Enzyklika »Quanta cura«
von
Papst Pius IX.
vom 8. Dezember 1864 über die Irrtümer der Zeit
An alle Ehrwürdigen Brüder, die Patriarchen, Primaten, Erzbischöfe und
Bischöfe, welche die Gnade und die Gemeinschaft des Apostolischen
Stuhles haben.
Ehrwürdige Brüder, Gruß und Apostolischen Segen!
Mit welcher Sorge und Hirtenwachsamkeit die Römischen Päpste, Unsere
Vorgänger, der ihnen von Christus, dem Herrn selbst, in der Person des
seligsten Apostelfürsten, des hochheiligen Petrus, an-vertrauten
Aufgabe und Amtspflicht, die Lämmer und Schafe zu weiden, nachgekommen
sind, und es niemals unterlassen haben, die gesamte Herde des Herrn
sorgfältig mit den Aussagen des Glaubens zu nähren, sie mit der
heilsamen, unverletzten Lehre zu tränken und vertraut zu machen, und
sie von vergifteten Weiden fernzuhalten, ist allen und besonders Euch,
Ehrwürdige Brüder, wohlbekannt und offenkundig.
In der Tat, Unsere Vorgänger, die Vertreter und Verteidiger der
erhabenen katholischen Religion, der Wahrheit und der Gerechtigkeit,
kannten in ihrer großen Fürsorge um das Heil der Seelen kein
wichtigeres Anliegen, als mit ihren höchst weisen Hirtenbriefen und
Konstitutionen alle Irrlehren und Irrtümer aufzudecken und zu
verurteilen, die im Widerspruch zu unserem Göttlichen Glauben, zur
Lehre der katholischen Kirche, zur Ehrbarkeit der Sitten und zum ewigen
Seelenheil der Menschen stehen, die häufig schwere Gefahren
hervorgerufen und in beklagenswerter Weise die Kirche und die
staatliche Gemeinschaft verheert haben.
Darum haben Unsere Vorgänger mit apostolischem Starkmut, den ruchlosen
Umtrieben gegen die gottlosen Menschen, stets Widerstand geleistet. Den
Fluten der tobenden See gleich, schäumen diese ihre eigene Verwirrung
und Ordnungslosigkeit aus und versprechen die Freiheit, während sie
selbst Sklaven der Verderbnis sind. Mit ihren trügerischen Meinungen
und höchst verderblichen Schriften waren sie bemüht, die Grundlagen der
katholischen Religion und der bürgerlichen Gesellschaft zu erschüttern,
jede Tugend und Gerechtigkeit aus der menschlichen Gemeinschaft
auszurotten, die Seele und den Geist zu verderben, die Unvorsichtigen
und die unerfahrene Jugend von den rechten Grundsätzen der Sitten
abzubringen, sie zugrundezurichten, in die Fallstricke des Irrtums zu
führen und sie schließlich vom Schoß der katholischen Kirche gewaltsam
zu entfernen.
Wie Euch wohlbekannt ist, Ehrwürdige Brüder, haben Wir, kaum durch den
verborgenen Ratschluß der Göttlichen Vorsehung und ohne irgendwelche
eigenen Verdienste, als wir auf diesen Stuhl Petri erhoben wurden, zum
unermeßlichen inneren Schmerz unserer Seele, den furchtbaren, durch so
viele verkehrte und verruchte Meinungen erregten Sturm und die
schweren, nie genug zu beweinenden Schäden gewahrt, die aus derartig
vielen Irrtümern heraus das christliche Volk treffen. Nach der Pflicht
Unseres Apostolischen Amtes, folgend der glorreichen Fährte Unserer
Vorgänger, haben Wir Unsere Stimme erhoben und mit mehreren
veröffentlichten Enzykliken, Apostolischen Ansprachen im Konsistorium
und anderen Apostolischen Schreiben, die hauptsächlichsten Irrtümer
unseres höchst betrüblichen Zeitalters verurteilt.
