen ist. Denn die göttliche
Natur löst sich nie von der menschlichen, weder durch den Tod noch
durch sonst etwas. So wird euch in diesem süßen Sakrament in dem weißen
Brot die ganze göttliche Wesenheit mitgeteilt. Und sowenig die Sonne
sich teilen läßt, sowenig das Ganze von Gott und Mensch in der weißen
Hostie. Doch gesetzt, die Hostie wird geteilt, und es wäre möglich,
tausendmaL tausend Stückchen daraus zu machen: in jedem Stück wäre doch
der ganze Gott und der ganze Mensch enthalten, so wie in einem
geteilten Spiegel immer das ganze Bild erscheint. Oder wie, um ein
anderes Beispiel zu nehmen, das Feuer ungeteilt bleibt. Nimm an, du
trügest ein brennendes Licht, und die ganze Welt träte herzu, sich
daran zu entzünden: es würde nicht vermindert, und doch besäße jeder
das Licht ganz. Zwar holt sich der eine mehr davon als der andere, je
nach dem Brennstoff, den er mitbringt. Gesetzt, viele Leute trügen
Kerzen herbei, dieser für eine Unze, jener für deren zwei oder sechs,
der hier eine pfündige, der dort eine noch schwerere, und sie kämen zur
Flamme, um ihre Kerzen anzuzünden: man sähe an jeder Kerze, den großen
wie den kleinen, immer die ganze Flamme, was Glut, Farbe und Helligkeit
betrifft. Trotzdem wirst du behaupten, daß der weniger hat, der bloß
eine Unzenkerze bringt als jener mit der Pfundkerze. So geht es auch
denen, die das Sakrament empfangen: jeder bringt seine Kerze herzu,
nämlich die heilige Sehnsucht, mit der er es empfängt. Aus sich selber
ist seine Kerze lichtlos, aber durch den Empfang des Sakraments wird
sie entzündet. Lichtlos, sage Ich, weil ihr aus euch selber nichts
seid, obwohl es wahr ist, daß Ich euch den Stoff gegeben habe, womit
ihr in euch dieses Licht nähren und erhalten könnt. Euer Stoff ist die
Liebe, denn Ich schuf euch aus Liebe, und darum könnt ihr ohne Liebe
nicht leben.
Dieses Sein, euch aus Liebe geschenkt, hat bei der heiligen Taufe in
Kraft des Blutes des Wortes eine Bereitschaft erhalten, andernfalls
könntet ihr an diesem Licht nicht teilhaben: ihr wärt eine Kerze ohne
Docht, die weder brennen noch Licht empfangen kann. So auch ihr, wenn
ihr den Docht, der das Licht des heiligsten Glaubens aufnimmt, nicht in
euch empfangen und die in der heiligen Taufe erhaltene Gnade nicht mit
dem Liebesstreben eurer Seele vereinigt hättet. Ich habe die Seele
erschaffen und liebesfähig gemacht, und zwar so sehr, daß sie ohne
Liebe nicht leben kann: die Liebe ist ihre Speise. So groß aber wird
euer Anteil am Licht sein, das heißt an den Gnadengaben des Sakraments,
als die Sehnsucht groß ist, mit der ihr euch bereitmacht, es zu
empfangen. Wer sich mit einer Todsünde dem süßen Sakrament nahte, der
empfinge keine Gnade, wenn er auch tatsächlich den ganzen Gott und
Menschen aufgenommen hat.
Weißt du, wie es einer Seele ergeht, die das Sakrament unwürdig
empfängt? Wie einer Kerze, die euch ins Wasser fiel und nur noch
zischt, wenn man sie in die Nähe des Feuers bringt. Sobald das Feuer
faßt, erlischt es schon wieder, und nichts bleibt als Rauch. So trägt
diese Seele wohl ihre Kerze herbei, die sie in der heiligen Taufe
empfangen hat, aber das Wasser der Schuld ergoß sich darauf und netzte
den Docht der Taufgnade. Und weil die Seele ihn nicht am Feuer wahrer
Reue getrocknet hat durch Bekenntnis ihrer Schuld, tritt sie zum Altar,
um das Licht zwar äußerlich, nicht aber dem Geist nach zu empfangen.
Sie hat sich nicht, wie es einem so großen Geheimnis ziemt,
vorbereitet, so bleibt auch das wahre Licht nicht gnadenhaft in ihrem
Innern, sondern läßt sie stehn und sie bleibt in noch größerer
Verwirrung zurück, lichtlos in den Finsternissen und mit noch
schwererer Schuld beladen. Sie gewinnt durch den Empfang nichts als
heftige Gewissensbisse, nicht weil das Licht versagt hätte, das in
keiner Weise beeinträchtigt werden kann, sondern wegen des Wassers der
Schuld, das sich in der Seele vorfand und ihr Liebesstreben hemmte, so
daß sie kein Licht empfangen konnte.
