Der hl. Papst Nikolaus I.
von
Eugen Golla
Mit ihm wurde ein Papst gewählt, der kirchliche Tradition mit einem
lauteren, unbeugsamen Charakter und einem hohen Sendungsbewußtsein
verband. Wie bei vielen Menschen des Mittelalters vermissen wir auch
bei ihm ausreichende Berichte über seinen Lebenslauf. Wie schlecht wir
über sein Leben informiert sind, geht schon daraus hervor, daß sein
Geburtsjahr zwischen 800 und 820 angesetzt wird; sicher ist nur, daß er
in Rom als Sohn eines hohen Beamten geboren wurde.
Nachdem er 850 die Diakonatsweihe empfangen hatte, wurde Nikolaus
aufgrund seiner geistigen Überlegenheit, seiner Kenntnisse und seiner
organisatorischen Fähigkeiten der einflußreichste Berater von Papst
Benedikt III. ( 855-58). Nach dessen Tod wurde er zu seinem Nachfolger
gewählt.
Ebenso spärlich wie die Informationen fließen auch die Quellen über
sein Wirken als Papst. Nur der "Liber pontificalis", eine Art
mittelalterlicher Papstgeschichte, berichtet, daß Nikolaus bald nach
seinem Regierungsantritt bei einer Tiberüberschwemmung tatkräftig half
und sich der Armen und Gebrechlichen annahm. In Erinnerung an die
Verwüstungen Roms durch die Sarazenen um 845 sicherte er die Stadt und
den wichtigen Hafen von Ostia militärisch ab.
Doch war er erfüllt von theologischen und kirchenpolitischen Ideen,
welche die Stellung des Bischofs von Rom betrafen, um die Freiheit und
Hoheit des Papsttums zu stärken, ohne jedoch damit die Forderung nach
einer universalen Herrschaft des Papsttums innerhalb der Christenheit,
wie sie die Päpste des Hochmittelalters erstrebten, zu verbinden. So
wurde dieser mutige Verteidiger auf dem Gebiete der Glaubenslehre und
des päpstlichen Primatsanspruches neben Leo I. dem Großen und Gregor I.
dem Großen der bedeutendste Papst des ersten christlichen Jahrtausends.
Nikolaus, der sein Amt als einen Dienst gegenüber der Gesamtkirche
auffaßte, mußte eine Staatskirche - in welcher Form auch immer - ein
Dorn im Auge sein. Obwohl das Abendland die Einheit der Kirche im
Petrusamt sah, gab es auch dort Metropoliten, die ihre Macht über die
kirchenrechtlich gesetzten Grenzen hinaus auszuweiten versuchten.
Ravenna war lange Zeit der Sitz der byzantinischen Verwaltung Italiens,
wodurch es sich neben Rom zum bedeutendsten Bistum des Landes
entwickelt hatte. Wenn auch der byzantinische Machtbereich 751
zurückgedrängt worden war, beherrschten dennoch die dortigen
Erzbischöfe unter hartnäckigem Widerstand gegen den päpstlichen Primat
diese Stadt. Daher entschloß sich Papst Nikolaus, den tyrannisch
regierenden Erzbischof Johannes, der wahrscheinlich einen
ravennatischen Kirchenstaat errichten wollte, der Häresie zu
beschuldigen und die Suspension und den Kirchenbann über ihn zu
verhängen, bis dieser sich 861 unterwarf.
Als Theologe bedeutender war der Erzbischof von Reims, Hinkmar, der
selbstbewußte Metropolit des westfränkischen Reiches. Als sich einer
seiner Suffragane, Bischof Rothad von Soissons gegen ihn erhob, nachdem
dieser erfahren mußte, daß Hinkmar, der die Metropolitangewalt zu
Lasten der ihm untergeordneten Bischöfe stärken wollte und eine
möglichst selbständige fränkische Kirche anstrebte, schaltete sich
Nikolaus in diesen Konflikt ein. Die in diesem Streitfall verfaßten
Briefe betonen klar und eindeutig den Vorrang des Papstes vor der
Metropolitangewalt. Der Papst ruhte nicht eher, als bis der von Hinkmar
gemaßregelte Rothad wieder in seine vollen Rechte eingesetzt worden war.
Der Osten bewahrte weiterhin die kirchliche Organisation der
konstantinischen Ära, d.h. möglichst selbständige Bischofssitze zu
errichten unter der garantierten Einheit des byzantinischen Reiches.