Zugleich haben Wir Eure ausgezeichnete bischöfliche Wachsamkeit
angeregt und alle Unsere geliebten Kinder der katholischen Kirche immer
wieder ermahnt und ermuntert, die Wirkungen einer so grauenvollen Suche
absolut zu verabscheuen und zu vermeiden. Namentlich in Unserer ersten
Enzyklika, die wir Euch am 9. November 1846 geschrieben haben, sowie
mit den beiden, im Konsistorium gehaltenen Ansprachen vom 9. Dezember
1854 und 9. Juni 1862, in denen Wir die ungeheuerlichen Meinungen
verurteilten, die vor allem in diesem Zeitalter zum allergrößten
Schaden der Seelen und zum Nachteil der bürgerlichen Gesellschaft
herrschen. Diese stehen im äußersten Wider-spruch nicht nur zur
katholischen Kirche, zu ihrer heilsamen Lehre und zu ihren ehrwürdigen
Rechten, sondern auch zu dem ewigen natürlichen Gesetz, das Gott in das
Innere und in das Herz aller Menschen eingegraben hat, sowie zu der
rechten Vernunft. Aus ihnen erhalten fast alle anderen Irrtümer ihren
Ursprung.
Obwohl Wir es nicht unterlassen haben, die wichtigsten Hauptirrtümer
dieser Art häufig öffentlich zu verbieten und zu verwerfen, so verlangt
dennoch das Interesse der katholischen Kirche, das Uns von Gott
anvertraute Heil der Seelen und die Wohlfahrt der bürgerlichen
Gesellschaft, daß Wir Eure Hirtensorgfalt wiederholt zur Bekämpfung
anderer verkehrter Meinungen aufrufen, welche aus den erwähnten
Irrtümern und aus ihrem Ursprung hervorbrechen. Diese falschen und
verkehrten Meinungen müssen umso mehr verabscheut werden, als sie
gerade danach streben, die heilsame Gewalt zu hemmen und zu beseitigen,
welche die katholische Kirche nach der Anordnung und dem Gebot ihres
göttlichen Stifters bis an das Ende der Zeiten, sowohl gegenüber dem
einzelnen Menschen, als auch gegen die Nationen, Völker und ihre
Herrscher, unbehindert ausüben muß, sowie die gegenseitige
Gemeinsamkeit und Eintracht der Absichten zwischen Kirche und Staat
abzuschaffen, die zu allen Zeiten dem geistlichen und bürgerlichen
Bereich förderlich und heilsam war 1).
Ihr wißt sehr wohl, Ehrwürdige Brüder, daß es heutzutage viele gibt,
die das absurde und gottlose Prinzip des sogenannten Naturalismus auf
die staatliche und bürgerliche Gesellschaft anwenden und zu lehren
wagen. Die beste Staatsverfassung und der bürgerliche Fortschritt
erforderten unbedingt, daß die menschliche Gesellschaft aufgebaut und
regiert werde, ohne dabei irgendeine Rücksicht auf die Religion zu
nehmen, als ob diese nicht existieren würde, oder zumindest keinen
Unterschied zwischen der wahren und der falschen Religion zu machen. Im
Gegensatz zur Lehre der Heiligen Schrift, der Kirche und der heiligen
Väter behaupten sie ohne zu zögern: Der beste Zustand der Gesellschaft
sei, der Staatsgewalt nicht die Verpflichtung zuzuerkennen, durch
gesetzlich festgelegte Strafen die Übeltäter und Entehrer der
katholischen Religion in Schranken zu halten, außer wenn die
öffentliche Ruhe dies erfordern sollte.
Von dieser absolut falschen Vorstellung über die Regierung des Staates,
scheuen sie sich nicht, die irrige Meinung zu begünstigen, welche für
die katholische Kirche und das Heil der Seelen im höchsten Grad zum
Untergang führt, die bereits Unser unmittelbarer Vorgänger seligen
Andenkens, Gregor XVI., als Wahnsinn bezeichnet hat 2), und zwar, die
Gewissens- und Religionsfreiheit sei das eigene Recht eines jeden
Menschen. Dieses Recht müsse das Gesetz in jeder wohlgeordneten
Gesellschaft proklamieren und sicherstellen. Für die Bürger bestehe ein
Recht auf eine allgemeine Freiheit, die weder durch die kirchliche,
noch durch die staatliche Autorität eingeschränkt werden darf, und die
ihnen erlaubt, ihre Ansichten und Empfindungen durch das gesprochene
Wort, durch Druckschriften, oder auf andere Weise offen bekanntzugeben
und zu erklären. Während sie dies leichtfertig behaupten, bedenken und
erwägen sie nicht, daß sie die Freiheit des Verderbens 3) verkünden. Es
wäre ihnen freigestellt, alles mit den Mitteln menschlicher Überzeugung
zu erörtern, da es an solchen Menschen niemals fehlen würde, die es
wagen, der Wahrheit zu widerstehen und auf die Geschwätzigkeit der
menschlichen Weisheit zu vertrauen. Der christliche Glaube und die
christliche Weisheit vermögen es, aus der Lehre Unseres Herrn Jesus
Christus selbst zu erkennen, wie sehr diese höchst lügenhafte Eitelkeit
gemieden werden muß 4).