Du siehst: die Flamme, in welcher Glut und Farbe und Licht geeint sind,
läßt sich nicht teilen, weder infolge des geringen Verlangens der Seele
beim Empfang des Sakraments, noch durch die Mängel, die sie vielleicht
an sich hat, noch durch die des Spenders, wie schon anläßlich der Sonne
erhellte, die auch den Schmutz bescheint, sich aber damit nicht
befleckt. Ebensowenig wird die süße Flamme im Sakrament durch irgend
etwas befleckt, noch teilt und mindert sich ihr Licht, noch löst es
sich aus seiner Bahn, selbst wenn die ganze Welt an Licht und Wärme
dieser Sonne teilgewänne. Und so trennt sich auch das Wort, die Sonne,
Mein eingeborener Sohn nicht von Mir, Sonne und ewigem Vater, obwohl Er
im mystischen Leib der heiligen Kirche jedem ausgespendet wird, der Ihn
empfangen will: als Ganzer bleibt Er euch, und als Ganzen habt ihr Ihn,
Gott und Mensch, wie im Beispiel der Flamme: auch wenn die ganze Welt
sich mit Licht versähe, alle haben es ganz, und es selbst bleibt ganz.
Wie alle leiblichen Sinne durch dieses Sakrament getäuscht werden, nicht aber die geistigen
111 - 0 mein liebes Kind, öffne gut das Auge deines Geistes und
blicke in den Abgrund Meiner Liebe. Es gibt kein Geistwesen, dessen
Herz nicht zerfließen müßte beim Anblick der Wohltat, die ihr neben
vielen anderen in diesem Sakrament von Mir erhalten habt. Mit welchen
Augen, liebstes Kind, müßt ihr, du und die übrigen, dieses Geheimnis
anschauen, betrachten und berühren? Und nicht bloß mit dem leiblichen
Getast und Gesicht, denn hier versagen alle körperlichen Sinne.
Du siehst, das Auge nimmt nichts weiter wahr als die Weiße des Brotes,
die Hand berührt nichts und der Geschmack schmeckt nichts als Brot,
also werden die groben leiblichen Sinne getäuscht: nicht aber das
Gespür der Seele, sofern sie es nicht selber will und sich durch
Untreue des Lichtes des heiligsten Glaubens beraubt.
Wer schmeckt, wer sieht und berührt dieses Sakrament? Die Sinne der
Seele. Mit welchem Auge wird es gesehn? Mit dem Auge des Geistes,
sofern der heiligste Glaube die Pupille dieses Auges ist. Es sieht in
jener Weiße den ganzen Gott und den ganzen Menschen, die göttliche
Natur mit der menschlichen vereint, Christi Leib, Seele und Blut; es
sieht die Seele vereint mit dem Leib, Seele und Leib aber eins mit
Meiner göttlichen Natur und niemals gelöst von ihr.
Wer darf es berühren? Die Hand der Liebe; mit ihr tastet man, was das
Auge in diesem Sakrament gesehen und erkannt hat. Im Glauben berührt
man es mit der Hand der Liebe, gleichsam um sich dessen zu
vergewissern, was man im Glauben sah und geistigerweise erkannte. Wer
schmeckt es? Der Geschmack des heiligen Verlangens. Der leibliche
Geschmacksinn schmeckt das Brot, die Seele aber schmeckt Gott und
Mensch. Also siehst du, daß die Sinne des Leibes getäuscht werden,
nicht aber die der Seele.
Von der Seele, die das Sakrament im Gnadenstand empfängt
112 - Betrachte nun, liebes Kind, wie hoch die Seele erhoben
wird, die dieses Lebensbrot, die Speise der Engel gebührend empfängt.
Durch den Empfang bleibt sie in Mir und Ich in ihr; wie der Fisch im
Meer weilt und das Meer im Fisch, so bin Ich in der Seele und die Seele
in Mir, einem Meer des Friedens. In einer solchen Seele bleibt die
Gnade. Ist die äußere Substanz des Brotes verzehrt, so belasse Ich in
euch den Abdruck Meiner Gnade gleich einem Siegel im warmen Wachs.
Entfernt man das Siegel, so bleibt dessen Prägung; ebenso bleibt in der
Seele die Kraft des Sakraments, die Glut der göttlichen Liebe, die Süße
des Heiligen Geistes; es bleibt das Weisheitslicht Meines eingeborenen
Sohnes, der euer Geistesauge mit Seiner Weisheit erleuchtet hat, damit
ihr die Lehre und Weisheit Meiner Wahrheit erkennt und versteht. Die
Seele bleibt stark, weil sie teilhat an Meiner Stärke und Macht; denn
ich bins, der sie kräftigt im Kampf gegen ihre sinnliche Leidenschaft,
gegen Teufel und Welt.
Siehst du, wie sehr ihr verpflichtet und gehalten seid, Mir mit Liebe
zu antworten, da ich euch so sehr liebe, und weil ich die höchste und
ewige Liebe bin, würdig von euch geliebt zu werden?
