REDE GEGEN DIE HÄRESIE DES EUTYCHES
SERMO XCVI
vom
hl. Papst Leo dem Großen
(Gehalten in der Basilika der hl. Anastasia etwa im Jahre 457; wiedergegeben nach der
Übersetzung von Dr. Theodor Steeger, "Bibliothek der Kirchenväter", Bd.55, München 1927)
1. Geliebteste!
Geschickte und erfahrene Ärzte pflegen die Krankheiten, denen die
schwache menschliche Natur ausgesetzt ist, durch geeignete Mittel zu
verhüten und anzugeben, wie man eine Untergrabung seiner Gesundheit
vermeiden kann. Geradeso ist es die Pflicht des Oberhirten, Vorsorge zu
treffen, daß nicht die Bosheit der Ketzer der Herde des Herrn
irgendwelchen Schaden zufügt, und zu zeigen, wie man sich vor den
ruchlosen Überfällen der Wölfe und Räuber sicherstellen soll. Nie
vermochte sich ja die Gottlosigkeit der Häretiker so versteckt zu
halten, daß sie nicht immer wieder von unseren heiligen Vätern
aufgedeckt und rechtmäßigerweise verurteilt worden wäre. Daher konnte
es auch unserer Sorgfalt, mit der wir, Geliebteste, über euch wachen,
nicht entgehen, daß einige Ägypter, namentlich Kaufleute, in unsere
Stadt gekommen sind und die Schandtaten verteidigen, die in Alexandrien
von den Irrgläubigen verübt wurden. Sie behaupten, Christus habe nur
eine göttliche Natur besessen, und der menschliche Leib, den er aus der
Jungfrau Maria annahm, sei kein wirklicher Leib gewesen. Diese gottlose
Lehre sagt also, die menschliche Natur ist nur scheinbar vorhanden und
die göttliche ist leidensfähig. Aus welchem Grunde und in welcher
Absicht sie dies zu sagen wagen, drüber kann kein Zweifel sein. Da sie
selbst von der Wahrheit des Evangeliums abgewichen und den Lügen des
Satans gefolgt sind, so möchten sie auch noch andere mit sich ins
Verderben reißen. Darum ermahne ich euch als treubesorgter Vater und
Bruder: Laßt euch nicht irgendwie ein mit den Widersachern des
katholischen Glaubens, die die Kirche bekämpfen, die Menschwerdung des
Herrn leugnen und sich gegen das von den Aposteln festgesetzte
Bekenntnis auflehnen! Sagt doch der Apostel: "Einen ketzerischen
Menschen meide nach ein- oder zweimaliger Zurechtweisung; denn du
weißt, daß ein solcher verkehrt ist und sündigt, da er durch sein
eigenes Urteil verdammt ist!"
2. Wer einer gottlosen Lehre anhängt, durch die, wie er weiß, schon
viele vor ihm ihren Untergang gefunden haben, geht an seiner eigenen
Hartnäckigkeit zugrunde und trennt sich durch seine eigene Torheit von
Christus. Ebenso der, welcher die falschen Glaubenssätze des Photinus,
die tollen Lehren des Mani und die wahnwitzigen Anschauungen des
Apollinaris, die unsere heiligen Väter bekanntlich verworfen haben, für
gottgefällig und katholisch hält. Wer also das Geheimnis der Menschheit
des Herrn leugnet, schließt sich zum Verderben seiner eigenen Seele
einer Irrlehre an. Und doch ist sie nicht neu, sondern schon lange
verurteilt. Finden wir denn im ganzen Evangelium etwas anderes, als daß
gerade durch dieses Geheimnis der göttlichen Barmherzigkeit a l l
e i n dem Menschengeschlechte in allen Gläubigen Rettung gebracht
wurde? Lehrt es uns nicht, daß der eingeborene Sohn Gottes, der in
allem dem Vater gleich ist, unsere Natur annahm, wobei er blieb, was er
war, und sich so als wahrer Gott dazu herabließ, das zu werden, was er
nicht war, nämlich wahrer Mensch? Ohne irgendwie von der Sünde befleckt
zu werden, vereinigte er mit sich unsere Natur voll und ganz in einem
wahrhaftigen Leibe und in einer wahrhaftigen Seele. Durch die Kraft des
Heiligen Geistes wurde er von seiner hochseligen jungfräulichen Mutter
empfangen. Er verschmähte es also nicht, von einem Weibe geboren zu
werden und sich ganz wie ein Kind zu entwickeln. Daß also das "Wort des
göttlichen Vaters" zugleich auch Mensch ist, das offenbarte er durch
die Macht seiner Gottheit und die Schwäche seines Fleisches. Mit seinem
Körper hängen seine menschlichen Handlungen zusammen, mit seinem
göttlichen Wesen dagegen seine überirdischen Kräfte. Ein Zeichen seiner
menschlichen Natur ist es, wenn ihn hungert und dürstet und ihn der
Schlaf übermannt. Den Menschen zeigt er uns, wenn er sich fürchtet,
weint und trauert, wenn er am Kreuze hängt, stirbt und ins Grab gelegt
wird. Göttlich dagegen ist es, über das Meer dahinzuschreiten, Wasser
in Wein zu verwandeln, Gestorbene zum Leben zu erwecken, die Welt durch
seinen eigenen Tod erbeben zu machen und mit seinem auferstandenen
Fleische hoch über alle Himmelshöhen emporzusteigen. Darum können
gläubige Seelen nicht darüber im Zweifel sein, was sie seiner
Menschheit, was seiner Gottheit zuzuschreiben haben. In beiden Naturen
wohnt ja der "eine" Christus, der einerseits nicht seine göttliche
Macht verlor und andererseits durch seine Geburt ein wahrer und
vollständiger Mensch wurde.
3. Diese Irrgläubigen, von denen wir hier reden, fliehet, Geliebteste,
wie todbringendes Gift! Verabscheut sie, weichet ihnen aus und
vermeidet es, mit ihnen zu sprechen, wenn sie sich, von euch
zurechtgewiesen, nicht bekehren wollen! Heißt es ja in der Schrift:
"Ihre Rede frißt um sich wie der Krebs." Wer durch gerechte
Verurteilung von der Einheit der Kirche ausgeschlossen ist, dem darf
man keine Gemeinschaft gewähren; denn sie verloren diese nicht infolge
unseres Widerwillens, sondern infolge ihrer eigenen Freveltaten. So
bewahret denn, ihr von Gott geliebten und durch das Zeugnis des
Apostels gepriesenen Römer, was, wie ihr wißt, ein so großer
Glaubensprediger an euch beobachtet hat! Zollte euch doch der heilige
Paulus der Völkerlehrer, das Lob: "Euer Glaube wird gerühmt in der
ganzen Welt." Keiner von euch zeige sich dieser Anerkennung unwürdig!
Da euch so viele Jahrhunderte hindurch infolge der Unterweisung des
Heiligen Geistes keine Häresie etwas anhaben konnte, so soll euch auch
die Gottlosigkeit des Eutyches nicht anstecken und beflecken können!
Wir hegen die feste Zuversicht, daß Gottes Schutz euere Herzen und
eueren Glauben schirmt, damit ihr zeitlebens an der Beobachtung der
katholischen Lehre festhaltet und so für alle Ewigkeit das Wohlgefallen
dessen findet, dem ihr bisher so treu gedient habt, durch Christus,
unseren Herrn.
Amen.
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Redaktionsschluß: 25.7.1983
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