Wo die Religion aus der bürgerlichen Gesellschaft verbannt sowie die
Lehre und Autorität der göttlichen Offenbarung verworfen wurde, wird
sogar der wahre Begriff der Gerechtigkeit und des menschlichen Rechts
verdunkelt und geht verloren. Materielle Gewalt tritt an die Stelle der
Gerech-tigkeit und des gesetzmäßigen Rechts. Daher ist es verständlich,
weshalb einige Menschen, indem sie die sichersten Grundsätze der
gesunden Vernunft mißachten und an die letzte Stelle setzen,
miteinander auszurufen wagen: Der Wille des Volkes, kundgegeben durch
die sogenannte „öffentliche Meinung“ oder auf irgendeine andere Weise,
begründe das oberste Gesetz, unabhängig von jedem göttlichen und
menschlichen Recht. In der politischen Ordnung haben vollendete
Tatsachen bereits durch ihre Vollendung die Bedeutung einer
Rechtskraft. Wer versteht und empfindet nicht ganz deutlich, daß die
menschliche Gesellschaft, gelöst von der Bindung an die Religion und
des wahren Rechts, keine andere Ausrichtung mehr haben kann, als sich
den Erwerb und die Anhäufung von Reichtümern zum Ziel zu setzen? Sie
folgen in ihren Handlungen keinem anderen Gesetz mehr, als der
ungezähmten Begierde des Herzens, den eigenen Gelüsten und dem
persönlichen Vorteil zu dienen.
Deshalb verfolgen diese Menschen mit bitterem Haß die
Ordensgemeinschaften, obgleich sie sich um die Kirche, die Zivilisation
und die Wissenschaft überaus verdient gemacht haben. Sie bekunden, daß
diese Gemeinschaften keinen gesetzlichen Anspruch auf ihr Fortbestehen
haben und stimmen den Lügen der Irrlehrer zu. Unser Vorgänger seligen
Andenkens, Pius VI., erklärte mit großer Weisheit: Die Aufhebung der
Orden verletzt den Stand der öffentlichen Ausübung der Evangelischen
Räte sowie die von der Kirche empfohlene Lebensweise, die im Einklang
mit der Lehre der Apostel steht. Sie beleidigt die ausgezeichneten
Ordensgründer persönlich, die wir auf den Altären verehren, und die
unter der Eingebung Gottes diese Gesellschaften gegründet haben 5).
Außerdem verkünden sie in gottloser Weise, den Bürgern und der Kirche
die Befugnis zu entziehen, die diesen genehmigt, Almosen um der
christlichen Liebe willen austeilen zu dürfen. Auch das Gesetz sei
abzuschaffen, welches an gewissen Tagen die knechtliche Arbeit aus
Rücksicht auf den Gottesdienst verbietet, wobei sie höchst trügerisch
einwenden, das Verbot und Gesetz stehe im Widerspruch zu den
Grundsätzen einer guten Volkswirtschaft.
Nicht damit zufrieden, die Religion aus der Öffentlichkeit des Staates
zu verdrängen, wollen sie die Religion selbst aus dem privaten Bereich
der Familien fernhalten. Diese Menschen lehren den verderblichen und
todbringenden Irrtum des Kommunismus und des Sozialismus. Indem sie
sich dazu bekennen, vertreten sie den Irrtum, die häusliche
Gemeinschaft oder die Familie leite den Grund ihres Bestehens nur aus
dem bürgerlichen Recht ab. Alle Rechte der Eltern über ihre Kinder und
an erster Stelle das Recht ihrer Unterweisung und Erziehung, stammen
nur aus dem bürgerlichen Recht und hängen von diesem ab. Mit diesen
gottlosen Meinungen und Umtrieben beabsichtigen diese Betrüger, vor
allem die heilbringende Lehre und die Gewalt der katholischen Kirche
aus dem Unterricht und aus der Erziehung der Jugend vollständig zu
verbannen, und dadurch die noch beeinflußbaren Gemüter der Jugend mit
der schädlichen Irrlehre und jeglichen Lastern anzustecken und zu
verderben.