Die Würde des Sakraments begründet die Würde des Priesters
113 - Liebstes Kind, das alles solltest du erfahren, um besser die
Würde zu verstehen, zu der Ich Meine Diener erhoben habe, und dich noch
tiefer über ihre Armseligkeit zu betrüben. Würden sie selber diese ihre
Würde beachten, sie lägen nicht in der Finsternis der Todsünde und
beschmutzten das Antlitz ihrer Seele. Ja sie würden nicht bloß davon
abstehn, Mich und ihre Würde zu beleidigen, sondern es schiene ihnen zu
wenig, sogar ihren Leib zum Verbrennen hinzugeben, um einer solchen
Gnade und Wohltat wie der erhaltenen zu entsprechen. Denn zu höherer
Würde kann man auf Erden nicht gelangen.
Sie sind Meine Gesalbten, und ich nenne sie Meine «Christusse», denn
ich selbst habe Mich ihnen zur Ausspendung an euch übergeben, und sie
als duftende Blumen in den mystischen Leib der heiligen Kirche gesetzt.
Diese Würde besitzt kein Engel, Ich aber habe sie Menschen verliehen,
denen, die ich zu Meinen Dienern erwählte.
Von jeder Seele fordere Ich Reinheit und Liebe zu Mir und zum Nächsten
und daß sie dem Mitmenschen nach Kräften helfe, ihm mit Gebeten
beistehe in der gegenseitigen Liebe. Aber weit größere Reinheit und
Liebe zu Mir und zum Nächsten verlange Ich von Meinen Dienern, die Leib
und Blut Meines eingeborenen Sohnes in brennender Liebe und im
Verlangen nach dem Heil der Seelen ausspenden sollen zu Ehre und Lob
Meines Namens. Ich will, daß sie sich ihren Leib als Werkzeug der Seele
in lauterster Reinheit bewahren. Ich verbiete, daß sie sich vom Schmutz
der Unkeuschheit nähren und sich darin wälzen, noch daß sie sich blähen
im Stolz und auf angesehene Stellungen erpicht sind, grausam wider sich
selbst und den Nächsten. Denn in der Tat: aufgrund ihrer Schuld sind
sie grausam wider sich selbst, sind es auch der Seele des Nächsten
gegenüber, weil sie ihm das Beispiel des Lebens vorenthalten und sich
nicht darum kümmern, die Seelen dem Teufel zu entreißen und ihnen Leib
und Blut Meines eingeborenen Sohnes und darin auch Mich, wahres Licht,
in den übrigen Sakramenten der heiligen Kirche auszuspenden.
Die Unverkäuflichkeit des Sakraments
114 - Ich will, daß sie freigebig seien und nicht geizig, das
heißt Meine Gnade des Heiligen Geistes nicht aus Habsucht und Geiz
verkaufen. Vielmehr, so wie sie diese von Meiner Güte in freigebiger
Liebe empfangen haben, sollen auch sie sie freigebigen Herzens
schenken, aus Liebe zu Meiner Ehre und zum Heil der Seelen, und zwar
jedem, der sie demütig darum bittet. Und sie sollen sich für diese
Gaben nicht bezahlen lassen, denn sie selber haben sie nicht käuflich
erworben, sondern in Gnade von Mir erhalten, um sie an euch
weiterzugeben; wohl aber dürfen und sollen sie Almosen empfangen.
Dementsprechend hat der Untergebene, der empfängt, sich seinerseits zu
verhalten: er soll von seinem Anteil als Almosen abtreten, sofern er
kann, denn ihr müßt in den zeitlichen Dingen für sie aufkommen je nach
ihrem Bedarf. Ihr sollt von ihnen aber mit Gnaden und geistlichen Gaben
gespeist und ernährt werden, mit den heiligen Sakramenten, die Ich in
der heiligen Kirche eingesetzt habe, damit sie euch diese zu eurem
Heile spenden.
Und Ich mache euch darauf aufmerksam, daß sie euch unvergleichlich mehr
vermitteln, als ihr ihnen gebt; denn zwischen endlichen und
vergänglichen Dingen, mit denen ihr sie versorgt, und Mir, Gott, der
Ich unendlich bin, läßt sich kein Vergleich anstellen. Meine Vorsehung
und göttliche Liebe hat sie euch als Ausspender zugeteilt. Und dies
gilt nicht allein betreffs dieses Geheimnisses, sondern für alle
geistlichen Gnaden, für alle Gebete, die ihr, von wem auch immer,
erhalten mögt: mit all euren zeitlichen Gütern kommt ihr dafür nicht
auf, noch könntet ihr je dem entsprechen, was ihr geistig empfangt. Es
gibt da keinen Vergleich.
Nun sage Ich dir, sie sollen das Auskommen, das sie von euch erhalten,
auf drei Arten verwenden, das heißt drei Teile daraus machen: einen für
ihren Lebensunterhalt, einen zweiten für die Armen und den letzten für
die Bedürfnisse der Kirche. Anders sollen sie es nicht verwenden, sonst
würden sie Mich beleidigen.
