„Künftig mindestens viertausend Geschlechter“
Birgit Kelle im Interview mit Moritz Schwarz
Kaum ist ihr neues Buch auf dem Markt, schon gibt‘s Ärger. 2013 wurde Birgit Kelle mit ihrem Erfolgsbuch „Dann mach doch die Bluse zu“ bekannt. Nun ist mit „Gender-Gaga. Wie eine absurde Ideologie unseren Alltag erobern will“ ihr neuer Titel erschienen.
Schwarz: Frau Kelle, seit wann leiden Sie unter dem Stockholm-Syndrom?
Kelle: Lange habe ich gar nichts davon gewußt, dann aber dank der Feministinnen da-von erfahren.
Schwarz: Wer ist Ihr Geiselnehmer?
Kelle: Mein Ehemann, der mich in einer Ehe gefangen hält, in der ich mich glücklich wähne.
Schwarz: Jutta Allmendinger, Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin, hat sich bereits persönlich für Ihre Freilassung eingesetzt.
Kelle: Sie hat mir erklärt, daß ich Opfer meiner Rollenstereotypen sei. Als ich erwiderte, daß ich mich – erwachsen, im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte und mit guter Ausbildung – freiwillig entschlossen habe, als Ehe- und Hausfrau vier Kinder großzuziehen, klärte sie mich auf, daß mich lediglich „das System“ dazu bringe, das zu glauben. Das war übrigens während einer Podiumsdiskussion in ihrem Hause, und sie entschuldigte sich schließlich beim Publikum erschüttert dafür, daß versehentlich jemand wie ich dort ein-geladen worden war.
Schwarz: Offensichtlich sind Sie nicht auf dem Wege der Besserung, sonst hätten Sie Ihr neues Buch „Gender-Gaga“ nicht geschrieben.
Kelle: Ja, und zwar weil ich es leid bin, daß sich in diesem Land ständig Menschen damit beschäftigen, wie ich als Frau mein Leben anders führen, daß ich meine Ehe, meine Familie, die Erziehung meiner Kinder, ja sogar mein eigenes Geschlecht überdenken sollte.
Schwarz: Im Buch offenbaren Sie, früher auch eine – wie Sie schreiben – „Alle-Geschlechter-sind-gleich“-Einstellung gehabt zu haben. Wie sind Sie vom rechten Wege abgekommen?
Kelle: Durch die Geburt meiner ersten beiden Kinder. Ich war zunächst entschlossen, meine Tochter nicht diesem ganzen Mädchenkram auszusetzen und ihr also kein Rollenmuster einzutrichtern – nein, alles schön geschlechtsneutral! Wir haben das genau drei Jahre durchgehalten. Dann kam sie in den Kindergarten und mit ihm zu ihren drei neuen Lieblingsfarben: Glitzer, Pink und Rosa – wobei mir der Unterschied bis heute nicht klar ist. Von da an war kein Halten mehr. Dann kam unser erster Sohn, und wir hofften, daß es wenigstens in die andere Richtung mit der geschlechtsneutralen Erziehung funktionieren würde. Erneut wurden wir eines Besseren belehrt.
Schwarz: Ein ernstes Sachbuch ist „Gender-Gaga“ allerdings nicht.
Kelle: Nicht im Stil, im Inhalt schon. Das Problem ist, daß das Thema Gender Mainstreaming unheimlich kompliziert ist. Deshalb wollte ich es so erklären, daß der Leser etwas zu lachen hat und gerne weiterliest, statt sich durch einen staubtrockenen Text quälen zu müssen. Aber Vorsicht: Ab und zu wird Ihnen das Lachen im Halse steckenbleiben.
Schwarz: Motto Ihres Buches: „Gender Mainstreaming hat es verdient, als das betrachtet zu werden, was es ist: eine große Satireshow. Bühne frei!“
Kelle: Im Grunde ist Gender Mainstreaming so absurd, daß einem der Mund offen stehenbleibt. Sicher haben Sie als Mann zum Beispiel noch nie über die Möglichkeit nachgedacht, daß Ihr Penis nur ein soziales Konstrukt ist, das Ihnen angesichts der gesellschaftlichen „Zwangsheteronormativität“ lediglich vorgaukelt, männlicher Natur zu sein.