Diejenigen, die sich das Ziel gesetzt haben, die Kirche und den Staat
in Verwirrung zu stürzen, die Ordnung in der Gesellschaft umzustoßen
und alle göttlichen und menschlichen Rechte zu vernichten, richten, wie
bereits erwähnt, alle ihre verruchten Pläne und Künste, ihr Handeln und
ihr Tun, besonders auf die unerfahrene Jugend, um diese zu betrügen und
zu verderben. Stets haben diese Menschen gerade alle Hoffnung auf die
Verführung der Jugend gesetzt. Darum hören sie niemals auf, dem Welt-
und Ordensklerus, von welchem, wie es zuverlässige Urkunden und
Denkmäler der Geschichte glänzend bezeugen, viele große Vorteile auf
die christliche und bürgerliche Gesellschaft und auf die Wissenschaft
ausgegangen sind, auf die schändlichste Weise übel mitzuspielen. Sie
verkünden, dieser Klerus müsse als Feind der nützlichen Wissenschaft
und des Fortschrittes der Zivilisation von jeder Sorge und
Verantwortung für den Unterricht und der Erziehung der Jugend entfernt
werden.
Andere hingegen wagen es, die ruchlosen und oft verurteilten Lügen der
Erneuerer wieder aufzugreifen und mit einer besonderen Unverschämtheit
die höchste Gewalt der Kirche und des Heiligen Stuhles, die ihr von
Christus dem Herrn übertragen wurde, der Willkür der staatlichen Macht
zu unterwerfen und alle Rechte dieser Kirche und des Heiligen Stuhles
zu leugnen, welche zur äußeren Ordnung gehören. Sie schämen sich nicht
zu behaupten: Die Gesetze der Kirche verpflichteten nur dann im
Gewissen, wenn sie durch die staatliche Behörde veröffentlicht würden.
Die Verfügungen und Dekrete der Römischen Päpste, welche die Religion
und die Kirche betreffen, bedürften der Bestätigung und Billigung,
zumindest aber der Zustimmung der Staatsgewalt. Die Apostolischen
Konstitutionen 6), durch welche die geheimen Gesellschaften, ganz
gleich, ob von ihnen der Eid auf Geheimhaltung verlangt wird oder
nicht, und deren Anhänger und Begünstiger mit dem Ausschluß aus der
Kirche bestraft werden, hätten keine bindende Kraft in den Ländern des
Erdkreises, wo solche Vereinigungen von der staatlichen Regierung
geduldet werden. Die Exkommunikation, die vom Konzil von Trient und von
den Römischen Päpsten über diejenigen verhängt wurde, die gegen die
Rechte und Besitztümer der Kirche vorgehen und an sich reißen, beruhe
auf einer Vermischung der geistlichen Ordnung mit der politischen und
staatlichen Ordnung zur Verfolgung eines rein weltlichen Gewissens. Die
Kirche dürfe nichts verfügen und entscheiden, was die Gewissen der
Gläubigen im Hinblick auf den Gebrauch der zeitlichen Dinge binden
könnte. Der Kirche stehe nicht das Recht zu, die Verletzer ihrer
Gesetze mit zeitlichen Strafen zu bedrohen. Es entspreche den
Grundsätzen der heiligen Theologie und des öffentlichen Rechts, das
Eigentumsrecht an Gütern, welche sich im Besitz der Kirche, der
Ordensgemeinschaften und anderen frommen Institutionen befinden, der
Staatsregierung zuzuerkennen und für sie in Anspruch zu nehmen.
Sie schämen sich nicht, sich offen und vor der ganzen Welt zu dem
Ausspruch und Grundsatz der Irrlehrer zu bekennen, aus dem so viele
verkehrte Meinungen und Irrtümer hervorgehen. Sie erklären
nachdrücklich: Die Gewalt der Kirche sei nicht kraft göttlichen Rechtes
getrennt und unabhängig von der staatlichen Gewalt. Eine solche
Trennung und Unabhängigkeit könne nicht aufrechterhalten werden, ohne
daß die Kirche in wesentliche Rechte der staatlichen Gewalt eingreifen
und dieselbe an sich reißen würde.
