H.H. PFARRER JOSEF LEUTENEGGER IN MÜNCHEN
von
Dr. Kurt Hiller
Den 90. Geburtstag am 11. Juli noch in München zu feiern, in St.
Michael / Baaderstr., mit einer Orchestermesse von Mozart oder Haydn,
und anschließend ein Festmahl im Kreise seiner Freunde und treuen
Verehrer aus dem Allgäu, den "Stichlern", wie er sie nannte (nach dem
Ort des Blutwunders im "Stich" / Maria Rain), dies war der fast
übergroße Wunsch des H.H. Pfarrer Leuteneggers in seinem letzten
Lebensjahr! Die Festpredigt hatte er schon fertig und auch schon fast
ganz auswendig gelernt, wie er das immer machte, und, der für diesen
Anlaß besorgte neue Anzug hing auch schon im Schrank.
Doch Gott hatte anders entschieden! Am 27. Juni berief er ihn zu sich
in die Ewigkeit. So zelebrierte am Tage vor seinem Geburtstag, den er
so sehr ersehnt hatte, am 10. Juli H.H. Pfarrer Pniok für ihn in St.
Michael ein feierliches Requiem, an dem alle jene teilnehmen konnten,
denen es nicht möglich gewesen war, zur Beerdigung am 1. Juli nach
Gossau in die Schweiz zu fahren. In der dortigen Kirche des
Kongreßhauses hielt unser H.H. Pfarrer Pniok den feierlichen,
levitierten Trauergottesdienst. Noch ein letztes Mal weilte H.H.
Pfarrer Leutenegger aufgebahrt unter uns. Es sang u.a. der bewährte
Leiter unserer Schola aus München. Unter dem Geleit von tausenden von
Gläubigen und vielen Priestern wurde der Verstorbene zur letzten Ruhe
gebettet.
Einen gewaltigen Kampf sollte es vorher noch geben um die Frage seiner
Beerdigung, denn das Ordinariat war der Ansicht, H.H. Pfarrer
Leutenegger sei nicht katholisch gewesen! Gerade er! Ein solcher
Priester, der, bereits auf dem Sterbebett liegend und in einer
ergreifenden Szene am 1. Juni von meiner Familie und mir Abschied
nehmend sagte: "Wenn ich die Wahl hätte, gleich in den Himmel zu
kommen, oder nochmals als Priester wirkend anfangen zu können, würde
ich das letztere wählen." Er, der bei seiner Pensionierung vor 18
Jahren Gott eindringlich um folgendes gebeten hatte: "Erhalte mir das
Licht der Augen, das Licht des Glaubens, das Licht der Vernunft, das
Licht des Gedächtnisses; - strecke die Lebenszeit, strecke die
Aufgaben, strecke die Gnade, denn wenn ich tot bin, nütze ich Dir
nichts mehr auf dem Planeten."
Und Gott hatte diesen unermüdlichen Arbeiter im Weinberg des Herrn voll
erhört! Keinen einzigen Sonntag saß er zuhause herum. Jedem dringenden
Ruf nach einer Sonntagsmesse, nach den Sterbesakramenten, nach dem
Exorzismus, nach Segnungen und nach Weihen folgte er sofort und scheute
dabei auch noch so weite und beschwerliche Wege nicht. Regelmäßig
versorgte er die Meßzentren in Basel, Bern, St. Gallen, Luzern,
Freiburg i.Br., Reutlingen, Stuttgart, Ulm u.a. und half an Festtagen
in der Pfarrei in Weilersbach / Schw. aus. Oft hielt er an einem
Sonntag gleich drei Ämter mit Predigt. Wenn er von München in die
Schweiz zurückfuhr, stieg er manchmal in Ulm aus, um dort nachmittags
noch ein Amt zu halten und zu predigen. Noch am 4. Januar dieses Jahres
erhielt ich folgende Karte von ihm: " Lieber Herr Dr. Hiller! Zum neuen
Jahre Glück und Gottes Segen! Hoffentlich gehts bei Ihnen gut wie bei
uns auch. Weihnachten in Weilersbach habe ich gut überstanden. 258
Beichten und 4 Predigten. Das hat gelangt. Gestern war ich in
Stuttgart. Übermorgen in St. Gallen! Und so gehts weiter. Freundlichen
Gruß! gez. Josef Leutenegger".