Von der Würde der Priester und wie ihr Versagen das Sakrament nicht beeinträchtigt
115 - Also handelten die sanften und glorreichen Diener. Betrachte den
milden Gregor, Sylvester und die übrigen, die dem ersten Papst, Petrus,
folgten, dem die Schlüssel des Himmelreiches von Meiner Wahrheit mit
den Worten übergeben wurden: Petrus, dir gebe Ich die Schlüssel des
Himmelreichs; was du auf Erden lösen wirst, wird im Himmel gelöst sein,
und was du auf Erden binden wirst, wird im Himmel gebunden sein (Mt 16,
19).
Somit verwaltet der «Christus auf Erden» die Schlüssel des Blutes, wie
Ich es dir in einem Bild kundgetan habe, als Ich dir zeigen wollte, wie
große Ehrfurcht die Laien diesen Dienern schulden, ob sie nun gut sind
oder böse, und wie sehr Mir die Ehrfurchtslosigkeit vor ihnen mißfällt.
Ich zeigte dir den mystischen Leib der heiligen Kirche im Bilde eines
Weinkellers, und darin befand sich das Blut Meines eingeborenen Sohnes;
aus diesem Blut ziehen alle Sakramente ihre wirkende und
lebensspendende Kraft. An der Türe des Kellers stand der «Christus auf
Erden», ihm wurde aufgetragen, das Blut auszuteilen, und ihm stand es
zu, Diener einzusetzen, damit sie helfen, das Blut dem ganzen,
weltumfassenden Leib der Christenheit zuzuführen. Wer von ihm
gutgeheißen und gesalbt ist, der ist zum Diener geworden, die andern
aber nicht. Von ihm geht die ganze hierarchische Ordnung aus, und jeder
ist in sein Amt eingesetzt, dies glorreiche Blut auszuspenden. Und da
er sie zu seinen Helfern bestellt hat, ist es auch an ihm, ihre Fehler
zu bessern; so will Ich, daß es sei. Deshalb sagt die Heilige Schrift:
Rührt nicht an Meine Gesalbten (Ps 104, 15). Darum kann niemand in
tieferes Unheil geraten, als wer sich befugt glaubt, sie zu strafen.
Jeder Mangel an Ehrfurcht den Priestern gegenüber richtet sich gegen Gott
116 - Und wenn du Mich fragst, weshalb Ich dir die Schuldder Verfolger
der heiligen Kirche als schwerer hinstellte denn jede sonst und warum
Ich nicht will, daß man es bei ihren
Dienern ihrer Mängel wegen an Ehrfurcht fehlen lasse, so lautet Meine
Antwort: jedes Zeichen der Ehrfurcht, das man ihnen erweist, gilt nicht
ihnen, sondern Mir, kraft des Blutes, das Ich ihnen auszuspenden gab,
des ruhmreichen Blutes, das eins ist mit Mir durch die Einigung der
göttlichen mit der menschlichen Natur. Und wie die ihnen bezeugte
Ehrfurcht Mir gilt, so auch die Ehrfurchtslosigkeit; denn ihr solltet
ihnen Ehrfurcht nicht um ihretwillen entgegenbringen, sondern um der
Vollmacht willen, die Ich ihnen gab. Deshalb kann sich keiner mit den
Worten entschuldigen: «Ich will die Kirche nicht beleidigen und empöre
mich nicht wider sie, sondern bloß gegen die Fehler ihrer schlechten
Hirten.»
Ein solcher Mensch lügt auf sein Haupt, und von der Eigenliebe
verblendet merkt er es nicht! Oder vielmehr: er merkt es sehr wohl,
stellt sich aber so, als merke er es nicht, um den Stachel des
Gewissens zu betäuben. Er würde sonst einsehen, und tut es auch, daß er
das Blut verfolgt und nicht jene. Mich trifft der Schimpf, wie Mir die
Ehrfurcht galt. Und so trifft Mich jeder Schaden, jeder Hohn und jede
Rohheit, Schande und Schmach, die man ihnen zufügt.Alles somit, was man
ihnen antut, erachte Ich als Mir angetan. Und Ich sage und wiederhole,
daß Ich nicht will, daß man an Meine Gesalbten rührt. Mir steht es zu,
sie zu strafen, nicht den Menschen. Die Ungerechten aber zeigen damit
nur ihren Mangel an Ehrfurcht dem Blute gegenüber und wie gering sie
den Schatz achten, den Ich ihnen zum Heil und Leben ihrer Seelen gab.
Ein größeres Geschenk konntet ihr nicht empfangen, als daß Ich Mich
selbst, ganz Gott und ganz Mensch, euch zur Speise gab. Weil sie Mir
aber in Meinen Dienern keine Ehrfurcht erwiesen, darum ist ihnen bei
deren Verfolgung und beim Anblick ihrer Sünden und Fehler die Ehrfurcht
noch mehr geschwunden. Hätten sie Mir in ihnen wahre Ehrfurcht bezeugt,
so wäre ihnen die Ehrfurcht auch nicht wegen ihres Versagens
abhandengekommen, denn die Kraft des Sakramentes wird ja durch kein
Versagen gemindert, und so darf auch die Ehrfurcht nicht schwinden; tut
sie das, dann beleidigt man Mich.