Ferner können wir die Verwegenheit von denjenigen nicht übergehen,
welche die gesunde Lehre nicht ertragen und behaupten: Den
Entscheidungen und Dekreten des Apostolischen Stuhles, die das
allgemeine Wohl der Kirche, ihre Rechte und Disziplin zum Gegenstand
haben, sofern diese die Glaubens- und Sittenlehre nicht berühren, könne
ohne Sünde und ohne irgendeine Gefährdung die Zustimmung und der
Gehorsam des katholischen Bekenntnisses verweigert werden. Jeder muß
klar und offen sehen und verstehen, wie sehr dies im Widerspruch zum
katholischen Glaubenssatz der Vollgewalt steht, die dem römischen Papst
durch Christus Unserem Herrn selbst aus göttlicher Macht übertragen
wurde, um die gesamte Kirche zu weiden, zu regieren und zu verwalten.
Inmitten einer so großen Anzahl von verkehrten und entarteten Meinungen
haben Wir, im vollen Bewußtsein Unserer Apostolischen Pflicht und in
Unserer höchsten Sorge um unsere heilige Religion, die gesunde Lehre
und das Uns von Gott anvertraute Heil der Seelen sowie für das Wohl der
menschlichen Gesellschaft selbst, erneut Unsere Apostolische Stimme
erhoben. Deshalb verwerfen, verbieten und verurteilen Wir, kraft
Unserer Apostolischen Autorität, alle und jede in diesem Schreiben
einzeln erwähnten verkehrten Meinungen und Lehren. Wir wünschen und
befehlen, daß dieselben von allen Kindern der katholischen Kirche als
verworfen, verboten und verurteilt betrachtet werden. Ihr selbst,
Ehrwürdige Brüder, wißt am besten, daß in diesen Zeiten die Hasser der
Wahrheit und Gerechtigkeit sowie die verbissensten Feinde unserer
Religion durch verderbliche Bücher, Flugschriften und Zeitungen, die
auf dem ganzen Erdkreis verbreitet werden, die Völker betrügen und mit
böswilligen lügenhaften Vorspiegelungen weitere gottlose Lehren
aussäen. Ferner ist Euch bekannt, daß es auch in unserem Zeitalter
einige Personen gibt, die, getrieben und aufgestachelt durch den Geist
Satans, bei dem Grad an Gottlosigkeit angelangt sind, daß sie unseren
Herrn Jesus Christus leugnen und seine Gottheit mit unheilvoller
Frechheit bekämpfen. Wir müssen Euch, Ehrwürdige Brüder, Unser höchstes
und wohlverdientes Lob aussprechen. Ihr habt keineswegs versäumt, Eure
bischöfliche Stimme gegen eine derartig große Gottlosigkeit zu erheben.
Daher wenden wir Uns mit Unserem Schreiben wiederum liebevoll an Euch.
Ihr, die Ihr zur Teilnahme an Unserer Hirtensorge berufen, Uns in
Unserer bitteren Trübsal, durch Eure vorzügliche Frömmigkeit und
Ergebenheit, zur Freude und zum Trost gereicht sowie durch Eure
außerordentliche Liebe, Treue und Ehrerbietung, auf das engste mit Uns
und diesem Apostolischen Stuhl verbunden seid, erfüllt Euer erhabenes
und wichtiges bischöfliches Amt mit Kraft und Eifer. Von Eurem
hervorragenden Hirteneifer erwarten Wir, daß Ihr das Schwert des
Geistes ergreift, welches das Wort Gottes ist, und gestärkt in der
Gnade Unseres Herrn Jesus Christus, mit doppelter Bemühung täglich mehr
darauf achtet, daß sich die Eurer Sorge anvertrauten Gläubigen der
schädlichen Kräuter enthalten, die Jesus Christus nicht pflegt, da sie
nicht vom Vater gepflanzt sind 7). Hört niemals auf, den Gläubigen
einzuprägen, daß jedes wahre Glück auf die Menschen unserer
hocherhabenen Religion, ihrer Lehre und Übung zuströmt, und daß selig
ist das Volk, dessen Herr sein Gott ist 8). Lehret, daß die Reiche auf
der Grundlage des katholischen Glaubens bestehen 9), und daß nichts so
tödlich, ins Verderben stürzend und derartig der Gefahren ausgesetzt
ist, als wenn wir der Meinung sind, es wäre für uns völlig ausreichend,
bei unserer Geburt den freien Willen empfangen zu haben und daher
nichts weiter von Gott verlangen. Das bedeutet, daß wir unseren Urheber
vergessen und Seiner Herrschaft abschwören, um zu zeigen, daß wir frei
sind 10). Unterlasset auch nicht zu lehren, daß die Herrschergewalt
nicht nur der Regierung der Welt, sondern besonders zum Schutz der
Kirche verliehen wurde 11). Nichts kann den Oberhäuptern und Königen
der Staaten einen größeren Nutzen und Ruhm erlangen, als wenn sie, wie
Unser Vorgänger, der höchst weise und starkmütige hl. Papst Felix, an
Kaiser Zeno schrieb, die katholische Kirche von ihren Gesetzen Gebrauch
machen lassen und niemandem erlauben, ihrer Freiheit entgegenzutreten.