Schwarz: Äh, nein.
Kelle: Sehen Sie, und deshalb gibt es Gender Mainstreaming, das Ihnen da auf die Sprünge hilft. Und Sie sollten sich lieber auf die Sprünge helfen lassen, weil Sie sonst – besonders als heterosexueller, weißer Mann – ein ständiger Bremsklotz für den finalen Aufbruch in die Welt der geschlechtersensiblen Regenbogen-Zukunft sind – und damit zu Recht ganz oben auf der Abschußliste stehen!
Schwarz: Stimmt es, daß es in Wirklichkeit nicht zwei, sondern 4.000 Geschlechter gibt?
Kelle: Mindestens. Genau genommen spricht der oder die Vorsitzende des Bundesverbandes Intersexueller Menschen von „mindestens 4.000 Varianzen der geschlechtlichen Differenzierung“.
Schwarz: Wie bitte?
Kelle: Keine Sorge, das sollen Sie ja auch gar nicht so genau verstehen.
Schwarz: Geben Sie doch mal ein Beispiel?
Kelle: Gerne, zum Beispiel Mann, Frau und Butch.
Schwarz: Butch?
Kelle: Butch ist eine lesbische Frau, die gern burschikos-männlich auftritt und sich äußerlich auch so herrichtet.
Schwarz: Und das ist ein eigenes Geschlecht?
Kelle: Ich würde sagen nein – aber das können sie gerne einmal mit den Gender-Theoretikern diskutieren, viel Spaß! Weitere Geschlechter gefällig? „Girlfags“ und „Guydykes“, das sind – aufgepaßt – schwule Frauen und lesbische Männer.
Schwarz: Bitte?
Kelle: Gut, vergessen Sie das Ganze. Der Punkt ist, daß die Gender-Kiste zwar ständig mit dem Anspruch der Wissenschaftlichkeit daherkommt, aber zum Beispiel nicht mal sauber zwischen Geschlecht und sexueller Vorliebe unterscheidet. Das ganze Thema wimmelt von Widersprüchlichkeiten. Ein machohafter, heterosexueller Mann etwa ist nur ein Konstrukt. Eine machohafte, lesbische Frau dagegen wird als Butch mit einem eigenen Geschlecht geehrt. Geschlecht sei überhaupt nur etwas gesellschaftlich Konstruiertes – wenn es aber um die Frauenquote geht, sind es plötzlich die natürlichen – biologischen –, weiblichen Eigenschaften, die für die Unternehmen so wichtig seien. Nach der Gender-Theorie müßte man überdies eine transsexuelle Frau – eine Frau, die sich als Mann fühlt – und die schwanger ist, nicht zum Gynäkologen, sondern zum Urologen schicken, der dann die Weltsensation des ersten schwangeren „Mannes“ zu vermelden hätte. Die heterosexuelle Ausrichtung des Normalbürgers wird, wie gesagt, als lediglich konstruiert behandelt – wagen Sie aber mal zu fragen, ob das dann auch für Homosexualität gilt. Überhaupt: Laut „Fluid Gender“-These ist Geschlecht fließend – wir alle können unser Geschlecht ständig wechseln!
Schwarz: Frau Kelle, warum sollte man sich mit diesem ganzen Unsinn überhaupt beschäftigen?
Kelle: Weil Gender Mainstreaming inzwischen überall ist. Ganze Gender-Netzwerke – natürlich alles steuerfinanziert – überspannen unser Land. Über 180 Gender-Professuren und ihre Mitarbeiter arbeiten bereits daran, die Gender-Perspektive in alle Fachgebiete der Hochschulen einzubauen. Gender Mainstreaming ist nicht etwa nur ein isoliertes Projekt, sondern querschnittartig die Unterwerfung aller unserer Lebensbereiche unter eine ideologische Vorstellung. Wir gendern inzwischen unsere Sprache, unsere Institutionen, Schulen und Universitäten, Wirtschaft und Wissenschaft, unsere gesellschaftlichen Verhältnisse, die Erziehung unserer Kinder – sogar die Bibel! Stichwort: „Bibel in gerechter Sprache“. Ich sage, das Ziel ist, daß wir künftig sogar gegendert denken.