Deshalb wiegt diese Schuld in Meinen Augen schwerer als jede andere,
und zwar aus mancherlei Gründen: die drei wichtigsten will Ich dir
nennen. Der eine besteht darin, daß alles, was sie Meinen Dienern
antun, Mir angetan ist. Der zweite, daß sie Mein Gebot mißachten, da
Ich doch verboten habe, an jene zu rühren und dabei die Kraft des
Blutes zu mißachten, die ihnen von der heiligen Taufe her zufließt. Der
dritte Grund ist, daß diese Sünde aus Bosheit und mit Absicht begangen
wird; sie wissen genau, daß sie's mit gutem Gewissen nicht tun dürfen
und daß sie sündigen, falls sie es tun. Es ist Sünde aus perversem
Hochmut, ohne leiblichen Genuß, ja Seele und Leib verbrauchen sich
dabei. Die Seele verzehrt sich, weil sie der Gnade beraubt ist; oftmals
nagt auch der Wurm des Gewissens an solchen Leuten; das irdiche Gut
geht im Dienst des Teufels dahin, und ihre Leiber verderben dabei wie
Tiere.
Also ist diese Sünde unmittelbar gegen Mich gerichtet und geschieht
ohne den Vorwand eigenen Nutzens oder irgendwelcher Annehmlichkeit,
sondern böswillig und im Dunst der Hoffart. Diese Hoffart entsprang der
sinnlichen Eigensucht und jener verkehrten Furcht des Pilatus, der aus
Angst, die Herrschaft zu verlieren, Christus, Meinen eingeborenen Sohn,
umbringen ließ.
Alle übrigen Sünden geschehen entweder aus Dummheit, Unkenntnis oder
Bosheit, das heißt, der Mensch ist sich des Bösen bewußt, das er tut,
sündigt aber um der ungeordneten Lust und um des Vergnügens willen, das
er dabei findet, oder aus irgendeinem Nützlichkeitsgrund. Diese Sünde
aber zielt ausdrücklich und unmittelbar auf Mich. Da Ich Meine Diener
unter Meinen Geschöpfen erwählt habe, sind sie Meine Gesalbten,
Ausspender des Leibes und Blutes Meines eingeborenen Sohnes, eures
menschlichen Fleisches vereint mit Meiner göttlichen Natur, und daher
stehen sie bei der Darbringung des heiligen Opfers für die Person
Christi Meines Sohnes. Siehst du, wie die Beleidigung dem Wort angetan
wird, und weil Ihm, so auch Mir, da Wir eins sind?
Doch Ich finde kaum jemanden, der sich über derartige Verfolgung des
glorreichen und kostbaren Blutes betrübt, wohl aber solche, die Mich
mit den Pfeilen ihrer ungeordneten Selbstsucht und knechtischen Furcht,
der Sorge um ihr Ansehen bewerfen und wie Verblendete sich's zur Ehre
anrechnen, was ihnen zur Schande gereicht, zur Schande aber, was ihnen
zur Ehre gereicht, nämlich sich vor ihren Vorgesetzten zu demütigen.
Diese Fehler sind der Grund, warum sie sich erhoben haben und weiterhin
erheben, um das Blut zu verfolgen.
117 - Ihre Schuld beraubt sie hienieden der Gnade, weil sie die Frucht
des Blutes verlieren, und drüben werden sie, sofern sie sich nicht
durch heilige Beichte und Herzensreue bessern, zur ewigen Verdammnis
gelangen.
O liebes Kind, unendlich sei dein Schmerz über soviel Blindheit und
Elend bei denen, die wie du im Blut gewaschen und an der Brust der
heiligen Kirche damit ernährt und aufgezogen wurden. Sie haben sich wie
Empörer aus Furcht und unter dem Vorwand, die Fehler Meiner Diener zu
strafen, von dieser Brust losgerissen. Entsetzen soll dich und Meine
übrigen Knechte erfüllen, wenn von diesem Jammer die Rede ist. Das
Schlimmste aber ist, daß solche mit dem Mantel der Fehler Meiner Diener
ihre eigene Schuld zu umhüllen und zu verdecken suchen; sie denken
nicht daran, daß kein Mantel sie vor Meinem Auge verbirgt, so daß Ich
sie nicht sähe. Vor dem Blick der Mitmenschen können sie sich zwar
verbergen, nicht aber vor Mir, denn vor Mir ist nicht bloß alles
Gegenwärtige unverborgen, sondern überhaupt jegliches offenbar. Ich
liebte und kannte euch ja, ehe ihr wart.
Die Würde der guten Priester als Spiegel der schlechten
119 Nun aber, um deine Seele etwas zu erquicken, will Ich deinen
Schmerz über die Finsternis dieser Armseligen mit dem heiligen Leben
Mein Diener mildern, von denen Ich dir sagte, wie sie der Sonne
gleichen; mit ihrem Tugendduft mildern sie den Gestank, mit ihrem Licht
die Düsternis. Ja Ich will, daß du in diesem Licht die Düsternis und
das Versagen Meiner Diener noch besser erkennst.