Die Entfremdung zwischen den Teilkirchen des Westens und des Ostens
nahm immer mehr zu, als Patriarch Ignatios von Konstantinopel durch
eine Hofintrige abgesetzt und an seine Stelle ein hoch gebildeter
Staatsbeamter namens Photios, der noch Laie war, erhoben wurde, wobei
dieser nach seiner Wahl sämtliche Weihen ohne Einhaltung der gebotenen
Zeitabstände erhielt. Dieses so entstandene Schisma bewirkte, daß sich
sowohl die Anhänger des Ignatios als auch die des Photios an Rom
wandten. Nikolaus, der nicht nur von den Gesandten des Kaisers, sondern
auch von seinen eigenen Legaten falsch oder zumindest unklar
unterrichtet worden war, konnte sich längere Zeit nicht entscheiden.
Als er aber zu der Erkenntnis gekommen war, daß Ignatios zu Unrecht
abgesetzt worden war, befahl er dessen Wiedereinsetzung und verbot die
Gemeinschaft mit Photios. In einem Brief erklärte er ihm, daß die
Gesetze und Vorschriften des Römischen Stuhles unverbrüchlich
beobachtet werden müssen.
In dem umfangreichen Briefwechsel mit Konstantinopel während der Dauer
dieses Schismas sind viele Zitate enthalten, die in das im zwölften
Jahrhundert verfaßte "Decretum Gratiani", eine Quellensammlung des bis
1918 geltenden Kirchenrechts, aufgenommen worden sind. Der Verfasser
war des Papstes Sekretär Anastasius Bibliothecarius, ein exzellenter
Kenner des Altertums, aber auch ein gewalttätiger Mensch , der sogar
nicht davor zurückgeschreckt war, 855 für kurze Zeit als Gegenpapst zu
Benedikt III. aufzutreten.
863 sprach Nikolaus in einer im Lateran abgehaltenen Synode dem Photios
die geistlichen Würden ab. Verschärft wurde der Konflikt durch die
Christianisierung Bulgariens, dessen König Boris 865 in Konstantinopel
getauft worden war. Als daraufhin griechische Misssionare in seinem
Lande zu wirken begannen und der König statt der erhofften kirchlichen
Selbständigkeit mit einer Abhängigkeit vom byzantinischen Reich rechnen
mußte, wandte er sich an Papst Nikolaus mit einer Reihe von Fragen,
welche die kirchliche Disziplin betrafen. Nikolaus sandte nun zwei
Bischöfe als Legaten; das ihnen mitgegebene Lehrschreiben tadelte zwar
manche Gebräuche der Ostkirche, berücksichtigte aber wohlwollend die
Sitten und Gebräuche der erst kurz zuvor zum Christentum bekehrten
Bulgaren, was zur Folge hatte, daß die griechischen Glaubensboten das
Land verlassen mußten und sich der weströmische Einfluß bis in die Nähe
Konstantinopels erstreckte.
Dies war eine der Hauptursachen, weshalb es Photios 867 gelang, eine
Synode in Konstantinopel einzuberufen. Unter den Anklagepunkten, die er
gegen die römische Kirche bekanntgab, war der wichtigste die
Brandmarkung des "Filioque" im Credo. Wenn auch gemäß der Heiligen
Schrift der Hl. Geist nur vom Vater ausgeht, gehört dennoch die
apostolische Lehre, daß er auch vom Sohne ausgeht, zum Glaubensgut, das
sich allerdings nicht in Rom, sondern im Reiche Karls des Großen
verbreitet hatte. Der große Triumph für Photios aber war es, daß er die
Absetzung des Papstes Nikolaus I. als "Häretiker und Verwüster des
Weinbergs des Herrn" erreichte, gleichsam eine Vorwegnahme des bis
heute andauernden Schismas von 1054.
Aber auch der byzantinische Kaiser stand gegen den Papst auf und
drohte, in Rom einzumarschieren, um ihn zu verjagen und die
Peterskirche zu zerstören. Nikolaus reagierte mit einer würdigen
Antwort: er argumentierte, daß er als Papst nicht verurteilt werden
könne. Das, was Photios am meisten erhoffte, ging nicht in Erfüllung:
die Hilfestellung aller im Karolingerreiche gegen den Papst
Opponierenden. Der westfränkische Klerus, an der Spitze Erzbischof
Hinkmar, der vorher vom Papst so streng behandelt worden war, blieb Rom
treu. Kurze Zeit danach wurde Kaiser Michael ermordet und als Folge
davon der Patriarch Ignatios wieder eingesetzt; aber der schwer
erkrankte Papst starb unmittelbar danach, ehe er von dem Umschwung
Nachricht erhalten hatte.