Es steht fest, daß es für ihre Angelegenheiten heilsam ist, sofern es
sich um die Sache Gottes handelt, wenn sie sich nach seiner Anordnung
bemühen, den königlichen Willen den Priestern Jesu Christi zu
unterwerfen anstatt vorzuziehen 12).
Ehrwürdige Brüder, es ist in jeder Beziehung notwendig, ganz besonders
während dieser großen Nöte innerhalb der Kirche und der bürgerlichen
Gesellschaft, die einer gewaltigen Verschwörung der Feinde gegen die
katholische Kirche und gegen den Heiligen Stuhl sowie dem Chaos der
Irrtümer gegenüberstehen, mit Vertrauen dem Thron der Gnade zu nahen,
um Barmherzigkeit zu erlangen und die Gnade in rechtzeitiger Hilfe zu
finden. Daher hielten Wir es für notwendig, die Frömmigkeit aller
Gläubigen aufzumuntern, damit sie ohne Unterlaß mit Uns und mit Euch
den gütigsten Vater des Lichtes und Erbarmens höchst demütig mit
inständigen Bitten anflehen, und in der Fülle des Glaubens immer zu
Unserem Herrn Jesus Christus fliehen, der uns in Seinem Blut mit Gott
versöhnt hat, um Sein teuerstes Herz, das Opfer Seiner glühenden Liebe
zu uns, mit Eifer und Beständigkeit anzurufen. Möge Er mit Seiner
großen Liebe alles an Sich ziehen, damit alle Menschen durch Seine
heiligste Liebe entflammt werden und nach Seinem Herzen würdig wandeln,
um Gott in allem wohlgefällig zu sein und Früchte in jedem guten Werk
zu bringen.
Ohne jeden Zweifel sind jedoch für Gott die Gebete der Menschen
angenehmer, die mit reinen Seelen und ohne jeden Makel behaftet vor Ihn
treten. Mit Apostolischer Freigebigkeit haben wir es daher für ratsam
erachtet, die Unserer Obhut anvertrauten himmlischen Schätze der Kirche
zu ergründen, damit die Gläubigen, die in wahrer Frömmigkeit entbrannt
und durch das Sakrament der Buße von ihren Sünden gereinigt, mit großem
Vertrauen ihre Gebete Gott darbringen und dadurch Seine Barmherzigkeit
und Gnade erlangen können.
Kraft Unserer Apostolischen Autorität verleihen wir daher durch dieses
Schreiben einen vollkommenen Jubiläumsablaß, der jedem einzelnen der
Gläubigen beider Geschlechter auf dem ganzen Erdkreis zukommt, und von
Euch, Ehrwürdige Brüder, sowie von den rechtmäßigen Ortsordinarien in
der Frist eines Monats bis zum ganzen zukünftigen Jahre 1865, jedoch
nicht darüber hinaus, anzusetzen ist. Dies geschehe in der gleichen Art
und Weise, wie Wir es zu Beginn Unseres Pontifikates in Unserem
Apostolischen Rundschreiben in Breve-Form, Arcano divinæ providentiæ
consilio, erlassen am 20. November 1846 an den gesamten Episkopat,
verliehen haben, sowie mit allen Vollmachten, die durch dieses
Schreiben von Uns erteilt wurden. Wir wollen jedoch, daß alles, was in
dem erwähnten Breve geschrieben steht, beobachtet und das ausgenommen
werde, was durch Uns als ausgenommen erklärt wurde. Dies verleihen Wir,
ohne daß etwas Entgegenstehendes, auch wenn es einer speziellen und
besonderen Erwähnung oder Derogation verdienen würde, dagegen aufkommen
soll. Damit jeder Zweifel und jede Schwierigkeit ausgeräumt werde,
haben Wir befohlen, ein Exemplar dieses Breves an Euch zu senden.