Öffne das Geistesauge und blicke in Mich, die Sonne der Gerechtigkeit,
so wirst du die glorreichen Diener erblicken, die im Dienst der Sonne
deren Beschaffenheiten angenommen haben und darum auch wie die Sonne
wirken. Diese wärmt und erleuchtet und läßt durch ihre Wärme die Erde
sprießen; das tun auch Meine sanften Diener, die erwählt und gesalbt
und dem mystischen Leib der heiligen Kirche eingeordnet sind, um Mich,
die Sonne, auszuspenden, nämlich Leib und Blut Meines eingeborenen
Sohnes samt den übrigen Sakramenten, die von diesem Blute leben. Sie
spenden es aus in der Tat und im Geiste, indem sie im mystischen Leib
der heiligen Kirche Licht verbreiten, Licht übernatürlicher
Wissenschaft, das sich in einem ehrbaren und heiligen Leben als echt
ausweist, in der Nachfolge Meiner Wahrheit, und vermitteln die Glut der
brennendsten Liebe. Mit dieser Glut brachten sie unfruchtbare Seelen
zum Sprießen und erleuchteten sie mit dem Licht der Wissenschaft. Durch
ihr heiliges und geordnetes Leben vertrieben sie die Finsternis der
Sünde und der vielen Treulosigkeiten und gaben dem Leben derer neuen
Sinn, die vordem zügellos im Dunkel der Sünde und in der Kälte der
Lieblosigkeit dahingelebt hatten. Du siehst also, daß sie Sonne sind,
weil sie die Eigenschaften der Sonne von Mir, der wahren Sonne,
übernommen haben, denn durch die Kraft der Liebe sind sie eins geworden
mit Mir und Ich mit ihnen.
Jeder von ihnen hat entsprechend der Stellung, zu der Ich ihn berief,
in der heiligen Kirche Licht verbreitet: Petrus durch seine
Verkündigung und Lehre und zuletzt durch sein Blut; Gregor durch
Wissenschaft, Deutung der Heiligen Schrift und den Spiegel seines
Lebens; Sylvester im Kampf gegen die Ungläubigen und vor allem durch
seine Streitreden und Beweise, die er in Wort und Tat für den
heiligsten Glauben erbrachte; die Kraft dazu erhielt er von Mir.
Wendest du dich zu Augustinus und dem glorreichen Thomas, zu Hieronymus
und vielen andern, dann magst du sehen, wieviel Licht sie in der Braut
durch die Ausrottung der Irrtümer verbreitet haben, als auf den
Leuchter gestellte Fakkeln, in wahrer und vollkommener Demut. Und wie
lechzend nach Meiner Ehre und dem Heil der Seelen aßen sie freudig
diese Speise vom Tisch des heiligsten Kreuzes. Die Märtyrer
verbreiteten es durch das Blut, das seinen Duft vor Mir ausströmte, mit
dem Wohlgeruch ihres Blutes und ihrer Tugenden und mit dem Licht der
Wissenschaft wurden sie fruchtbar in der Braut. Wie Engel traten diese
Vorsteher zum Tisch des Altars und brachten das heilige Opfer in der
Reinheit des Herzens und des Leibes und in der Lauterkeit des Geistes
dar, erglüht im Feuerofen der Liebe. Und weil sie vor allem an sich
selber die Gerechtigkeit erfüllten, darum verlangten sie sie auch von
ihren Untergebenen: sie wollten sie ein Leben im Guten führen sehen und
rügten sie ohne jede knechtische Furcht, denn sie achteten nicht ihrer
selbst, sondern waren allein auf Meine Ehre und das Heil der Seelen
bedacht wie echte Hirten, Nachfolger des Guten Hirten, Meiner Wahrheit,
den Ich euch gab, damit Er euch Schafe weide und nach Meinem Willen
Sein Leben für euch hingebe. Sie folgten Seinen Spuren, und deshalb
wiesen sie die Glieder zurecht und ließen sie nicht wegen mangelnder
Rüge verfaulen, sondern pflegten mit dem Balsam der Milde und mit der
Schärfe des ausglühenden Feuers liebevoll die Sündenwunden durch
Verweis und Buße, je nach der Schwere der Schuld. In diesem Amt des
Rügens und Wahrheitsagens fürchteten sie sich nicht vor dem Tod. Weil
sie frei waren vom Gift der Sündenschuld, darum wohnte die
Gerechtigkeit in ihnen und hieß sie männlich und ohne jede Furcht
ermahnen. Und wisse: aus keinem anderen Grund ist soviel Finsternis und
Spaltung in die Welt gekommen zwischen Laien und Ordensleuten, zwischen
Klerikern und Hirten der heiligen Kirche, als weil die Gerechtigkeit
erlosch und die Finsternis der Ungerechtigkeit hereinbrach.