In einer sehr wichtigen Eheangelegenheit bewies er sein Engagement,
indem er für die Reinheit und Unverletzlichkeit der christlichen Ehe
einen schier hoffnungslosen Kampf aufnahm. Der dem Geschlechte der
Karolinger angehörige König Lothar II. von Lotharingien, ein Urenkel
Karls des Großen, verstieß etwa um 859 seine Ehefrau Theutberga, die
einem burgundischen Grafengeschlecht entstammte und die er allein aus
politischen Gründen geheiratet hatte. Er hatte inzwischen ein
Verhältnis mit einer Frau namens Waldrada, mit der er sich nach
germanischem Recht in einer sog. Friedelehe verbunden hatte. Er
versuchte nun rücksichtlos, die Scheidung durchzusetzen. Diese
recht-fertigte er nicht nur durch die bisherige Kinderlosigkeit, welche
seinem Geschlecht das Aussterben in bedrohliche Nähe zu rücken schien -
von Waldrada hatte er bereits einen Sohn und zwei Töchter -, sondern er
schreckte auch nicht davor zurück, Theutberga fälschlich zu
beschuldigen, mit ihrem Bruder in blutschänderischem Verkehr gelebt zu
haben. Die Erzbischöfe von Köln und Trier sowie der Bischof von Metz
erklärten sich bereit, die Ehe für nichtig zu erklären, worauf Lothar
zu Weihnachten 862 seine Ehe mit Waldrada von einem Bischof einsegnen
ließ. Danach wurde Waldrada auch zur Königin gekrönt. Theutberga, die
gezwungen wurde, in ein Kloster zu gehen, appelierte an den Papst.
Dieser wagte es, was bisher keiner seiner Vorgänger getan hatte, den
fränkischen König zu richten. (Es sei hier nur erwähnt, daß Karl der
Große die eheliche Treue nicht hochhielt. Seine erste Frau, eine
langobardische Königstochter, verstieß er; nach dem Tode seiner vierten
Frau unterhielt er außereheliche Verbindungen.)
Papst Nikolaus begnügte sich nun nicht damit, auf einer Lateransynode
König Lothars Doppelehe als schwer sündhaft zu verurteilen, sondern er
setzte auch die beiden willfährigen Erzbischöfe ohne Gerichtsverfahren
ab und exkommunizierte sie. Schließlich ließ er durch einen Legaten
Waldrada nach Italien bringen; aber es gelang dieser, wieder zu
entfliehen und in das Reich Lothars zurückzukehren, so daß sie wieder
den haltlosen König beeinflussen konnte. Die von den nicht
endenwollenden Demütigungen und Schikanen zermürbte Theutberga war
schließlich bereit zu erklären, daß nicht ihre, sondern Waldradas Ehe
rechtsgültig sei. Aber Nikolaus gab nicht nach und betonte, daß eine
Ehe Lothars mit Waldrada sogar im Falle des Todes von Theutberga wegen
des begangenen Ehebruches völlig ausgeschlossen sei.
Nikolaus lehnte einen Besuch Lothars ab, solange Waldrada nicht zur
Aburteilung nach Rom gekommen sei und Theutberga sämtliche Rechte als
Ehefrau wieder erhalten habe. Den Ausgang dieses Ehekonfliktes erlebte
Papst Nikolaus nicht mehr. Er starb am 13 November 867. Bestattet wurde
er im Atrium der Peterskirche. Obwohl schon im Mittelalter als Heiliger
verehrt, wurde er doch erst unter Papst Urban VIII. (1623-44) in das
Martyrologium Romanum aufgenommen mit den Worten: "der einen großen
Eifer und eine apostolische Standhaftigkeit bewiesen hat". Die
Ritenkongregation bestimmte 1883 als Datum seines Festes den 13.
November.
Benützte Literatur:
"Geschichte des Christentums", Band 4, Freiburg 1994; Lortz, Jos.: "Geschichte der Kirche" Bd. l, Münster 1962;
Schneemann, Gerhard: "Die Irrtümer über die Ehe" Freiburg 1865;
Seppelt, Fr. X.: "Geschichte der Päpste" Bd. 2, München 1955;
Stadler, Joh.Ev.: "Vollständiges Heiligenlexikon in alphabetischer Ordnung" Bd. 4, Augsburg 1875. |