Schwarz: Die Bibel verkündet, daß Gott Mann und Frau schuf. Folglich müßten die Kirchen doch vehement gegen Gender Mainstreaming auftreten?
Kelle: Das Gegenteil ist der Fall, zumindest in der evangelischen Kirche hat man sich gar zum Vorreiter gemacht – wobei man korrekterweise von Vorreiterin sprechen muß. Diese betreibt in Hannover ein eigenes Gender-Zentrum, wo die biblische Geschichte aus Gender-Sicht neu aufbereitet wird.
Schwarz: Der ehemalige EKD-Ratsvorsitzende Nikolaus Schneider nannte Ihre Kritik am „vermeintlichen Genderwahn“ eine „populistische Anbiederei an veränderungsunwillige konservative Kreise“.
Kelle: Das ehrt mich. Aber tatsächlich gibt es auch in der evangelischen Kirche großen Unmut über das, was die Kirchenleitung da betreibt. Mir schreiben sogar Pastoren, hinge ihre Altersversorgung nicht davon ab, wären sie längst konvertiert.
Schwarz: Gender Mainstreaming wurde 1999 in der EU rechtlich verbindlich, von der Bundesregierung zur Querschnittsaufgabe für alle Bundesministerien erklärt und 2005 von der christdemokratischen Regierung Merkel übernommen. Wie ist das zu erklären?
Kelle: Eine berechtigte Frage. Ebenso wie die Frage, warum unter allen Ministerien etwa ausgerechnet das CSU-geführte Bundesverkehrsministerium offenbar besonders eifrig bei der Umsetzung ist und die Straßenverkehrsordnung unlängst gegendert hat. Ich fürchte, daß bei vielen politisch Verantwortlichen nicht viel nachgedacht wird. Ich erlebe immer wieder Politiker, die immer noch glauben, bei Gender Mainstreaming gehe es lediglich um die Gleichstellung von Mann und Frau.
Schwarz: Und das ist nicht der Fall?
Kelle: Nein, „Gleichstellung“ und „Frauenförderung“ sind lediglich Deckmäntelchen, um zu verschleiern, worum es tatsächlich geht.
Schwarz: Worum geht es tatsächlich?
Kelle: Denkt man Gender Mainstreaming zu Ende, läuft es auf eine Zerstörung unserer kulturellen Prägung hinaus. Alles, was wir für richtig und normal halten, soll in Frage gestellt werden. Und Gender Mainstreaming will letztlich an unsere Kinder heran. Denn unsere Generation, die in ihrem Bild von der Geschlechterkultur schon gefestigt ist, ist im Grunde für Gender Mainstreaming verloren. Unsere Kinder aber werden, wenn sich Gender Mainstreaming an unseren Schulen durchsetzt, darum beraubt, eine solche gefestigte Identität zu entwickeln. Denn beigebracht werden soll ihnen, daß alles möglich ist und daher nichts mehr gilt. Denn wo alles möglich ist – da gilt natürlich keine Moral, keine Kultur, keine Tradition mehr. Auch die Familie gilt dann nichts mehr, weil Familie dann alles sein kann. Das gleiche gilt sogar für Elternschaft. Die Grünen etwa arbeiten längst an der Durchsetzung der Idee der „sozialen Elternschaft“, analog zum „sozialen Geschlecht“, die mit der biologischen nichts mehr zu hat. Klar, wenn es egal ist, ob man Mann oder Frau ist, dann ist es auch egal, ob man biologischer Elternteil ist. Die Familie aber, die von Gender Mainstreaming zerstört werden soll, ist die Keimzelle unserer Freiheit. Eine stabile Familie braucht den Staat nicht. Denn diese Verbindung von Mann und Frau, aus der ein Kind entsteht, ist die natürlichste Bindung der Welt, die auch ohne Staat, Grundgesetz oder Religion funktioniert. Wird diese Zelle der Freiheit zerstört, entsteht eine Gesellschaft von Individuen, die dann vollständig auf Staat und Gesellschaft angewiesen sind.
Schwarz: Kann Gender Mainstreaming denn noch gestoppt werden?