Am allerliebsten kam er jedoch nach München, wie er immer wieder
versicherte. Nach München wollte er auch dann noch kommen, wenn es ihm
nicht mehr möglich sein sollte, noch irgendwo anders hinzufahren. Auch
dieser Wunsch ging in Erfüllung, denn am Sonntag, dem 16. Mai 1982
feierte er hier in St. Michael zum letzten Mal die hl. Messe in einem
Meßzentrum. Seit Sonntag, dem 22. August 1976, als er zum ersten Mal in
St. Michael zelebrierte, kam er regelmäßig Monat für Monat hierher. In
den Ferien vertrat er unseren Herrn Pfarrer gleich wochenlang und
erfüllte auch außer der Reihe jede dringende Bitte um Aushilfe. So war
er insgesamt fast 9o-mal in München, um die hl. Messe zu feiern, zu
predigen, Beichte zu hören, zu taufen und - zu segnen! Jedesmal ein
gesungenes Amt mit einer zündenden Predigt, die er vollständig
auswendig beherrschte. Am liebsten waren ihm die Marienpredigten. Wo es
liturgisch nur möglich war, predigte er über die Mutter Gottes. Wohl
kaum jemand, der diese einprägsamen, inhaltlich wie auch rhetorisch
packenden Predigten erlebte, würde glauben wollen, daß für H.H. Pfarrer
Leutenegger zu Beginn seiner priesterlichen Laufbahn das Predigen seine
größte Schwäche war, wie er mir einmal gestand. Doch eiserner Fleiß und
ein unbeugsamer Wille, die ihn jede Predigt bis zu seinem Lebensende
jedesmal von neuem peinlichst genau vorher schriftlich fixieren ließen,
brachten es dazu, daß er schließlich so leicht und anschaulich
predigte, als ob es ihn keinerlei Mühe gekostet hätte.
Unvorstellbar ergreifende religiöse Höhepunkte durften wir zusammen mit
diesem glaubensstarken und mitreißenden Priester erleben! Ich möchte
nur an seine jährlichen Gbeurtstagsfeiern in München, und ganz
besonders an das "grande festa", wie er es nanntß die Feier seines 85.
Geburtstages am lo.7.1977 erinnern, als er bei den Klängen von Mozarts
"Krönungsmesse" ein Hochamt zelebrierte, bei dem H.H. Pfarrer Pniok und
H.H. Pfarrer Aßmayr levitierten. Oder an das unvergeßliche levitierte
Hochamt am 21. März dieses Jahres, als S.E. Erzbischof Pierre Martin
Ngo-dinh-Thuc seine "Declaratio" verlas und H.H. Pfarrer Leutenegger
als Subdiakon die Festpredigt mit dem Thema: "Das Brot des Lebens"
hielt und Joseph Haydns Orgelmesse in B-Dur zur Aufführung kam!
Wie sehr kam uns die seelsorgerische Erfahrung, der Rat und die
vorbehaltlose Unterstützung dieses vielseitigen Mannes zugute, der fast
57 Jahre Priester war und fast 4o Jahre Pfarreien geleitet hatte.
Unerschütterlich stand er zu uns und unserem Meßzentrum St. Michael,
als persönliche Diffamierungen uns das Leben schwer machten und als
Abbé Wodsack und Kaplan Dr. Storck als Gehilfen Econes nicht weit von
unserem Meßzentrum - dem ersten in Deutschland - hemmungslos in der
Schmellerstr. ein zweites eröffneten. Neben H.H. Pfarrer Aßmayr war es
ganz besonders H.H. Pfarrer Leutenegger, der in vorbildlicher
priesterlicher und menschlicher Haltung zu unserm H.H. Pfarrer Pniok
und unserem Meßzentrum in München hielt! Unvergessen die großartige,
von tiefem Glauben geprägte Einmütigkeit dieser drei priesterlichen
Gestalten!
