Zum 10. Todestag von Nicolás Goméz Dávila
von
Georg Alois Oblinger
Die literarischen und philosophischen Lexika verschweigen seinen Namen;
doch in politisch und religiös konservativen Kreisen gilt der
kolumbianische Nonkonformist Nicolás Gómez Dávila als Geheimtip. Er
wurde am 18. Mai 1913 in Bogotá geboren und verstarb ebendort am 17.
Mai 1994. Den größten Teil seines Lebens verbrachte Gómez Dávila in
seiner außergewöhnlichen Bibliothek, wo er ein Leben ohne Reisen, ohne
Fernsehen und ohne Tageszeitungen führte und sich – außer seiner Frau,
seinen drei Töchtern und einer handvoll Freunden - ganz dem Studium und
dem Denken hingab. Frucht dieses Denkens sind mehrere tausend
Aphorismen, die der Karolinger Verlag in Wien in drei Bänden
herausgebracht hat: „Einsamkeiten“, „Auf verlorenem Posten“ und
„Aufzeichnungen des Besiegten“. Im gleichen Verlag erschien vor wenigen
Monaten ein Band mit Prosa-Texten, der den einfachen Titel „Texte“
trägt.
Nicolás Gómez Dávila wollte sich als Reaktionär verstanden wissen,
darin einem Juan Donoso Cortés und einem Joseph de Maistre gleich. Doch
im Gegensatz zu diesen war nicht die politische Restauration sein Ziel,
sondern die Kontemplation, deren Gegenstand die ewigen Werte sind. Er
wollte provozieren und dadurch den Leser aus gewohnten Denkkorsetten
befreien. Vor allem zwei Ãœbel sind es, die er leidenschaftlich
bekämpfte: die Demokratie und die modernistische Theologie. In diesem
Zusammenhang kritisiert er scharf das Zweite Vatikanische Konzil und
die in dessen Folge stattgefundene Liturgiereform. Seine Aphorismen
lassen an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig:
„Die Grundüberlegung des Progressisten ist wunderhübsch: das Beste
setzt sich immer durch, weil man das Beste nennt, was sich durchsetzt.“
„Auf das Zweite Vatikanische Konzil sind nicht Feuerzungen
herabgekommen, sondern ein Bach von Feuer, ein Feuerbach.“ „Nachdem sie
nicht erreicht, daß die Menschen praktizieren, was sie lehrt, hat die
gegenwärtige Kirche beschlossen, zu lehren, was sie praktizieren.“ „Die
Türme der Kirche von heute hat der progressive Klerus nicht mit dem
Kreuz, dafür mit der Wetterfahne geziert.“ „In der Absicht, der
modernen Welt die Arme zu öffnen, öffnet die Kirche ihr die Beine.“
„Das Rituelle ist ein Vehikel des Heiligen.“ „Wer einen Ritus
reformiert, verletzt einen Gott.“ Dennoch bekennt sich Gómez Dávila als
„demütiger Katholik“ im Gegen-satz zu zahlreichen „mündigen Christen“.
Wo das Gespür für die Transzendenz verloren geht, breitet sich im
menschlichen Leben auch die Vulgarität immer mehr aus. Auch hier
kritisiert Gómez Davilá die Moderne: „Die moderne Gesellschaft ist nur
in zwei Dingen den vergangenen Gesellschaften voraus: in der Vulgarität
und in der Technik.“
Es war die feste Überzeugung Gómez Dávilas, daß die Moderne an sich das
Problem ist, und zwar in geistlicher, ästhetischer und sittlicher
Hinsicht. Daher wollte er ein Reaktionär sein. Nach seinem Verständnis
ist dieser aber „kein nostalgischer Schwärmer, sondern ein
unbestechlicher Richter, ein Pathologe der Krankheit und Gesundheit
bestimmt“, der aber die Heilung Gott überlässt. „Nichts ist
bedauerlicher als ein Reaktionär mit Rezepten.“ So erheben auch seine
Analysen, so scharf sie auch oftmals klingen mögen, keinen dogmatischen
Anspruch, wollen eher Teil eines Dialogs sein und sind eben deshalb in
der fragmentarischen Form des Aphorismus gehalten. „Die echten Probleme
haben keine Lösung, sondern Geschichte.“
Gómez Dávila wollte nie für die Masse schreiben, immer nur für den
erlesenen Kreis seiner Freunde. So sind auch die meisten seiner Bücher
als Privatdruck in geringer Auflage erschienen. Er selbst schreibt:
„Was ein Reaktionär sagt, kümmert niemand. Nicht wann er es sagt, da
scheint es absurd. Nicht nach ein paar Jahren, da ist es bereits
augenfällig.“ Lange Zeit blieb er, dem man in seiner Heimat vergeblich
mehrfach hohe politische Ämter anbot, außerhalb Kolumbiens nahezu
unbekannt. Erst in seinen letzten Lebensjahren wurde man in Europa auf
ihn aufmerksam. In Deutschland reicht die Schar seiner Bewunderer von
Gerd-Klaus Kaltenbrunner über Erik von Kühnelt-Leddihn und Martin
Mosebach bis Botho Strauß. Letzterer schreibt über Goméz Dávila: „Ich
möchte doch, daß diese eine und einzige Stimme, einzige und
überzeugende der scharfsinnigen Gläubigkeit und Gegenmoderne in unseren
Tagen gehört wird. Man wird zusehends spüren, welche Anziehungskraft
von einem Denken ausgeht, das in seinem dichtesten Kern aus
Unbefragbarkeit und aus Frommheit besteht.“
Kürzlich erschien in dem neuen kleinen Verlag edition antaios auch die
erste Einführung in das Werk des Kolumbianers: Das Buch „Nicolás Gómez
Dávila. Parteigänger verlorener Sachen“ von Till Kinzel, dem
Mitübersetzer der Prosa-Texte, ist für eine erste Auseinandersetzung
mit Gómez Dávila sehr geeignet. Dennoch bleibt der Leser aufgefordert,
den unkonventionellen Denker unbedingt auch im Original zu lesen, ganz
gemäß dessen eigenen Worten: „Statt den Autor selbst liest man
heutzutage lieber das idiotische Buch, das über ihn geschrieben wurde. |