Kein Amt kann weder nach weltlichem noch nach göttlichem Recht ohne die
heilige Gerechtigkeit im Stand der Gnade ausgeübt werden, denn wer
nicht gerügt wird und nicht rügt, ist wie ein Glied, an dem die Fäulnis
angesetzt hat: wenn ein schlechter Arzt ihm nur Balsam aufstreicht,
ohne zuvor die Wunde auszubrennen, greift die Fäulnis auf den ganzen
Körper über und er geht zugrunde. So handelt der kirchliche Amtsträger
oder sonstige Vorgesetzte, denen Menschen unterstellt sind: wenn sie
bemerken, daß ein ihnen untergebenes Glied von der Fäulnis der Sünde
angesteckt ist, und dann nur den Balsam der Schmeichelei anwenden ohne
Rüge, wird es nie gesunden, sondern die übrigen Glieder anstecken, die
mit ihm im gleichen Leib und unter dem gleichen Hirten verbunden sind.
Ist einer aber ein wahrer und guter Seelenarzt wie jene ruhmvollen
Hirten, dann wird er den Balsam nicht ohne das Feuer der Strafe
anwenden. Gesetzt aber, das Glied verharrt eigensinnig im bösen Tun,
dann wird er es aus der Gemeinschaft entfernen, damit es die anderen
nicht mit der Fäulnis der Todsünde verseuche.
Heutzutage verfährt man nicht so; die Hirten tun, als sähen sie nichts.
Weißt du warum? Weil die Wurzel der Eigensucht in ihnen lebendig ist,
woraus ihnen die verkehrte knechtische Furcht erwächst: aus Angst,
ihren Posten, die irdischen Besitztümer oder geistlichen Würden zu
verlieren, rügen sie nicht; sie verhalten sich wie Blinde und erkennen
daher nicht, wie man sein Amt versieht. Denn verstünden sie, daß man es
kraft heiliger Gerechtigkeit versieht, so ließen sie diese nicht
fahren. Da sie aber des wahren Lichtes beraubt sind, werden sie von der
sinnlichen Leidenschaft und der Gier nach Herrschaft und geistlichen
Würden irregeführt.
Ferner scheuen sie sich zu rügen, weil sie selbst an den gleichen
Mängeln oder noch schlimmeren kranken und sich in die Schuld verstrickt
fühlen; so verlieren sie Kühnheit und Freimut; gefesselt durch
knechtische Furcht tun sie, als merkten sie nichts. Sogar wenn sie
sehen, rügen sie nicht, lassen sich vielmehr mit Schmeicheireden und
zahlreichen Geschenken fesseln und erfinden Ausreden, um nicht zu
strafen. An solchen erfüllt sich das Wort Meiner Wahrheit im
Evangelium: Sie sind Blinde und Führer von Blinden, und wenn ein
Blinder einen andern Blinden führt, dann fallen beide in die Grube (Mt
15, 14).
Nicht also handelten und handeln Meine sanften Diener; sie wählten
freiwillige Armut, und in tiefer Demut strebten sie danach, verachtet
zu werden. Sie kümmerten sich weder um Spott, Roheit und Verleumdung
der Menschen, noch um Schmähung, Schimpf, Leid und Qual. Sie wurden
verflucht und segneten, und in wahrer Geduld hielten sie aus wie
irdische Engel, ja besser als Engel, nicht kraft der Natur, sondern
kraft des ihnen verliehenen Geheimnisses und der übernatürlichen Gnade,
Leib und Blut Meines eingeborenen Sohnes auszuspenden.
Deshalb behielten sie immerfort ihre Untergebenen im Auge, als wahre
Wächter, und flößten deren Herzen heilige und gute Gedanken ein, das
heißt sie brachten Mir für sie liebevolle Bitten dar in fortwährendem
Gebet, mit den Anweisungen ihres Wortes und dem Beispiel ihres Lebens.
Sie waren frei von knechtischer Furcht und hatten keinerlei Angst, daß
ihnen irgend etwas an irdischem oder geistlichem Besitz verlorengehen
könnte. Eben das ist das Zeichen, daß einer auf Mich hofft und nicht
auf sich selber. Denn wer auf sich hofft, der fürchtet sich und hat
Angst vor dem eigenen Schatten, fragt sich furchtsam, ob nicht Himmel
und Erde ihn im Stich lassen. Infolge dieser Furcht und der verkehrten
Hoffnung, die solche auf ihr geringes Wissen setzen, entfalten sie so
erbärmlichen Eifer, um sich irdischen Besitz zu erwerben und zu wahren,
daß es scheint, sie kehrten den geistlichen Gütern den Rücken, und so
findet sich auch keiner mehr, der für sie sorgt.