Fast 90-mal in München! Das bedeutete, daß wir an ebenso vielen Abenden
des Samstags, wenn er in Begleitung der immer um ihn besorgten
Schwester Martha Brunner hier ankam, und in der Regel in meinem Hause
übernachtete, und an ebenso vielen Mittagsstunden des Sonntags
zusammensaßen und uns ausführlich unterhalten konnten über die
kirchliche Lage, die Situation unseres Meßzentrums und daß wir genügend
Zeit hatten, um seinen packenden und humorvollen Erzählungen zuzuhören.
Ich denke jetzt nur an eine Geschichte aus seiner Jugend: H.H. Pfarrer
Leutenegger hatte ursprünglich das Stickereihandwerk erlernt und war
als erster und einziger seiner Pfarrei in die sozialistische
Gewerkschaft eingetreten, wo er auch bald darauf deren Sekretär wurde.
Am Sonntag wetterte nun der Herr Pfarrer von der Kanzel gegen diesen
Sozi. Dieser rächte sich dadurch, indem er sich in der Bank schlafend
stellte, wobei er seinen Kopf realistischerweise immer tiefer sinken
ließ, jedoch genau aufpaßte, was nun der Herr Pfarrer gegen ihn
vorbrachte. Es war derselbe Pfarrer, der sich später rührend seiner
annahm und ihm den ersten Latein- und Griechischunterricht erteilte.
Oder ich denke an die Schilderungen seiner vielen Tätigkeiten in seiner
Pfarrei: die Gründung der Männer- und Frauenkongregation, die Leitung
des Kirchenchores, der Bläserchöre, seine Dirigententätigkeit, seine
kammermusikalischen Ensembles, die guten und schlechten Kapläne, die
Ordensschwestern, die ihm besonders zusetzten und vieles andere.
Ganz besonders ergreifend und interessant waren seine Erlebnisse in
Heroldsbach, wohin er im Auftrag seines Bischofs als Gutachter
geschickt worden war und von welchem er dann, als sein Gutachten
positiv ausfiel, auf besonders subtile Weise gemaßregelt wurde. Er
bekam in seiner Pfarrei in der Folge nur noch solche Kapläne zugeteilt,
die in einer anderen Pfarrei gemaßregelt worden waren und von dort
strafversetzt werden mußten.
Oder ich denke an seine Wallfahrtsleitungen und Sühnenächte in
Wigratzbad; an seine Tätigkeit als erfolgreicher Exorzist, bei der er
oft fürchterliche Erfahrungen machen mußte; an seine bewegenden
Schilderungen des Blutwunders im Stich / Maria Rain, in Folge dessen er
schließlich von 'Bischof' Stimpfle für die Diözese Augsburg
Zelebrationsverbot erhielt, an das er sich jedoch keinesfalls hielt.
Ich denke an seine Gründung einer "Priesterkasse" für die wegen ihres
Glaubens von der Amtskirche verfolgten Priester, die ihm jedoch seine
in die 10-tausende gehenden Unterstützungen oft schmählich vergalten.
Doch er ließ sich auch durch noch so viele Enttäuschungen nie
entmutigen! Immer wieder sagte er: "Man muß nach vorne, nicht zurück
schauen!" Sein unerschütterliches Gottvertrauen, sein tiefer Glaube,
seine ergreifende Verehrung der Mutter Gottes, seine von einem gelösten
Humor getragene Lebenshaltung wirkten ansteckend! So wuchsen wir hier
in München im Laufe der Jahre immer enger zusammen, und wir wurden
Freunde.
Der bittere Schmerz über den Weggang eines solchen Priesters und
Freundes läßt mich zu den Worten greifen, mit denen unser verehrter
H.H. Pfarrer Josef Leutenegger am 13. Dezember 1981 in St. Michael
seine Predigt schloß:
"Aus der Seele tiefstem Grund,
aus der Knechtschaft Not und Qual,
rufen wir mit Herz und Mund,
rufen wir viel tausendmal:
Jungfrau, sündelos und makelrein,
laß' uns Deinem Schutz empfohlen sein."
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