Ehrwürdige Brüder, flehen wir aus innerstem Herzen und mit aller Kraft
des Geistes die Barmherzigkeit Gottes an. Er selbst hat hinzugefügt:
Meine Barmherzigkeit aber werde ich von ihnen nicht abziehen. Lasset
uns bitten, und wir werden empfangen. Sollte sich jedoch die Gewährung
um eine Weile verzögern, da wir schwer gesündigt haben, so lasset uns
anklopfen – denn wer anklopft, dem wird aufgetan werden, solange nur
unsere Gebete, Seufzer und Tränen an den Pforten anklopfen, in welchen
wir verharren und ausdauern müssen, und das Gebet einmütig ist. Ein
jeder bete zu Gott, nicht nur für sich, sondern für alle Brüder, wie
der Herr uns zu beten gelehrt hat 13).
Damit Gott umso eher Unsere, Eure und die Gebete und Wünsche aller
Gläubigen erhört, wollen wir voll Vertrauen die Vermittlung der
Allerseligsten und Unbefleckten Jungfrau und Gottesgebärerin Maria
anrufen, die alle Irrlehren in der ganzen Welt vernichtet hat. Unsere
liebreichste Mutter ist ganz lieblich und voll von Erbarmen. Sie neigt
sich allen zu, ist gütig und erbarmt sich der Nöte aller in ihrer
allumfassenden Liebe 14). Da Sie als Königin zur Rechten Ihres
Eingeborenen Sohnes, Unseres Herrn Jesus Christus, im goldenen,
vielfach geschmückten Gewande steht, gibt es nichts, was sie nicht von
Ihm zu erlangen imstande wäre.
Rufen wir auch die Fürbitte des heiligen Petrus, des Apostelfürsten,
seines Mitapostels Paulus und aller Heiligen an, die bereits in das
himmlische Reich gelangt, zu Freunden Gottes geworden sind und gekrönt
die Palme besitzen. In ihrer Unsterblichkeit sind sie mit Sicherheit um
das Heil unserer Seelen besorgt.
Erbitten Wir für Euch schließlich aufrichtig die Fülle aller
himmlischen Gaben von Gott. Als besonderes Unterpfand Unserer Liebe
erteilen wir Euch, Ehrwürdige Brüder, allen Geistlichen und den Eurer
Obhut anvertrauten gläubigen Laien, in aller Liebe und von ganzem
Herzen den Apostolischen Segen.
Gegeben zu Rom bei Sankt Peter, am 8. Dezember 1864, im zehnten Jahre
seit der dogmatischen Erklärung von der Unbefleckten Empfängnis der
Gottesgebärerin und Jungfrau Maria, im neunzehnten Jahre Unseres
Pontifikates.
Pius PP. IX.
Anmerkungen:
1) Gregor XVI., Enzyklika Mirari vos vom 15. August 1832.
2) Ebd.
3) Augustinus, Epist. 105 al. 166.
4) Leo, Epist. 164 al. 133, § 2 edit. Ball.
5) Schreiben an Kardinal de la Rochefoucault vom 10. März 1791.
6) Clemens XI., In eminenti; Benedikt XIV., Providas Romanorum; Pius VII., Ecclesiam; vgl. Leo XIII., Quo graviora.
7) Ignatius Antioch., ad Philad. 3.
8) Ps. 143.
9) CÅ“lestinus, epist. 22 ad Synod. Ephes.
10) Innocentius I., epist. 29 ad episc. Conc. Carthag.
11) Leo I., epist. 156 al. 125.
12) Pius VII., Enzykl. Diu satis vom 15. Mai 1800.
13) Cyprian, Epist. 11.
14) Bernhard v. Clairv., Serm. de duodecim prærogat. B. M. V. ex verbis Apocal.
|