Das aber bedenken die Elenden, Ungetreuen und Hochfahrenden nicht, daß
Ich allein es bin, der in allem vorsieht, was Leib und Seele brauchen,
so daß im Maß als ihr auf Mich hofft, Meine Vorsehung euch zuteilen
wird (Mk 4, 24). Denn: Umsonst müht sich der Wächter, wenn die Stadt
nicht von Mir bewacht wird (Ps 126, 1). Allerdings will Ich, daß ihr
euer Dasein und die Gnaden, mit denen Ich eure Natur versah, hienieden
nach Kräften gebraucht und die Freiheit, die Ich euch samt dem Licht
der Vernunft verlieh, anwendet. Denn Ich erschuf euch zwar ohne euch,
aber retten werde Ich euch nicht ohne euch.
Ich liebte euch, ehe ihr wart, und dies sahen und begriffen Meine
Erwählten; deshalb liebten sie Mich unaussprechlich wieder, hofften in
ihrer Liebe großherzig auf Mich und fürchteten nichts, denn sie wußten
sich nicht einsam, sondern geleitet. Und weil sie in der Liebe waren,
ruhten sie in Mir. Von Mir erwarben sie das Licht der Weisheit Meines
eingeborenen Sohnes, von Mir erhielten sie die Kraft, stark und
machtvoll gegen die Fürsten und Tyrannen der Welt aufzutreten; von Mir
kam ihnen auch das Feuer des Heiligen Geistes und gab ihnen teil an der
gütigen Huld und glühenden Liebe dieses Heiligen Geistes, die für
jeden, der daran teilhaben will, immer begleitet war und ist vom Licht
des Glaubens, von Hoffnung und Stärke, von wahrer Glauben und die
Hoffnung, die sie auf Mich gesetzt hatten.
Deine Zunge wäre außerstande, die Vorzüge dieser Menschen zu schildern,
dein Geistesauge unfähig, die Frucht zu erkennen, die sie im ewigen
Leben erhalten werden, die jeder gewinnen wird, der ihren Spuren folgt.
Sie werden von Mir in besonderer Weise geliebt, sowohl um der Würde
willen, in die Ich sie als Meine Gesalbten und Diener eingesetzt habe,
als auch weil sie den Schatz, den Ich in ihre Hände gelegt habe, nicht
aus Nachlässigkeit und Unwissen vergruben, sondern als von Mir stammend
anerkannten und in tiefer Demut und echter wahrhaftiger Tugend nutzten.
Und weil Ich sie zum Heil der Seelen zu solcher Würde erhob, gönnen sie
sich als gute Hirten niemals Ruhe in ihrem Eifer, die Lämmer in den
Schafstall der heiligen Kirche zurückzuführen. Aus Liebe und Verlangen
nach dem Heil der Seelen setzten sie sich Todesgefahren aus, um sie den
Klauen des Teufels zu entreißen. Sie wurden krank mit den Kranken,
weinten mit den Trauernden, freuten sich mit den Fröhlichen und
verstanden es so, jedem sanft seine Speise zu reichen; die Guten
suchten sie im Guten zu erhalten, indem sie sich daran freuten und sich
nicht in Neid verzehrten, sondern sich in großmütiger Nächstenliebe für
ihre Untergebenen einsetzten. Die Versagenden zogen sie aus der Schuld,
indem sie sich mit ihnen zusammen in wahrem und heiligem Mitleid als
Versagende und Schwache verstanden, und mit der Rüge und der
auferlegten Buße für die begangene Schuld aus Liebe die Buße mit ihnen
gemeinsam trugen. So näm.lich, daß sie als Erteilende in ihrer Liebe
mehr darunter litten als jene, die sie erhielten. Es gab sogar solche,
die das Bußwerk selbst auf sich nahmen, vor allem wenn sie sehen
mußten, daß sie dem Untergebenen sehr bitter erschien. Und durch
solches Verhalten wandelten sie die Bitternis in Süße.
O meine Geliebten, als Vorgesetzte machten sie sich zu Untergebenen,
als Herren zu Dienern. Sie waren stark und machten sich schwach, mit
den Toren und Einfältigen zeigten sie sich einfältig, mit den Kleinen
klein. Und mit jeder Art von Leuten wußten sie so in ihrer Demut und
Liebe entsprechend umzugehen. Wer bewirkte das? Der Hunger und die
Sehnsucht, die sie in Mir nach Meiner Ehre und nach dem Heil der Seelen
gepackt hatten. Sie eilten, diese Speise am Tisch des heiligsten
Kreuzes zu genießen, verweigerten keine Arbeit, flohen keine Mühe,
sondern voll Eifer für die Seelen, die Wohlfahrt der heiligen Kirche
und die Ausbreitung des heiligen Glaubens begaben sie sich ins Dickicht
vielfältiger Drangsal, setzten sich mit wahrer Geduld jeder Gefahr aus
und verströmten dabei den duftenden Weihrauch flehentlicher Bitten und
demütigen unausgesetzten Gebetes. Mit Tränen und Schweiß salbten sie
die Wunden ihrer Mitmenschen, die Wunden der tödlichen Sünden, die
vollkommen geheilt wurden, wenn ihnen demütig solcher Balsam aufgelegt
wurde.
|