Kelle: Ja, in Norwegen etwa ist es gelungen. Ausgelöst durch eine TV-Dokumentation, die das Thema einmal konsequent kritisch hinterfragt hat, wurde eine gesellschaftliche Debatte darüber entfacht. Folge: Von den „Alles-nur-anerzogen“-Theorien blieb nicht viel übrig, und die Regierung dampfte das Gender-Budget erheblich ein. In Deutschland hatte – davon unabhängig – die damalige CDU-Familienministerin Kristina Schröder die Gelder für Gender erheblich zusammengestrichen.
Schwarz: Kristina Schröder, die ihren Kindern gegenüber von „das Gott“ spricht?
Kelle: Immerhin hatte sie den Mut, sich mit den Gender-Netzwerken hierzulande anzulegen, was nicht vergnügungssteuerpflichtig ist.
Schwarz: Was fordern Sie?
Kelle: Ich fordere, eben genau diese öffentliche Diskussion über Gender Mainstreaming zu führen, denn es hat bei uns nie eine demokratische Debatte darüber gegeben. Bis heute gibt es keine demokratische Legitimation für ein Projekt, das auf die völlige Umgestaltung aller unserer Verhältnisse zielt. Stattdessen wurde Gender Mainstreaming am Volk vorbei von oben oktroyiert – von der Ebene der Vereinten Nationen aus über die EU und dann die Bundesregierung. Im Parlament, in der Volksvertretung also, wurde es nie debattiert oder gar beschlossen. Und ich fürchte, das ist auch so gewollt. Denn würden wir öffentlich die Frage stellen, ob die Bürger das alles wirklich wollen, würde sich Gender Mainstreaming in kürzester Zeit wohl von selbst erledigen.
Schwarz: Und dazu wollen Sie mit „Gender-Gaga“ beitragen?
Kelle: Ich glaube, es ist Teil des Konzeptes, daß die Bürger Gender Mainstreaming nicht wirklich verstehen. Sie sollen gar nicht erkennen, was da tatsächlich durchgesetzt wird – eine Ideologie, die alles auf den Kopf stellt, die uns unglaublich viel Geld kostet und durch die künftig an jeder Ecke neue Diskriminierungen warten, derer man sich schuldig machen kann. Immerhin, als ich vor fünf Jahren von Gender Mainstreaming sprach, schüttelten alle nur ungläubig den Kopf. Inzwischen aber verstehen trotz allem mehr und mehr Leute, daß da tatsächlich etwas Bedrohliches vor sich geht. Und ich glaube, daß den Lesern meines Buches trotz der humorvollen Schreibweise klar wird, wie ernst die Sache ist. Ich glaube, daß Gender Mainstreaming eines Tages scheitern wird, einfach weil es der menschlichen Natur widerspricht. Wir können dem Spuk aber auch jetzt schon ein Ende bereiten, bevor ein paar Generationen Kinder und weitere Millionenbudgets mit diesem Unsinn verheizt wurden. Wenn ich mit meinem Buch dazu beitragen kann, dann mache ich das gerne. Birgit Kelle: Nach Ihrem Bucherfolg „Dann mach doch die Bluse zu“ von 2013 sorgt Birgit Kelle nun mit „Gender-Gaga. Wie eine absurde Ideologie unseren Alltag erobern will“ für Aufmerksamkeit. Zeitweilig war sie Dauergast in deutschen Talkshows: Beckmann, Illner, Lanz, Will, Peter Hahne, Deutschlandfunk – am Montag vergangener Woche wieder mal bei „Hart aber fair“ – alle wollten Kelle, Welt, Focus und Bild am Sonntag luden sie zu Gastbeiträgen. „Rhetorisch brillant“ nennt sie die FAZ, als eine Frau, „die sich traut, gegen den Strom zu schwimmen“, beschreibt sie der Spiegel. 2012 trat sie als Sachverständige in der Betreuungsgeld-Debatte vor dem Familienausschuß des Bundestages auf. Seit 2011 schreibt Kelle regelmäßig für die JUNGE FREIHEIT. Geboren wurde sie 1975 in Siebenbürgen, 1984 siedelte die Familie nach Deutschland aus. (© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 12/15 / 13. März 2015) |